Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10054. Wien, Sonntag, den 21. August 1892 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10054. Wien, Sonntag, den 21. August 1892 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 21.08.1892
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Musikalische Reise- und Badelectüre. (I. Wagnerianer.) >Aussee, im August.

Ed. H. Für einen dreiwöchentlichen Aufenthalt in Karls bad pflege ich einen ansehnlichen Pack Bücher mitzunehmen; für dieselbe Zeit im Salzkammergut mindestens die doppelte Quantität. Denn eine Reihe von schönen Tagen gibt’s hier selten zu ertragen. Betrachten wir noch so entzückt das sonnbeglänzte Schneefeld des Dachsteins, das sich gerade vor unserer „Villa und Pension Hürsch“ so majestätisch aus breitet — nur zu bald wird es sich in schwarze Wolken hüllen. Dann stimmt der Himmel sein berühmtes Ausseer Regenlied an, das viel, viel länger ist als das Brahms’sche, nur nicht so schön. Eine graue, nasse Melancholie rieselt auf die Landschaft und in unser Gemüth. Das ist der rechte Moment, aus unserm literarischen Proviant die härtesten Bissen hervorzuziehen: neue Offenbarungen über Musik. Vorherrschend sind noch immer die Wagner-Schriften. Welch rastlose, athemversetzende Schreib lust! Ich glaube wirklich, daß Wagner’s Kunst den größten Vortheil davon hätte, wenn jetzt zehn Jahre lang keine Bücher darüber geschrieben würden. Fortwährend werden neue (oder auch die nämlichen) Tiefsinnigkeiten über jeden Vers, jedes Motiv von Wagner ausgebrütet. Glaubt man wirklich, daß ein Musikdrama von ehrlicher Wirkung diesen Wust von philosophischen Commentaren nöthig habe? Wer seit zwanzig Jahren mit gelehrten Abhandlungen über den Liebestrank oder Todestrank Isoldens, über den Charakter der Fricka, über den Zusammenhang Wotan’s mit Schopen hauer u. s. w. gefüttert worden ist, der hat wol einiges Recht, übersättigt zu sein. Lebhaft interessiren wir uns für neue biographische Mittheilungen, wie die gleich näher zu besprechenden von Ferdinand Praeger. Aber der unaufhörliche Zufluß philosophirender Erklärungen und Verdunkelungen stellt die Geduld des Lesers auf eine harte Probe. Hier die Titel zweier eben angekündigter Bücher: 1. „Wagner- Encyklopädie. Haupterscheinungen der Kunst- und Culturgeschichte im Lichte der Anschauung Richard Wagner’s.“ Zwei Bände. Der Autor ist Herr Glasenapp, der bereits eine umfangreiche Wagner-Biographie und ein riesiges Wagner-Lexikon“ herausgegeben hat. 2. „Richard Wag ner’s geistige Entwicklung. Versuch einer Dar

stellung der Weltanschauung Richard Wagner’s mit Rück sichtnahme auf deren Verhältniß zu den philosophischen Rich tungen der Junghegelianer und Schopenhauer’s. Von Hugo Dinger. Erster Band (!): Die Weltanschauung R. Wag ner’s in den Grundzügen ihrer Entwicklung.“ Von diesen zwei colossalen Novitäten kenne ich vorläufig nur die Titel; eine schmächtigere dritte habe ich mit Hilfe sehr schlechten Wetters erledigt, ohne darin Ersatz für den fehlenden Sonnen schein gefunden zu haben. Sie nennt sich: „Das Drama Richard Wagner’s. Eine Anregung von Houston Stewart Chamberlain.“ Obgleich das Vorwort aus Wien datirt ist, vermag ich keinerlei Aufschluß über die Person des Verfassers zu geben, der einen im englischen Parlament so glänzenden Namen führt. Der Autor, ein literarisch und philosophisch gebildeter Geist, ist wahrscheinlich ein noch junger Mann. Lange Erfahrung sagt mir wenigstens, daß nur jüngere Leute, die noch relativ wenig kennen gelernt und noch in wenige Kunstperioden und Meister sich eingelebt haben, ihren ganzen Enthusiasmus stets auf Ein einziges Haupt häufen, und zwar auf ein modernes. Für Chamberlain hat es offenbar vor Wagner keine Ahnung dramatischer Musik gegeben. In ermüdend trockenem lehrhaften Ton mit Erstens, Zweitens, Drittens führt er seine Thesis aus, „daß in dem neuen Drama auch der Begriff des Dramatischen ein neuer ist“. Wagner habe „die Intuition des vollkommenen Wort-Tondramas, geboren aus dem Geiste der Musik, mit auf die Welt gebracht“. Der Gedanke, daß man durch Herumbessern an einer solchen Mißgeburt wie die Oper zu der Vorstellung des er habensten aller Kunstwerke gelangen könne, sei eine logische Verirrung. „Wagner hat die Musik erlöst! Ja, die Erlösung der Musik! Die Erlösung des inneren Menschen! Das war die große That Wagner’s.“ In dem Entwicklungsgang Wagner’s erblickt Chamberlain eine so absolute Causalität und Untrennbarkeit, daß er die Behauptung wagt, man könne, ohne die beiden Jugendwerke („Feen“ und „Liebesverbot“) erforscht zu haben, den „Rienzinicht begreifen. Ebenso steht es außer Zweifel, „daß Parsifal und der Nibelungenring auf das allerengste und unzertrenn lichste zusammenhängen“. Man sieht, zu welchen Paradoxen das ausschließlich auf Wagner concentrirte Denken führt. Anstatt sich über die mächtig angewachsene Wagner-Verbreitung und -Verehrung zu freuen, lieben es bekanntlich die Wagnerianer, auf die Opernbühnen und das Publicum gewaltig zu schimpfen. So auch Chamberlain. Er beklagt Werke wie „Tannhäuser

und „Holländer“, „weil unsere Opernbühnen gänzlich unfähig seien, einen dramatischen Gedanken zur Darstellung zu bringen“. Wir, die wir die trefflichsten Tannhäuser- Aufführungen unter Wagner selbst und seinen besten Schülern in Dresden, München und Wien erlebt, müssen uns von Chamberlain sagen lassen, daß diese Oper uns „ein gänzlich unbekanntes Werk“ geblieben sei, weil wir nicht im Sommer 1891 in Bayreuth waren. Auch Lohengrin werde „überall verständnißlos bewundert“. „Das tiefste Wesen der Tragik und Komik sei zu voller Deutlichkeit und tiefster Bedeutung erst in Wagner’s Tondrama, speciell in den Meistersingern, gelangt. Shakespeare und Wagner sind die zwei größten germanischen Dramatiker.“ Also nicht blos Mozart, Beethoven und Weber, auch Schiller und Goethe sind wesenlose Schatten neben Wagner. Wir haben, wie ge sagt, diese Melodie seit zwanzig Jahren schon so oft gehört, daß sie uns keinen Eindruck mehr macht, am wenigsten einen guten. Schopenhauer, der ja immer citirt werden muß, wenn von Wagner die Rede ist, Schopenhauer schrieb einmal über den Philosophen Herbart: „Mir ist bei seinen Schriften stets die Geduld ausgegangen, denn einen solchen Gedanken gang mitzumachen, ist für mich die größte Pönitenz.“ Genau so ergeht es mir mit den neuesten Wagner-Philosophen, die doch noch lange keine Herbarts sind.

Wagner, wie ich ihn kannte“, heißt ein von Ferdinand Praeger verfaßtes und aus dem Englischen übersetztes Buch, das über Wagner’s Leben und Charakter manches Neue und Interessante bringt. Praeger, ein ge borener Leipziger und ungefähr im gleichen Alter mit Wagner, lebte seit 1834 als Musiklehrer und Journalist in London, wo er vor einigen Jahren gestorben ist. Daß er ein volles Recht hatte, sich einen intimen Freund Wagner’s zu nennen, beweisen zahlreiche, sehr herzliche Briefe des Letzteren. Glühender Verehrer der Wagner’schen Musik, wußte es Praeger durchzusetzen, daß Wagner1835 als Dirigent der Philharmonischen Concerte nach London berufen wurde und diesem Ruf folgte. Da waren denn die Beiden unzertrennlich zusammen, und Wagner überströmte von Erzählungen aus seiner Jugendzeit. Später hat ihn Praeger in Zürich, in München, in Luzern und Bayreuth wiederholt besucht. Praeger liebt und preist die Wagner’sche Musik mit aufrichtiger naiver Empfindung, ohne sich mit selbstgefälligem Philosophiren und Kritisiren vorzudrängen. Der speciell künstlerische, reflectirende Theil des Buches tritt stark zurück hinter den biographischen, einfach erzählenden. Das ist der Hauptvorzug dieser Schrift,

in der man häufige Wiederholungen und Weitschweifigkeiten dem hohen Alter des Verfassers gerne nachsieht. Neues und Wichtiges erfahren wir über Wagner’s Antheil an der Dresdener Revolution im Jahre 1848, worüber „alle Wagner- Biographen gänzlich im Dunklen sind, und zwar durch Wagner’s eigene Schuld“. Wagner hält nämlich in seinen Schriften, die ja sonst ein fast vollständiges biographisches Material bieten, jede Aufklärung über seinen Antheil an der Revolution zurück. Praeger schreibt: „Wagner war ein activer Mit helfer an der 1849er Revolution, trotz der Mühe, die er sich später gab, dieses zweifelhaft zu machen, zu verwischen oder doch zu etwas ganz Geringfügigem zu verwandeln. Während der ersten Zeit seines elfjährigen Exils sprach er zu jeder Zeit mit Eifer über die Erhebung in Sachsen und den thätigen Antheil, den er dabei gezeigt, vor und während der Mai-Tage, und trotzdem hatte er die Schwäche, selbst gegen mich in späterer Zeit diesen Antheil ganz zu leugnen oder doch bis aufs wenigste zu verkleinern, während ich ja doch Documente seines Eingeständnisses der activen Theil nahme von seiner eigenen Hand besaß.“ Praeger erzählt nun sehr eingehend in mehreren Capiteln die Geschichte des Dresdener Mai-Aufstandes. Wagner war ein Mitglied der Reformverbindung, in deren Sitzung am 18. Juni 1848 er eine revolutionäre Rede ablas, deren Inhalt die Abschaffung des Königthums und an dessen Stelle die Republik vorschlug. In dieser Rede, welche vom Re formverein gedruckt und in zahlreichen Exemplaren vertheilt wurde, hat Wagner die großartige Naivetät, es möge der König von Sachsen selbst sein Land zur Republik erklären. Der bekannte Scherz der „Fliegenden Blätter“ von der „Republik mit dem Großherzog an der Spitze“ ist demnach bei Wagner bitterer Ernst gewesen. August Röckel, das eigentliche Haupt des Aufstandes, war auf den Rath der Freunde (Wagner, Bakunin, Heubner) nach Prag geflüchtet, wohin ihm Wagner am 3. Mai folgende Zeilen schrieb: „Komm’ augenblicklich zurück. Du bist jetzt gerade nicht in Gefahr, aber man fürchtet, daß die allgemeine Aufregung einen unpräparirten Ausbruch verursachen könne.“ Röckel macht sich sogleich auf den Weg und kommt am 5. Mai nach Dresden. Er findet alle Läden geschlossen, das Straßenpflaster aufgerissen, überall Barricaden aufge richtet. Auf einer Barricade trifft er Wagner mit einem jungen Wiener, Namens Haimberger, der sich später als Violinspieler in London forthalf. Wagner hatte eben Fouragewagen nach Dresden geleitet und war von einer

bedeutenden Anzahl bewaffneter Bauern begleitet. Wagner und Röckel beschließen, Pechkränze zu bereiten, welche beim Anrücken des Militärs in Brand gesteckt werden müßten. Röckel wird gefangen genommen und man findet in seinen Taschen mehrere Briefe Wagner’s, darunter den oben er wähnten. Röckel, Heubner und Bakunin wurden auf den Königstein transportirt, ursprünglich zum Tode verurtheilt, später zu lebenslänglicher Gefängnisstrafe begnadigt. Wagner wäre demselben Schicksal verfallen, hätte er nicht rechtzeitig die Flucht ergriffen, zunächst nach Weimar, dann durch Liszt’s Vermittlung nach Paris. „Es war der pure Zufall,“ sagt Wagner selbst, „daß ich nicht mit Bakunin und Heubner zugleich gefangen genommen wurde.“ Röckel’s Gefängniß haft währte fast 13 Jahre, genau so lange wie Wagner’s Exil, das erst durch die Amnestie 1862 auf gehoben wurde. In der bekannten „Mittheilung an meine Freunde“ (1851) schreibt Wagner: „Ich habe mich wirklich nie mit Politik abgegeben.“ Das gerade Gegentheil ist wahr. Praeger erblickt in Wagner’s Theil nahme am Barricadenkampf einen neuen Beweis, wie die geistige Aufregung selbst einen nicht Kampflustigen so exaltiren kann, daß er wahren Heldenmuth zu haben scheint. Denn Wagner sei persönlich durchaus nicht tapfer oder helden müthig gewesen. Wenn er aufgebracht war, ließ ihn seine Heftigkeit das Maß der Klugheit vergessen und Drohungen ausstoßen, die er jedenfalls nicht hätte ausführen können.

Ausführlicher und liebevoller als alle übrigen Wagner- Biographen schildert PraegerWagner’s erste Frau. Diese aufopfernde, edle Dulderin, welche von den Wagner-Aposteln sehr oberflächlich, wo nicht geringschätzig behandelt und ins besondere gegen die brillantere Cosima in Schatten gestellt wird, erhält erst durch Praeger’s Erzählungen ihre volle Bedeutung. Wagner war 23 Jahre alt, als er in Magde burg die schöne und liebenswürdige Minna Planer, die erste Liebhaberin des dortigen Theaters, heiratete. Sie war die Tochter eines Mechanikers, dessen Geschäft schlecht ging; ohne besondere Neigung zum Theater wurde Minna Schauspielerin, um als älteste Tochter ihrer Familie zu helfen. Im Schauspiel wie in der Tragödie ausgezeichnet, war sie doch im häus lichen Leben ganz die emsige, bescheidene, deutsche Hausfrau. Wagner ließ sich von ihr lieben.“ Ihre beiden Naturen waren gänzlich verschieden; er war heftig, ehrgeizig und hartnäckig, sie hingegen sanft, leicht überredet und zufrieden. Er wollte die Welt erobern und sie dann zu seinen Füßen sehen; sie war ohne Ehrgeiz und glücklich in ihrem Haus

halte, besonders in ihrer Sorgfalt für ihren Mann. Von Anfang ihrer Verbindung folgte sie ihm blindlings, lieh ein williges Ohr seinen Ausbrüchen gegen seine Zeitgenossen, seinen weit ausholenden Dissertationen über Kunst; Alles hörte sie mit ruhiger Ergebenheit an, obschon sie ihm nicht folgen konnte. Während Wagner zu keiner Zeit seines Lebens seine Ausgaben zu controliren verstand und sich nichts versagen konnte, war sie immer darauf bedacht, zu sparen. Jahrelang lebten sie in Noth, aber nie kam eine Klage über die Lippen der Frau. Kamen bessere Zeiten, so hatte sie nur Einen Gedanken: ihm jeden Genuß zu verschaffen, der ihm Freude bereiten konnte. Seit Magdeburg folgte ihm das Elend auf jedem Schritt, zuerst nach Königsberg, dann nach Paris. Aber wo Er weilte, da sah Minna ihre Heimat und in ihm ihren Herrn und Meister. Nach einem Tag unfreiwilligen Fastens in Paris entschloß sich Wagner, Minna zur Verpfändung ihres nicht sehr kostbaren Geschmeides zu rathen. Man denke sich seine Scham, als er erfuhr, daß seine Frau schon seit einiger Zeit, eins nach dem andern, ihre Ringe, Ketten und Armbänder habe verkaufen müssen, um die tägliche Nahrung zu schaffen. Sie ward in dieser Noth zur wahren Heldin. Nicht allein half ihre Gemüthsruhe die ärgerliche Heftigkeit ihres nervös aufgeregten Mannes zu beschwichtigen — alle und jede Arbeit im Hause wurde von ihr mit der größten Bereitwilligkeit verrichtet; sie scheuerte, wusch die Wäsche, kochte und flickte; dabei verheimlichte sie so viel als nur möglich Alles, was ihn nur unangenehm berühren könnte. Alle Opfer, die sie ihm damals brachte — so schließt Praeger seine Schilderung — wurden Wagner erst klar, als ihr beiderseitiges Los sich gänzlich zum Bessern gewendet hatte. Ihr „beiderseitiges“ Los? Das kann nicht genau sein. Minna hat zwar die Leidensjahre der Entbehrung und des Exils mit Wagner durchgekämpft, aber von seiner Glücksperiode, von seinem Glanze, seinem Reichthum, seinem Weltruhm hat sie nichts genossen. Wagner ist auf den Ruf König Ludwig’s allein nach München gegangen, wo Frau v. Bülow, seine nachmalige Frau, seine Wirthschaft besorgte, wäh rend Minna, fern von ihm, einsam ihre letzten Jahre ver trauerte. Und die Ursache dieser Trennung? Praeger läßt sie uns ziemlich deutlich erkennen, wenn er auch, offenbar aus Schonung für Wagner, sich etwas zurückhaltend ausdrückt. Bei seinem Besuche in Zürich1856 bemerkte er, daß die Beziehungen Wagner’s zu seiner liebenswürdigen Verehrerin, Frau v. Wesendonk, und die täglichen Besuche derselben die

Eifersucht Minna’s erweckt hatten. Der Freund läßt es an Warnungen nicht fehlen und erinnert Wagner bedeutungs voll an zwei bekannte Stücke „Die gefährliche Nachbarschaftund „Das öffentliche Geheimniß“. Bald nach seiner Abreise erhält er in Paris ein Telegramm von Wagner: „Der Teufel ist los hier; ich komme zu dir nach Paris, erwarte mich auf der Straßburger Station.“ Wagner kam aber nicht, sondern schrieb am nächsten Tage: „Gottlob, Alles ist so ziemlich wieder im Geleise und fürs Erste gibt’s Ruhe — aber die Bösartigkeit der Leute!“ Im Jahre 1864 trennten sich die beiden Gatten für immer. Minna’s Briefe an Praeger könnten wol über diesen traurigen Punkt Aufschluß geben, aber Praeger „hält es nicht für nöthig, dieselben zu veröffent lichen“. Wagner selbst schreibt: „Warum konnte sie nicht begreifen, daß sie nicht mit mir rechten sollte, wie mit anderen Individualitäten? Konnte ich mich binden und ketten wie ein gewöhnlicher Spießbürger? ... Ja, es kommt mir so vor, als ob nach Allem ich mit ihr viel zu nachsichtig und geduldig gewesen bin.“ Und später: „Ich sehe jetzt erst deutlich, daß ich Minnaverzogen habe, doch ärgere ich mich, wenn ich daran denke.“ Das ist ein merkwürdiger Charakterzug Wagner’s, aber kein schöner. „Minna,“ so wieder holt Praeger nachdrücklich, „Minna war der gute Engel Wag ner’s, und die großen Werke, die er schuf, verdanken alle einen Theil der liebenden Sorgfalt dieses Weibes.“ Wagner soll zwar nach der Trennung erst recht eingesehen haben, „wie viel er Minna schuldete für jahrelange liebende Pflege“, aber wir finden nicht die leiseste Erwähnung, daß er versucht hätte, sie zurückzurufen, als „der junge Sonnengott“ ihm in München ein so glänzendes Los bereitete.

Als einer der hingebendsten Freunde Wagner’s wird Praeger nicht müde, alle großen und schönen Charakterzüge desselben in helles Licht zu rücken. Dazu gehört in erster Linie Wagner’s erstaunliche Willenskraft. Wie er in be drängtester, scheinbar hoffnungslosester Zeit schon den Grund bau seiner monumentalen Tetralogie aufführt und mit un begreiflich stolzer Sicherheit des Gelingens alle die Pläne entwirft, die sich später in Bayreuth realisiren sollten, das können wir in Praeger’s Erzählungen bewundernd verfolgen. Sein Recht auf Glaubwürdigkeit beweist aber Praeger, indem er auch die Widersprüche und Schattenseiten in Wagner’s Charakter nicht verheimlicht. „Mit der wachsenden Er kenntniß seiner eminenten Begabung,“ erzählt Praeger, „und später durch die ganz unerwartet glückliche Lage wuchs in Wagner ein an Stolz grenzendes Gefühl, welches

ihn frühere Verbindungen und Verhältnisse mit unter geordneten Naturen vergessen ließ. Er nahm von seinen Freunden die hingebendsten Opfer an, ohne die geringste Anerkennung und Dankbarkeit zu zeigen. Wenn er es für seine Pflicht hielt, gerade herauszusprechen, dann kümmerte er sich gar nicht darum, ob seine schroffe, beißende Kritik die tiefsten Wunden schlug, und doch war er selbst aufs empfind lichste gereizt und verletzt durch den geringsten Tadel.“ Seinen Hang zum Luxus nennt Wagner selbst „sardanapalisch“. Praeger kommt wiederholt darauf zu sprechen, daß Wagner von Entsagung keine Idee hatte — nicht in seinen groß artigen Bühnen-Unternehmungen, nicht im gewöhnlichen Leben. Seine Bedürfnisse übersteigen immer seine Mittel, und das Vermögen eines Monte Christo wäre ihm, wie er oft selbst gestand, nicht zu viel gewesen. Er sehnte sich unaufhörlich nach einem Reichthum, der ihm gestattete, allen luxuriösen Bedürfnissen die Zügel schießen zu lassen. In seinen Bequemlichkeiten, Stoffen, kostbaren Essenzen etc. kannte er keine Einschränkung, mochte auch seine Barschaft nicht entfernt dazu ausreichen. Aus dem Bedürfniß, alle möglichen Genüsse als Luxus zu besitzen, hatte er sich das Schnupfen angewöhnt und plagte sich mit dem Rauchen. Er duldete nur Seide auf dem bloßen Körper, trug blos seidene Schlafröcke und hatte sogar das Futter und alle Taschen seiner Kleider von Seide. Das gab einmal eine förmliche Lustspielscene bei einem Modeschneider in London, der dem Componisten versicherte, daß selbst die reichsten und vornehmsten Lords nur Baumwolle dazu brauchten. „Ja, ja,“ rief Wagner in komischer Wuth, „das ist der Geist des Jahrhunderts, Alles nur Flittergold; wie Geibel sagt vom Grabe: „Blumen draußen, drinnen aber Weh.“

Interessant und treffend — allerdings sehr verschieden von Wagner’s gedrucktem Urtheile — ist seine Aeußerung über Liszt als Tondichter: „Liszt hat zu spät angefangen, ernstlich zu componiren, trotz eines gewissen Talentes merkt man immer, daß das jugendliche Aufbrausen sich nicht durch solide Reflexion geklärt hat; die Schlacken sind nicht vom edlen Metall getrennt; er hat sein Gebräu nicht abgeschäumt“. Ueber den jungen König Ludwig schreibt Wagner an Praeger: „Für jetzt kann ich dir nur sagen, daß der König mich unglaublich lieb hat; ihn zu leiten und seinen strebenden Geist zu formiren, ist jedoch keine leichte Aufgabe. Doch ist es eine Pflicht! Er ist ein so schöner Jüngling, daß er den Christus vorstellen könnte, ein Thema, das mich immer wieder reizt — vielleicht bringt es mich noch dazu.“ Das

Allerwagnerischeste ist aber folgender Ausruf in einem Briefe vom 25. November 1870: „Mir scheint es, als ob das ganze deutsche Kaiserreich deßwegen nur ins Leben gerufen wurde, damit endlich mein Ziel (die Aufführung der Nibelungen“) erreicht würde!“

Wer den neuesten vortrefflichen Aufsatz Kuno Fischer’s gelesen hat: „Arthur Schopenhauer, ein Charakterproblem“, dem müssen merkwürdige Analogien zwischen Schopenhauer und Wagner aufgefallen sein. Auch Wagner ist in vielen Stücken ein Charakterproblem. Auch bei ihm, wie bei Schopenhauer, ist der Widerstreit zwischen seinen Worten und Werken unleugbar. „Wer, wie Schopenhauer, eine Heils- und Erlösungslehre aufstellt,“ schreibt Kuno Fischer, „der muß, was er lehrt, in dem eigenen Leben verkörpern, einem Leben voller Weltentsagung, voller Mitleid und Liebe, nicht weil die Pflicht es gebietet, sondern weil der eigene religiöse Genius dazu drängt.“ Ueber den Pessimismus Schopen hauer’s heißt es weiter: „Man wende uns nur nicht ein, daß Schopenhauer in seinem Leben sich oft sehr unglücklich gefühlt habe, daß er nach seinem eigenen Bekenntnisse schon mit vierundzwanzig Jahren ein ausgemachter Pessimist ge wesen sei. Gerade seine Passionsgeschichte zeugt wider ihn. Er hat in hohem Grade die Fähigkeit des Leidens gehabt und darum auch erfahren, aber die Kraft und Freudigkeit des Leidens und Ertragens in gar keinem. Wo haben die Leiden Schopenhauer’s, deren Ausdruck meistens Klagen und Verwünschungen waren, je den Charakter der Aufopferung und Hingebung gehabt? Der Zwiespalt zwischen seinem Cha rakter und seiner Lehre vom Weltelend und der Welt entsagung, zwischen dem Leben, das er geführt, und der pessi mistischen Askese, die er gelehrt, liegt am Tage. Die Genies sind eben keine Pessimisten, und wenn sie es tausendmal versichern; denn sie müssen schaffen und hoffen ... Während Schopenhauer der größte Welt- und Menschen verächter war, ließ er sich durch die Scheinwerthe der Welt blenden. Er war blind für die Schwächen seiner Bewunderer und dienstwilligen Werkzeuge. Nur durften diese dem Meister gegenüber nicht auch die Kritiker spielen wollen; dann wurde ihnen heimgeleuchtet. Es gab in der Welt eigentlich nur Einen Gegenstand, der unserem Pessimisten heilig war: seine Werke. „Meinen Fluch über Jeden, der etwas daran wissentlich ändert, sei es eine Periode oder auch nur ein Wort, eine Sylbe, ein Buchstabe, ein Interpunctions-Zeichen!“

Paßt dies Alles nicht auf Richard Wagner?