Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10085. Wien, Mittwoch, den 21. September 1892 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10085. Wien, Mittwoch, den 21. September 1892 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 21.09.1892
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Italienische Oper.

Ed. H., Nach dem Cavalleria-Rausch und Intermezzo- Weh’ in allen Gestalten haben wir jetzt den Cultus der Persönlichkeit. Noch niemals ist auf deutschem Boden ein junger, durch eine einzige kleine Oper berühmt gewordener Componist mit einem solchen Huldigungstaumel gefeiert wor den, wie jetzt in WienMascagni. Selbst der fünfzigjährige Richard Wagner nicht — und das war doch noch ein Anderer! Die Neugierde des Publicums verfolgt ihn auf der Straße und lauert ihm nach dem Theater auf. Bleibt der Unvorsichtige mit einem Bekannten stehen, so bildet sich sofort ein ungenirt zuhörender dichter Kreis von Maul affen um die Beiden. Wien hat doch die berühmtesten Ton dichter aller Nationen in seinen Mauern beherbergt — aber wenn ein englischer Admiral in rother Uniform und hohem Federhut eine neu entdeckte Insel betritt, er kann von den Eingeborenen nicht mehr angestaunt werden, als Mascagni von den Wienern. Wer den aufrichtig bescheidenen, an dem ganzen Spectakel ganz schuldlosen jungen Mann nicht kennt, der mochte vielleicht gegen ihn einige Voreingenommenheit empfinden. Mußte man sich doch sagen, daß Mascagni’s Leistungen ihn noch nicht auf jene classische, sichere Höhe stellen, welche so unbegrenzte Verherrlichung rechtfertigt. Ich glaube indessen, daß man diese Ovationen richtiger beurtheilt, wenn man sie weniger von der künstlerischen Seite als von der gemüthlichen, rein menschlichen betrachtet. Die Leute, die, Mascagni umdrängend, sich an seinem sanften, bartlosen Gesicht nicht satt sehen können, gleichen sie etwa fanatischen Musik liebhabern? Sehen sie nicht vielmehr aus wie lauter zu thunliche, herzlich mitfühlende Gratulanten? Es wird uns ja so selten das Glück, einen ganz Glücklichen zu sehen; gar einen jungen Componisten, den gleich sein erster Bühnen versuch aus Noth und Kümmerniß plötzlich ins volle Sonnenlicht hinaufträgt! Es ist etwas Herrliches um den Ruhm; so recht süß schmeckt er aber doch nur in der Jugend. Während der alte Voltaire versicherte, er gäbe seinen ganzen Ruhm gerne dahin für einen guten Magen, besitzt der glücklichere Mascagni die beiden Dinge zugleich. Und ein Drittes oben drein, das ihn erst wahrhaft zum Glücklichen stempelt:

persönliche Anmuth und Liebenswürdigkeit. Damit gewinnt er alle Herzen. Indessen ist es keine Kleinigkeit, immer liebenswürdig oder auch nur höflich zu bleiben, wenn man von Früh bis Abends beäugelt, bedrängt, bewundert wird. So ein Glück verlangt viel Geduld. Börne sagte einmal gelegentlich eines Rührstückes, er „möchte lieber eine blinde Maus sein, als so ein Jubelgreis“. Auch ein Jubeljüngling, wie unser Mascagni, ist nicht immer zu beneiden. Miß gönne ihm Niemand das seltene Glück; es hängt viel Plage daran und auch manche Gefahr. Möge Mascagni wenigstens der allerschlimmsten entgehen: der Selbstüberschätzung.

Cavalleria rusticana“ und „Freund Fritz“ die bei den einzigen fertigen Werke Mascagni’s — sind den Wienern vom Hofoperntheater her zur Genüge bekannt. Nicht ihnen galt somit die Neugierde des massenhaft zuströmenden Publi cums, sondern ihrer Aufführung durch italienische Sänger unter der Leitung des Componisten. „L’amico Fritzmachte den Anfang. Mascagni legt auf diese Partitur einen größeren Werth, als auf sein Erstlingswerk. „Freund Fritzist die feinere, vornehmere Musik, die „Cavalleria“ die packendere, effectvollere; ein rundes Ganzes, in dem nichts zu viel, nichts zu wenig ist, und Alles an rechter Stelle. Fritz“ wirkt weniger durch die Gewalt des Ganzen, als durch originelle, geistreiche Einzelzüge, welche wiederum mehr im Orchester liegen, als in der Gesangs-Melodie. Zwischen dem ersten und dritten Act, auf welchen die Dürftigkeit der Handlung drückt, erhebt sich der zweite durch eine viel interessantere Entwicklung und bedeutendere musikalische Schönheiten. Er hat auch in der italienischen Aufführung den Höhepunkt des Abends gebildet und den Erfolg des Ganzen entschieden. Der Tenorist da Lucia (Fritz) erfreute gleich in der ersten Scene durch seine frische, kräftige, leicht ansprechende Stimme. Die besten italienischen Tenoristen, von Moriani bis Masini, pflegen sonst die steifsten Schau spieler zu sein; Signor Lucia macht eine Ausnahme, er wirkt ebenso günstig durch sein freies, natürliches Spiel, wie durch seinen Vortrag, in welchem gute Schule sich mit warmer Empfindung verbindet. Letztere geht im Feuer manch mal zu weit; mit einigen maßlosen Fortissimos im zweiten Acte erzielte Lucia große Wirkung, die aber nur innerhalb eines italienischen Ensembles möglich ist. Wenn in denselben Stellen unsere deutschen Tenoristen sich so überschreien und über

spielen wollen, sie würden wahrscheinlich ausgelacht. Von den übrigen Sängern im „Amico Fritz“ ist nicht viel zu melden. Die Susel gab Signora Torresella, eine sehr anständige, nur zu gern tremolirende Sängerin von reiz loser Stimme und Erscheinung. Die Altistin Signora Zanon (Joseph) hat eine mächtige, jugendlich üppige Stimme, die sie gräßlich mißbraucht. Der Bariton, Signor Sottolano, ist unbedeutend, erheiterte aber dadurch, daß er als Rabbiner sich einen ritterlichen Shakespearekopf mit kleinem Schnurrbärtchen zurecht gemacht hatte. Höchst inter essant war uns Mascagni an der Spitze seines Orchesters. Das ist ein Dirigent, der mit seinen Sängern Alles mit lebt, mitfühlt, mitsingt, dabei das Orchester unausgesetzt im Auge behält, es bald zügelt, bald anfeuert, ohne je in ge waltsame, unschöne Action zu verfallen.

Der Erfolg des „Amico Fritz“ ward bald verdunkelt durch den Triumph der „Cavalleria rusticana“. Nicht nur ist letztere in Wien (und wahrscheinlich überall) die viel be liebtere Oper; auch die Aufführung vom 19. d. M. brachte in den Hauptrollen vorzügliche Kräfte zur Geltung. Vor Allem Signora Bellincioni, deren Santuzza als ein vollendetes Kunstwerk unauslöschlich in unserer Erinnerung fortleben wird. Gemma Bellincioni, deren Name erst seit wenigen Jahren zu den bekannteren gehört, ist eine drama tische Sängerin allerersten Ranges. Bei ihr fließen Ton und Geberde, Gesang und Spiel so untrennbar zusammen, in jedem Moment so seelenvoll und ergreifend, und bei völlig realistischer Wahrheit stets so edel, wie wir Aehnliches auf der Opernbühne höchst selten erlebt haben. Die Rolle der Santuzza stimmt so außerordentlich zu der ganzen Erscheinung der Sängerin, als wäre sie eigens für dieselbe gedichtet und componirt. Die Bellincioni auch in anderen großen drama tischen Partien zu sehen, wäre uns von größtem Werth. Man kann sagen, daß sie alles Uebrige verdunkelt hat, ein klein wenig sogar den vergötterten Maëstro. Diese Santuzza ab gerechnet, von der unsere deutschen Sängerinnen keine blasse Ahnung haben, möchten wir der Aufführung im Hofopern theater den Vorzug vor der italienischen geben. Signor Stagno genießt mit Recht den Ruf eines der besten italienischen Tenore; allein er genießt ihn schon etwas lange. Die Stimme, so trefflich geschult sie auch sei, klingt doch nicht mehr schön genug, um einen ungetrübten Genuß zu

gewähren. Wo Stagno seine volle Kraft und Kunstfertigkeit auf Einen Punkt concentrirt, bringt er es noch zu blen dender Wirkung, wie sein Vortrag des Trinkliedes bewies. Signor Sottolano ist ein anständiger Alfio, doch bei weitem nicht die energische Charakterfigur, die uns im Hof operntheater entgegentritt. Am weitesten steht die italienische Lola gegen unsere deutsche zurück. Von Ersterer wollen wir lieber ganz schweigen. Hätte sie es nur auch gethan! Mascagni, der sein Orchester wieder herrlich führte und belebte, nahm die meisten Tempi etwas langsamer, manches, wie das Trinklied, sogar bedeutend langsamer, als wir es gewohnt sind. Das „Intermezzo“ erfuhr zwar sein systemi sirtes Da capo, erreichte jedoch, durch die ungenügende Orgel begleitung beeinträchtigt, nicht die Wirkung, welche es jedes mal im Operntheater ausübt. Ueber die Ovationen nach Schluß der Vorstellung gibt der Polizeirapport die beruhigende Auskunft, daß der gefeierte Maëstro von seiner Verehrer meute zwar hart bedrängt gewesen, aber doch mit dem Leben glücklich davongekommen sei.

Mit den beiden Mascagni’schen Opern ist die Thätig keit der italienischen Oper im Ausstellungs-Theater keines wegs abgeschlossen. Herr Sonzogno, der große römische Musikverleger, dessen Preisausschreibung bekanntlich das Talent und den Ruhm Mascagni’s ausgebrütet hat, will uns die besten jetzt in Italien wirkenden Sänger vor führen, und zwar in den allerneuesten Original-Opern Sonzogno’schen Verlages. Vier neue Opern und die Com ponisten dazu hat Herr Sonzogno zur Ausstellung mit gebracht. Er fährt gleichsam in großer Parade vierspännig vor. Zwei dieser Novitäten haben wir eben gehört: „Pagliaccivon R. Leoncavallo und „Il birichino“ von L. Mugnone. Beide Opern, sowie die zwei nachfolgenden: „Tilda“ von Fr. Ciléa und „Mala vita“ von U. Giordano, sind bemerkenswerthe Zeichen der Zeit; sie zeigen uns das immer stärkere Eindringen der naturalistischen Schule, des „Verismo“, in die Oper. Merkwürdig, daß diese Richtung sich zuerst in der italienischen Oper zeigt, welche doch unter dem Einflusse langer Tradition am längsten festgehalten hat an idealem Inhalt und Styl. In Frankreich haben zuerst die Flügelmänner der Opéra comique im achtzehnten Jahrhundert — Philidor, Mon signy, Grétry — Stoffe und Typen des Alltagslebens

mit großer Wirkung zu musikalischen Rührstücken und Familien-Gemälden verwendet. Doch selbst in dem empfind samsten, zum Beispiel im „Deserteur“, wurde der eigentlich tragische Ton vermieden, alles Gräßliche beseitigt und stets mit einem glücklichen Ausgang geschlossen. Die neueste Richtung sucht ihre tragischen Stoffe am liebsten auf dem Dorfe und im Arbeiterviertel auf und kennt nur blutige Lösungen. In Frankreich ist Bizet’sCarmender erste und bis jetzt einzige bedeutende Vor gang in dieser Richtung. Desto stärker regt es sich gerade in Italien. Von dort dürften wir zuerst gefaßt sein auf musikalische Seitenstücke zu Gerhard Haupt mann, Sudermann, Richard Voß u. s. w. Ein Beispiel dieser Art ist die zweiactige Oper „Pagliacci“ von Ruggiero Leoncavallo. Auf der italienischen Ausgabe heißt sie nicht Oper, sondern „Drama“, und es ist bezeich nend, daß jetzt sogar Italien, die musikalische und melodische Nation par excellence, in die kindische Furcht vor dem Namen „Oper“ verfallen ist. Und doch ist der Begriff „Oper“ so weit und so liberal, daß er jede Art allerschönster und allerdramatischester Musik umfaßt; man muß sie nur machen können. Maëstro Leoncavallo hat sich das Textbuch selbst geschrieben — natürlich, möchte man heute beisetzen. Dasselbe behandelt den tragischen Contrast in dem Hand werke des Bajazzo, der als geschminkter Possenreißer das Volk lachen macht, während Noth und Kummer sein Gemüth bedrücken. Der Componist entwickelt diese poetische Grundidee seines Dramas in einem eigenen, wie mir scheint, sehr überflüssigen „Prolog“, den der Clown mit großem Pathos dem Publicum vorsingt. Der erste Act enthält sehr wenig Handlung. Tonio, zugleich Clown und Bösewicht des Stückes, wird von seiner Principalin Nedda, der er Liebes anträge macht, abgewiesen und rächt sich, indem er ihrem Gatten Canio das zärtliche Einverständniß Nedda’s mit einem jungen Bauer verräth. Canio stürmt wüthend auf Nedda ein, vermag aber nicht den Namen seines Rivalen aus ihr herauszubringen. Diesen Versuch wiederholt er immer heftiger im zweiten Act während der Comödie, die er mit seiner Frau vor den Dorfbewohnern aufführt. Das Spiel wird dem eifersüchtigen Wütherich unversehens zum Ernst; er er sticht auf der Scene seine Frau und gleich darauf den zu ihrer Rettung plötzlich herbeispringenden Liebhaber. Der starke

Einfluß der „Cavalleria rusticana“ zeigt sich schon in diesem Text buche, das im Gräßlichen noch weiter geht. Endet die „Cavalleriamit einem Mord hinter der Scene, so schließen die „Pagliaccimit zwei Ermordungen auf der Bühne selbst. Auch im Musikalischen glauben wir das Vorbild Mascagni’s häufig wahrzunehmen: in der emancipirten Form, den grellen Modulationen, dem häufigen Tactwechsel, der Vorliebe für chromatische Scalen in der Gegenbewegung, auch in Sexten u. s. w. Leoncavallo ist ein beachtenswerthes, auf starken, leidenschaftlichen Ausdruck angelegtes Talent. Er hat Wärme, die sich in manchen gefühlvollen Stellen geltend macht, noch mehr aber loderndes Feuer in den Momenten äußerster Leidenschaftlichkeit. Uns dünkt Manches darin grell und un natürlich, den Italienern nicht. So würden wir beim An hören des ersten Chors niemals auf brave Landleute rathen, die sich auf eine Comödie freuen, sondern eher auf eine zügellose Räuberbande. Die melodische Erfindung des Com ponisten ist keineswegs reich oder originell; aus den senti mentalen Cantilenen, die meistens von den Geigen oder dem Violoncell unison mitgespielt werden, klingt vornehmlich die Stimme Verdi’s. Sehr effectvoll be handelt Leoncavallo das Orchester; es wimmelt da von kunstvollen und gekünstelten Farbenmischungen, die vor zwanzig Jahren in Italien undenkbar waren. Das Vorbild Wagner’s hat wol das Meiste dazu gethan. Manchmal ver fällt der Componist auch der Versuchung, mit einem In strumentirungs-Kunststück zu glänzen, das die Probe auf seine dramatische Zulässigkeit nur schwer bestehen möchte. So in der ersten Scene der Nedda die sehr ausgedehnte, übrigens sehr geschickt gemachte Nachahmung des Vogelgezwitschers und Anderes. Während der erste Act sich recht nothdürftig fort fristet, steigert sich der zweite, dramatisch wie musikalisch, zu bedeutender Wirkung. Am besten gefiel uns die Musik zu der eigentlichen Bajazzo-Comödie; hier war der Componist durch die Scene gezwungen, aus seinem hochgesteigerten, leidenschaftlichen Pathos herauszutreten und eine an den Volkston anklingende einfach graziöse Weise anzustimmen, die durch ihren Rococo-Beigeschmack noch gewinnt.

In der italienischen Oper ist es nicht immer leicht, zu unterscheiden, was wirklich tiefere, echte Theilnahme, was nur momentane lärmende Aufwallung sei in dem Beifall des Publicums. Aber die „Pagliacci“ scheinen einen echten Er

folg errungen zu haben. Maëstro Leoncavallo wurde viel applaudirt, erschien auch nach jedem Applaus sofort bei offener Scene auf der Bühne, sich wieder und wieder verneigend. Merkwürdig, daß auch die Anhänger des „Verismo“ in Italien, die Verfechter der Naturwahrheit auf der Bühne, ganz unempfindlich sind gegen diese groben Störungen des dramatischen Zusammenhangs. Auch von der schlimmen Illu sion, daß jeder Applaus schon das Verlangen nach Wieder holung der betreffenden Scene bedeute, wird man die italieni schen Sänger schwer abbringen. In der ersten Aufführung der „Pagliacci“ wurde gleich der Prolog applaudirt. Was geschieht? Der Bassist Beltrami erscheint, bedankt sich und macht dem Dirigenten gewisse Freimaurerzeichen, worauf er den ganzen langen, langweiligen Prolog noch einmal ab singt. Dieses entsetzliche Ereigniß dürfte dem Publicum viel leicht zur Warnung dienen, nicht gar zu freigebig und aus dauernd mit seinem Applaus zu sein. Wir hatten in den Pagliacci“ die Folgen dieser Unvorsichtigkeit recht oft zu tragen, am schmerzlichsten nach einem das Glockengeläute nachahmenden Bauernchor, welcher repetirt wurde, obwol man bei dem tactweis wiederholten f c, f c der Bässe schon beim erstenmal verrückt werden konnte. Um die Aufführung machte sich insbesondere der Tenorist A. Garulli ver dient, ein guter Sänger und vortrefflicher Schauspieler. Auch Signora Othon, die Herren Beltrami und Daddi trugen zu dem Erfolge des Maëstro Leoncavallo nach Kräf ten bei.

Weniger Stoff bietet uns eine zweite Novität, die ein actige Oper „Il Birichino“ von Leopoldo Mugnone. Es wäre wirklich schwer, zu diesem langweiligen Rührstück eine interessante, fesselnde Musik zu schreiben. Signor Mugnone hat das auch nicht gethan. Wir bedauern die redliche Mühe, die er sich gegeben; Mugnone ist ein guter Musiker, dessen „edlere Richtung“ schon in unserer gestrigen Notiz anerkannt, aber durch den Druckfehlerteufel in eine „polare Richtung“ umgeheimnißt wurde. Möge er mit einem anderen Textbuch glücklicher sein. Sein „Birichino“ ver schaffte uns übrigens die erfreuliche Bekanntschaft einer un gemein talentvollen jungen Sopranistin, Elvira Bram billa, welche die schwierige Titelpartie, den fünfzehn jährigen Lolo, mit reizender Natürlichkeit spielte und sang. Hoffentlich haben wir sie nicht zum letztenmale gehört.