Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10195. Wien, Dienstag, den 10. Januar 1893 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10195. Wien, Dienstag, den 10. Januar 1893 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. Die Rantzau“, Oper in vier Acten von P. Mascagni.

Ed. H. Man hat nicht mit Unrecht den „Freund Fritzeinen ungünstigen Opernstoff genannt. „Die Rantzau“ sind es noch mehr. Eine dürftige, freudlose, auf ein einziges Motiv gebaute Handlung entwickelt sich hier in schnurgerader Linie, ohne reizvolle Episoden, ohne interessante Nebenfiguren. Mascagni’s Textbuch folgt, die Exposition ausgenommen, getreu der Erzählung von Erckmann-Chatrian oder vielmehr dem daraus gezogenen Schauspiel, das ehedem im Wiener Stadttheater eine vorzügliche Darstellung gefunden. Die Brüder Johann und Jacob Rantzau befehden sich in un gerechtem, leidenschaftlichem Haß. Die Ursache dieser unnatür lichen Feindschaft hat der Librettist zu erzählen vergessen, eine Unterlassung, welche sich dadurch rächt, daß wir für keinen der beiden Brüder eine mildernde Empfindung in uns vorfinden. Johann’s einzige Tochter Luise und Jacob’s einziger Sohn Georg lieben einander, heimlich und stolz verschlossen. Diese Neigung kommt erst ans Tageslicht, als Johann seiner Tochter einen ihr widerwärtigen Freier, den Ober förster Lebel, aufzwingen will. Das Mädchen fällt in eine lebens gefährliche Krankheit; Georg verläßt, vom Alten verstoßen, zür nend das väterliche Haus. Die Liebe der Kinder scheint den Haß der Väter zu verdoppeln, und umgekehrt. Endlich entschließt sich Johann, um seine todtkranke Tochter zu retten, zu einem Besuche bei Jacob. Dieser sieht sich jetzt gegen den Bittenden im Vortheil und knüpft seine Zustimmung zur Verheiratung der Kinder an schwere, demüthigende Bedingungen. Worin diese bestehen, wird uns in der Oper nicht erzählt, sondern nur flüchtig gestreift. Johann unterwirft sich, Georg aber verweigert seine Unterschrift unter dem Vertrag, welcher die Feindschaft der beiden Familien aufs neue entfachen müßte. Mit warmen Worten bewegt er die feindlichen Brüder, Frieden zu schließen; sie sinken einander versöhnt in die Arme.

Diese übermäßig einfache Handlung wird, auf vier Acte vertheilt, nur von vier Personen getragen, von denen je zwei

und zwei genau dieselbe Leidenschaft verkörpern: hier die heimliche Liebe, dort den offenen Haß. Für die Liebe des Jünglings und des Mädchens beschafft die Musik zur Noth ver schiedene Farbentöne; schwerlich für den Haß zweier verstockter alter Bauern. Sie unterscheiden sich in der Oper thatsächlich nur darin, daß Johann viel, Jacob wenig zu singen hat. Schade, daß der Textdichter es nicht verstand, aus zwei Nebenfiguren, welche die Handlung wohlthuend beleben konnten, gehörigen Vortheil zu ziehen: aus dem geckenhaften Freier Lebel und dem gutmüthigen Schulmeister Florentius. Sie sind in dem Schauspiel schärfer charakterisirt und reichlicher verwendet; Lebel singt sogar, von Luise am Clavier begleitet, eine zärt liche Romanze. Beide Figuren gestatten, ja verlangen einen komischen Anstrich; das brächte in das finstere Gewölk des ganzen Dramas zeitweilig einen willkommenen Lichtstrahl. Wird doch dieses Düster der Handlung nicht einmal land schaftlich aufgeheitert, wie wir es in Bauerncomödien mit Recht erwarten. Einen wesentlichen Reiz der Dorfgeschichten bildet ja das sympathische Mitleben der Natur, der stete Zu sammenhang der Landleute mit Feld, Wald und Garten, mit dem lebendigen Athem der Jahreszeiten. Welch an muthiges Behagen strömt nicht aus der Scenerie des zweiten Actes im „Freund Fritz“ über das ganze Stück: Garten stimmung, Kirschenpflücken, Gäste auf ländlichem Fuhrwerk! In den „Rantzau“ nichts von alledem. Dumpfe Stubenluft das halbe Stück hindurch; es könnte ebensogut in einer Fabriksstadt spielen.

Dieses Libretto bietet dem Componisten wenig frucht bare Gelegenheit zu psychologischer Individualisirung noch auch zur Entfaltung neuer, musikalisch reizvoller Wirkungen. Ich möchte lieber annehmen, daß die neue Dorfgeschichte das Talent Mascagni’s gebunden, als daß dieses Talent selbst abgenommen habe. Das wäre doch zu früh. Wie „Freund Fritz“ so enthalten auch die „Rantzau“ Stücke, die eine feinere musikalische Zeichnung aufweisen, als die Partitur zur Cavalleria“, freilich ohne deren leuchtende Farbenkraft. Zwei bis drei Nummern in den „Rantzau“ beweisen ein unge schwächtes Talent; daneben aber dehnt sich Unbedeutendes und Langweiliges, melden sich Reminiscenzen aus dem früheren

Mascagni und aus Verdi, theatralische Gewohnheitsphrasen und derb aufgeschminkte Empfindungen, die erkältend wirken. So haben wir denn das Theater keineswegs mit einem über wiegend günstigen oder reinen Eindruck verlassen. Für den Drang seiner jugendlich gährenden Productionskraft und Pro ductionslust konnte Mascagni augenscheinlich nicht genug Textbücher zur Hand haben; er greift, nicht allzu glücklich, rasch zum „Freund Fritz“, und da er eben Erckmann- Chatrian kennen gelernt, nimmt er auch gleich ohne Zeitverlust „Die Rantzau“ her. Einige Scenen scheinen ihn zu reizen, zu erwärmen; die übrigen fertigt er mit fliegender Hand ab. Ein recht großer Theil dieser Oper ist mit einem Minimum von Erfindung bestritten. Allerdings besitzt der Componist Hilfsmittel, gute und schlimme, um auch ödere Strecken seiner Partitur nicht gerade leer und reizlos erscheinen zu lassen. Da wirkt vor Allem Mascagni’s hauptsächlichste Kraft: der leidenschaftlich dramatische Zug, der als glühender Athem seine Musik durchströmt; auch solche Stellen, die, musikalisch angesehen, nichts als phrasenhaftes Allgemeingut sind. Hat er sich in den Gesangspartien eine zeitlang mit solchen Gewohnheits-Melodien beholfen, so fallen ihm meistens zu rechter Zeit kleine geistreiche Orchester- Ritornelle, pikante Instrumental-Effecte, harmonische und rhythmische Kühnheiten ein, welche das Ohr reizen und Lang weile nicht aufkommen lassen. Mit diesen Kühnheiten betreibt Mascagni in den „Rantzau“ einen noch ausgedehnteren Miß brauch als im „Freund Fritz“. Das sind dann die „schlimmen Hilfsmittel“: die consequente Erniedrigung des Leittons, das unvermittelte Aneinanderfügen gräßlich mißklingender Accorde, der beständige Tactwechsel auf jeder Seite der Partitur u. s. w. Dieses Durcheinanderschütteln der Tactarten, obendrein mit fortwährendem Alteriren des Tempos, macht die Mascagni’sche Musik durchwegs unruhig, schaukelnd und flimmernd. Das Ohr sehnt sich nach Ruhepunkten, aber der nervöse Componist flieht sie. Ein echt Mascagnischer Rattenkönig von Dissonanzen, ähnlich der Einleitung zum „Freund Fritz“, eröffnet die Introduction zum dritten Act der „Rantzau“. Dergleichen mag, einmal gebracht, als pikanter Einfall, als musikalischer Witz gelten; Mascagni

behandelt es als tägliches Brot. Mißklänge können durch eine außerordentliche dramatische Situation motivirt sein, wie in der Wolfsschlucht des Freischützen; wenn jedoch Weber mit solchen Mißklängen und Querständen die Arien Agathens oder Aennchens aufputzen wollte, würden wir uns bedanken. Mascagni thut das aber, thut dies mit Vorliebe in einfach lyrischen Gesängen, wo die Empfindung rein und ungekün stelt ausströmen soll. Man höre nur zum Beispiel das Andantino Luisens im vierten Act: „Alter Freund, ihr warnt vergebens.“ Uebrigens konnten wir in den „Rantzaudie Erfahrung machen, daß solche zum System erhobene Abnormitäten ihre Strafe in sich selbst tragen: sie inter essiren nicht mehr, wie sie als etwas noch Neues in der Cavalleria“ und „Freund Fritz“ interessirt hatten. Jetzt berühren uns diese künstlich verbogenen Melodien und ver krüppelten Harmonien nur unangenehm, ohne den Reiz des Neuen, Ueberraschenden.

Folgen wir dem Verlaufe der Oper. Die Ouver türe, welche mit all ihrem leidenschaftlichen Pathos nichts Originelles oder musikalisch Erfreuliches bringt, beweist, daß Mascagni in seiner Melodien-Gestaltung wie in seiner Harmonisirung bereits der Manier verfallen ist. Es sind durchaus Melodien aus der Oper und gewiß nicht die un bedeutendsten; hier, wo sie uns, abgezogen vom dramatischen Beiwerk, also rein musikalisch entgegentreten, fällt uns schon auf, wie dürftig Mascagni’s melodische Erfindung ist. Im Verlaufe der Oper, wo immer dieselben leidenschaftlich auf steigenden Linien (meist mit der Triole am Ende) sich wieder holen, von dem Unisono der Geigen oder Violoncells auf dringlich unterstrichen, wird dieser Mangel noch deutlicher. Erfreulich wirkt das Vorspiel zum Introductionschor durch seine reizende Instrumentirung: pizzikirte Accorde der Violinen-, dazwischen eine leuchtende Piccolo-Figur und sanfte Terzengänge der Flöten, Oboen, Clarinetten. Der Chor selbst, anklingend an sicilianische Volksweisen, gewinnt uns durch seine fremdartige Weichheit und Grazie. Dem Leser möge gleich die erste Textstrophe ein Bild der muster haften, echten poetischen Uebersetzung von Max Kalbeck geben:

Sonne scheint mit hellem Strahle Auf die grüne Flur hernieder, Veilchen blüh’n versteckt im Thale, Knospen trägt der blaue Flieder. Zu dem altgewohnten Neste Kehrten Storch und Schwalbe wieder, Frühling rüstet frohe Feste — Zeit der Liebe! Zeit der Lieder!

Voll sanft schmerzlicher Empfindung ist das Andante Luisens: „Nicht rufe mir die Zeit zurück!“ — einer der besten Einzelgesänge, vielleicht der beste, in der ganzen Oper. Es folgt ein stürmisch aufgeregter, charakteristischer Chor der von der Licitation zurückkehrenden Männer. Luise mischt ein „Andante tormentato“ (wirklich qualvoll) mit Harfen begleitung ein; darauf baut sich einer jener breiten, zum Fortissimo gesteigerten Finalsätze auf, in welchen die frühere italienische Oper sich gern hervorthat. Es ist ein Vorzug der Rantzau“ vor dem „Freund Fritz“, daß sie mehr Chöre und größere Ensembles bringen. Der erste Act schien im Publicum wenig Anklang zu finden; mir will er musikalisch reicher und gehaltvoller erscheinen, als der zweite. Diesen eröffnet Luise allein. Mit einer Handarbeit beschäftigt, singt sie eine traurige Ballade von bizarr verkünstelter Compo sition und unechter Empfindung. Situation und Musik erinnern zu ihrem Nachtheile an Gounod’s Margarethe am Spinnrad. Die folgende Scene bot dem Componisten eine sehr glückliche Gelegenheit, seine Kunst als Contrapunktiker zu bewähren und ein heiter erfrischendes Lüftchen in den all gemeinen Jammer zu leiten. Johann singt nämlich mit seinen Gästen zum Harmonium ein „Kyrie eleison“ (auch eine sonderbare Unterhaltung); gleichzeitig erschallt von unten auf Jacob’s Anstiften ein derbes Volkslied mit Be gleitung von Dreschflegeln. Mascagni hat die Scene ohne allen Humor componirt, den Kirchengesang geistlos, das Volkslied barbarisch; er läßt sich sogar den Haupteffect ent gehen, beide Themen schließlich zu vereinigen. Was hätte ein guter deutscher Componist daraus gemacht! „Verbirg deine Gelehrsamkeit!“ müßte man ihm wahrscheinlich rathen. „Zeige sie!“ rufen wir Mascagni zu. Folgt eine lange Unterredung des Schullehrers mit Luisen, der sie

zur Heirat mit dem ihr verhaßten Oberförster bereden soll. Ihr klagendes Andante: „Wär’ ich lieber geblieben!“, ist nicht hervorragend, aber wenigstens natürlich empfun den. Auf das Lamento der Tochter folgt das Lamento des Vaters: drei sich steigernde Strophen in an gestrengt hoher Baritonlage, an Verdi’sche Vorbilder lehnend, voll theatralischer Exaltation, dabei ziemlich gehalt los. Der stürmische Beifall, welcher diesem Verzweif lungs-Monolog folgte, hat wol hauptsächlich dem meister haften Vortrag des Herrn Ritter gegolten. Je weiter die Oper vorrückt, desto leidenschaftlicher steigert Mascagni diese geschwollene Ueberkraft, die uns musikalisch abstößt, ganz ab gesehen von dem Mißverhältniß, in welchem solches Pathos zu den Personen und der Stimmung einer Dorfgeschichte steht. Viel erfreulicher läßt der dritte Act sich an. Ein südlich angehauchter Chor der Mädchen am Brunnen klingt fein und originell, einigermaßen dem im ersten Act ver wandt. Zum Text paßt diese klagende Weise allerdings nicht: „Wie klar, so rein und helle, munt’re Quelle“ — diese Worte wird keine Mädchenschaar so gepreßten Herzens vor tragen. Mascagni gefällt sich eben gerade hier im Melancho lischen. Der nun folgende „Plauderchor“, das einzige durch aus heitere und schön abgerundete Stück in den „Rantzau“, ist allerliebst natürlich und klangschön, das Thema hübsch geführt und gewendet, am wirksamsten über dem Basso continuo der Fagotte. Als Musikstück die Perle der Oper. Hierauf kommt endlich der Liebhaber zu Wort: Georg, der, vom Vater verstoßen, zürnend das Haus verläßt. Nun ist die Reihe an Jacob, in einem kläglichen Andante über den Kindesundank zu jammern. Das Thema hat Mascagni für die Ouvertüre benützt, desgleichen das darauf folgende „Eh’ uns’re Häuser sich trennten im Zwiespalt“. Dieser Gesang Georg’s wirkt hauptsächlich durch einige dankbare hohe Tenor töne; die große Familien-Aehnlichkeit aller sentimentalen Melodien in der Oper wird immer schädlicher. Nun erscheint, an Leib und Seele gebrochen, Johann und pocht an die Thür des verhaßten Bruders. Es ist dies eine Scene von erschütternder, echter Wirkung, auch im Schauspiel — ohne alle Musik. Mascagni hat sie mit Liebe und Verständniß

componirt. Nur das wüthende Orchester-Nachspiel will uns nach dem stimmungsvollen Ausklingen dieser Begegnung nicht passen; ein Toben, als sollte alles Unglück erst jetzt angehen. Vor dem vierten Acte: ein „ Intermezzo“, und zwar — man traut seinen Ohren kaum — ein ungarischer Lassan! Wie kommt nur der Zigeuner aus „Freund Fritz“ in diese Gesellschaft? Den Act eröffnet eine Unterredung des Schullehrers mit Luisen. Ihr Andantino „Alter Freund“ mit seinem pendelnden Rhythmus von lauter gleichen Viertelnoten ist von einer unbegreiflich leiernden Monotonie. Schließlich singen Florentius und Luise zu unserer namenlosen Ueberraschung ganze anderthalb Tacte zusammen in Terzen! Ist das nicht ein Attentat gegen die Satzungen des modernen Musik dramas? Nur gemach; diese Terzen mit dem Hohn des Veralteten zu ächten, wird dem Radicalismus nicht gelingen. Eine spätere Zeit wird wieder darauf zurückgreifen, verwun dert, wie ein so kostbarer, im musikalischen Schönheits bedürfniß tief begründeter Kunsterwerb jemals verleugnet und verpönt sein konnte. Ein langes Liebesduett zwischen Georg und Luise beginnt recht ausdrucksvoll, verkünstelt sich später und übergeht dann in ein zartes Andante im Styl des Klosterduetts aus „Manon“ („Sprich zu mir!“). Das Ganze endet leider mit den üblichen theatralischen Schreicadenzen. Georg’s pathetische Ansprache an die Väter: „So also glaubt ihr“, würde uns wenig Eindruck machen, lenkte sie nicht unmittelbar in die kurze, ergreifende Schluß scene hinein. Wenn die beiden Brüder einander versöhnt in die Arme sinken, so ist die Wirkung so sicher wie bares Geld. Man sieht alle Schnupftücher in Bewegung, mit ansteckender Kraft verpflanzt sich die Rührung durch sämmtliche Räume des Theaters, und der Componist hat gewonnenes Spiel.

Die Rantzau“ hinterlassen uns die Erinnerung an gelungene, ja reizende Einzelheiten, bei schwacher schöpferischer Kraft im Ganzen. Gewachsen ist Mascagni in der Beherr schung aller technischen Mittel und raffinirten Effecte; eine reichgestickte Hülle, unter welcher nur selten ein kräftiger, schöner Körper sichtbar wird. Wir vermissen diesmal nicht blos die reiche Mannigfalt der Erfindung, sondern in dieser auch Unbefangenheit des Schaffens, die Natürlichkeit des

Ausdrucks. Durch ihre erschütternden dramatischen Wende punkte erlangen „Die Rantzau“ eine stärkere Macht über die Gemüther, als der leichtlebige „Freund Fritz“; die Musik geht jedoch, mit etwas stärkerem Dampf, ganz im Kielwasser des Freund Fritz; man hört nur noch vernehm licher das Arbeiten der Räder an dem Dampfschiff.

Von der glänzenden Aufführung der „Rantzau“ haben wir bereits in Kürze berichtet. Was hier von Seiten des Directors Jahn und seiner Künstler für die Novität ge schehen ist, dürfte schwerlich an einer andern Bühne erreicht werden. Den lyrisch-sentimentalen Partien, Luise und Georg, leihen Fräulein Renard und Herr Schrödter die wärmsten, quellendsten Töne; der glühende, wie der schließlich aufthauende Haß der beiden Brüder gelangt durch die Herren Ritter und v. Reichenberg zu charakteristischem, er greifendem Ausdruck. In der Schlußscene des dritten und des vierten Actes bieten diese beiden Künstler schauspiele rische Leistungen, wie sie in der Oper zu den Seltenheiten gehören. Auch Herr Horwitz bringt in der Rolle des Schulmeisters seine bewährten Vorzüge als guter Sprecher und Darsteller neuerdings zur Geltung. Den am kärglichsten bedachten Rollen, Lebel und Julie, widmen Herr Schittenhelm und Frau Warnegg die löblichste Sorgfalt. Welche Heldenthaten endlich das Orchester und die Chöre in den „Rantzau“ verrichten, weiß vollständig nur derjenige, der einen Blick in die von offenen und trügerischen Hindernissen starrende Partitur ge than. So haben denn Talent und aufopfernde Mühe aller Mitwirkenden „Die Rantzau“ zu einem glänzenden Sieg ge führt. Dem glücklichen Componisten, dessen Zukunft uns am Herzen liegt, wünschen wir, er möchte sein schönes Talent zwei Jahre lang ruhen und seine Werke ausreifen lassen. In Wien wird man gewiß Mascagni’s nächsten Opern mit jener warmen Sympathie entgegenkommen, welche seine liebens würdige Persönlichkeit sich hier erobert hat. Aber nach so überglücklichen Anfängen wird er wohl daran thun, die Sache etwas weniger leicht zu nehmen. Insbesondere möchten wir ihm Goethe’s Mahnung zurufen: Eigenheiten bleiben von selber haften — du, cultivire deine Eigenschaften!