Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10207. Wien, Sonntag, den 22. Januar 1893 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10207. Wien, Sonntag, den 22. Januar 1893 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 22.01.1893
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Franz Liszt in seinen Briefen.

Ed. H. Franz Liszt’s Briefe; gesammelt und herausgegeben von La Mara, Zwei Bände. Leipzig, 1893, bei Breitkopf & Härtel. Nicht weniger als 659 Briefe Liszt’s hat das glückliche Spar- und Findertalent der Frau La Mara aufgesammelt und in zwei starken Bänden veröffentlicht. Liszt gehörte zu den fleißigsten Correspondenten, die es je gegeben; in rascher und verbindlichster Beantwortung jedes Briefes war er musterhaft. Das vollständige Gegentheil des berühmten Culturhistorikers W. H. Riehl, der mir einst auf die Frage, woher er die Zeit nehme für seine erstaun liche Thätigkeit, die Erklärung gab: „Ich mache keine Besuche und beantworte keine Briefe.“ Seine Liebenswür digkeit erwarb Liszt zahlreiche enthusiastische Freunde, lockte ihm aber auch eine Legion Zudringlicher auf den Hals, die ihn mit Briefen, Autographenbettel und musikalischen Sendungen belagerten. In seinen letzten Jahren beklagt der geduldige Mann sich ernstlich darüber. „Mein Widerwille gegen Briefe,“ schreibt er 1881 aus Bayreuth, „ist maßlos geworden. Wie soll man mehr als zweitausend Briefe im Jahr beantworten, ohne sich zum Cretin zu machen?“ Und bald nachher aus Rom: „Man feiert mich, schmeichelt mir und erdrückt mich mit zahllosen Briefen. Mehr als hundert erhielt ich in den letzten sechs Wochen; ich müßte für meine Correspondentenpflicht täglich zehn Stunden ver wenden, das kann ich nicht. Auch mein Gesundheitszustand, obwol er nicht schlecht ist, verbietet es mir.“ Erst im Jahre 1882 entschloß er sich zur Nothwehr und ließ (genau wie jetzt Rubinstein) in den Musikzeitungen bekannt machen, daß er sich Zusendungen von Partituren „und sonstige Zu schriften“ verbitte. Es scheint aber nichts genützt zu haben; die folgenden Jahrgänge beweisen, daß weder die Courage der Briefstürmer noch die Herzensgüte Liszt’s umzubringen war.

Was uns gleich auf den ersten Seiten freundlich an muthet, ist die kindliche Dankbarkeit des fünfzehnjährigen Liszt gegen seinen Lehrer Karl Czerny in Wien. Merkwürdig

genug, er schreibt ihm, in dessen Hause nur Deutsch ge sprochen wurde, französisch; desgleichen seinen deutschen Freunden Hiller, Schumann, P. Cornelius und Anderen. Liszt hatte sich schon während seines ersten Pariser Aufent halts völlig ins Französische eingelebt. Erst von seiner An siedlung in Weimar an werden Liszt’s deutsche Briefe zahlreicher. Natürlich schreibt er ganz gut deutsch; aber die französische Sprache ist nicht nur für ihn „bequemer und vertrauter“, sie ist überhaupt für leichten, graziösen Briefstyl wie geschaffen. Mit Lebhaftigkeit schildert der junge Liszt (1828) seine Stu dien und Erfolge in Paris, wo er für Czerny „furchtbar Propaganda macht“ und dessen Sonaten mit größtem Bei falle in Gesellschaften spielt. Czerny möchte doch ja nach Paris kommen, er wolle für ihn sorgen wie für seinen eigenen Vater. Erinnern wir uns bei diesem Anlasse, daß Liszt von seinem Vater den Musiksinn geerbt und die erste Anleitung empfangen hat. Der alte Adam Liszt war selbst sehr musikalisch und hat als Esterhazy’scher Rechnungs führer häufig in Eisenstadt in den Hofconcerten des Fürsten am Violoncellpulte mitgewirkt — unter der Leitung des ihm persönlich befreundeten Joseph Haydn. Das zerstreuende Leben in den Pariser Salons macht den jungen Liszt schließlich doch be denklich. Er schreibt an den Abbé Lammenais: „Wird mein Leben denn immer in dem nutzlosen Müßiggang verfließen, der mich jetzt bedrückt? Wird die Stunde der Vertiefung und des männ lichen Handelns niemals schlagen? Bin ich unwiderruflich dazu verdammt, als Possenreißer die Salons zu amüsiren?“ Liszt war trotz dieses demüthigen Stoßseufzers sein ganzes Leben hindurch von bewunderungswürdigem Fleiß. Seine Briefe, von den Jünglingsjahren bis ins späte Alter, be zeugen es. Im Jahre 1839, also in seiner glorreichsten Virtuosen-Periode, schreibt er an Clara Wieck, er habe in Italien „énormément gearbeitet und dort, ohne Ueber treibung, vier- bis fünfhundert Seiten Musik geschrieben“. Daß er selbst emsig an einer Oper arbeite, meldet Liszt zu verschiedenenmalen; es scheint nichts davon erhalten zu sein.

Am interessantesten sind uns selbstverständlich die Urtheile Liszt’s über bedeutende Componisten; zahlreich sind sie aller dings nicht in diesem Berge von Briefen. An Robert Schu mann schreibt er schon im Jahre 1838, daß er den „Car

neval“ und die „Phantasiestücke“ mit Entzücken spiele; ja, daß, offen gestanden, nur die Compositionen von Chopin und Schumann ihm ein starkes Interesse einflößen. Ein merkwürdiges Geständniß, da doch Liszt gerade Schumann’s Clavier-Compositionen zeitlebens in der Oeffentlichkeit igno rirte. Er hat das später selbst bereut und mit schöner Auf richtigkeit öffentlich Buße gethan. Henselt’sEtüden hin gegen, für welche Schumann schwärmte, findet Liszt unter ihrem Ruf und kann in ihrem Autor nur eine „médiocrité distinguée“ erblicken. Sein Ideal bleibt Chopin. Er ver theidigt ihn gegen W. v. Lenz, welcher den Einfluß der Pariser Salons auf Chopin zu hoch anschlage. „Seine Seele war davon nicht afficirt, und seine Musik bleibt durchsichtig, wunderbar, ätherisch und unvergleichlich genial — ganz außerhalb der Schulirrthümer und der Salon fadaisen. Chopin hat etwas vom Engel und von der Fee; mehr noch: die heroische Saite hat nirgends mit solchem Glanz, solcher Leidenschaft und mit so neuer Gewalt er zittert, wie in seinen Polonaisen.“ Ueber Schumann’s Oper „Genovefa“ hat Liszt den geistreichen Einfall, sie sei „musikalisch die Schwester des Fidelio, nur fehlt ihr Leo norens Pistole“. An Rubinstein schreibt Liszt1854 einen überaus freundlichen, zugleich aufrichtig ermahnenden Brief. „Ich schätze Ihre Compositionen und finde Vieles darin zu loben, mit einigen Einschränkungen, welche fast alle darauf hinausgehen, daß Ihre außerordentliche Fruchtbarkeit Ihnen bis jetzt nicht die erforderliche Muße gelassen hat, Ihren Werken eine stärkere individuelle Prägung zu geben und sie auszufeilen. Es genügt nicht, zu arbeiten, man muß auch umarbeiten.“ Bei Liszt’s durchgehends herr schender Geneigtheit, nur zu loben und stark zu loben, erscheint gerade diese Zuschrift sehr bemerkenswerth. Eine besondere Hochschätzung, ja Bewunderung hegt Liszt für Saint-Saëns. Er nennt dessen Messe ein großartiges, bewunderungswürdiges Werk; allen neueren Compositionen dieser Gattung überlegen an schwungvoller Empfindung, religiösem Charakter und vollendeter Meister schaft. Liszt erbittet sich das Manuscript dieses „außerordent lichen Werkes, dem der Platz zwischen Bach und Beethoven gebührt.“ Ein etwas starkes Lob. Zärtlich fürsorgend klingen

die Briefe an den jungen Peter Cornelius; Liszt gibt ihm den Rath, sich mit aller Kraft der katholischen Kirchen musik zu widmen. Dem Pianisten Dionys Pruckner em pfiehlt er für die Zeit seines Wiener Aufenthaltes vorzüglich den näheren Verkehr mit Meister Czerny: „Von allen jetzt leben den Componisten, welche sich speciell mit dem Clavierspiel und Claviersatz befaßt haben, kenne ich keinen, dessen Ansichten und Beurtheilungen einen so richtigen Maßstab des Ge leisteten darbieten.“ Dionys Pruckner (gegenwärtig Professor am Stuttgarter Conservatorium) hat 1857 mit schönem Erfolge in Wien concertirt. Liszt gratulirt ihm dazu, denn „festen Fuß in Wien als Clavierspieler zu fassen, ist keine geringe Auf gabe, besonders unter den jetzigen Umständen! Wenn dies ge lingt, da kann man mit bester Zuversicht sich durch ganz Europa Geltung verschaffen“. Er fügt folgende charakteristische Rathschläge bei: „Sehr zweckmäßig ist es für Sie, oftmalen aufzutreten, um sich so recht mit dem Publicum zu Hause zu fühlen. Bei der Production hat letzteres viel mehr auf den Künstler zu achten, als dieser dem Publicum zu fröhnen oder gar vor demselben in Befangenheit zu gerathen. Zu Hause, unser ganzes Leben durch, haben wir zu studiren, zu ersinnen, unter Arbeit heranzureifen und dem Ideal der Kunst möglichst nahe zu kommen. Wenn wir aber in den Concertsaal treten, darf uns das Gefühl nicht verlassen, daß wir eben durch unser gewissenhaftes, ernst anhaltendes Streben etwas höher stehen als das Publicum und unseren Theil der Menschheitswürde, wie Schiller sagt, zu vertreten haben. Lassen wir uns nicht durch falsche Be scheidenheit beirren und halten wir fest an der wahrhaftigen, welche weit schwieriger auszuüben und seltener zu finden ist.“ Im Sommer 1851 betreibt Liszt den Geiger Reményi wegen Rücksendung einer Violin-Sonate von Brahms, welche dieser zur Drucklegung bedürfe. Diese Violin-Sonate (A-moll) existirt nicht mehr; Brahms hat sie vernichtet, obgleich ein Verleger bereits die Hand darauf legte. Erst dreißig Jahre später ist Brahms mit einer Violin-Sonate (G-Dur, op. 78) vor die Oeffentlichkeit getreten. Es ist das erste- und — letztemal, daß der Name Brahms uns aufstößt in der ganzen zweibändigen Briefsammlung. Liszt war damals so

vollauf in Wagner aufgegangen, daß er zu den stark ab stechenden Schöpfungen Brahms’ kein rechtes Verhältniß ge winnen konnte. Mit rühmlichem Eifer sehen wir Liszt die Herausgabe der sämmtlichen Werke Mozart’s betreiben, zu welcher er wahrscheinlich (beim Wiener Mozart-Feste 1856) auch die erste Anregung gegeben. „Die österreichischen Musikfreunde,“ schreibt er an seinen Oheim Dr. Eduard Liszt, „sollen die Sachen anregen und constituiren ... in dem Sinne, daß durch eine kritisch geläuterte, gleich förmig schön gedruckte und durch ein Comité revidirte Auf lage der Mozart’schen Werke ein allgemein nutzendes, dauern des und belebendes Monument dem herrlichen Meister gesetzt wird.“ Ein schönes Wort spricht Liszt über Beethoven. „Für uns Musiker,“ schreibt er an W. v. Lenz, „ist Beethoven gleichsam die Säule von Rauch und Feuer, welche die Israeliten durch die Wüste führte; eine Rauchsäule, um uns bei Tag zu führen, eine Feuer säule, um uns die Nacht zu erhellen, damit wir vorwärts schreiten Tag und Nacht. Seine Dunkelheit und sein Licht zeigen uns gleicherweise den Weg, den wir zu verfolgen haben; das Eine wie das Andere ist uns ein fortwährendes Commando, eine unfehlbare Offenbarung.“

Die Politik berührt Liszt nur in zwei Briefen. Einmal lobt er gegen Eduard Liszt die russische Politik Oesterreichs (1851) und sieht für das monarchische Princip in Europa das Heil nur in Rußland. „Deutschland wird russisch werden, und für die immense Majorität der Deutschen kann der einzige Entschluß nicht zweifelhaft sein, welchen sie ergreifen kann.“ Erst zweiundzwanzig Jahre später stoßen wir aber mals auf eine politische Kundgebung, der man wol ebenso wenig zustimmen wird, wie der ersten. Liszt schreibt: „Na poleon III. ist todt! Eine große Seele, eine Alles umfassende Intelligenz, ein sanfter und edler Charakter — und eine unselige Bestimmung! Es ist ein gebundener und geknebelter Cäsar, aber doch noch ein naher Verwandter des göttlichen Cäsar, welcher die ideale Verkörperung der irdischen Macht gewesen ist. Ich glaube auch noch, daß die Regierung Na poleon’s die den Bedürfnissen und Fortschritten unserer Zeit entsprechendste gewesen ist. Einst, am Tage der Gerechtigkeit,

wird Frankreich den Sarg Napoleon’s III. abholen und ruhmvoll neben jenen Napoleon’s I. stellen.“

Die Briefe an Eduard Liszt sind die wärmsten, herzlichsten, um nicht zu sagen die einzigen ganz voll aus dem Herzen strömenden in der Sammlung. Eduard war der Onkel Liszt’s (das ist der jüngere Stiefbruder seines Vaters), ein uns Wienern unvergeßlicher, hochbedeutender Mann, der als General-Procurator am 8. Februar 1879 in Wien starb. Liszt liebte ihn zärtlich und übertrug auf ihn 1867 den erblichen Ritterstand, von dem er selbst niemals Gebrauch gemacht hat. Von edelstem Gehalt sind die Rath schläge, die er Eduard in Bezug auf dessen Beamtenlauf bahn gibt: „Bleibe dir selbst treu! Treu dem Besten, Edelsten, Gerechtesten und Reinsten, was du in deinem Herzen fühlst! Bekümmere dich nicht darum, irgend etwas (quelque chose) zu werden, aber arbeite emsig und aus dauernd, um Einer (quelqu’un) zu sein. Nachdem dir die schwierige Aufgabe geworden, über Schuld und Unschuld der Menschen zu richten, prüfe Herz und Nieren, damit du nicht einst selbst schuldbehaftet erscheinst vor dem Tribunal des jüngsten Gerichts.“

Von seinen eigenen Werken spricht Liszt stets mit vor nehmer und anmuthiger Bescheidenheit, dabei aber mit vollem Vertrauen auf sein echtes, redlich zusammengefaßtes Talent und auf dessen spätere Anerkennung. Seine Orchester werke und Kirchen-Compositionen haben bekanntlich viel Tadel erfahren, und Liszt war nicht unempfindlich gegen die Stiche der Kritik. Aber die Seufzer, welche sie ihm aus preßten, klingen doch immer ruhig, mit ironischer Sanft muth aus. Nichts von der hochmüthigen Verachtung oder den wüthenden Hieben, womit Hebbel oder R. Wagner jeden nicht blindlings Zustimmenden bedenken. Wie dankbar er jedes anerkennende Wort aus gegnerischem Lager aufnahm, bezeugen zwei seiner Briefe an den Schreiber dieser Zeilen über Liszt’s Buch „Les Bohémiens“ und sein Erscheinen beim Wiener Mozartfest. Im Jahre 1858 schreibt Liszt nach Leipzig, daß eine Aufführung von seinen „Undingen“ ihm dort unzeitig erscheine und er darauf gefaßt sei, die Sachen lieber in Ver gessenheit gerathen zu lassen, als seine Freunde damit zu

belästigen. Auch an Herbeck schreibt er (1858), es scheine ihm gerathener, mit dem „Prometheus“ noch zu warten. „Ich habe keineswegs Eile, in das Publicum zu dringen, und kann ganz ruhig das Gefasel über meine verfehlte Com positionssucht sich weiter ergehen lassen. Nur insofern ich Dauerndes zu leisten vermag, darf ich darauf einigen be scheidenen Werth legen. Dies kann und wird immer die Zeit entscheiden. Vorläufig möchte ich aber keinem meiner Freunde die Unannehmlichkeiten aufbürden, welche die Aufführung meiner Werke, bei den allerwärts sich breitmachenden Voraus setzungen und Vorurtheilen dagegen, mit sich führen.“ Die selbe Melodie, nur noch weicher, rührender, klingt 24 Jahre später aus Liszt’s Brief an Saint-Saëns, dem er den Mephisto-Walzer zuschickt: „Niemand fühlt mehr als ich das Mißverhältniß zwischen dem guten Willen und dem erreichten Resultat in meinen Compositionen. Trotzdem fahre ich fort, zu schreiben — nicht ohne Anstrengung — aus innerem Bedürf niß und alter Gewohnheit. Hohes anzustreben ist nicht ver boten, die Erreichung des Zieles bleibt immer ein Fragezeichen.“

Mit den Jahren wächst sein Fleiß, oft ins Unheim liche. „Im Notenschreiben,“ meldet er dem Onkel Eduard im November 1878, „bin ich gräßlich fleißig seit Mitte Sep tember. Ich sitze und wandle darin wie ein Besessener!“ Und, fragen wir, welcher materielle Gewinn ist ihm für seine beispiellose Thätigkeit als Virtuose, Schriftsteller, Lehrer und Dirigent geblieben? Liszt hat nicht viel mehr hinterlassen, als die silbernen Lorbeerkränze, die juwelenbesetzten Tactir stäbe und goldenen Tabatièren, die wir in der letzten Wiener Musikausstellung gesehen haben. Seine Uneigennützigkeit und sein Edelmuth gehören zu Liszt’s schönsten Eigenschaften. Bekannt ist sein Brief an das Bonner Beethoven-Comité, worin er, damit endlich das Monument des großen Ton dichters zu Stande komme, den ganzen Rest der noch unge deckten Summe — ein kleines Vermögen! — aus Eigenem beisteuert. Und an der Neige seines Lebens schreibt er an Marie Lipsius: „Seit Ende 1847 habe ich keinen Heller mit Clavierspielen, Unterrichten und Dirigiren verdient; Alles dieses kostete mir vielmehr Zeit und Geld.“ Sein letzter Brief ist vom 3. Juli 1886 an die Pianistin Sophie

Menter gerichtet, der er ein Rendezvous in Bayreuth gibt „zwischen dem 20. Juli und 7. August“. Es war Liszt nicht beschieden, diesen Endtermin einzuhalten; am 31. Juli schloß er in Bayreuth für immer die Augen.

So bringt uns denn die Liszt’sche Briefsammlung viel des Interessanten und Anziehenden. Dennoch ist sie nicht blos quantitativ unvollständig — es fehlen die Briefe an Berlioz, Wagner, Tausig u. A. — sie ist es noch weit mehr und empfindlicher in qualitativer Hinsicht. Von den folgen reichsten, seelisch eingreifendsten Erlebnissen Liszt’s erfahren wir nichts. Wo sind die Briefe an seine vieljährige geist volle Lebensgefährtin Gräfin d’Agoult und an seine intimste Freundin Fürstin Wittgenstein? Warum berührt Liszt mit keiner Sylbe seinen Uebertritt in den geistlichen Stand oder die Trennung seiner Tochter Cosima von seinem Liebling Bülow und ihre Verheiratung mit Richard Wagner? Ueber diese Herzenssachen und Seelenkämpfe existiren ohne Zweifel briefliche Aeußerungen Liszt’s, aus denen wir erst eine voll ständige Kenntniß des Menschen gewinnen würden. Alle vorliegenden Briefe drehen sich nur um musikalische Angelegenheiten, und größtentheils um solche, die für uns ihr Interesse verloren, zumeist auch nur für die Correspon denten ein Interesse gehabt haben. Die bemerkenswertheren Aussprüche Liszt’s über Musik und Musiker, sowie über sich selbst habe ich ziemlich vollständig herausgehoben; was übrig bleibt, gehört fast nur der musikalischen Geschäftspraxis: Vorbereitung für Musikfeste, angenommene oder abgelehnte Einladungen zum Dirigiren oder Spielen, Weisungen an Dirigenten, Verleger, Copisten, Claviermacher, Redacteure von Musikzeitungen. Unter Letzteren figurirt auffallend häufig Franz Brendel in Leipzig, dessen MusikzeitschriftLiszt liebevoll überwacht und mit Rath und That unausgesetzt unterstützt. Der fleißigen und verdienstvollen Arbeit der Frau La Mara gebührt alle Anerkennung. Dennoch kann ich nach der langwierigen Durcharbeitung dieser 659 Briefe den Ge danken nicht unterdrücken, daß ein kräftiges Durchsieben der selben auf den Umfang Eines Bandes die Zahl und Dank barkeit der Leser erheblich vermehrt und die Pietät für Liszt nicht um ein Haar vermindert haben würde.