Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10212. Wien, Freitag, den 27. Januar 1893 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10212. Wien, Freitag, den 27. Januar 1893 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 27.01.1893
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Concerte. (Philharmonisches Concert. Russische Vocalcapelle. Agnes Pyllemann. Böhmisches Quartett.)

Ed. H. Genau vor einem Jahre hat uns Hanns Richter mit dem „Don Juan“ von Richard Strauß bekannt gemacht; im letzten Philharmonie-Concert brachte er eine andere Tondichtung dieses Componisten zur Aufführung: Tod und Verklärung.“ R. Strauß bewährt sich hier neuer dings als ein glänzender Orchester-Virtuose, dem es nur an musikalischen Gedanken fehlt. Er schiebt in seine Zauber laterne verschiedene bunte Gläser, deren abwechselnd reizender Schmelz oder flammende Gluth unsere Sinne beschäftigt; was wir uns dabei vorzustellen haben, ob Tod und Teufel oder Tod und Verklärung, sagt uns ein erklärendes Pro gramm. Auch diesmal sorgt eine vorgedruckte Dichtung dafür, daß wir nicht fehlgehen können; die Musik folgt ihr Schritt für Schritt wie einem Ballet- Libretto. „In der ärmlich kleinen Kammer, matt vom Lichtstumpf nur erhellt, liegt der Kranke auf dem Lager.“ Lang ausgehaltene Moll-Dreiklänge über leisem Schluchzen der Violinen. „Er sinkt erschöpft in den Schlaf; um seine bleichen Züge spielt ein Lächeln wehmuthsvoll.“ Sanfte Harfen-Arpeggien, in welche sich ein liebliches Flöten figürchen mischt, dann eine breite Geigenmelodie. Nach dieser Einleitung, dem gelungensten Theile des Ganzen, sagt uns ein wüthend aufspringendes C-moll-Allegro, daß der Tod sein Opfer nicht länger schlummern läßt, sondern zwischen beiden „ein entsetzenvolles Ringen“ beginnt. Die Musik, in leidenschaftliche Phrasen zerrissen, steigert und verwildert sich später, als Visionen hinzutreten, bis zum grellsten Tumult. Die Pauken werden „mit Holzschlägeln“ bearbeitet; die Posaunenstöße „müssen ungeheuer markant zur Darstellung kommen und sind, die Schallbecher gegen das Publicum ge richtet, zu blasen!“ Eine grausige Dissonanzenschlacht, in welcher die Holzbläser mit chromatischen Terzenläufen her unter heulen, während alles Blech erdröhnt, alle Geigen rasen. Wer könnte etwas einwenden, wenn der Componist uns vorhält, daß er ja den entsetzlichen Todeskampf, das Aechzen und Stöhnen, den krankhaften Widerstand des Ver scheidenden schildern müsse. Nur ganz schüchtern denken wir:

muß das wirklich sein? Nachdem die Bilder seines freudlos kämpfenden Lebens an dem Sterbenden vorübergezogen, er schallt die Todtenglocke. Wir hören das schauerliche Anschlagen des Tamtams durch vierzig Tacte, dann ein langes Arpeggiren zweier Harfen gegen einander über geheimniß vollem Erzittern der Geigen, endlich ein ausklingendes Pianissimo. Der arme Junge ist von seinen Qualen erlöst, was das Programm mit dem verschönernden Titel „Welt- Erlösung, Welt-Verklärung“ bezeichnet.

Wie Strauß’ „Don Juan“, so gehört auch „Tod und Verklärung“ zu den Erzeugnissen der raffinirten Uebercultur unserer Musik. Alle im Gedicht geschilderten Vorgänge sind, wie gesagt, mit blendender Bravour nachgemalt, stellenweise mit wirklich neuen Farbenmischungen; dadurch erklärt sich auch die starke sinnlich-pathologische Wirkung, welche ein so unbarmherziges Nachtgemälde auf die Zuhörer ausübt. Es fehlt dieser realistischen Anschaulichkeit nur der letzte ent scheidende Schritt: die matterleuchtete Krankenstube mit dem Verscheidenden auf wirklicher Bühne; sein Todeskampf, seine Visionen, sein Sterben — Alles pantomimisch — und dazu die Strauß’sche Musik im Orchester. Das wäre nur consequent und dürfte auch mit der Zeit ernstlich versucht werden. Die Art seines Talentes weist den Componisten eigentlich auf den Weg zum Musikdrama; wir trauen ihm ohneweiters auch jene „edle Verachtung des Gesanges“ zu, welche, vor dreihundert Jahren von Caccini gepredigt, gleicherweise das Entstehen und die Auflösung der Oper kennzeichnet. Uebrigens paßt, was ich im Allgemeinen über den „Don Juan“ bemerkt habe, auch auf „Tod und Ver klärung“. Das Charakteristische des Symphonikers Strauß besteht darin, daß er mit poetischen, anstatt mit musikalischen Elementen componirt und durch seine Emancipation von der musikalischen Logik eine Stellung mehr neben, als in der Musik einnimmt. Auch bestärkt uns „Tod und Verklärungin der bereits früher ausgesprochenen Meinung, es werde bei der so raschen und beifälligen Aufnahme des Componisten diese krankhafte Richtung nicht so bald überwunden sein, gewiß aber eines Tages eine gesunde Reaction hervorrufen. In seiner neuesten Novelle richtet Paul Heyse an einen jungen plein-air-Maler folgendes treffende Wort, das auch auf unseren Fall gute Anwendung findet: „Ich erblicke in der neuen radicalen Richtung auf das Charakteristische, worüber das Schöne

gänzlich zu kurz kommt, allerdings nur eine Entwicklungs krankheit unserer Zeit. Dergleichen Erscheinungen darf eine weise ästhetische Pathologie so wenig unterdrücken wollen, wie die rationelle physische Hygiene die Reinigungsprocesse in einem menschlichen Körper hemmen darf, wenn sie recht kräftig auf die Haut schlagen. Es ist wahrscheinlich, daß wir mit unserer schulgerechten Aesthetik nachgerade aufs Trockene gekommen wären ohne diese gewaltsame Reaction. Ich habe viele „Richtungen“, die sich für die allein wahren ausgaben, im Sande verlaufen und neuen, noch „wahreren“ Platz machen sehen, so daß ich mit einiger Ruhe zuschauen kann, wenn heutzutage Alles als akademischer Zopf ver schrien wird, was einen Gemüthswerth beansprucht oder durch Reiz und Adel der Form entzücken will.“ ... Tod und Verklärung“, erhielt von einem Theile des Publicums rauschenden Beifall, dem von anderer Seite ver nehmliches Zischen antwortete. Alle dürften es jedoch wie einen himmlischen Balsam empfunden haben, als unmittelbar darauf die ersten Accorde von Schumann’sClavierconcert erklangen. Mit Unrecht hat man lange Jahre hindurch dieses Concert zurückgestellt, welches Gedankenreichthum mit sinn lichem Reiz und edler Form so schön verbindet. Auch Mendelssohn’s G-moll-Concert könnte aus dreißigjährigem Schlummer jetzt wieder einmal erweckt werden. Man hat uns in vormärzlicher Zeit damit überfüttert; jetzt regt sich wieder der Appetit nach diesem den jüngeren Concertbesuchern unbekannten Leckerbissen. Fräulein Ilona Eibenschütz spielte das Schumann’sche Concert virtuos und ausdrucks voll; es war das Beste, was wir bisher von ihr gehört.

Für eine kräftige Auffrischung unseres Musiklebens sorgen jetzt slavische Gäste: russische Sänger im großen Musikvereinssaal, böhmische Quartettspieler bei Bösendorfer. Wer erinnert sich nicht — drei Jahre zurück — an den prächtigen Anblick und den eigenartig reizvollen Gesang von Herrn Slaviansky’s Vocalcapelle? Diesmal ist es seine Tochter, die schöne Frau Nadina Slaviansky-Kleb nikow, welche, durch Heirat von ihren Eltern getrennt, einen eigenen Sängerchor zusammengestellt und nach Wien gebracht hat. Eine Art Miniatur-Ausgabe der früheren Capelle: nur 12 Knaben und 14 Männer. Es fehlen die Frauen im Chor und die allerliebsten winzigen Mädchen, die sich so schüchtern unter die Flügel der majestätischen Mama Slaviansky duckten. Jetzt ist Nadina die einzige Frauenstimme;

sie steht in prachtvollem Nationalcostüm an der Spitze ihrer Sänger, gibt mit leiser Handbewegung den Tact und singt die Soli, welche in den russischen Liedern so hübsch mit dem Chor abwechseln. Ihre kleinen und großen Sänger sind trefflich eingeübt; mit voller Sicherheit singen sie auswendig das ganze lange Programm und bewahren die schönste Ueber einstimmung in dem häufigen Tempowechsel, wie in allen Schattirungen der Tonstärke. Ueberraschend ist besonders ihr zartes, echoartig ausklingendes Pianissimo. Die Tenor stimmen sind nicht klangvoll, desto imposanter die berühmten abgrundtiefen russischen Bässe. In den ersten Nummern gab es einige Unreinheiten in den Sopranstimmen; wahrschein lich in Folge der klimatischen Unbilden und arger Reisemüdigkeit. Dieser schreibt man auch den Weg fall mehrerer Programm-Nummern zu und die allzu langen Pausen zwischen den Abtheilungen des Concertes. Die vorgetragenen Nationallieder (fast alle in Moll, die meisten in zweitheiligem Tact) sind durchwegs originell in Melodie und Rhythmus, auch interessant harmonisirt; echte Beweisstücke für das intensive musikalische Talent des russischen Volkes. Wie poetisch in Wort und Musik ist nicht gleich der erste Chor „Bei der Pforte von Kaluga“, wie anmuthig das Tanzlied „Der schwarzäugige junge Mann“ und das in immer schnelleren Drehungen sich abwickelnde „Lied Wanja’s“! Merkwürdige Gegenstücke dazu bilden zwei sehr langsam ge sungene schwermüthige Klagelieder: „Die Schnitterin“ und „Mein Grashalmchen“. In letzterem Lied (das wiederholt werden mußte) frappirte ein von Frau Nadina sehr leise angeschlagenes und lange ausgehaltenes hohes C; es klang wie der feinste Ton einer Glasharmonika. Auch zwei russische Kirchengesänge bekamen wir zu hören, die — ohne Begleitung des Harmo niums — sehr präcis zusammenklangen. Die endlose Litanei des zweiten sündigte übrigens auf die Geduld unseres Publi cums, das solchen Vorträgen nur ein musikalisches Interesse und kein liturgisches entgegenbringt. Dem zweiten Concerte der russischen Sänger (am 27. d. M.) wünschen wir den besten Erfolg. Es wirkt immer erfrischend, wenn über die alte Civilisation unserer Concerte sich einmal unvermuthet ein Strom ursprünglicher Volksmusik ergießt.

Gleichzeitig mit der Production der russischen Capelle gab bei Bösendorfer Fräulein Agnes Pyllemann ein Concert, das, glaubwürdigen Berichten zufolge, der jungen

Sängerin zu hoher Ehre gereichte. Fräulein Pyllemann hat aus ihrem ohnehin überreichen Programm mehrere Lieder wiederholen und noch andere zugeben müssen. Ich habe Fräulein Pyllemann (die sich selbst vortrefflich begleitet) im häuslichen Kreise gehört und mich an dem eigenthümlichen Klangzauber ihrer zarten Stimme ebenso sehr erfreut, wie an ihrem feinen, seelenvollen Vortrag.

An zwei Abenden hat das „Böhmische Quartettsich mit außerordentlichem Erfolge hören lassen. Schmeichel hafter noch als der brausende Beifall mag ihm die Theil nahme der Zuhörer gewesen sein, die durch volle dritthalb Stunden andächtig lauschend auf ihren Plätzen verharrten. Die Quartett-Gesellschaft besteht aus vier jungen Leuten von neunzehn bis zwanzig Jahren, die erst im letzten Herbst das Prager Conservatorium verlassen haben. Der Primgeiger Karl Hoffmann wirkt durch auffallend großen Ton, tadellose Reinheit und glänzende Technik. Der treffliche Secondspieler Herr Joseph Suk ist zugleich ein talentvoller Componist und hat kürzlich auf Grund seines Opus 1, eines Clavierquartetts, vom Unterrichtsministerium ein Künstler-Stipendium erhalten. Edler, markiger Ton und solide Technik sind auch den beiden tieferen Instrumenten nachzurühmen: dem Violaspieler Nedbal und dem Violon cellisten Berger. Enthusiastischer Vortrag charakterisirt das ganze Quartett. Da strömt Alles in jugendlicher Kraft und Wärme dahin, ohne je die Grenzlinie musikalischer Schön heit zu überschreiten. Ein so herzhaft mitreißendes Quartett spiel haben wir lange nicht gehört. In feinster Ausarbeitung und Schattirung des Details mögen die vier Prager Künstler immerhin noch vorzuschreiten haben; dafür kennen sie auch noch nicht die daran haftenden Gefahren: das absichtliche Schönmachen einer Production und die Virtuosen-Eitelkeit, welche sich über den Componisten stellen und extra neben der Composition glänzen will. Mit wahrem Genuß hörten wir von diesen begeisterten jungen Künstlern Smetana’s bekanntes E-moll-Quartett, ein Werk, das durch originelle Schönheit der Erfindung wie der künstlerischen Form zu den besten Kammermusiken unserer Zeit gehört. Um ihre vornehmste Absicht gleich vornherein kenntlich zu machen, haben unsere Prager Gäste das erste Concert als „Smetana-Abend“ bezeichnet und ausschließlich diesem Meister gewidmet. Den Anfang machte das Clavier-Trio op. 15. Es ist dreisätzig,

jeder Satz in G-moll. Der erste, von der Violine allein mit einem pathetischen Recitativ eröffnet, athmet düstere Leidenschaftlichkeit. Anmuthig hebt sich davon die volksthüm lich anklingende Melodie des zweiten Satzes ab; er ist durch zwei Intermezzi auseinander geschnitten, von denen das zweite, ein Maëstoso in C-moll, nicht recht zum Ganzen passen will. Noch zerrissener durch wechselnde Tempi, Ton- und Tactarten ist das Finale, ein Presto im Sechs-Achtel- Tact, dessen geistreiches, leise hämmerndes Thema eine gleich mäßigere Verarbeitung erwarten ließ. Das G-moll-Trio Smetana’s steht in formeller Hinsicht hinter dem E-moll- Quartett zurück, enthält aber in jedem Satz wahrhaft geniale Stellen. Den Clavierpart spielte Herr Joseph Jiranek, Professor am Prager Conservatorium, mit Bravour und großer Wärme, nur mit etwas schwer niederfallender Hand. Schon seit seinem zehnten Jahre Schüler und Hausgenosse Smetana’s, hat Herr Jiranek sich in den Musikgeist seines Meisters völlig eingelebt und galt auch als Clavierspieler für einen Doppelgänger desselben. Wir verdanken ihm die Bekanntschaft einer Reihe größtentheils sehr origineller und reizvoller Clavierstücke Smetana’s, deren Existenz uns bisher ein Ge heimniß gewesen. Nicht weniger als sechzehn solcher Stücke spielte Herr Jiranek in Einem Zug, jedenfalls zu viel in mitten eines ohnehin langen Concerts. Aber es galt, diese liebenswürdigen kleinen Genrebilder, die unter dem Grab stein czechischer Titelblätter durch Jahrzehnte begraben lagen, endlich ans Licht zu heben. Clavier-Virtuosen dürften daraus Nutzen ziehen für ihre stagnirenden Concertprogramme. Manche dieser Stücke, besonders die „Träume“, verrathen den Einfluß Chopin’s, andere, mehr virtuosenhafte, das Studium Liszt’s. Eigenartiges blüht aber allenthal ben, am üppigsten in den „Böhmischen Tänzen“. Der zärt liche „Ulan“ (Uhlane), die zierlich trippelnde „Slepička(Henne), die bäuerische Lustigkeit des „Dupák“ (Strampfer), der wirbelnde „Obkročák“ (Umdreher) — wie originell ist das Alles in Rhythmus und Melodie, wie fein und glänzend im Claviersatz!

Am zweiten Abend bekamen wir Dvořak’s Streich quartett op. 80 in E-dur zu hören. Ein erster Satz mit etwas trockenem, aber in der Durchführung geistreich ver arbeitetem Thema; ein schwermüthiges Andante im Charakter der südslavischen Dumkas; hierauf ein reizendes Scherzo

(das Thema leicht anklingend an das Finale von Schu mann’s B-dur-Symphonie); als Finale ein Allegro voll Leben und Feuer. Das Trio hat nicht die kecke Originalität von Dvořak’s früheren Werken, aber mehr Ebenmaß und combinatorische Kunst. Der exclusiv nationale Charakter tritt in dem späteren Dvořak immer mehr zurück und erscheint nur wie ein Dialekt, leicht abfärbend auf unserer allgemeinen verständlichen, im Grunde Beethovenschen Musiksprache. Eine kräftige und sympathische Individualität spricht aus dem dreisätzigen Clavier quartett op. 11 von Zdenko Fibich. Man stützte ein Weilchen über den Anfang des in E-moll stehenden Allegro moderato: durch fünfzehn Tacte tremoliren die Streich instrumente ununterbrochen auf einer und derselben Note h, im dritten Tacte fällt ein wunderlich zackiges, abgebrochenes Motiv des Claviers in dieses Tremolo, wie ein Stein in zitternden Wasserspiegel. Das gleicht weniger einem Quartett thema, als einer Wagner’schen Opernscene, etwa von der Färbung des fliegenden Holländers. Es entwickelt sich jedoch sehr interessante, tüchtige Musik daraus, die uns in an dauernder Spannung erhält. Wir stoßen auf harmo nisch Gewaltsames, nicht aber auf fade Redensarten oder conventionell Verbrauchtes. Musikalisch abge klärter, dabei warm und stimmungsvoll wirkt das Adagio mit Variationen, deren „Coda“ in langgezogener Melodie entzückend schön ausklingt. Das Finale, ein ener gisches Allegro, fließt in starker Strömung ohne Grübeln und Stocken vorwärts und gewinnt durch sinnige Reminis cenzen an die früheren Themen einen geistreichen effectvollen Abschluß. Anklänge an slavische Volksmelodien fehlen fast gänzlich in diesem Quartett, das wir als eine werthvolle Bereicherung der modernen Kammermusik willkommen heißen. Die Wiederholung einiger „Böhmischer Tänze“ von Smetana und dessen E-moll-Quartett (auf allgemeines Ver langen) beschloß diesen Abend, der, gleich dem ersten, einen großen Erfolg des böhmischen Quartetts bedeutet. Wie die Spieler, so haben auch die von ihnen importirten Ton dichter an den Wiener Musikfreunden ihre Eroberung ge macht. In der That, die Czechen können stolz darauf sein, in dem Triumvirat: Smetana, Dvořak und Fibich drei Componisten zu besitzen, welche, an classischen deutschen Mustern herangebildet, nationale Eigenart und ursprüngliche Erfindung mit Kunstverstand und Schönheitssinn vereinigen.