Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10278. Wien, Mittwoch, den 5. April 1893 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10278. Wien, Mittwoch, den 5. April 1893 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 05.04.1893
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Oper und Ballet. („Die verkaufte Braut“ von Smetana. — „Die goldene Märchenwelt.“)

Ed. H. Smetana’s komische Oper „Die verkaufte Braut“ hat am Ostersonntag ihren Einzug in das Theater an der Wien gehalten und ihre erste deutsche Aufführung erlebt. Das czechische Original („Prodaná nevesta“) war bekanntlich in der Musik- und Theater-Ausstellung mit jubelndem Beifalle aufgenommen worden. „Die verkaufte Braut“ ist das Muster einer volksthümlichen komischen Oper. Vor etwa dreißig Jahren für das bescheidene czechische Interims-Theater in Prag componirt und keineswegs für ein ästhetisch verwöhntes, aristokratisches Publicum bestimmt, bewegt sich diese Oper naiv und ungezwungen in eng natio nalem Empfindungskreise. Sie beschränkt sich auf einfache, faßliche Formen, macht geringe Ansprüche an die Virtuosität der Sänger und gar keine an den Decorations-Maler und Maschinisten. Trotz dieser populären Tendenz und der possen haften Elemente des Textbuches hält Smetana seiner Musik alles Rohe und Triviale fern. Stets natürlich, volksthümlich und melodiös, wird sie doch niemals ordinär; eine höchst seltene Erscheinung auf diesem Gebiete und einer der größten Vorzüge Smetana’s. Der Werth dieser Oper steht außer Frage; vielleicht ist er unter dem berückenden Eindruck jener czechischen Aufführung im Prater sogar etwas überschätzt worden. „Mozart’s „Figaroins Böhmische umgewandelt!“ hörte man damals auf Schritt und Tritt. Auch die „Bezähmte Widerspenstige“ von Goetz hat seinerzeit den Ehrentitel einer „modernen Wiedergeburt von Mozart’s Figaro“ erhalten. Das ist ein zu hoch ge griffenes Lob; mit Mozart’s „Figaro“ steht keine dieser beiden Opern auf gleicher Höhe. Will man sie indessen als eine Spielart jenes Meisterwerkes ansehen, so ist in der Widerspenstigen“ das Moderne, in der „Verkauften Brautdas Mozartische vorwiegend. Smetana hat unvergleichlich mehr Genie als Goetz, aber seine „Verkaufte Braut“ ist

noch lange kein Mozart, sie hat nur viel Mozart. An Ausdrucksweisen Figaro’s und Leporello’s erinnert nament lich der Baßbuffo; es sind jene Schlußformeln, Parlando stellen etc., die wir schlechtweg Mozartisch nennen, obwol Mozart sie direct aus der italienischen Opera buffa überkam. Man braucht nur eine beliebige komische Oper von Païsiello oder Cimarosa aufzuschlagen, oder die noch ältere „Serva padrona“ von Pergolese. Auf lange hinaus wird alle komische Oper einiger italienischer Blutstropfen nicht ent behren können; Italien verdanken wir ja diesen Musikstyl. Auf dem national-czechischen Grund blühen in Smetana’s Oper stellenweise italienische Blümchen und auch deutsche, wie sie in Schubert’s, Weber’s, Lortzing’s Gärten heimisch sind. Und das ist ein Glück für die Oper; wäre sie so ganz urczechisch, daß ihr alle internationalen Verbindungsfäden fehlten, sie könnte auf deutschem Boden nimmermehr die starke Wirkung üben, wie jetzt in Wien. Aus dem Herzen des eigenen Volkes heraus ist solche Musik empfunden, aber der Kopf der anderen, musikalisch vorgeschrittenen Nationen muß auch ein Wörtchen dreingesprochen haben, soll sie als Kunstwerk, allgemeingiltig, ihre Stellung behaupten. Sme tana, ein Sohn der Mozartstadt Prag, hat als Musiker eine gründliche deutsche Schule durchgemacht, die ihn befähigt, seine nationale Originalität in feste, edle Form zu gießen. Smetana’s geniale Begabung und meisterliche Technik habe ich stets freudig anerkannt; zuletzt gelegentlich seines E-moll-Quartetts, der böhmischen Tänze, der Moldau-Sym phonie. Aber ich kann nicht finden, daß gerade die „Ver kaufte Braut“ — als musikalisches Kunstwerk und abgesehen von ihrer nationalen Bedeutung — den ersten Meisterwerken dieser Gattung gleichkomme, geschweige denn sie übertreffe. An Reichthum der melodischen Erfindung, an dramatischer Lebendigkeit, an Humor und Feinheit der Charakteristik steht mir die „Verkaufte Braut“ nicht auf Einer Linie mit dem Barbier von Sevilla“, mit dem „Liebestrank“ und „Don Pasquale“, mit der „Weißen Frau“ und „Fra Diavolo“, auch nicht mit unserem „Czar und Zimmermann“. Und im Einzelnen: mit den Höhenpunkten der genannten Opern

kann keine Nummer der „Verkauften Braut“ sich messen. Insbesondere die Kraft und Fülle der musikalischen Erfin dung scheint mir in Smetana’s Oper nicht so erstaunlich; man muß sie an den rein lyrischen Gesängen prüfen, nicht an den Tänzen, in welchen National-Melodien pulsiren und uns durch exotischen Reiz berücken. Ich verdanke der „Ver kauften Braut“ ein zu lebhaftes und anhaltendes Vergnügen, als daß es mir beifallen könnte, etwa kaltes Wasser in den allgemeinen Enthusiasmus zu gießen. Allein die hoch über ragende Stelle, welche vielfach der „Verkauften Braut“ in der Weltliteratur der komischen Oper eingeräumt wird, scheint mir gegenüber den größten Meisterwerken nicht ganz begründet. Was ein objectives Urtheil begünstigte, war die deutsche Auf führung, da sie frei war von dem bestrickenden Reiz des Fremdartigen und anderen außerordentlichen Einflüssen, welche in der Ausstellungszeit die Gemüther bewegten. Sie bestärkte mich in dem Eindruck, daß die „Verkaufte Brautihre erfreuliche große Wirkung mindestens ebenso sehr ihren negativen Tugenden verdanke, als ihren positiven Vorzügen. Diese Musik gibt sich überall natürlich, bescheiden, unaffec tirt, verfällt weder in das Pathos der großen Oper noch in die Trivialitäten der Posse, opfert nie den Gesang dem Orchester, nie die musikalische Form den einseitig drama tischen Prätensionen. Diese im weitesten Sinne negativen Tugenden, die ich außerordentlich hochschätze, sind gerade heute werthvoller als jemals. Unser Publicum hat es beinahe ver lernt, sich in der Oper an naiver Anmuth und Natürlichkeit zu erfreuen. Wer jahrelang nur die Keulenschläge „hoch dramatischer“ Effecte und die Nadelstiche „geistreichen“ Raf finements erduldet hat, den labt die Musik zur „Verkauften Braut“ wie ein kühlendes Bad. Sie führt uns aus Qualm und Betäubung in die milde, freie Gottesluft. Wie dankbar empfinden wir die jetzt vervehmte Wohlthat der Recitative! Wie schön und plastisch heben sie die eigentlichen Gesang stücke an die Oberfläche, während die Modernen uns in der grauen Fluth eines gleichmäßigen, formlosen Arioso-Gesanges festhalten. Dieser natürliche, musikalisch gesunde Opernstyl scheint bereits so weit hinter uns zu liegen, daß uns die

Verkaufte Braut“ älter vorkommt als sie ist. Sie klingt wie aus den Dreißiger- oder Vierziger-Jahren und stammt doch erst aus dem Jahre 1866.

Ueber die „Verkaufte Braut“ ist gelegentlich der Aus stellung so viel und eingehend geschrieben worden, daß eine Zergliederung des Textbuches und der Partitur jetzt sehr ver spätet käme. Genug, daß Smetana’s reizende Oper auch im Theater an der Wien vollständig gesiegt hat und zahlreichen Wiederholungen entgegensieht. Mehrere Stücke wurden da capo verlangt und die Sänger (mit ihnen Director Jauner und Capellmeister Müller) nach jedem Acte mehrmals gerufen. Unausgesetzt tobten der Applaus und das Bravo-Rufen. Das Beste an der Vorstellung war das Ensemble; vortrefflich Alles, was im weitesten Sinne Scenirung und Regie heißt: die getreuen Costüme und Decorationen, die lebendigen Gruppen und Massenentfal tungen, die hinreißenden Tänze. An den musikalischen Theil hatte Capellmeister Adolph Müller die sorgfältigste Arbeit gewendet. Die Orchester-Begleitung ließ nur eine discretere Unterordnung wünschen. Ueberlautes Accompagnement nöthigt die Solosänger, noch stärker loszulegen, als sie ohnehin gern thun. Daß ihre Leistungen jene der czechischen Sänger im Aus stellungs-Theater nicht entfernt erreichten, darüber ist Alles einig. Trotzdem müssen wir das Gebotene dankbar hin nehmen. Weder an die Stimmen noch an die Gesangstechnik eines nur in Operetten beschäftigten Personals darf man hohe Ansprüche stellen. Redlicher Fleiß und guter Wille ist Allen nachzurühmen. Lebhaft bedauerten wir die plötzliche Erkrankung Fräulein Lejo’s, welche in der Generalprobe die Marie sehr hübsch gespielt und gesungen hatte. Für sie ist Fräulein Diglas eingesprungen und hat ohne Orchester probe die Rolle mit erstaunlicher Sicherheit durchgeführt. Sie verdient eine Rettungsmedaille. Die wichtige Rolle des Heiratsvermittlers Kezal spielte Herr Pokorny, ein sehr routinirter Schauspieler, der nicht viel Stimme und wenig natürlichen Humor besitzt, aber für Beides die erprobtesten Surrogate in Fülle. Mehr ursprüngliche Komik verrieth Herr Pagin in der possenhaften Figur des Stotterers

Wenzel. Herr Streitmann gefiel sich in übermäßigem Forciren der Stimme und streifte damit den Schmelz von den Melodien dieses bäuerlichen Liebhabers. Trotzdem empfing er rauschenden Beifall; ein Beweis, daß seine Stimme und Gesangsmanier dem Publicum ausnehmend gefallen. Die kleineren Rollen fanden durchaus gute Darsteller in den Damen Biedermann, Stein und Frey, in den Herren Josephi, Lindau und Lunzer. Das schöne Sextett im dritten Act gewann durch die Stimmen dieser drei Herren freilich nicht an Wohlklang. Die vortreffliche Uebersetzung des Textbuches durch Max Kalbeck verdient, schon wegen ihrer merkwürdigen Entstehungsweise, eine besondere Er wähnung. Kalbeck, bekanntlich ein Norddeutscher und erst seit einigen Jahren in Wien ansässig, versteht nicht das kleinste Wörtchen Böhmisch. Er ließ sich unter den Originaltext Wort für Wort die deutsche Bedeutung schreiben; als form gewandter und geschmackvoller Poet brachte er den Inhalt in deutsche Verse, als tüchtiger Musiker legte er genau das rechte Wort unter die rechte Note. So kann man übersetzen, selbst ohne der Originalsprache mächtig zu sein; ja so muß man überhaupt übersetzen, nicht wörtlich, sondern in freier Umdichtung. Kalbeck’s Opernübertragungen beginnen bereits den gewohnheitsmäßigen Schlendrian auf diesem Gebiet sieg reich zu verdrängen; seine Methode wird Schule machen — vorausgesetzt, daß die Schüler Meister sind auf beiden In strumenten: Dichtkunst und Musik.

Zu den Osterfeiertagen bescheerte uns das Hofoperntheater ein neues großes Ballet: „Die goldene Märchenweltvon Gaul und Haßreiter, Musik von H. Berté. Erfreulicher für das Publicum, auch einträglicher für den eigenen Ruhm und Säckel wäre es gewesen, wenn das Hof operntheater „Die verkaufte Braut“ ins Leben gerufen hätte, statt dieser „Märchenwelt“. Das neue Ballet gehört zu den luxuriösesten Ausstattungsstücken und entbehrt auch nicht der poetischen Motive, denn es entnimmt seinen Inhalt den schönsten Kindermärchen: Rothkäppchen, Aschenbrödel, Schnee wittchen u. s. w. Von sehr überflüssiger Gewissenhaftigkeit ist der Beisatz auf dem Textbuch: „mit theilweiser Benützung

der Märchen von J. und W. Grimm“. Die von den Brüdern GrimmgesammeltenKinder- und Haus märchen“ sind ja Eigenthum des ganzen Volkes, gehören Allen und jedem Einzelnen von uns. Ebenso gut müßten die Textdichter der Opern „Moses“ und „Joseph in Egyptenauf den Theaterzettel setzen: „mit theilweiser Benützung der Bibel“. Die Exposition dieses Märchen-Potpourris ist etwas gezwungen ausgefallen. Eine Großmutter, die den Enkeln aus einem Märchenbuch vorzulesen beginnt, schläft dabei ein; aus ihrem Schoß fliegt das Buch hinauf zu dem „Traum“, während gleichzeitig „die Märchen königin“ auf einem Muschelwagen heranfährt! Ganz klar ist das Alles nicht, aber — wunderbar. Auf dieses Vorspiel folgen nun die Märchen selbst. Zuerst Rothkäppchen, allerliebst dargestellt von der talentvollen kleinen Marie Kohler, dann der Gestiefelte Kater (Fräulein Rathner), Dornröschen (Fräulein Well) und Aschenbrödel (Fräulein v. Haentjens). Je weiter diese Scenen vorrücken, desto überladener, prunkvoller werden sie, auch desto langweiliger, weil das Schaugepränge den schlichten poetischen Kern vollständig erdrückt und den Eindruck verwirrt. Der dritte Act hat mit den Märchen selbst eigentlich gar nichts mehr zu schaffen: ein großer Festsaal, in welchem Tänze ausgeführt werden, In dianer- und Negertänze mit einer ohrenzerreißenden türkischen Musik auf der Bühne! Als leisere Begleitung im Publicum: Gähnen und ungeduldiges Zuklappen der Operngucker. Die Musik des Herrn Berté trägt zur Erheiterung der Zu schauer nicht viel bei; sie trachtet hauptsächlich nach pikanten Orchester-Effecten und dramatischer Tonmalerei, über welcher Bemühung sie alles Temperament verliert. Geschickt ge macht ist sie allerdings. Aber die Hauptsache, die musikalische Erfindung, die originellen Melodien? Herr Berté ist Besitzer einer großen Musikalien-Handlung und hat somit unablässig mit fremden Compositionen zu thun. Er kann, auf die Werke von Delibes, Massenet, Wagner, Strauß deutend, sagen: Das gehört Alles mir, ist mein Eigenthum. Kein Wunder, wenn dieses angenehme Bewußtsein ihn auch beim Componiren nicht verlassen will.