Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10507. Wien, Dienstag, den 21. November 1893 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10507. Wien, Dienstag, den 21. November 1893 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 21.11.1893
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Hofoperntheater. Der Bajazzo“ (Pagliacci). Oper in zwei Acten von R. Leoncavallo. Deutsch von L. Hartmann.

Ed. H. Von den italienischen Aufführungen der Pagliacci“ im Ausstellungs-Theater und im Theater an der Wien war mir ein widerlicher Nachgeschmack haften ge blieben. Trotz der unleugbaren Vorzüge der Composition und der Sänger fühlte ich mich bis heute voreingenommen gegen das Werk. Was war schuld daran? Nichts Anderes, als die Barbarei des Da capo. Signor Beltrami tritt im Harlekinscostüm vor den Souffleurkasten und singt einen langweiligen langen Prolog, in welchem wir belehrt werden, daß der Schauspieler auch ein Mensch sei, sozusagen. Er geht ab, das Stück soll beginnen, aber das Publicum applaudirt wie toll, Beltrami eilt zurück, schwenkt sein Käppchen und beginnt aufs neue: „Signore!“ Und wir müssen die ganze Predigt noch einmal aushalten. Schon etwas nervös gereizt, sehen wir den Vorhang aufziehen und hören nach einer kurzen Einleitung einen un ermeßlichen Glockenchor, worin die Bassisten mit ihrem hart näckigen Bim Bam (F, C; F, C) unsere Geduld auf eine harte Probe stellen. Endlich kommen diese singenden Glocken schwengel zur Ruhe und wir athmen auf. Zu früh! Ein fanatischer Applaus lockt die bereits hinter den Coulissen verschwundenen Choristen wieder hervor. Bim Bam, Bim Bam! Man glaubt verrückt zu werden und hört die fol genden besseren Nummern nur mit einer Art knirschenden Gerechtigkeitsgefühls an. So dringend es noththut, daß die stockende Handlung sich endlich vorwärtsbewege: das Vogellied Nedda’s muß repetirt werden. Nicht genug. Am Schlusse des Actes stürzt der von Eifersucht ge quälte Principal Canio nach einem kurzen Cantabile besinnungslos ins Zelt. Die Scene ist effectvoll componirt und erregt unser tiefes Mitgefühl. Gleichsam um dieses Mitgefühl wieder zu vernichten und in galligen Aerger zu verwandeln, begehrt das Publicum die Verzweiflung Canio’s noch einmal zu sehen. Er stürzt also noch einmal außer sich, genau wie früher, in sein Zelt. So ist dieser erste Act vier- bis fünfmal tumultuarisch unterbrochen und durch lauter

Da capos auf seine doppelte Länge ausgezerrt worden. Der Musikkritiker — welcher, wie der Schauspieler, doch auch ein Mensch ist, sozusagen — gelangt somit an den wirklich sehr hübschen zweiten Act in einem Zustande zorniger Ver bissenheit. Der Spectakel vom Ausstellungs-Theater wieder holte sich im Theater an der Wien noch viel ärger. Es war nicht zu ertragen. So oft ich später das Wort „Pagliaccihörte, glaubte ich, der dicke Beltrami rufe hinter mir her „Signore!“ und alle Glocken und alle Bassisten Wiens machten Bim Bam! dazu.

Von dieser fatalen Empfindung sehe ich mich durch die Aufführung im Hofoperntheater endlich befreit. Herrscht doch bei uns das segensreiche Verbot des Da capo-Singens! Auch der gefürchtete Glockenchor wirkt hier nicht so auf regend, wie bei den Italienern, weil das Tempo weniger schleppend genommen und das „Bim Bam“ der Bassisten bedeutend gemildert wird. In einem Rückblick auf die italienischen Novitäten des Ausstellungs-Theaters hatte ich die Meinung ausgesprochen, es würden für das deutsche Theater die „Pagliacci“ den einzigen reellen Gewinn bedeuten. Schneller, als man gedacht, hat dieses Wort sich erfüllt; fast alle größeren Bühnen Deutschlands geben den „Bajazzound mit günstigem Erfolg. Die kleineren Theater dürften bald nachfolgen, denn mit Mascagni’s Opern theilt der Bajazzo“ den praktischen Vorzug der Kürze und eines kleinen Personals, sowie einer sehr bescheidenen decorativen Ausstattung.

Wie die „Cavalleria rusticana“, so wirkt auch „Der Bajazzo“ durch eine dramatisch packende Handlung. Gleich falls ein comprimirtes Dorftrauerspiel, welchem obendrein eine wirkliche Begebenheit zu Grunde liegt. Der Clown einer Gauklerbande, Tonio, verfolgt seine Prinzipalin, Nedda, mit Liebesanträgen. Von ihr schimpflich zurückgewiesen, rächt sich der heimtückische, rohe Geselle, indem er Nedda’s Gatten, Canio, ihr zärtliches Einverständniß mit dem jungen Bauer Silvio verräth. Canio stürmt wüthend auf Nedda ein, vermag aber den Namen seines Rivalen nicht aus ihr herauszubringen. Er wiederholt diesen Versuch immer heftiger im zweiten Act, während der lustigen Comödie, die er mit seiner Frau vor dem versammelten Dorfpublicum aufführt. Das Spiel wird dem eifersüchtigen Gatten unversehens zum Ernst; er ersticht auf der Bühne seine Frau und gleich darauf ihren zu ihrer

Rettung herbeispringenden Liebhaber. Wie man sieht, ein sehr einfacher, aber keineswegs unergiebiger Stoff. Von jeher hat es dem Publicum ein apartes Vergnügen gewährt, das Theater im Theater, die Schauspieler als Schauspieler vorgestellt zu sehen. Von Shakespeare’s „Hamlet“ ganz ab gesehen, wo die Comödie in eminenter Weise dem drama tischen Zwecke dient, finden moderne Stücke wie „Kean“, Narciß“, in komischer Gattung „Der Vater der Debütantinihren Effect in diesem Doppelspiel. Für die Oper ist die Comödie in der Comödie noch selten verwendet. Sie besitzt also im „Bajazzo“ den großen Vortheil der Neuheit, oben drein verstärkt durch den ungewohnten Reiz, unsere ersten tragischen Heldenspieler uns in der Harlekinsjacke zu zeigen. Das Libretto ist vom Componisten selbst verfaßt und bis auf die unverhältnißmäßige Ausdehnung des ersten Actes geschickt ausgeführt.

Leoncavallo’s Musik verräth ein starkes heißblütiges Talent, einen nachdenklichen Kopf und eine geschickte Hand. Reichthum und Originalität kann man seiner melodischen Erfindung kaum nachrühmen. In jeder von Mascagni’s Opern blitzen einzelne überraschende Funken von Genialität auf, wie sie in den „Pagliacci“ nicht vorkommen. Hingegen sind letztere einheitlicher im Styl als die „Cavalleria“ und machen gegen die „Rantzau“ und „Freund Fritz“ einen be friedigenderen Gesammt-Eindruck. Mascagni scheint mir das originellere Talent zu sein, Leoncavallo der bessere Musiker. Er hat mehr Sinn für die Form, für Abrundung der einzelnen Theile eines Musikstückes und deren harmonisches Verhältniß zu einander. Seine Musik ist weniger zerrissen und sprunghaft. Eine prägnante eigene Physiognomie des Componisten kann ich aus seinen „Pagliacci“ nicht ge winnen; möglich, daß sie in den „Medici“ schärfer, individueller hervortritt. Mir sind die „Medici“ fremd und ich möchte bezüglich Leoncavallo’s nicht vorschnell urtheilen, geschweige denn pro phezeien. Gewiß aber steckt eine ungemein dramatische Energie in ihm. Wenn er sich einerseits vor unfruchtbarer Grübelei, andererseits vor rohem Kraftaufwand hütet, wenn er endlich Wagner’schen Einflüssen nicht in noch größerem Umfange als bisher die Herrschaft über sein Ich einräumt, so können wir noch Erfreuliches, ja Bedeutendes von ihm hoffen. Leoncavallo ist kein Nachahmer Mascagni’s; über haupt sind beide Componisten nicht Nachahmer. Der

Boden, aus dem sie emporwachsen, ist noch immer Verdi, als derjenige Italiener, welcher zuerst mit starkem dramatischen Accent und rücksichtsloser Orchesterwucht revolutionirt hat gegen die weichliche melodiöse Mono tonie Bellini’s und Donizetti’s. Ueber diesem natio nalen Grunde weht jetzt, mehr oder minder heftig, Wagner’sche Luft. Auch Leoncavallo ist von ihr beeinflußt, aber doch mehr von Wagner’schen Aeußerlichkeiten, Orchester- Effecten, Accordfolgen, als von Wagner’s Compositions- Princip. Sein Orchester maßt sich bei aller Ueppigkeit doch nicht als melodieführend die Herrschaft über die Sing stimmen an. Leoncavallo verschmäht die Gedächtnißfolter der Leitmotive im engeren Sinne; er verbannt weder den Chor noch das Duett, noch überhaupt selbstständige Musikformen. Ohne Wagner wäre die blendende Orchester-Begleitung des Vogelliedes und mancher packende dramatische Zug im Bajazzo“ undenkbar; aber Leoncavallo gibt sich seinem Vorbild nicht mit Haut und Haar zu eigen, wie unsere jüngeren deutschen Operncomponisten, welche bisher regel mäßig diese sklavische Nachfolge sehr theuer bezahlt haben. Leoncavallo ist glücklich im Treffen des dramatischen Aus drucks, im Ausmalen der Stimmung. Für diese Malerei verwendet er leider übertrieben grelle Farben, auch wo sie nicht hinpassen. Jede Wette kann man eingehen, daß Zuhörer, welche, nicht eingeweiht in die Handlung, mit dem Rücken gegen die Bühne stehen, den ersten Chor für den Aufschrei eines fanatischen Revolutionspöbels halten werden. Dieser betäubende Posaunen- und Paukendonner, diese Hetz jagd durch alle verminderten Septim-Accorde, dieses Fortissimo der kreischenden Singstimmen — was geht denn da vor? Harmlose Dorfbewohner freuen sich über das Eintreffen der Comödianten. Eine schöne Freude, eine liebe Bevölkerung! Leoncavallo’s lärmende Orchestrirung nöthigt auch den einzelnen Sänger zum Schreien; sie ist — nicht durchwegs, aber zum großen Theil — schuld daran, daß in der Première des Bajazzo“ im Allgemeinen viel zu stark gesungen wurde.

Soll ich meine Leser in das Werk selbst einführen, so stolpere ich gleich über einen Stein des Anstoßes. Das ist der „Prolog“. Für meine Empfindung eine Geschmacklosigkeit ohnegleichen. Der Hanswurst Tonio erzählt uns darin nicht etwa die Handlung des Stückes, sondern belehrt uns zuerst: „nicht Märchen allein seien der Zweck der Kunst“ (!); auch was er wirklich sieht, schildert der Dichter, dann erreicht er der Menschen Gunst“. Dann führt er aus, daß auch in

des Gauklers Brust ein Herz schlägt u. s. w. Ich wüßte nicht, was den Componisten zu diesem Ungethüm von Prolog verleiten konnte, wenn es nicht die Speculation auf einen neuen, pikanten Effect war. Den Eindruck des Stückes er höht er nicht; er schädigt ihn vielmehr, indem er, schnur stracks seinem Zweck entgegen, dem Zuhörer die Illusion raubt. Der Act, viel länger und unbedeutender als der zweite, trachtet uns durch allerlei Lückenbüßer (Glockenchor, Vogellied) über den Mangel an Handlung hinwegzuhelfen. Das Lied Nedda’s gefällt durch die Imitation des Vogelgezwitschers im Orchester; ihr viel zu langes Duett mit Silvio bewegt sich, wie fast alle lyrischen Stellen dieses Aufzuges, in einer allgemeinen, leidenschaftlichen Phraseo logie, welche den Zuhörer in unbestimmter Aufregung er hält, ohne ihn durch die Schönheit neuer Gedanken musi kalisch zu befriedigen. Der kurze Schlußmonolog des ver zweifelnden Canio schlägt rührende Töne an. Für den Aus druck leidenschaftlicher Erregung verwendet der Componist häufig dieselben drastischen Ausdrucksmittel: unvermittelte tiefe Accordfolgen der durch eine Baßclarinette verstärk ten Holzbläser, chromatische Scalen in heftiger Gegen bewegung oder auch (an Verdi erinnernd) in Sextaccor den. — Unvergleichlich gelungener ist der zweite Act. Zwar thut der Chor des ungeduldig harrenden Dorfpubli cums auch hier zu viel des Guten; aber von diesem Tumult heben sich die folgenden Scenen in ihren einheitlich zarten Farben um so lichter ab. Die musikalische Behandlung der ganzen Pantomime ist voll Geist und Grazie. Aller Lärm im Orchester schweigt plötzlich; keine Posaunen, keine Trom peten und Pauken; Alles fein, maßvoll, wohlklingend. Die Musik bewegt sich in einem ungezwungen zierlichen Rococo-Charakter, im Tone stellenweise an Delibes oder Massenet erinnernd. Zuerst ein Menuettsatz von anmuthiger Gravität; dann ein verliebtes Tenorständchen über pizzi kirten Accorden, durch welche stellenweise einige Flöten- Staccatos huschen; später, als Colombine und Arlecchino sich zu Tische setzen, eine allerliebste, behagliche Gavotte in A-dur. Nun tritt Canio ein, welcher den argwöhnischen betrogenen Ehemann zu spielen hat und im bittersten Ernst all die Qualen eines solchen empfindet. Der Ueber gang aus dem Spiel in die unselige Wirklichkeit hat der Componist mit großem Kunstverstand ausgeführt; allmälig, stockend, mit wiederholtem Zurückgreifen in die heitere Comö dien-Musik. Man fühlt das Gewitter in allen Gliedern, bis

es endlich aus der unerträglichen Schwille hervorbricht. Die blitzschnelle Ermordung Nedda’s trifft uns mit der Gewalt eines Elementar-Ereignisses. Dieser zweite Act, in Text und Musik etwas Neues und Wirksames, gereicht dem Com ponisten zur Ehre. Warum erfreuen wir uns an dieser Pan tomimen-Musik und nennen sie vortrefflich? Weil sie ein fach ohne Trivialität, melodiös und natürlich ist. Könnte nicht, so fragen wir bescheiden, Leoncavallo auch bei anderen Anlässen einfach, melodiös und natürlich schreiben? Im Stücke selbst, nicht blos in der Parodie desselben?

Wie bereitwillig heute das Publicum ist, Gutes anzu erkennen, ja über Verdienst zu schätzen, beweist der außer ordentliche Erfolg dieser Erstlingsoper, welche Leoncavallo plötzlich zum berühmten und wohlhabenden Manne gemacht hat. Sein „Bajazzo“ gehört übrigens zu den allerbesten Vor stellungen des Hofoperntheaters. Sämmtliche Rollen vor züglich besetzt, Chor und Orchester ausgezeichnet, desgleichen die Scenirung, welche im zweiten Acte eine erfahrene, sehr geschickte Hand erfordert. Als Nedda hat Fräulein Paula Mark alle Erwartungen übertroffen. Im ersten Acte sehr lobenswerth, war sie im zweiten entzückend. Erstaunlich, mit welchem Talent sie sich in den Ton der Dorfcomödie eingelebt hat. Ein feiner zierlicher Humor vergoldete die ganze Leistung. Wie schmiegte jeder Ton, jede Bewegung, jeder Tanzschritt sich genau und doch so ungezwungen der begleitenden Musik an! Dazu diese natürliche Grazie und Geschmeidigkeit ihrer Tanzbewegungen; ihr bezeichnendes, zwischen Selbstbezwin gung und wachsender Aufregung kämpfendes Spiel beim Herannahen der Katastrophe! Kurz, eine Leistung, die ihr so bald Niemand nachmachen wird. Ich constatire den glänzenden Erfolg der talentvollen jüngsten Sängerin unseres Operntheaters um so lieber, als ihre Laufbahn nicht mit Rosen bestreut scheint. Bereits vier anonyme Briefe haben mich (und wahrscheinlich auch andere Collegen) gegen Fräu lein Mark aufzuhetzen versucht, deren Erfolg nur ein Werk der Claque und deren Kunst tief unter dem Niveau des Hofoperntheaters stehe. Die Zumuthung, dieses häßliche Gift, das wahrscheinlich unweit des Opernhauses gebraut ist, dem Publicum einzutröpfeln, kann auf unbefangene Kritiker wol nur die Wirkung haben, mit dem Gegengift gerechter An erkennung und Aufmunterung Fräulein Mark’s nicht zu geizen. ... Herr van Dyck schuf aus dem Canio eine lebensvolle, ergreifende Gestalt. Daß er, ein so vorzüglicher Sänger und Schauspieler, sich in beiden Eigenschaften häufig

übernahm, Ton und Geberde maßlos steigerte, ist wol nur der Aufregung dieses ersten Abends zuzuschreiben. In der Rolle des Tonio glänzte Herrn Ritter’s prachtvolle Stimme und gefühlvoller Vortrag. Nur zu viel Stimme und zu viel Gefühl! Vor Allem im Prolog. Der erzählende Cha rakter eines Prologs darf durch das subjectiv erregte Gefühl des Vortragenden nicht gänzlich verwischt werden. Der Bariton darf in dem Prolog nicht so schmerzlich be wegt singen und gesticuliren, als stünde er in den leidenschaftlichsten Scenen des Tell, des Hanns Heiling, des Amonasro auf der Bühne. Ritter’s Aufgebot aller Stimmkraft und aller Leidenschaft verhinderte nicht blos die unentbehrliche Deutlichkeit des Wortes, sondern auch jenen Hauch von Ironie, ohne welchen wir uns diese Bajazzo-Rede nicht denken können. Ueberhaupt fehlt dem beneidenswerthen und künstlerisch geschulten Organ des Herrn Ritter zu seiner vollen Wirkung nur Eins: die Sparsamkeit. Herr Ritter läßt sich, wie mir scheint, zu seinem Nachtheil (in dieser und anderen Rollen) die Stellen entgehen, die sich dem Conversationston nähern. Warum die höhnenden Worte Tonio’s „Ich that, was ich konnte; ich hoffe, daß ich mehr noch dir schaden kann“, in gewal tigstem Fortissimo singen? Und wollte der lauernde Tonio im Hintergrunde die Worte „Oh, die Buhlen gefangen!“ so stark hinausrufen, wie Herr Ritter es thut, dann würden die Liebenden gewiß eiligst fliehen, anstatt noch ein Viertelstündchen ruhig zu kosen. Auch was die schauspielerische Seite der Aufgabe betrifft, sollten sowol Tonio als Canio selbst in ihren Gefühlsmomenten niemals ganz auf ihren Stand, ihr Costüm vergessen. Tonio hat im Prolog ganz recht, daß auch der Comödiant dieselben Em pfindungen habe, wie jeder andere Mensch — aber er wird sie in anderer Form, in anderer Haltung ausdrücken, als der König, der Kriegsheld, der Prophet. Von italienischen Sängern haben wir dieses keineswegs leichte Zusammen stimmen des Affects mit der speciellen Rolle nie erwartet; deutsche Künstler von der Intelligenz eines van Dyck und Ritter werden gewiß dahin gelangen, diesen realistischen Fi guren auch eine realistische Färbung zu geben. ... Die beiden kleineren, aber durchaus wichtigen Rollen des Sil vio und des Beppo wurden von den Herren Neidl und Dippel vortrefflich gesungen und gespielt. Die „Pagliaccihaben somit auch in deutscher Sprache bei uns einen voll ständigen Sieg zu verzeichnen.