Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10521. Wien, Dienstag, den 5. December 1893 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10521. Wien, Dienstag, den 5. December 1893 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 05.12.1893
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Concerte.

Ed. H. Die tastengewaltige Dame aus Chicago, Fanny Bloomfield-Zeisler, ist nun auch in Wien mit glänzendem Erfolge aufgetreten. Im großen Musikvereins saale spielte sie zwei der schwierigsten Clavierconcerte von Chopin und Rubinstein, beide mit souveräner Beherrschung, viel Temperament und einer bis ins kleinste Detail ausge feilten Technik. Es ist erstaunlich, wie weit es heutzutage die Damen in der Clavier-Virtuosität gebracht haben; nichts ist ihnen zu schwer, nichts zu anstrengend. Schon aus rein physischen Gründen erschienen uns die Productionen der schwächlichen kleinen Frau Bloomfield merkwürdig; in dem Finale von Rubinstein’s D-moll-Concert, wo sie in gewal tigsten Accordsprüngen die Claviatur hinauf- und herab stürmt, beinahe unheimlich. Dabei besitzt sie ebenso viel Zartheit in den feinsten Verzierungen wie packende Energie in den Kraftstellen. Virtuosität, selbstbewußte hochgesteigerte Technik ist jedenfalls das Entscheidende, um nicht zu sagen, das Wesentliche in ihrem Spiel. Daß Frau Bloomfield durch tiefes musikalisches Mit empfinden uns gerührt, durch Originalität der Auf fassung uns überrascht hätte, läßt sich nicht behaupten. Mit den meisten modernen Virtuosen theilt sie die Gewohnheit des Uebertreibens aller schnellen Tempi. Rubinstein selbst, dieser rasende Roland der Allegro-Sätze, spielte das Finale seines D-moll-Concertes weniger stürmisch. Dem Naturell der Bloomfield scheint Rubinstein noch näher verwandt, als Chopin. In seinen beiden Concerten entfesselt Chopin nicht den ganzen Zauber seiner Poesie. Er muß allein sein, ohne Orchester, allein am Flügel sinnen, träumen, fabuliren, damit sein Ich unverhüllt sich offenbare. Groß in allen kleinen Formen, bewegt er sich befangen, eingeengt in den großen. In dem F-moll-Concert birgt das zarte, liebeswunde Larghetto am meisten Chopin’sche Poesie. Wie die neuesten Chopin-Forschungen des Engländers Niecks ergeben, ist dies „zweite“ Concert früher geschrieben als das erste in E-moll. Chopin hat das F-moll-Concert bereits im März 1830 in Warschau gespielt. Er schwärmte damals für die Sängerin

Constantia Gladkowska, und „in Gedanken bei diesem holden Wesen“ componirte er das Adagio. Der Vortrag gerade dieses Liebesgedichtes läßt eine wärmere Empfindung zu, als Frau Bloomfield hineingelegt hat. Sehr charakteristisch und packend spielte sie übrigens die Recitativstelle über dem Tremolo der Geigen.

So aufrichtig auch unsere Bewunderung für die Vir tuosität der Bloomfield — größer und reiner war der Genuß, mit dem wir dem Spiele Emil Sauer’s lauschten. Dieser treffliche Künstler hat sich seit seinem letzten Wiener Besuch (December 1891) noch vervollkommt; er ist ruhiger geworden, ohne an hinreißender Wirkung einzubüßen. Von seiner früheren Nervosität hat er gerade so viel beibe halten, als nothwendig ist, um das Fluidum musikalischer Erregung in die Hörer überströmen zu machen. Auch sein Ton scheint mir noch wärmer und weicher geworden, sein Anschlag noch mannigfaltiger nuancirt. Das zeigte sich am deutlichsten in der As-dur-Ballade von Chopin und in Schubert’sAndantino varié (über ein französisches Thema). An imposanter Kraft ließ es Sauer nicht fehlen: wie ein Hagel prasselte Chopin’s A-moll-Etude herab, und prächtige Gewitter entluden sich in dessen F-moll-Phantasie. Aber so barbarisches Toben, wie es Sauer damals in der Tannhäuser-Ouvertüre und in Liszt’s Lucrezia-Phantasie zum Besten gab, haben wir von ihm nicht mehr zu gewärtigen. Auch vermissen wir jetzt mit Befriedigung diese Stücke in seinem Programm. Von Beethoven’s C-dur-Sonate (aus op. 2) schien mir der erste Satz zu schnell und zu flüchtig genommen, Sauer spielt das Thema fast tonlos, tändelnd, wie eine Couperin’sche Galanterie. Nun steht das Stück freilich noch weit ab von der Leidenschaft der „Appassionata“ oder der Pathétique“ — aber es ist doch Beethoven, der spricht. Reizend klang das Scherzo, das Sauer gegen den Schluß mit gutem Effect im Tempo beschleunigte, und unübertrefflich das (nicht überhetzte) Finale. Mit einem „Echo de Vienneeigener Composition, dessen Walzerthema stark an Strauß erinnert, brachte Sauer den Wienern eine Huldigung dar, welche dankbar angenommen und mit endlosem Applaus erwidert wurde. ... Nicht blos der Reim führt uns unmittelbar von Sauer auf Pauer. Beide Vir tuosen concertiren eben gleichzeitig in Wien. Max

Pauer haben wir im vorigen Jahre nach Verdienst gewürdigt und namentlich seinen Vortrag der C-dur-Sonate op. 1, von Brahms als eine großartige Leistung hervor gehoben. Pauer und Sauer, sie stehen Beide auf der Höhe moderner Virtuosität und sind Beide gute Musiker. Sauer ist poetischer, nervöser, subjectiver: Pauer ruhiger, objectiver, weniger erregt und darum auch weniger lebhaft erregend. Etwas von seinem Lehrerberuf scheint auf Pauer’s Spiel abzufärben: ganz wie bei seinem trefflichen Vater, der, gleich ausgezeichnet als Pianist wie als Lehrer, doch auch in seinem Vortrag jenen akademischen Ernst einhielt, welcher im Hörer vor Allem das Gefühl unfehlbarer Sicherheit verbreitet, ohne Feuersgefahr. Nicht nur das große Talent, auch der specielle Charakter dieses Talentes hat sich vom Vater auf den Sohn vererbt, der natürlich die neuesten technischen Errungenschaften den ererbten hinzufügt.

Tactvoll und feinfühlig hat Gericke gehandelt, indem er das zweite „Gesellschaftsconcert“ mit einer Composition von Gade, nämlich der Ossian-Ouvertüre, einleitete. Sehr spät kommt allerdings diese Erinnerung an den im December 1890 verstorbenen dänischen Meister, dessen Werke ehedem zu den unentbehrlichen, beliebtesten Stücken unserer Concert programme gehörten. Eigentlich wäre es Sache der Phil harmoniker gewesen, rechtzeitig dem Antheil Wiens an der allgemeinen Trauer um Gade Ausdruck zu verleihen. Seine erste oder vierte Symphonie hätten eine würdige Erinnerungs feier gegeben. Aber die Pietät gehört nicht zu den starken Seiten der Philharmoniker; sie hatten im Winter 1890/91 zu viel zu thun mit Bruckner, Liszt, Tschaikowsky und im folgenden wieder mit Bruckner, Liszt, Richard Strauß und Pirani. So blieb denn Wien von allen Musikstädten Deutschlands die einzige, welche nicht die geringste Notiz genommen von Gade’s Tod. Die „Nachklänge von Ossianwirken heute nicht mehr mit dem Zauber ihres ersten Er klingens; eine merkwürdige Erscheinung in der musikali schen Romantik jener Vierziger-Jahre bleiben sie immerhin. Mit dieser Ouvertüre ist der dreiundzwanzigjährige Gade gleich als eine fertige Persönlichkeit in die Oeffentlichkeit ge treten. Ursprünglich für das Tischlerhandwerk bestimmt, hatte er in seinen Mußestunden sich zum tüchtigen Violin spieler ausgebildet und ruhte nicht, bis seine Eltern ihm er

laubten, sich ganz der Musik zu widmen. Er nahm sich vor, „etwas Großes zu werden“, und obendrein noch vor dem fünfundzwanzigsten Jahre. Zur steten Erinnerung daran nagelte er ein Placat über sein Bett mit der Aufschrift: „25 Jahre!“ Noch vor diesem Termine hatte er sein Vor haben durchgesetzt und seinen Namen durch die Ossian- Ouvertüre berühmt gemacht. Einen großen Fortschritt bedeu tete gleich seine Erste Symphonie, deren Aufführung 1843 im Leipziger Gewandhause Mendelssohn leitete. Der Brief, mit welchem Mendelssohn den ihm gänzlich unbekannten jungen Componisten beglückwünschte, gehört zu jenen unvergänglich schönen Zeugnissen werkthätigen Wohl wollens, an denen Mendelssohn’s Leben so reich ist. Gade’s Mutter fand ihn, den Brief in der Hand, mit Thränen in den Augen, in großer Bewegung stammelnd: „Da muß Jemand dahinter stecken, der mich zum Besten haben will!“ Erst als man ihn überzeugt hatte, daß der so herzlich anerkennende Brief wirklich von Mendelssohn sei, brach der Jubel los. Gade’s Jugendzeit und ganze künst lerische Entwicklung liegt jetzt in der treuesten Schilderung vor uns: in seinen eigenen Aufzeichnungen und Briefen. Niels Gade.“ Aufzeichnungen und Briefe, herausgegeben von Dagmar Gade. Autorisirte Uebersetzung aus dem Dänischen. (Basel, 1894, bei A. Geering.) Dieses Buch, aus welchem Gade’s warmes, fröhliches Ge müth und edles Kunststreben so unmittelbar wie aus per sönlichem Verkehr uns entgegentritt, wird jeden an dem dänischen Meister und seiner Umgebung Theilnehmenden lebhaft befriedigen. Es sei bei diesem Anlaß an zwei „Lust spiel-Ouvertüren“ (in A- und F-dur) von Gade erinnert, die, in Wien gänzlich unbekannt, eine Aufführung wohl verdienten. Sie verhalten sich zur Ossian- oder zur Hoch lands-Ouvertüre beiläufig wie die B-dur-Symphonie zu der berühmten Ersten: nicht groß oder gewaltig, aber fein und liebenswürdig.

Von den Chornummern, welche auf die Gade’sche Ouvertüre folgten, war die weitaus umfangreichste eine Cantate: „Sylvesterglocken“, für Soli, Chor und Orchester von Hanns Kößler, Professor am Budapester Conser vatorium. Der Componist, rühmlich bekannt durch seinen

preisgekrönten „46. Psalm“, bezeichnet sein neues Chorwerk als „weltliches Requiem“, eine stolze Benennung, an welche der Dichter schwerlich gedacht hat. In Max Kalbeck’s Gedichtsammlung „Aus alter und neuer Zeit“ finden sich zahlreiche lyrische Gedichte, welche sich unvergleichlich besser zur Composition eignen, ja die Musik geradezu heranlocken — fast selbstverständlich bei Kalbeck, dem vorzugsweise musikalischen Poeten und poetischen Musikschriftsteller. Seine „Sylvester glocken“ sind ein wehmüthiger Rückblick und Abschiedsgruß an die begrabenen Freunde und die — begrabenen Hoff nungen. Mehr einen sanften Uebergang als einen con trastirenden Abschnitt bildet diese Wendung des Gedichtes, das durchaus in einheitlicher, mild schmerzlicher Stim mung verharrt. Indem der Componist dieses Gedicht zu einer förmlichen Cantate auszudehnen unternahm, sah er sich zu zwei bedenklichen Auskunftsmitteln gedrängt. Fürs erste mußte er die Dichtung durch selbstständige (vier) Unter abtheilungen und durch ermüdende Satz- und Wortwieder holungen übermäßig in die Breite ziehen. Sodann war er, zur Vermeidung der Monotonie, gezwungen, contrastirende Gegenbilder und starke Culminationspunkte aus dem Gedichte herauszustöbern, welche für eine unbefangene natürliche Be trachtung nicht darin liegen. Der erste, kürzeste Abschnitt ergibt sich am natürlichsten, er ist auch der musikalisch ge lungenste; das von der Harfe imitirte Glockengeläute und die ruhige Führung der Chorstimmen erwecken in uns voll kommen die beabsichtigte Stimmung. Aber schon in dem folgenden Absatze glaubt der Componist, den Worten „Dahin gerafft vom Kampfe des Lebens“ durch stürmische Unruhe der Stimmen und des Orchesters entsprechen zu sollen; er hat uns schon ermüdet, bevor er an der Mitte seines Werkes anlangt. Nachdem er in einem warm empfundenen Sopran- Solo uns einen lyrischen Ruhepunkt vergönnt hat, verstrickt er sich abermals in ein complicirtes Gewebe von Wieder holungen. In der endlosen Rosalienkette („Denn, ach die Wirklichkeit“) glauben wir diese auf ihrem Gipfel an gelangt, während sie später auf den Worten „Geduld und Entsagung“ dem Hörer noch mehr von diesen Tugenden zumuthen. Um stellenweise doch etwas stärkere Farbe in das monotone Düster zu bringen, greift

der Componist zu dem falschen Mittel, einzelne Worte aus ihrem Zusammenhange zu reißen und gleichsam apart zu illu miniren. In dem Satze: „Von Jahr zu Jahr an Enttäu schungen reicher, an Freuden ärmer wird sein Gemüth“ lebt keine Regung von Freudigkeit; trotzdem packt der Com ponist das Wort „Freude“ und läßt es hell und hoch auf jubeln. Der Dichter ergänzt jenen Satz durch die Tröstung: „aber ein Gott verhüllt uns liebreich die künftige Zeit.“ Was thut der Componist? Er stellt das „Aber“ drei- bis viermal ganz isolirt hin; dann folgt nach einer General pause: „ein Gott“; auch dieses „ein Gott“ wird mehr mals selbstständig wiederholt, bevor das dazugehörige Zeit wort „verhüllt“ hinzutritt. Durch solche musikalische Aus malung wird der Sinn gefälscht und die Stimmung zerrissen. Den letzten Abschnitt füllt größtentheils eine Fuge, welche — wie die ganze Composition überhaupt — den erfahrenen Meister des Contrapunktes und des Chorsatzes offenbart. Professor Kößler ist ein gründlich geschulter Kirchen componist von edelster Richtung; ein echter Künstler, dessen Originalität und Erfindungskraft leider nicht auf der Höhe seiner musikalischen Bildung steht. Mehr als eine schöne Partie seiner „Sylvesterglocken“ spricht laut und günstig für das Werk; aber nur mit Hilfe sehr eindringender Kürzun gen wird es auf einen nachhaltigen Erfolg hoffen dürfen. In der Ausführung der mitunter recht schwierigen Chöre hat der „Singverein“ Rühmliches geleistet; aus den Frauenstimmen klang der schöne Sopran des Fräuleins Sophie Chotek herzerquickend heraus.

Unmittelbar nach Kößler’s breit- und schwerflüssigem Requiem machten einige kleinere Vocal-Compositionen einen doppelt freundlichen Eindruck. Hatten die „Sylvesterglockendem Zuhörer zu lange geläutet, so fand er Goldmark’s Chor „Wer sich die Musik erkieset“ zu kurz. Dieser volks thümliche und doch kunstreich gefügte A capella-Satz be handelt ein sechszeiliges Gedicht von Luther (wir können die Autorschaft nicht verbürgen) und entzückt durch seine ruhige Klangschönheit, wie durch den Ausdruck schlichter frommer Einfalt. Zwei bekannte Frauenchöre von Brahms (aus op. 44) begrüßten wir mit Freuden aufs neue. Das Minnelied“ mußte auf stürmisches Verlangen wiederholt

werden; der „Bräutigam“ entging nur mit Mühe diesem Schicksal. Die Chöre wurden reizend gesungen; das Ohr schwelgte in den reinen silberhellen Klängen dieser Frauen stimmen. Gar zu gerne hätte man von ihnen noch ein und das andere Brahms’sche Chorlied gehört, die anmuthige Barcarole“ oder die schelmischen „Fragen“. Unser vortreff licher „Singverein“ hat übrigens noch andere Schulden an Brahms abzuzahlen. Von den drei „Fest- und Gedenk sprüchen für achtstimmigen Chor“ (op. 109) und den Drei Motetten für vier- und achtstimmigen Chor“ (op. 110) ist in Wien noch keine Note gehört worden. Es sind sehr ernste und schwierige Stücke, aber Meisterstücke, die schon einige Anstrengung verdienen. Leichter ausführbar, dabei gefälliger und dankbarer sind die sechs Quartette (für Sopran, Alt, Tenor und Baß), op. 112, und die „13 Canons für Frauenstimmen“, op. 113. Die erstgenannten Werke sind bereits vor drei Jahren, die letzteren vor zwei Jahren erschienen. Die Musik freunde Wiens haben wol den Anspruch, alle Novitäten von Brahms kennen zu lernen, und besitzen in dem „Singverein“ die geeignetste Kraft dafür. Wir hoffen demnach — sei es allmälig und zuerst in passender Auswahl — auch den neuesten Vocal-Compositionen des Meisters in den Concerten des „Singvereins“ zu begegnen. Nach den einschmeichelnden Klängen der Brahms’schen Frauenchöre erzielte Schumann’s Doppelchor „Talismane“ mit seinem unruhigen Stimmen geflecht wenig Wirkung. Schumann hat den Goethe’schen Spruch, den hier die breite Behandlung fast erdrückt, in jüngeren Jahren (op. 25) weit ausdrucksvoller als einfaches Lied componirt. In diesem Liede declamirt er ganz richtig: Gottes ist der Orient, Gottes ist der Occident“, während durch den ganzen Chor eine unbegreiflich falsche Declamation herrscht; es wird da hartnäckig das zweite Wort ist“ accentuirt. Nach dem „Singverein“ feierte das Or chester einen Triumph mit dem virtuosen Vortrag von Moszkowski’sF-dur-Suite, welche das „Gesellschafts concert“ so gesellig und concertant als möglich abschloß. Das sehr befriedigte Publicum dankte Herrn Director Ge ricke durch wiederholte Hervorrufe.