Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10594. Wien, Dienstag, den 20. Februar 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10594. Wien, Dienstag, den 20. Februar 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 20.02.1894
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Concerte.

Ed. H. Der Violinspieler Hubay, der bisher als „Eugen Hubay“ hier und anderwärts verdiente Ehren ge sammelt, ist uns diesmal als „Jenö Hubay“ zurückgekehrt. Außer diesem neuen romantischen Vornamen wüßte ich kaum eine Veränderung an dem Künstler hervorzuheben, der als tüchtiger Musiker, brillanter Virtuose und obendrein als erfolgreicher Lehrer (am Brüsseler Conservatorium) sich längst einen Namen gemacht hat. Der neue magyarische Einschlag in seine bisherige international-französische Bildung besteht lediglich in einigen ungarischen Aufschriften über seinen jüngsten Concertstücken. Seine eminente Technik bewährte Hubay insbesondere in den „Variations sérieuses“ (et parfois ennuyeuses) von Corelli; da glänzte er im poly phonen Spiel, in Flageolet- und Pizzicato-Kunststücken. Als ernster Musiker von gediegenem Geschmack zeigte sich Herr Hubay in dem Vortrag der D-moll-Sonate (op. 108) von Brahms. Den ersten Satz können wir uns seelenvoller, leuchtender denken, die Melodie, das An dante hingegen quoll breit und schön aus der G-Saite. Hubay’s Partner war Ignaz Brüll, den wir, ohne Jemandem Unrecht zu thun, als den vollkommensten Brahms- Spieler unter unseren Pianisten ehren. Er bewies dies auch durch den unvergleichlichen Vortrag von vier der neuesten „Clavierstücke“ dieses Meisters (op. 118 und 119). Sie schließen sich, in Form und Charakter eng verwandt, an ihre unmittelbaren Vorläufer, die „Phantasien und Inter mezzi“, op. 116 und 117. Mit beiden hat uns Brüll zuerst bekannt gemacht; sein Beispiel beginnt jetzt schon verführerisch zu wirken. Die neuen Clavierstücke imponiren ebenso sehr durch ihren energischen Ausdruck, wie durch ihre geistvolle Technik. Es ist durchaus männliche, ernste Musik, auch herbe und düstere; eine Musik, die nicht auf den ersten Blick gewinnt, aber bei näherer Bekanntschaft um so nach haltiger fesselt. Die wild hinstürmende „Rhapsodie“ mit ihrem fünftactigen Rhythmus und leicht magyarischen An flug, die ebenso leidenschaftlich erregte „Ballade“ in G-moll, endlich die F-dur-„Romanze“ mit ihrem Wiegen lied-Mittelsatz sind echtester Brahms. Man könnte diese beiden Hefte „Monologe am Clavier“ überschreiben; Monologe,

wie sie Brahms in einsamer Abendstunde mit sich und für sich hält, in trotzig-pessimistischer Auflehnung, in grüblerischem Nachsinnen, in romantischen Reminiscenzen, mitunter auch in träumerischer Wehmuth. Es steckt viel Eisengehalt in den Stücken, und dieser Eisengehalt wird sie lange conserviren. Wie eigenartig berührte uns unmittelbar nach diesen Brahmsschen Charakterstücken ein Adagio von Spohr, ein edler, gefühlsschwelgender Gesang, dessen süßer Duft uns einst ent zückt hat, so lange die Blume frisch war. Jetzt kommt er uns matt und verbraucht vor. Die neuen Brahms-Stücke sprechen nicht so unmittelbar zum Gemüth, nicht so schmei chelnd zum Ohr; dafür haben sie kein so frühes Abwelken zu fürchten. Hoffentlich wird uns Brüll die übrigen Num mern aus op. 118 und 119 nicht lange vorenthalten.

Der große Erfolg, den die Sängerin Fräulein Adelina Herms im vorigen Jahre hier erzielte, ist ihr auch dies mal treu geblieben. Von mäßiger Klangschönheit und Fülle, ist ihr Organ doch so vortrefflich geschult, von Intelligenz und Empfindung so schön durchdrungen, daß es bedeutende Wirkungen erreicht. In Fräulein Herms’ erstem Concert interessirten zumeist vier neue Lieder von Anton Rückauf. Sie gehören zu dem Allerbesten, was die jüngste Zeit auf diesem Gebiet hervorgebracht hat. Echtes Zigeunerblut durch glüht den leidenschaftlichen Gesang „Ich schlage dich, mein Tamburin“, zarteste Empfindung webt in den „Grüßen“, warmes Behagen in dem „Traulichen Heim“. Die Lieder fanden stürmischen Beifall. So schön Fräulein Herms sie auch vortrug, sie kann sich doch nur ein wohlgewogenes Drittheil des Erfolges zuschreiben — das zweite Drittheil gehörte der Composition, das dritte der wundervollen Clavier begleitung des Herrn Rückauf. Das „Tamburin“ und die „Grüßehätte man, schon um dieses Accompagnements willen, sich gern wiederholen lassen. Eine neue Erscheinung brachte uns dieses Concert in der Pianistin Dagmar Walle-Hansen. Die junge, kräftige Norwegerin gebietet über eine gewaltige Technik. Ihr kostbarster Schatz ist ihr Anschlag: markig, klangvoll, selbst im Fortissimo nicht verletzend. Weniger befriedigte ihr Vortrag; es fehlt ihm das plastische Gestalten, die klare und ausdrucksvolle Phrasirung. Wer Schumann’s E-dur-Novellette Nr. 7 nicht sehr genau kennt, dem dürfte sie aus Fräulein Hansen’s Vortrag schwerlich klar geworden sein. Das stürzte in Einer aufgeregten Hast unterschiedlos, ohne rhytmische Gliederung dahin; auch der zarte Mittelsatz

entbehrte der Ruhe und Innigkeit. Bravourstücke im engeren Sinne, wie die Liszt’sche Polonaise, scheinen vorläufig das geeignetste Feld für die kühne Virtuosin, welche im Kampf mit technischen Schwierigkeiten sich offenbar am wohlsten fühlt.

Ein schönes, lustiges Concert spendeten die Philhar moniker zum Besten ihres Pensionsvereines „Nicolai“. Sie feierten eine Art Nachfasching mit Berlioz’ blendend colo rirter „Aufforderung zum Tanze“, mit Grieg’s liebenswür diger „Peer Gynt-Suite“ und der lebensprühenden D-moll- Rhapsodie von Liszt. Durchaus Prachtleistungen unseres Philharmonie-Orchesters, dieses großen Virtuosen. Das Publicum jubelte, entzückt von dem Glanze der Aufführung und der Compositionen. Es hat uns wirklich wohlgethan, doch einmal nicht blos „tiefsinnige“ Musik hören zu müssen, nicht in düsteren, steinigen Klüften von lauter Hamlets und Manfreds, Ibsen und Schopenhauer herumgeführt zu wer den. Nein, dies Einemal durften wir in Sonnenschein und Frühlingsluft uns tummeln ohne Grübelei und pessimistische Philosophie! In unserer modernen Musik ist ja unbefan gener Frohsinn ausgestorben, frische Natürlichkeit verpönt, reizvolle Melodie ein Verbrechen. „Freuen wir uns heute der kurzen Lustbarkeit,“ flüsterte mein vergnügt applaudirender Nachbar mir zu, „eine gewisse zehnte oder elfte Symphonie steht schon vor der Thür.“ Das Programm enthielt übrigens auch eine neue ernste Composition; glücklicherweise keine gar zu „tiefsinnige“: das zweite Clavierconcert von d’Albert. In der Form lehnt es sich an Liszt’s Symphonische Dich tungen; vier in einander überleitende Abtheilungen bilden dieses „Concert in Einem Satz“. Der Anfang ist sehr romantisch und vielversprechend: ein in leeren Quinten mächtig aufstürmendes Thema, ein Gruß an den „Fliegenden Holländer“. Dieses sowie das zweite Thema des Allegro bilden zugleich — verschieden rhythmisirt, har monisirt, umgekehrt und verändert — das moti vische Kapital für die drei folgenden Abtheilungen des Concerts. So geistreich und kunstvoll d’Albert diese Methode angewendet und mit subtilem Scharfsinne durchgeführt hat, sie bleibt immer bedenklich. Sie schnürt das freie Schaffen des Componisten ein und schafft zum großen Theile doch nur „Augenmusik“, das heißt Motiv verkleidungen und -Verwandlungen, die nur das Auge des Partiturlesers, nicht aber das unvorbereitete Ohr des Zu hörers erkennt. Die Erfindung fließt in dem Concerte weder

leicht noch reichlich; doch ist ihm vieles Gute nachzurühmen: vor Allem der Respect für Form und Logik, dann die einheitlich noble Haltung, welche grelle Contraste, barocke Orchester-Effecte verschmäht, schließlich die saubere, höchst sorgfältige Ausführung des Details. Daß es einen präch tigen Turnierplatz bietet für höchstgesteigerte Claviertechnik, versteht sich von selbst. Schade, daß der Componist sich in der Wirkung der enorm anstrengenden Octaven-Passagen, welche „die Krönung des Gebäudes“ bilden sollen, verrechnet hat. Das Clavier wird von dem Fortissimo des vollen Orchesters unbarmherzig verschlungen; da ist „der Liebe Müh’ umsonst.“ d’Albert ist gut daran: er kann seine schwierigsten Stücke nach Belieben entweder selbst spielen oder sie von seiner schönen Frau spielen lassen, die an Kraft und Bravour ihm nicht nachsteht. Frau d’Albert, welche wir bereits als Teresa Carreño zu bewundern Gelegenheit gehabt, lieferte in dem Vortrage des ihr angetrauten Clavier concertes ein Probestück verblüffender Virtuosität. Ob ihr Spiel ebenso erwärmend sein könne, wie es blendend ist, läßt sich aus diesem Concerte nicht wohl beurtheilen. Die „innigste Empfindung“, welche der Componist für die ein zige Solo-Gesangstelle (zu Anfang des Adagios) vorschreibt, habe ich aus dem Vortrage der Carreño nicht herausgefühlt.

Ein zweites neues Werk von d’Albert, eine Clavier sonate in Fis-moll, hat uns der Componist selbst im Bösen dorfer-Saale vorgeführt. Sie hat mir weniger gefallen, als sein E-dur-Concert, ja, offen gestanden, einen recht uner quicklichen Eindruck hinterlassen. Das Beste darin, ganz wie in dem Concert, ist der Anfang; nach den ersten sechzehn bis zwanzig Tacten nimmt das Interesse ab. Mit imposanter Kraft setzt das scharf rhythmisirte geistreiche Hauptmotiv ein, Erwartungen erregend, die nicht erfüllt werden. Daß dieses glücklich erfundene Thema stark an den Anfang von BrahmsFis-moll-Sonate erinnert, wollen wir d’Albert nicht allzu schwer nachtragen; hat doch Brahms selbst das Hauptthema seiner ersten Sonate in C-dur nicht ohne Ein wirkung von Beethoven’s Sonate op. 106 gefunden. Den zweiten Satz bei d’Albert bilden freie Variationen über ein ziemlich farbloses Andante in D-dur. Wir folgen mit Interesse der feingefügten ersten Variation in Sechzehnteln; unsere Theilnahme ermüdet im weiteren Verlaufe. Sehr viel Kunst, aber langweilige Kunst. Die Nachahmung des späteren Beethoven, unverkennbar in diesen Variationen, äußert sich noch entschiedener in der Wahl der Fugenform für den

letzten Satz. Das Studium der Finale in Beethoven’s Sonaten op. 105 und 110 scheint d’Albert verführt zu haben. Ein orgelmäßig gedachtes grandioses Präludium führt zu einem fünftactigen Fugenthema, das in winselnder Chromatik und uneinpräglichen Intervallen herumstolpert. Seine mit allen Kunststücken des Fugenbaues geschmückte, unersättlich lange, vielstimmige und vollgriffige Durch führung wird für das Publicum schließlich zum Chaos. Wir bewundern und bedauern die erdrückende Kunst und Gelehrsamkeit, welche d’Albert an die Composition ge wendet, und den beispiellosen Kraftverbrauch, welchen die Ausführung gekostet hat. Kein Ohr in der ganzen Welt ver mag solches Stimmenwirssal genießend aufzunehmen, und auch das Auge des Fachmannes dürfte darin eher ein meisterhaft erledigtes Pensum erkennen, als ein Product schöpferischer Phantasie. Von den bisher erschienenen Werken d’Albert’s hat sein erstes, die Clavier-Suite, als das an spruchsloseste und natürlichste uns am meisten erfreut. Später folgt er sehr merklich dem letzten Beethoven und Brahms. Zwei nicht üble Muster, gewiß. Aber die Indi vidualität d’Albert’s leidet unter dieser Botmäßigkeit; er hat es rasch zu erstaunlicher Kunstbeherrschung, aber noch nicht zu einer eigenen Physiognomie gebracht. Den Ruhm d’Albert’s, des Clavierspielers, noch erhöhen zu wollen, fällt wol heute keinem Kritiker mehr ein. Er ist, seitdem wir Bülow verloren und Rubinstein nicht mehr öffentlich spielt, unbestritten der Erste, der Größte von Allen. Wer auch nur die Bach’sche Orgelfuge in D von ihm gehört hat, mit welcher d’Albert sein Concert eröffnete, wird vergeblich nach entsprechenden Ausdrücken der Bewunderung suchen für diesen großen Musiker und unvergleichlichen Virtuosen.

Die beiden Productionen des Conservatoriums der „Gesellschaft der Musikfreunde“ (Orchesterconcert und Opern vorstellung) machten allgemein den erfreulichen Eindruck, daß das Conservatorium sich aus seiner früheren Lethargie unter der Leitung des Directors J. N. Fuchs zu neuem kräftigen Leben erhebt. Sowol die Programme, welche mit dem stereotypen bequemen Einerlei gebrochen haben, als auch die Leistungen der Zöglinge gaben Zeugniß für die sorgfältige, zielbewußte Leitung des Instituts. Das jugendliche Orchester, die Streicher namentlich, ist vortrefflich geworden. Unter den Clavierspielern erregte der talentvolle junge Moriz Violin das lebhafteste Interesse durch seinen Vortrag zweier Sätze aus Brahms erstem Concert. Die Opern-Production

brachte — gewiß eine Neuigkeit für die meisten Zuhörer — den ersten Act von Beethoven’s Oper „Fidelio“ (Leonore) in ihrer ursprünglichen, für das Theater an der Wien (1805) geschriebenen Form. Dieser erste Act, welcher mit dem Terzett „Gut, Söhnchen, gut“, also vor dem Erscheinen Pizarro’s schließt, enthält sehr viel jetzt beseitigten Dialog und ein etwas zopfig bürgerliches Terzett: „Ein Mann ist bald genommen.“ Letzteres ist in der gegen wärtigen Form des „Fidelio“ gestrichen, desgleichen ein Duett ähnlichen Charakters (Nr. 10) zwischen Leonore und Marcelline: „Um in der Ehe froh zu leben.“ Rocco’s Arie: „Hat man nicht auch Geld daneben“, ist somit von den drei gesungenen Ehestandsabhandlungen die einzige, welche in unserem „Fidelio“ ihren Platz behauptet hat. Welch ent scheidenden großen Gewinn die spätere Bearbeitung von 1814 bedeutet, wird Jedermann klar geworden sein. Es folgte der zweite Act aus der „Weißen Frau“ (mit Aus schluß der Licitations-Scene), der allzu monotone dritte Act aus Gluck’s „Orpheus“ und die Kerkerscene aus Gounod’s Faust“. Von den jungen Opernkräften des Conservatoriums ist in erster Linie Fräulein Mary Lederer (Leonore) zu nennen; dann die Altistin Fräulein Schönberger, der Bassist Dirnhofer und der Tenor Donauer — ein Quartett, das wahrscheinlich bald und nicht ungern durch verschiedene Engagements-Anträge getrennt werden dürfte. Die Opern-Production fand zum erstenmale, sehr zu ihrem Vortheil, im Großen Musikvereinssaale statt; Hof-Capell meister J. N. Fuchs dirigirte das Orchester, Ober-Regisseur Stoll führte die Regie.

Die Herren Ondriček, Popper und Door, drei vortreffliche und hochbeliebte Künstler, haben sich zur Ab haltung von drei Trio-Soiréen vereinigt. Ihr so an erkennenswerthes Unternehmen litt leider unter der gegen wärtigen maßlosen Concurrenz von Concerten, die uns Alle — Künstler, Publicum und Kritiker — schier erdrückt. Außerordentlich gerühmt wurde die Aufführung von BrahmsA-dur-Quartett in der zweiten Soirée, der ich leider nicht beiwohnen konnte. Umsomehr erfreute mich am dritten Abende das selten gehörte F-moll-Trio von Dvořak, dessen reizender, origineller zweiter Satz vollauf entschädigt für etliche Strecken eigensinniger Monotonie in den anderen Sätzen. Door spielte etwas nüchtern, aber klar und maß voll; Popper ist längst anerkannter Quartettkönig von Budapest; Ondriček, noch neu in diesem strengeren

Musikbezirk, hat unsere Erwartungen jedenfalls übertroffen. Er ist der feurigere, Popper der ruhigere Partner; Beide sind aber Eins in dem blendenden Klangzauber, mit dem sie jedes Motiv, jede melodische Feinheit gleichsam elektrisch beleuchten.

Gleichzeitig mit dieser Trio-Production gab in einem andern Saal der Sänger Anton Sistermans ein Concert, auf das ich eben wegen dieses Zusammen treffens verzichten mußte. Ich folge im Nachstehenden dem Berichte eines geistreichen Musikfreundes, dessen Urtheil vollkommen zu dem Eindrucke stimmt, den mir Herr Sistermans in Händel’s „Messias“ gemacht hat. Herr Sistermans ist eine durchaus harmonische Persön lichkeit. Alles, was er singt, schwebt in einer gleichmäßig gefestigten Stimmung, die auf glückliche und genaue Ver bindung starker innerer Kräfte deutet. Seine Stimme ist ein warmer Bariton, der hauptsächlich in der Mittellage leuchtenden Goldton hat. In der Tiefe brüten graue Schatten, und auch die Höhe besitzt nur eine erzwungene Höhe. Aber diese Stimme ist tadellos geschult, von jener Schulung, die Herz, Kopf und Ohr zugleich in Bewegung setzt. SistermannsGesangsweise erinnert an Julius Stockhausen und Helene Magnus. Wie Jenen gelingt ihm das Sinnige, Einfache, das, was Heine ein „Ausseufzen des Gemüthes“ nennt, am besten. Unbewußt knüpft er am Volksgesang an und singt volksmäßig mit seiner großen Kunst. So trägt er in das Kunstlied einen naiven Volkston hinein und mit ihm einen reinen Duft, der von gesunder Erde kommt. Ein Meister der Declamation und des Wortes, spricht und accentuirt er deutlich auch im schnellsten Tempo. Im ruhigen Gesang ge winnt er durch edle Tonbildung und die Kunst, die Stimme zu einem schönen Forte anzuschwellen, ohne zu schreien. Dabei betreibt er eine weise Sparsamkeit des Athems, die vorsichtig mit den Zinsen arbeitet, ohne das Kapital anzugreifen. So treibt der Athem unmerklich das Räderwerk einer Kunst, die ihren besten Halt in schöner Männlichkeit und edlem Maß besitzt. Er sang außer Liedern von Mendelssohn, Brahms und Schubert, worunter die düstere „Gruppe aus dem Tartarusund die „Litaney“ (unserem Gefühle nach mehr für eine Frauenstimme geeignet), die ganze „Dichterliebe“ von Schumann. Sechzehn Lieder, die theils in Thränen gebadet sind, theils von Vögelein, Wängelein, Aengelein u. s. w. erzählen, in einer Reihe am Schlusse eines Concerts zu singen, ist ein Mißgriff. Allmälig wird diese gesunge Perlenschnur drückend wie eine eiserne Kette.