Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10629. Wien, Mittwoch, den 28. März 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10629. Wien, Mittwoch, den 28. März 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.03.1894
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Denkmäler der Tonkunst in Oesterreich.“

Ed. H. Unter diesem Titel, gewissermaßen als eine Fortsetzung der österreichischen „Kaiser-Compositionen“, er scheint ein groß angelegtes, musikalisch wie patriotisch hoch bedeutendes Werk, auf welches wir die Aufmerksamkeit unserer Leser lenken möchten. In zwei prachtvoll ausge statteten Halbbänden liegt der vielversprechende Anfang dieses neuen, mit Unterstützung des kaiserlichen Unterrichts ministeriums begründeten Unternehmens vor uns. Die Denkmäler der Tonkunst in Oesterreichverfolgen den Zweck, hervorragende, aus dem Handel ver schwundene oder nie gedruckte Compositionen österreichischer Tondichter allmälig zu veröffentlichen. Es ist ein Ruhmes titel unserer musikalisch weniger schöpferischen Epoche, daß sie die Werke älterer bedeutender Componisten der Kunst und der Kunstwissenschaft von neuem erobert. Wir besitzen in stattlichen Gesammt-Ausgaben die Werke von Se bastian Bach, Händel, Heinrich Schütz; nicht lange wer den wir auf Gluck und Haydn zu warten haben. Es galt nun, eine Schichte tiefer zu graben und weniger bekannte, hervorragende Meister des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, zwar nicht mit ihren sämmtlichen Werken, aber in gediegener Auswahl ans Licht zu ziehen. Im Auftrag der preußischen Regierung ist kürzlich die Herausgabe von Denkmälern deutscher Ton kunst begonnen und der Leipziger Firma Breitkopf & Härtel in Verlag gegeben worden. Von diesem Vorgang ange spornt, haben sich einige hiesige Musikgelehrte, Kenner und Künstler zusammengethan, um Aehnliches für die Werke älterer Componisten zu schaffen, welche entweder in Oester reich geboren oder vorzugsweise hier thätig gewesen sind. Leiter des ganzen Unternehmens ist Professor Guido Adler, der auch die erste Anregung dazu gegeben und sich bereits durch die Herausgabe der „Kaiser-Compositionen

als Musikforscher und Geschichtschreiber mit Auszeichnung be währt hat. Außer Professor Adler bilden die leitende Commission der „Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Ton kunst in Oesterreich“ Johannes Brahms, August Artaria, Hanns Richter, Hofrath v. Hartel, Dr. Albert v. Hermann, Baron Weckbecker, Professor Mühlbacher und der Schreiber dieser Zeilen. Die Commission erfreut sich der werthvollen Mitwirkung der Herren: Hofcapellmeister J. N. Fuchs, Johann Ev. Habert, Oswald Koller, Joseph Labor, Eusebius Mandyczewski und Dr. Heinrich Rietsch. Den Verlag der „Denkmäler“ hat die Kunsthandlung Artaria in Wien übernommen, deren Name mit der classischen Blüthezeit unserer Musik innig verknüpft ist. Die wahrhaft fürstlich ausgestatteten Bände stammen aus der Wiener Notenstecherei Eberle & Comp. — eine sehr bemerkens werthe Thatsache, denn seit Decennien war in Wien der Notenstich in Verfall gerathen und sind die meisten in Wien componirten und in Wien verlegten Musikalien — in Leipzig gestochen.

Den Ausgangspunkt und Grundgedanken des ganzen Unternehmens finden wir in der Vorrede klar ausgesprochen. In Oesterreich liegt ein überreicher Schatz ruhmwürdiger Tonwerke der Vergangenheit. Am kaiserlichen Hofe in Wien, in den Capellen zu Prag, Innsbruck, Salzburg, Graz, an den Bischofssitzen, in vielen Klöstern, in adeligen und bürgerlichen Häusern herrschte zu verschiedenen Zeiten ein reges Kunstleben, von welchem kostbare Denkmale Zeugniß geben. Insbesondere die kaiserliche Hofcapelle in Wien, welche neben dem Kirchendienste auch Opern- und Kammer musik zu besorgen hatte, wurde seit Kaiser Maximilian I. ein leuchtender Spiegel der besten abendländischen Kunst. Hier trafen sich Künstler aller Länder, oft die besten ihrer Zeit, um sich Ruhm und Verdienst zu schaffen. In dem unvergänglichen Werth ihrer Werke liegt für uns die Ver pflichtung, sie der Vergessenheit zu entreißen, nicht blos der geschichtlichen Erkenntniß wegen, sondern auch zu lebendiger

Anregung unserer Künstler und Musikfreunde. Die „Denkmäler der Tonkunst“ sollen ein Bild von jeder Kunstepoche schaffen durch Auswahl ihrer hervorragendsten Werke geistlichen und weltlichen Styls. Durch volle vier Jahre wurden unter liberaler Unter stützung des Unterrichtsministeriums Vorarbeiten zu den Denkmälern“, unternommen, bevor der jetzt vorliegende erste Band erscheinen konnte. Es war keine leichte Aufgabe, das Unternehmen in Gang zu bringen. Wie viele Eingaben, wie viele Anfragen im Interesse der Bibliographie mußten gemacht werden! Wie mühsam, zu constatiren, was Alles in Oesterreich sich befindet! Das überraschend günstige Resultat dieser Nachforschungen verdanken wir vornehmlich der Sach kenntniß und dem unermüdlichen Eifer des Professors Guido Adler.

Betrachten wir uns jetzt das Werk selbst. Von den beiden bis jetzt vorliegenden Halbbänden enthält der erste vier Messen von Johann Joseph Fux, dem hochberühmten Hofcapellmeister der Kaiser Leopold I., Joseph I. und Karl VI. Er war in Steiermark geboren und hat sich namentlich als Theoretiker durch seinen „Gradus ad Par nassum“, aus dem alle unsere großen Meister die Compo sition erlernt haben, ein Denkmal gesetzt. Nicht geringeren Ruhm genoß er aber seinerzeit als fruchtbarer Componist kirchlicher und weltlicher Musik. In dieser Eigenschaft ist Fux heute beinahe verschollen. Herr Johann Ev. Habert, eine anerkannte Autorität auf dem Gebiete der Kirchenmusik, spricht in einem Vorworte die begründete Hoffnung aus, daß die Messen von Fux, den man heute in weiten Kreisen nur mehr als Lehrer des Contrapunkts kennt, durch diese Ausgabe vielfach ihre Auferstehung auf den Kirchenchören feiern werden. Daß sie heute noch lebensfähig sind, beweist die wiederholte Aufführung der „Missa canonica“ in den letzten Jahren.

Im zweiten Halbband der „Denkmäler“ gelangt wie der die weltliche Musik zu ihrem Rechte, und zwar mit tanzartigen Instrumentalstücken von Georg Muffat. Dieser Meister stammt von einer englischen, im sechzehnten

Jahrhundert ausgewanderten Familie und ist wahrscheinlich in Deutschland geboren. Er hat jedoch lange in Wien, Salzburg und in Passau gewirkt, wo er 1704 starb. Sein in unseren „Denkmälern“ abgedrucktes „Florilegium pri mum“ (erste Blumenlese) für Streichinstrumente ist compo nirt, als Bach und Händel geboren wurden. Die Redaction dieses Bandes hat Herr Dr. Heinrich Rietsch übernom men, ein junger Musikgelehrter, den wir bald als Docenten an unserer Universität zu begrüßen hoffen. Georg Muffat ist in doppelter Hinsicht von musikhistorischer Bedeutung: er hat einerseits die süddeutsche katholische Orgelkunst zu hoher Blüthe gebracht, andererseits die weltliche Instru mentalmusik wesentlich gefördert auf ihrem Entwicklungs gange, zumal in deutschen Landen. Muffat steht hier zunächst unter dem Einflusse der Franzosen, speciell Lully’s, in zweiter Linie erst der Italiener. Sechs Lehrjahre hatte er in Paris zugebracht, und als er später in Salzburg Muße und Sammlung zum Schaffen fand, trieb es ihn, auf dem Gebiete der Streichmusik seinem Vorbilde Lully nachzueifern. Der größte Theil der später von ihm in Passau veröffent lichten Werke ist schon in Salzburg geschaffen worden. Muffat erzählt uns selbst die Entstehungsgeschichte seiner beiden „Florilegien“. Er war schon in Salzburg als „adju tante di camera“, dann in Passau als Edelknaben-Hofmeister mitten in das Hofleben hineingestellt worden und mußte somit den Bedarf für die fürstlichen Ergötzlichkeiten liefern, also zunächst für das adelige Liebhaber theater und dessen Ballette, dann aber auch für Kammer-, Tafel- und Nachtmusik. Das „Florilegiumenthält in seinen beiden Theilen 112 Stücke, meist Tänze von gedrungener Kürze, die nach Tonarten zu Partien (Fas ciculi, Partite, Parties) zusammengelegt sind. Das Wiener Publicum wird in dem Conservatoriums-Concert vom 2. April Gelegenheit haben, einen Theil des Muffat’schen Florilegium“ zu hören und sich zu überzeugen, daß es sich hier nicht um einen antiquarischen Leckerbissen, sondern um eine zwar alte, aber charakteristische und gefällige Musik handelt. Ein späterer Band der „Denkmäler“ wird auch das

zweite „Florilegium“ von Georg Muffat und dessen Concerte bringen, dann die „Componimenti“ von seinem Sohne, dem kaiserlichen Hoforganisten Theophil Muffat. In Vorbereitung sind ferner Werke von Jacobus Gallus (Hendel), Cal dara, Froberger, Motetten und Hymnen von Fux, endlich die berühmten „Trienter Codices“ aus dem 15. Jahrhundert. Durch den Ankauf dieser höchst werthvollen handschriftlichen Sammlung hat das österreichische Unter richtsministerium der Forschung die Möglichkeit verschafft, über die Musikgeschichte des 15. Jahrhunderts neues Licht zu verbreiten.

Es wäre zu wünschen, daß die kunstgebildeten Kreise nicht blos Oesterreichs, sondern aller großen Culturvölker sich für diese Publication werkthätig interessiren, stand doch die österreichische Tonkunst jederzeit in lebhaftem Verkehr mit allen musikalischen Nationen, und werden die „Denk mäler“ auch Werke von ausländischen Künstlern umfassen, die in Oesterreich gewirkt haben. Schon die „Trienter Codices“ enthalten Compositionen von Deutschen, Italienern, Franzosen, Niederländern, Engländern; speciell mit Spanien hat Oesterreich durch seine Dynastie sehr lebhafte künstlerische Beziehungen unterhalten. Die Fortführung dieses großen Unternehmens wird keine geringe Arbeit und Opferwilligkeit erfordern, die Gesellschaft geht aber frohen Muthes ans Werk, seit Se. Majestät der Kaiser ihr in huldreichsten Worten seine Anerkennung ausgesprochen und sich an die Spitze der Förderer gestellt hat.

Die Ehrenpforte, durch welche wir zu dem größeren Unternehmen der „Denkmäler“ gleichsam durchgedrungen sind, bildeten die „Kaiserwerke“. („Musikalische Werke der Kaiser Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I. Im Auf trage des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht herausgegeben von Professor Guido Adler. Verlag von Artaria in Wien.“) Ueber den ersten Band hat die „Neue Freie Presse“ im Jahre 1892 ausführlich berichtet. Seither ist der zweite Band erschienen, welcher culturhistorisch noch interessanter und für weitere Kreise noch anziehender sich darstellt. Während nämlich der erste Band ausschließlich

Kirchen-Compositionen enthielt, bietet uns der zweite welt liche Stücke, Tänze, Arien aus Opern und Oratorien in deutscher, italienischer und spanischer Sprache. Von den drei Kaisern, deren Compositionen diesen Band füllen, ist natür lich Leopold I. weitaus am reichlichsten vertreten. Er war in der That von erstaunlicher Productivität. Bei dem durchgreifenden Einfluß, den das italienische Element in der Erziehung Leopold’s und in der damaligen Musik selbst behauptete, ist es überraschend, daß der Kaiser auch deutsche Singspiele componirte. Unser Band hält deren zwei: „Die vermeinte Brüder- und Schwester liebe“ und „Der thörichte Schäffer“. Eine Probe aus letzterem mag zeigen, wie es mit der deutschen Sprache bestellt war. Eine Schäferin beklagt das Schicksal der in einen Lorbeerstrauch verwandelten Daphne: Schäfferin: Dafne, wo bist du zu finden? Was verbirgt dich? Was thuet dich verhellen? Daphne: Die Loorber Aeste mich Deinen Augen stellen. Schäfferin: O unglückselige Ist es wohl zu ergrinden? Ein unerhörte Gschicht, Das du zum Stocke wirst, Verlierst der Augen Liecht. etc. Nicht weniger als sechzig Opernarien und Lieder des Kaisers enthält der Band; die meisten verbinden Witz und Anmuth mit vollkommener Beherrschung des dramatischen Ausdrucks. Besonders inter essant und bezeichnend für den Humor des Kaisers sind zwei Arien des ruhmredigen Pyrophrastes, in denen, nach damaligem Hofbrauch, deutsche, französische, italienische und spanische Brocken durcheinander gemengt sind. „Amor care, Petit, petit garçon, Donne moy tanta fortezza De quitarle la cabeza Meinem Feind zu seinem Lohn — Million tausend Coups de baston, Donec dicat au me, au me! Da wird’s heißen Misero me, misero me, Ho perdido el corazon.“ In den

Suiten und Tänzen (Balletti) von Leopold I. herrscht die ruhige Manier seiner Zeit und eine mitunter überraschend geschickte Baßführung. Alle möglichen Tänze sind da vertreten. Von Ferdinand III. erhält der zweite Band nur zwei Werke: ein vierstimmiges „Madrigal“ (mit fein ironischer Behandlung des Textes über die Nichtigkeit des menschlichen Daseins) und drei hübsche Gesangstücke aus dem „Drama Musicum“. Letzteres ist bemerkenswerth schon ob seiner histo rischen Stellung als eines der ersten „musikalischen Dramen“, das (1649) auf deutschem Boden entstand in Nachahmung der neu eingeführten italienischen Oper. Unserm Kunst geschmack näher stehen die Compositionen von Kaiser Joseph I., dessen Arien aus dem Anfang des 18. Jahr hunderts den Einfluß Alessandro Scarlatti’s verrathen. Noch anheimelnder berührt uns die Lauten-Arie von Joseph I., ein reizendes Stück von leicht österreichischem Anflug. Als Anhang folgen Variationen von dem kaiserlichen Hof- Organisten Wolfgang Ebner über ein Thema von Kaiser Ferdinand III. Es ist erstaunlich, wie weit damals (1648) schon die Kunst der Variationen in Süddeutschland gediehen war — 36 Variationen, und jede verschieden und eigengeartet. Den Variationen ist das schöne Titelbild mit dem Thema des Kaisers (von dem berühmten Prager Maler Karl Skreta) vorgedruckt. Um die Redaction dieses sehr reichhaltigen Bandes haben sich außer dem Herausgeber Professor Adler noch die Herren Joseph Labor, Baron Wilhelm Weckbecker und Albert Ritter v. Hermann besonders verdient gemacht durch die geschickte und künstlerisch feine Ausführung des Basso continuo.

So bietet denn auch dieser zweite Band der „Kaiser werke“ neben seinem musikalischen auch ein eminent cultur historisches Interesse. Seltsam, ja beschämend darf man es nennen, daß 200 Jahre verfließen mußten, bis diese Werke veröffentlicht wurden und die Welt einen Einblick gewann in das musikalische Schaffen der habsburg’schen Dynastie. Oesterreich darf stolz sein auf dieses würdige und schöne Denkmal einer sich forterbenden künstlerischen Thätigkeit, welche in der Culturgeschichte einzig dasteht.