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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.
Ed. H. Das süßschmerzliche Gefühl, mit dem man
die Briefe eines eben verstorbenen theuren Freundes durch
liest — ich habe es jetzt wieder in seiner ganzen Gewalt
erfahren. Blatt für Blatt durchlebte ich abermals die zahl
reichen Briefe, die
Jahren mir zugesendet. Von der ersten Einladung zu einem
„ungezwungenen Herrenabend“
Billet aus
vor seinem Ende mir für das
„
ausführlicher Brief folgt noch“. Dieser ausführliche Brief
ist nicht mehr geschrieben worden — der erste und einzige
Fall, wo der Freund mir nicht Wort gehalten hat.
imponirende Erscheinung. Er schrieb nach aufreibendem
Tagwerk seine Briefe meistens gegen Mitternacht oder noch
später; da fühlte er noch das Bedürfniß, sich zwanglos aus
zusprechen über die Bücher, die Musik, die Ereignisse, die
ihn eben beschäftigten, über Alles, was seinen Geist, sein
Gemüth bewegte. Darin mahnte er fast an die entschwundene
Literatur-Periode der umfangreichen intimen Briefe, die heute
in der rasenden Bewegungsschnelligkeit des modernen Lebens
den lakonischen Correspondenz-Billetten und Postkarten Platz
gemacht haben. Ich erfülle einen Wunsch der Herausgeber
dieses Blattes, indem ich unseren Lesern Einiges aus
roth
schwer gefallen; fand ich doch fast in jedem Briefe etwas
Schönes oder Charakteristisches, das wegzulegen mir leid
that. Meinem befangenen Gefühle durfte ich nicht allzusehr
trauen, und diejenigen Briefe, die mich am allermeisten
gefreut, mußten zu allererst beseitigt werden.
ließ in seiner grenzenlosen Liebenswürdigkeit kaum ein
Feuilleton von mir vorübergehen, ohne mir einige herzlich
zustimmende Worte darüber zu schreiben. Sie haben in
selbstquälerischen Momenten, wie sie ja mit den Jahren zu
nehmen, mich jedesmal erquickt und aufgemuntert. „Un bon
approbateur“ ist nach dem
viel werth, wie un bon correcteur. Auch andere intime
Mittheilungen, schöne Zeugnisse seiner unbedingten Wahrheits
liebe und Aufrichtigkeit können hier nicht Platz finden. So
bleiben denn in erster Linie
kalische und literarische Werke als Aeußerungen von all
gemeinem Interesse stehen. Doch glaubte ich mich nicht darauf
beschränken zu sollen;
sönlichkeit, Alles, was seinen Charakter und sein Gemüths
leben hell beleuchtet, schien mir ebenso wichtig und anziehend.
Ich dachte dabei zumeist an die Wiener, an die Menschen, die
ihn persönlich gekannt und verehrt haben, denen jede Erin
nerung an
„Man wird mich mit viel Liebe begraben,“
schrieb er mir in einem seiner letzten Briefe. Das ist ein
getroffen, und in viel, viel höherem Maße, als er selbst
ahnen konnte.
Die nachstehenden Brief-Fragmente mögen mit einigen
musikalischen Herzensergießungen
Leser wird sich von zeitweilig aufflammender Ueberschwäng
lichkeit im Ausdrucke der Bewunderung oder Abneigung
nicht beirren lassen;
des ersten Eindrucks, unbekümmert um stylistische Abrun
dung und genauestes Abwägen der Worte. Trotzdem be
zeugen diese vertraulichen Improvisationen ebenso sehr
roth
dringende musikalische Bildung.
12. October
Je öfter du die neuen Lieder von
brünett von 16 bis 26 Jahren. Für die schönsten halte ich
Nr.
schönste resignirte Trauer in Poesie und Musik. Das Mäd
chen wol 26 Jahre alt. Strophenlied im Volkston, es muß
„gesungen“ nicht „vorgetragen“ werden. Meine beiden
Mädel sangen es prächtig, wenn wir Abends beim Spazier
gange vom
des con moto lieber commodo oder andante setzen. Der
Auftakt muß, breit und schön klingend, wie eine süße Erin
nerung an schöne Stunden herauskommen. Das Lied muß
ganz durch sich selbst, nicht durch die Sängerin wirken; es
gehört volle Naivetät dazu, ich möchte es nicht im Concert
saal hören.
nur als Naturnothwendigkeit, nur halb bewußt empfindend.
Von bezaubernder Wirkung ist, wie der vierte Vers das
Zwischenspiel nicht mehr abwarten kann, sondern in das
selbe voll Zuversicht hineinjubelt. Auch dies Lied (mit Aus
schluß des freilich wichtigen dritten Verses) singt meine
in vollster kindlicher Naivetät sehr nett in den Bergen bei
hellem Sonnenschein. Man vergißt diese Lieder nicht, wenn
man sie einmal gefaßt hat.
Mädchen, toll, übermüthig; sehr rasch, sehr leicht, mit
natürlicher Grazie und sprudelndem Uebermuthe heraus
zujubeln! Die Sängerin darf keine Empfindung davon
haben, wie schwer das Lied, zumal im zweiten Theile, ist;
daher besser, erst ohne Begleitung zu singen, dann auswendig.
muß mit Wollust gesungen werden, der Csardas immer
toller und toller. Wenn das Mädchen nach diesem Lied
ihren Jaro trifft, umarmt sie ihn, daß ihm alle Rippen
krachen! Ich habe das Lied anfangs ernst und tragisch ge
nommen, doch ist es nicht so gemeint, sondern der Ausdruck
glühendster Sinnlichkeit, die nach „Genüge“ (wie es in einem
anderen Liede von
Op.
kräften eines Mittelbegabten angemessen.
nacht
phantastisch reizend,
Diese Lieder müssen mit schön hinströmenden Stimmen
nicht nur gesungen, sondern „vorgetragen“ werden. Ebenso
solche) den meisten weiblichen Wesen den Kopf verdrehen
kann, wenn er es versteht und sich das Lied auswendig
begleiten kann (solche gibt es nicht). Was ich von
sagen soll, weiß ich kaum. Wenn Jemand wissen will, was
man musikalisch süß ohne Süßlichkeit, empfindungsvoll ohne
Sentimentalität nennt, so muß er dies Lied hören. Nimm
dies heraus. Sinnige Empfindung ohne bewußte Sinnlichkeit,
Verklärung der ersten Liebesschwärmerei; willst du dich
berauschen, so spiele dir das Lied einigemale vor dem
Schlafengehen, es wird dich im süßesten Traume begleiten
und dir die glücklichsten Stunden deiner Jugend zurück
rufen.
December
Auf
„
was er erfunden hat. Vor Allem der Text. So menschlich
und so göttlich zugleich und doch confessionslos. Im Concert
saal kann es kaum eine große Wirkung haben, zumal nach
einer komischen Opern-Ouvertüre. Kindliche Fragen und
Greisenweisheit und Manneszweifel, Alles ist darin. Denke
dir das im Lateran von schönen Knaben- und Männer
stimmen gesungen. Du sahst von oben herab auf
die
suchst den Weg vom Hügel herab nach
Laterankirche erklingt Musik; du trittst ein. Halbdunkel
erfüllt den Raum, einige Kerzen am Altar. „Warum?“ erklingt
es; der ganze Raum, der hier die Welt bedeutet, erklingt.
„
strina
sinnliche Geistesschöne in der Musik, dann ist sie hier zur Offen
barung gekommen. Wir sahen in
Motette hörst. Oder denke dich ganz allein in der
ganz Eins in Gedanken mit
Sybillen, ganz Mensch, Gott, Welt, Alles in Eins. — Wäre
ich der
verdeckten Chor vorsingen, neidisch auf jeden Ton, der durch
die Kirchenthür zu den Profanen dringt. Ach, und das soll
nun den vierunddreißig Karyatiden im dumpfen Musik
saal erklingen, die fast ebensowenig dabei empfinden werden,
wie das hochgeehrte Publicum und Adel.
Ihr, die ihr euch immer im Gebiete des Schönen
bewegt, könnt nicht so empfinden, wie es Jemand zu Muthe
ist, der den ganzen Tag vom Jammer der Menschheit an
gepackt ist — und sich, wenn auch oft spät in der Nacht,
auch nur kurze Zeit täglich auf diesem Gebiete behaglich zu
strecken und recken beginnt. Da wird man wieder lebens
froh im Gebiete der Ideale und des Schönen, wenn man
zuvor lebenssatt und gedankenmüde durch die unerbittliche
Realität des Lebens geworden war.
5. März Aus dem Papierkorbe eines Wiener Arztes.
Nachdem ich mich eifrig mit dem dramatisch und musi
kalisch einfach aufgebauten Werke beschäftigt hatte, war ich
erstaunt, daß die Wirkung auf mich so vollkommen ausblieb;
sowol die unmittelbare, als die durch Reflexion in der Phan
tasie voraus empfundene. Stellen, die mir überaus schön
erschienen waren, gingen ohne alle Wirkung an mir vorüber.
Die
und spielten mit Begeisterung, zum größten Theile unüber
trefflich; das zu beobachten, ist ja schon an sich eine große
Freude; dennoch war ich nicht nur selbst bald ermüdet,
sondern sah schon im zweiten Act um mich her vorwiegend
abgespannte, halb schlafende Gesichter.
Von der Schlußscene des dritten Actes erwartete ich
eine zauberisch-poetische Wirkung; ich habe den „
nie im Concert gehört, doch kann ich es jetzt wohl verstehen,
wenn man da und dort erzählt, er wirke intensiver im
Concertsaale als im Theater. Es scheint mir, daß hier ein
Effect durch den anderen umgebracht wird; eine rothe Gluth
im Hintergrunde, vorne roth beleuchtete Wasserdämpfe
würden die „vabernde“ Wirkung der Musik weniger stören;
man wird bei diesem vielen offenen Feuer auf der Bühne
den Gedanken doch nicht los, daß etwas anbrennen könnte;
es fehlt diesem Feuer der Zauber; der soll in der Musik
liegen, und liegt auch in ihr für Jeden, der sich halb träu
mend diesem Hin- und Herwogen und Flattern des Klanges
hingeben will und kann; die hellen Glockentöne haben mich
dabei gestört; sie müßten so leise hineinwirken, daß sie dem
Klange ein bisher ungehörtes Timbre geben, jedoch ohne
daß man so deutlich hört, wie es zu Stande kommt. — So
war auf mich der Schlußeindruck dieses Werkes, an welchem
beitet hat, der einer mittelmäßigen Feerie! — nichts von
Kunstwerk? — nichts von Poesie! Mich hat das sehr
traurig gestimmt; ich empfand den schweren Irrthum eines
bedeutenden schaffenden Künstlers nie so mit. Es kam die
Stimmung des Galgenhumors über mich und ich rief den
Souffleur und den Lampenputzer heraus!
Hätte
Coulissenmaler und sein Hanns
auf dem Podium Hand in Hand erschienen — seine bittersten
Feinde hätte ein menschliches Rühren erfaßt! —
Der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen war hier
Ereigniß! —
Schon seit Jahren hatte ich mich an die sonderbare
Sprache
an sich war mir als Nordländer sympathisch. Die Anord
nung der Scenen und ihr Aufbau erscheinen mir zum großen
Theile sehr glücklich; besonders sind die Schlußscenen aller
drei „
sehr geschickt arrangirt; die Vorstellung gelang auch technisch
vortrefflich — ich frage mich immer wieder, warum das
Ganze so wirkungslos, die Wirkungen des Einzelnen so
vorübergehend und matt? Sollte es
fehlen, was den Dichter in Wort und Ton erst zum Dichter
macht? Vermag er seine Empfindung nicht so zu gestalten,
daß sie auch auf Andere poetisch wirkt? Ich hatte nicht den
Eindruck, daß ich der Einzige oder Einer mit Wenigen war,
der so unberührt blieb. Fast kommt es mir vor, als fehle
er ist sich des Unbewußten wie der Philosoph gar zu sehr
bewußt. Dabei bleibt er immer eines der eminentesten, viel
seitigst begabten Talente, und als solches eigenartig durch
die Kühnheit und die consequente Ausbildung und Aus
breitung der besonderen Qualitäten seiner Begabung. So
episch breit und oft sich wiederholend er in seiner Dichtung
ist, so ist er es auch in seiner Methode der Composition;
sowie im Text kein künstlerischer Aufbau architektonisch ge
gliederter Versgruppen und keine außergewöhnliche Gedanken
tiefe gefunden wird, so auch nicht in der Musik. So einfach
und sparsam die dramatischen Motive, so einfach und
sparsam auch die musikalischen. Es herrscht vielfach die irrige
Meinung, daß die Musik in
complicirt und daher schwer zu fassen sei; das ist vollkom
men unrichtig. Nimmt man das Fleisch fort, so bleibt meist
ein sehr einfaches Skelet, wie das einer Schlange; eine
lange Wirbelsäule aus lauter gleichen Stücken. Alle Scenen
sind gleich gearbeitet, die etwas wirkenden haben einen
deutlich erkennbaren Kopf, doch bei vielen besteht auch der
Kopf nur aus einem Wirbel. Bleiben wir im Vergleich, so
sind diese Schlangenwirbel von sehr zierlichen, in allen
Farben schillernden Schuppen und Flossen bedeckt, und hierin
gibt sich ein Reichthum der Phantasie und eine Geschicklich
keit des Schöpfers kund, die man bei genauerem Studium
immer mehr bewundert. Eine Thierschöpfung, die bis zur
Schlangenbildung gekommen ist, bleibt immerhin eine respec
table Leistung — doch wenn man auch andere Geschöpfe mit
Flügeln, Armen und Beinen, Gesichtern und Mienen kennen
gelernt hat, so möchte man doch auch zuweilen solche sehen;
das Prähistorische ist nun freilich Mode, und das unterstützt
die Wirkung der „
ist gewiß berechtigt, und man soll es Niemand verargen,
der an ihnen seine besondere Freude hat, doch darf man
Anderen dann auch nicht das Recht schmälern, wenn sie
anderen Thierformen den Vorzug geben oder mindestens
eine Abwechslung wünschen.
Mir ist es vollkommen klar, daß in dieser principiell
eigensinnigen Monotonie einer Form, deren Berechtigung
an sich ich gar nicht beanstande, die Ursache liegt, weßhalb
das Kunstwerk auf mich nicht wirkt.
„
dung von musikalischen Motiven geübt; ich nehme an, er
hat das so gewollt, er wollte einfach und groß sein. Die
sechs bis acht Motive sind meist rhythmisch energisch und
sinnlich eindringlich; ich finde sie vorwiegend schön, und ist
es mir dabei gleichgiltig, ob sich Gleiches bei Anderen oder
anderswo bei ihm schon findet. Doch diese Motive sind meist
sehr kurzatmig, es sind Naturlaute, Interjectionen oder nur
Vordersätze; sie wachsen nur durch Umhüllung mit immer
mehr Stoffen wie eine Modellpuppe, nicht aus sich heraus.
Längere, rhythmisch gegliederte Strophen, Vorder- und Nach
sätze, eine zweite Hälfte zu einem ersten Theil, das Alles
kommt nicht vor. So könnte jede Scene der Musik wegen
beliebig abbrechen und in die Länge gezogen werden. Ich
verliere dabei bald alles Interesse am Folgen. Für einige
Scenen läßt man sich das gefallen, zumal wenn die leiten
den Motive schön sind; doch wenn man nie losgelassen
wird, nie die Gegend im Ganzen überschauen kann, sondern
immer nur dem Führer in den Hohlwegen nachtraben soll,
nie weiß, wie viel man hinter sich, was man vor sich hat,
so wird man anfangs müde, dann mißmuthig, endlich läßt
man sich nur noch halb gewaltsam fortschleppen.
Warum
Erfinden von Klangwirkungen ist, von den schönsten Klang
wirkungen, die durch die Vereinigung menschlicher Stimmen
erzeugt werden, in der „
nimmt (nur die Walküren schreien im letzten Act zuweilen
zusammen), bleibt mir unklar; es wäre seinem Erfindungs
geiste gewiß nicht schwer geworden, dies so einzufügen, daß
es dramatisch nicht stört. Ebenso verstehe ich nicht, warum
er fast nie von zwei- und drei- und vierstimmigen Instru
mentalführungen, von thematischen Führungen und Gegen
führungen etc. Gebrauch macht. Die musikalische Einfachheit
ist mit einer Strenge durchgeführt, die uns eine Entsagung
auferlegt, welche oft an Aushungerung grenzt. Der ein
fachste
Complicirtheit vor gegenüber
die mir eine frappante Aehnlichkeit mit den in den ver
schiedensten bunten Farben angestrichenen alt
Schlachtenbildern zu haben scheint, wo hundert Soldaten
hinter einander mit den gleichen Linien gezogen sind. — —
9. Mai
Es war sehr lieb von dir, daß du meiner gedachtest.
Ich habe in dieser Zeit sehr viel an dich gedacht, weil ich
wußte, wie viel du an deinem Freunde Schön verloren
denn das Denken und Empfinden wird gewaltsam durch das
Schwungrad der Zeit in eine bestimmte Bahn mitgerissen.
Wenn du dich behaglich in
zu sehr nach
leistete, leistet jetzt die Hitze; zwanzig bis vierundzwanzig
Grad im Schatten bei dicker, schwerer Luft ist hier jetzt das
Gewöhnliche; nur mein Garten, in welchem heute Abends
die jungen Spatzen und Amseln einen Chor eigener Com
position schnalzen und wo die Akazien und Jasmin duften
und die Rosen zu blühen anfangen, macht uns die Existenz
erträglich; ja, wenn wir zusammen Abends unser Nachtmal
im Garten nehmen, ist es so still und friedlich, als gäb’ es
gar keine Welt. Wie würdest du das Alles genießen, wärest
du an meiner Stelle; ich habe leider viel an Genußfähigkeit
verloren; so lange ich in
tausend Gedanken und lassen mich nicht zur Ruhe kommen,
bis ich einschlafe; schlafen kann ich zu meinem Glück noch
wie ein Murmeltier.
October
script. Es ist ein eigenes Stück; schwärmerisch, elegisch in
allen Sätzen; in Stimmung und Motiven ein
von dem „
solltest dir das Lied vorher ansehen; wenn du es nicht hast,
will ich es dir schicken. Mir ist es unendlich lieb; die Poesie
ist herrlich; eines von den Liedern, in welchen, Gott sei
Dank, nicht von Liebe und Frauenzimmern die Rede ist und
doch ein echtes Tenorlied. Die Erinnerung an unschuldsvolle
Jugend ist zu einer Weise erhoben, die fast an religiöse
Schwärmerei grenzt. Hat man sich das Hauptmotiv zu eigen
gemacht, so kann man es nie vergessen. Ich kenne keinen
Sänger, der das Lied so singen könnte, wie ich es mir
denke; würde das Lied so gesungen, wie es sich in unserem
geistigen Ohr gestaltet, wir würden der Thränen nicht Herr
werden. Die Sonate in drei Sätzen besteht nur aus den
Motiven des Liedes. So sehr ich mich freue, sie bei mir zu
hören, im Concertsaal kann ich sie mir vorläufig nicht denken;
die Empfindungen sind zu fein, zu wahr und warm, die
Innerlichkeit zu herzlich für die Oeffentlichkeit.
Januar
Du hast gewiß eine der neueren, besseren
Biographien; lass’ mir doch gelegentlich eine zukommen.
Ich habe ein Bedürfniß, mich mit diesem merkwürdigsten
Menschen zu beschäftigen. „
überwältigenden Eindruck auf mich gemacht. Die Sängerin
ist ja sehr häßlich und hat auch keine schöne Höhe, doch war
sie warm und rührend.
sondern eine rührende, keine leidenschaftliche, sondern durch
das hohe Maß ihres ausdauernden Leidens anbetungswürdige
Frau sein. Das absolut Unsinnliche in der Handlung und
Musik hat etwas Antikes; von dem ehelichen Verhältniß ist
das Gesellschaftliche, weil leicht Vergängliche, abgestreift, es
bleibt mehr eine Freundschaft im antiken und mittelaltrigen
Sinne; sie ist mehr als Liebe des Geliebten zur Geliebten.
Denkt man sich,
heiratet gewesen, so würde der Stoff sofort ins Triviale
verfallen, die Musik
würde sie uns kaum noch als wahr erscheinen.
Florenz, 4. April
menten sie die gräßlichsten Töne hervorbringen, um den
Tact zu markiren, ist zum Todtlachen. Dazu die Volksspiele,
zumal der Fackeltanz: es bindet sich Einer eine lange
Papierdüte am Hintern an, und dreht und springt damit
umher; die Anderen versuchen, die Düte anzuzünden, was
ihnen selten gelingt; die Naivetät dabei ist reizend. Dann
wieder die schwärmerischen Canzonettensänger; ich bringe
etwas davon mit gedruckt, auch ein Manuscript von einem
Barbier-Componisten in
das auf dem Papier aus: Costüm, Mondnacht, das Meer,
der
der Umgebung von
nationalen Tanzgesang bewahrt. Sonst hört man in ganz
Wiener Musik! Hat
Ich war inzwischen in den Ufficien und im Palazzo
Pitti, wie ehern und marmorn ist das dort Alles gegen die
Musik! Jetzt wollen wir noch nach
mit Blumen wie
Tag! Verwirrend!
Juli
Auf deinen Wunsch habe ich mir den Text des „
falles
soeben fertig gelesen. Es thut mir leid um die Zeit. Gibt
es etwas Dümmeres? Widerlicheres? Die ganze Gralsage
war mir stets zuwider; diese faulen Mönche mit ihrer
„Tätzen“ und dem
artige Anbetung dieser alten Scharteken; das ewige Lamento
des dummen
noch im Sarge aufrichtet! Der Trottel
nicht Alles widerlich? Man muß sich doch immer denken,
daß diese Gralsritter wie die Auguren unter sich lachen;
was thun sie denn sonst den ganzen Tag? Und wenn sie
noch ein Publicum um sich hätten, das sie nasführen, aber
daß sie sich nur selbst zum Besten haben, ist gar zu läppisch.
Ich sehe auch nicht eine Spur von Poesie in dem ganzen
Stoff! — Und nun dieser
ein Castrat; jedenfalls ist seine Phantasie und sein Ver
stand castrirt. Er thut nichts, als blödsinnig umherlaufen,
niemals weiß er, was er will, wo er ist, was er gethan
hat. Dann die Scene im zweiten Act auf dem Mons Veneris.
(zweimal dasselbe! Welche Phantasie-Armuth!) kommen mir
immer lächerlich auf der Bühne vor.
und die Maschinisten ziehen die Bilder vorbei! Es ist zu
läppisch! Und dann wieder die gleichen Schlüsse im ersten
und dritten Act; welche Armuth der Erfindung und Ge
staltung! — Es ist wieder wie bei allen Schöpfungen
wieder nur singende Automaten. Auch die
freien Willen; der alte Hausknecht
nicht etwa ein Charakter sein! Dazu die widerliche Sprache!
Welche Frechheit gehört dazu, Dinge zu schreiben, wie „durch
Mitleid wissend, der reine Thor: harre sein, den ich erkor“.
Es thut mir leid, daß du als Musikreferent und an
ständiger Mensch in
die Menschen, welche sich diesen Blödsinn gefallen lassen,
sind nicht werth, Viecher in des Meisters Stall zu sein.
... bald wird die Welt nur aus
(junge Buhlerin, alte Betschwester) bestehen.
August
Deine Kritik über „
Ich finde, daß dein Standpunkt immer der gleiche,
kunstschöne ist, und daß du stets das Schöne bei
hervorgehoben und das theatralisch Wirksame gebührend
anerkannt hast. Gerade das Maßvolle deiner Kritiken hat
die Fanatiker früher so erbost. Jeder vernünftige Mensch
wird außerdem jedem bedeutenden Künstler gegenüber —
die Künstler treten uns ja meist früher als scharf ab
geschlossene Individuen entgegen — immer milder werden,
weil er bei jedem neuen Werk in vorhinein weiß, was er
zu erwarten hat. Man freut sich an
seinem naiven Durcheinander der Zeichnung, erwartet aber
keinen
großen Formen und der Vertiefung und der Energie des
Ausdrucks, verlangt aber keine
weiß nun auch, daß man bei
Formen- und Melodien-Schönheit findet, man erwartet sie
nicht, ist also nicht enttäuscht, sondern gibt sich rückhaltloser
der declamatorischen und decorativen Wirkung hin. Nach
dem traurigen Eindruck, welchen im Ganzen die „
machen, freut man sich gewiß, etwas mehr Musik im „
zu finden, und ärgert sich nicht mehr so über den Text,
den man sich doch noch viel dümmer denkt, wenn man ihn
noch nicht gelesen hat.
Mai
Ich mußte im Akademischen Gesangverein den ganzen
ersten Act des „ Parsifal“ hören. Scenerie: Bösendorfer-
Vielleicht nur ein schlechter Holzschnitt nach einem guten
Oelgemälde. Doch selbst ein solcher nach einem
Schönes! Aber ein Holzschnitt nach
wüste Masse von Strichen ohne irgend eine erkennbare
Form. Ich habe mich immer gefragt: Bin ich verrückt oder
sind es die Andern? Oder ist die Musik überhaupt verrückt
geworden? Wenn man das „Componiren“ nennt, dann ist
es wahrlich nicht schwer.
Immerhin fragt man sich, wenn das Alles so dumm
ist, warum redet man davon? Ist es nur der Mangel an
anderem Stoff, an anderer Production? Doch wol nicht.
Es schweben ihm jedenfalls große Ideale vor! Ungeheuerliche
Ziele! Diese verwirklichen zu wollen, ist ja eine Art Bornirt
heit! Doch alle Helden sind in einigen Punkten bornirt.
Die Welt hat nun einmal das Bedürfniß, an solche Helden
zu glauben. Habeant sibi! Glaubt die Welt an einen Papst
und an seine ex cathedra proclamirten Dogmen, so mag
sie auch an
Der Jugend verdenke ich es nicht, daß sie sich für
begeistert; die technischen Schwierigkeiten sind schon ein
großer Reiz! Wer es aber mit der Kunst und dem Schönen
ernsthaft meint, kann sich wol nicht, ohne sich selbst zu
belügen, in diese Begeisterung mit hineinstürzen. Ich spähte
heute Abends vergeblich nach begeisterten Gesichtern; überall
nur Langweile und blödes Erstaunen. Man nennt wol
Malerei und Plastik speciell bildende „Kunst“, doch für mich
gibt es überhaupt keine Kunst ohne Form und Gestalt!