Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10685. Wien, Donnerstag, den 24. Mai 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10685. Wien, Donnerstag, den 24. Mai 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Aus Briefen von Billroth. II

Ed. H. Siehe Nr. 10675 der „Neuen Freien Presse“ vom 13. Mai. In die erste Hälfte der Achtziger-Jahre fallen mehrere weite Reisen Billroth’s, die er theils zur Erholung, theils auf Berufung zu medicinischen Consultationen unter nahm. Von überallher sendete er mir Nachricht; einen längeren oder kürzeren Brief, oft auch nur ein flüchtiges Billet, denen er gern eine frischgepflückte Orangenblüthe oder ein Lorbeerblatt beizulegen liebte. In diesen beglückenden, zarten Freundschaftsbeweisen war Billroth einzig, wie in Allem. Enthusiastische Empfindung für Naturschönheit und glückliche Beobachtung von Land und Volk sprechen aus diesen Reiseblättern. Zwischendurch erhalten wir wieder Urtheile über Bücher und Compositionen, sowie Nachricht von seinen eigenen Studien über Malerei und Musik.

Februar 1884. Herzlichen Dank für deine Zusendungen; du weißt, wie lieb und erfreulich mir Alles ist, was von dir und Brahms kommt. Daß Brahms jetzt nicht mehr allein die künstlerische Schaffensfreude, sondern auch die Freude des Erfolges in tiefen und immer längeren Zügen genießt, freut mich herzlich. Die Abhandlung des Herrn X. ist für mich nicht recht verständlich. Wenn ein sonst gebildeter Mensch sagt, die musikalische Ausdrucksweise und die Art, wie Brahms die Tonformen gestaltet, ist mir unsympathisch, so läßt sich darüber ebensowenig sagen, als wenn Jemand den Schöpfungen Michelangelo’s oder Hebbel’s gegenüber sagt: das imponirt mir wol, aber es gefällt mir nicht. Wenn aber Jemand behauptet, diese oder jene Kunstschöpfung erregt in mir keine oder keine nachhaltige Empfindung, also ist sie nur mit dem Verstand und ohne Gefühl gemacht, so halte ich das für baren Unsinn. Wenn schon überhaupt die Tren nung von Verstand und Empfindung bei allen praktischen Aeußerungen des menschlichen Geistes eine sehr prekäre ist, so ist sie das noch viel mehr auf dem Gebiete der Phantasie. Ein Kunstwerk ist ohne Verstand, ja selbst ohne eine Art von Verstandestechnik ebensowenig denkbar, wie ein Mensch ohne Verstand. Das mehr oder weniger abmessen zu wollen,

was der Künstler beim Schaffen an Verstand und Empfin dung verwendet, und danach Verstandes- und Gefühlskünstler unterscheiden zu wollen, kommt mir geradezu komisch vor. Ist die Einleitung zur „Don Juan“-Ouvertüre mehr Ver standes- oder Gefühlsmusik? Ist das Adagio der Neunten SymphonieBeethoven’s etwa ohne Verstand oder ohne Ge fühl geschrieben? Die größten Künstler und nicht zum min desten die Musiker wie Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Chopin, Mendelssohn, Schumann, Brahms sind alle ganz gewiß keine Dummköpfe. Diese sehr verbreitete X’sche Theorie entspricht freilich mehr der Durchschnitts dummheit der Menge, und ist eben auch mit einer Durch schnittsflachheit der Empfindung gepaart. Wenn Menschen mit einer sehr starken Individualität, in kleinen oder gar kleinlichen Verhältnissen aufgewachsen, in ihrer speciellen Sphäre Bedeutendes leisten und alles nicht in diese Sphäre Hineinragende ablehnen, so kann man sich das gefallen lassen; ob der Herr X., den ich nicht kenne, solche Leistungen aufzuweisen hat, weiß ich nicht.

Ein interessanter Punkt ist in dem Aufsatze berührt, der mich schon oft beschäftigt hat, nämlich das Nachklingen der Kunstwerke in uns. Was mich betrifft, so wirkt das Kunstwerk auf mich gerade wie ein Mensch oder eine schöne Gegend. Die Einen tauchen immer wieder als Erinnerungs bilder auf, die Anderen verschwinden. Der sinnliche, unmittel bare Eindruck wirkt selten so beglückend auf mich wie das Erinnerungsbild. Ist es nicht ebenso mit den Menschen, die einen Eindruck auf uns gemacht haben? War der Ein druck ein sympathischer (zunächst rein materiell physiologisch genommen), so werden sich auch bald die Erinnerungsbilder in Tönen oder Formen oder phantastischen, poetischen Ge danken einstellen; diese Erinnerungsbilder nehmen immer mehr eine subjectiv ideale Form an. Haben wir bald Ge legenheit, sie wieder mit dem Realen zu vergleichen, d. h. mit dem neuen wieder rein physiologischen Eindruck, so können wir uns zuweilen eine Enttäuschung nicht verhehlen. Und doch nimmt das dann wieder auftauchende Erinnerungsbild wieder eine ideale Gestalt an, ja oft in noch höherer Potenz. So entsteht nach und nach die Liebe sowol zu den uns sym pathischen Menschen wie zu den uns sympathischen Kunst werken und Natureindrücken. Für mich ist die Stärke und das anhaltende Auftauchen der idealen Nachbilder geradezu ein Maßstab des Eindrucks, welchen das Kunstwerk auf mich

gemacht hat; der sinnliche Eindruck beim Hören und Sehen ist bei mir fast nie so stark wie die Wirkung des Erinne rungs- oder des zu eigen gewordenen Phantasiebildes. Ich hatte vorgestern Abends um die mitternächtliche Stunde plötzlich Sehnsucht nach Schumann’s „Faust“. Allein in meinem großen Saale, Todtenstille um mich herum, schlug ich den dritten Theil auf, spielte ihn mir höchst unvollkom men am Clavier durch und genoß dieses herrliche Werk mit einer Wonne, wie ich sie nie bei einer Aufführung empfinden konnte. So geht es mir auch oft mit Werken von Bach, Beethoven, Schumann, Chopin, Brahms. Kein Virtuos, kein Orchester, kein Chor, kein Sänger kann mir das geben, was ich da in der Stille höre, obgleich ich die Noten nur zur Unterstützung meines Gedächtnisses vor mir habe und nur selten das so meinem Ohr zuführen kann, wie ich es innerlich höre. —

Taormina, 12. April. Ach wärst du hier! Heute Abends hast du das Liszt- Concert gehört, du Unglücklicher! Und nun höre unser Concert! Taormina! Ja weißt du, was das bedeutet? Träume, Träume! Und denke dir das Schönste! Ich sage dir, es ist gar nichts! Fünfhundert Fuß über rauschendem Meer! Vollmond! Berauschender Duft von Orangen blüthen! Rothblühender Cactus an pittoresken colossalen Felsen in solchen Massen wie bei uns das Moos! Palmen- Orangen-, Citronenwälder! Maurische Burgen! Ein sehr schön erhaltenes griechisches Theater! Dazu die breite, lange, schneebedeckte Fläche, der Aetna, Feuersäule! Dazu ein Wein aus der Nähe von Syrakus, genannt Monte Venere! Dazu Johannes in Schwärmerei! Ich in trunkener Frechheit ihm aus seinen Quartetten vorphantasirend. Märchen aus „Tausend und Einer Nacht“! Es gibt Augenblicke im menschlichen Leben! — Ach wärst du bei uns, du lieber Hanns! — Mit einiger Mühe habe ich Brahms mit nach Sicilien geschleppt; Nottebohm, Goldmark und ich, wir waren in seligem Dolce farniente in Rom, Jeder doch in seiner Art etwas Rechtes, nur du hast gefehlt! — Nottebohm (il gio vanastre nennt ihn Brahms) und Goldmark (il re di Saba) hatten keine Courage, die Fahrt durch die Scylla und Cha rybdis zu machen, und bis heute Mittags war auch Johannes nicht sehr erbaut von der langen See- und Eisen bahnfahrt; doch Taormina! Das war nach meinem Princip so recht in medias res! Es ist unglaublich!

18. Juni 1886. Der arme König Ludwig und mein armer College Gudden! So wie jährlich einige Aerzte an Leichen- oder Eitervergiftung sterben, so kommen auch jährlich einige Irrenärzte durch die Irren um. Die Gewohnheit des Um gangs mit den Kranken macht leicht tollkühn. Gudden scheint einen Moment vergessen zu haben, daß man wol einen Löwen im Käfig bändigen, doch nicht in der Freiheit dres siren kann. Der bayrische Löwe hat ihn umgebracht. — Die Form des Irrsinns, die man „Verrücktheit“ nennt, ist eine der merkwürdigsten und für Laien kaum verständlich. Wenn Luwig in einem Augenblicke verlangt hätte, eine Walküre zu braten und ihm ein Stück Roastbeef davon vorzusetzen oder ein garnirtes Stück in Nilwasser gedämpften Alberich’s zu serviren mit dem Liebesmotiv des Ministers Lutz und gleich darauf wieder einen gewichtigen geistvollen Brief an Döllinger geschrieben oder eine schwere mathematische Kopf rechnung ausgeführt hätte, so wäre das in einem Irren hause etwas ganz Alltägliches — im Schloß Hohenschwangau staunt man darüber. Die Schlauheit, welche schon halb blödsinnige Irre bei Selbstmordversuchen entwickeln, ist oft stupend.

Alexandrien, März 1886. Morgen geht ein Schiff von hier nach Europa; so treffen dich diese Zeilen wol noch vor meiner Rückkunft nach Wien. So bunt und interessant im vulgären Sinne der Orient mit seinen Palmen, Bananen, Tamarisken, seinem dunkelblauen Meer ist, so ist mir doch eigentlich jede mittlere italienische Stadt, wie Perugia, Orvieto, Siena, lieber. Dort finde ich überall geistige, culturelle Anknüpfungspunkte, Beziehungen zu meiner Phantasie! Hier ist von alledem nicht die Rede. Bunt genug ist es freilich hier. So ein Völkersalat wie hier scheint kaum möglich, wenn man ihn nicht gekostet hat; das Suez-Canal-Bild im „Excelsior“ ist nur ein schwaches Abbild von dem, was man hier vom Balcon aus auf der Straße sieht. Mehr kaleidoskopische Figuren, als eigentliche Bilder. Viel Charakteristisches, doch das Ganze unharmonisch. Mündlich davon mehr! Für heute nur diesen kurzen Gruß zum Zeichen, daß ich dein und deiner Sophie gedacht habe.

Paris, 9. October 1886, ½2 Uhr Morgens. Du kennst ja das Pariser Leben, wirst dich also über die Datirung dieser Zeilen nicht wundern. Wir waren mit

Frau Wilbrandt im Théâtre Gymnase und sahen „Frou- Frou“, ein miserables Stück, doch vortrefflich gegeben, dann noch etwas Bier, Sherry-Cobler und einige Cognac im Café de la Paix, und nun ins Hotel.

Tausend Dank für deine lieben Zeilen und alle deine gütigen Besorgungen. Du wirst aus meinen diversen Be stellungen ersehen haben, daß ich mich wieder einmal in einem Anfalle des Verschwendens befinde; Alles kommt bei mir anfallsweise: Sparsamkeit, Strenge, Ernst und Pflicht und Tollheit und Verschwendung. Die goldene Mittelstraße kann ich nur akademisch bewundern und empfehlen. Ich fühle mich ganz besonders frisch und kräftig, und wenn nicht ein Rückschlag beim Eintreten in meine Wiener Verhältnisse erfolgt, will ich versuchen, wieder etwas lustiger in diesem Winter zu sein, als in den letzten Jahren.

Odessa, December 1886. Das Schwarze Meer ist ebensowenig schwarz wie die Donau blau ist. Einen Pontus-Euxinus-Walzer wird man schwerlich machen, denn das ganze Südrußland macht nichts weniger als einen vergnügten Eindruck. Die Vegetation ist hier unter dem Breitegrade von Rom weit spärlicher als in Wien; die Meeresküste ist ohne allen Reiz, die Stadt, kaum hundert Jahre alt, langweilig und charakterlos. Wäre nicht der schöne Mondschein, so wäre es kaum erträglich. Ich hatte noch nie so Heimweh, als in dieser Woche, wo ich mich außerdem körperlich elend befand. Hoffentlich bin ich übermorgen Abends in Wien.

Januar 1887. Das „Tagebuch“ von Goethe kannte ich schon, habe es aber mit großem Vergnügen wieder gelesen. Es ist inzwischen gedruckt, verboten und soll doch schon in irgend einer Gesammt-Ausgabe Goethe’scher Werke stehen. Es ist ein merkwürdiges Gedicht; merkwürdig auch in der Charakte ristik Goethe’s: Denn zeigt sich auch ein Dämon, uns versuchend, So waltet Maß, gerettet ist die Tugend.

Dazu stimmt auch ein anderer Ausspruch von ihm, den ich — ich weiß nicht wo — gelesen habe: „Man soll nie eine Neigung zu einer Leidenschaft heranwachsen lassen.“ Danach könnte man fast meinen, Goethe habe eine wahre, sinnbethörende Leidenschaft nicht gekannt, die er doch im Faust“, „Egmont“, „Götz“ u. s. w. so meisterhaft schildert. Er war ein Anderer in seiner Phantasie als im Leben; im

Leben wol meist Clavigo, Egoist — darum ist er auch so alt und ein Goethe geworden; nur in seiner Phantasie ein Werther. Ich habe diesen Gegensatz zwischen Phantasie- Menschen und realen Menschen schon oft bemerkt bei Künst lern. Johanna Wagner war eine alberne, phlegmatische Person im Leben, auf der Bühne von hinreißender Leiden schaft. — — —

Dein heutiges Feuilleton. ... Was für ein guter Mensch du doch bist! Es ist ein Glück, daß ich kein Kritiker geworden bin. Ich könnte dem Reiz nicht widerstehen, von meinem Talent, durch jedes Wort Tausende von Menschen tödtlich zu beleidigen, den ausgiebigsten Gebrauch zu machen. Es liegt doch etwas von einem Löwen oder Tiger in mir, der sich im Blute wohl und stark fühlt.

März 1887. Bin ich taub und blind oder sehe ich und höre ich mehr, weil ich seltener höre und sehe? Kurz, ich hatte heute einen recht traurigen Eindruck von dem Concert. Hermine S. ist ein prächtiges, frisches Mädel, aber als Künstlerin scheint sie mir in raschem Niedergang. Wie hübsch und geschmackvoll sang sie im ersten Concert; der Gesammt-Eindruck war ein künstlerischer. Wie manierirt und geschmacklos sang sie heute oft: nur in wenigen Momenten konnte sie mir genügen. Fast an jedem Liede hätte ich wesentliche künstlerische Aus stellungen zu machen. Der Erfolg bringt sie herunter. Mich interessirt die S. innerlich nicht genug, um ihr das zu sagen; doch wäre es schade, wenn sich nicht ein wahrer Freund fände, der es thäte. Wahre Freunde sind wie die besten Frauen immer unausstehlich, weil sie es für Pflicht halten, die Wahrheit zu sagen, und die Wahrheit ist vor wiegend unangenehm. Ich bin auch schon auf dem Stand punkte, daß mir die wohlwollende Convention genügt und ich wenig auf die innere Wahrheit gebe. Wenn man älter wird, genügt einem eine anständige Behandlung, und die gewissenhaftesten Menschen werden unerträglich.

Entsetzlich war die Clavierspielerin; sie besaß alle Un tugenden einer jungen Clavierspielerin im höchsten Maße: unmusikalisch, werkelartige Technik, widerwärtigen harten Anschlag, Unfähigkeit, die Töne zu binden. Das Des-dur- Notturno war das letzte Stück, das ich von Wilhelmine Clauß in Göttingen hörte; es ist mir unvergeßlich. Freilich war ich damals jung und grün, jetzt alt und grau. Das Stück vom Saint-Saëns hätte der selige Kalkbrenner besser

componirt. Und die sogenannte Tarantella von Liszt. Ab scheuliche Hundemusik! Und so von einem Berber-Füllen gespielt! Es ist gut, daß ich keine kritischen Feuilletons zu schreiben habe. Wenn mir aber dieses Fräulein P. in die Nähe kommt, amputire ich ihr beide Hände, wenn sie sich auch daran verbluten sollte. Unsere Polizei ist doch mise rabel, daß sie solche Mörderinnen frei umherlaufen läßt. Zeit ist Leben! Ist es nicht ein Blödsinn, zwei Stunden in dieser Hitze zu sitzen? Schon vorher die Sekkatur, bis man die Garderobe abgelegt hat, endlich ein Programm erwischt hat, die Billette zwischen den Zähnen, den Zehner in den Händen, endlich den Sitz gefunden hat, auf dem man sich giftet.

1887. Die Variationen von Dvořak haben mir einen mächtigen Eindruck gemacht; es ist wol sein bestes Orchester werk, auch wol eines der genialsten und musikalisch inter essanten der neueren Zeit überhaupt. — Es war Donnerstag Abends reizend behaglich bei dir; mich hat es besonders auch gefreut, Dumba in der Nähe zu sehen. Er ist doch ein Mensch, und dazu ein lieber. Von wie Wenigen kann man das sagen!

14. März 1887. Wärst du nicht mein lieber Hanns, ich könnte dich um deine entschließende Energie und Thatkraft beneiden. Ich bin seit etwa zwei Wochen von einer Apathie, die keine Grenzen kennt; bis Mittag hält es allenfalls vor, um meine amt lichen und ärztlichen Geschäfte zu erledigen; da mir dann nach unserer neuen Eßstunde um 2 Uhr jede Ruhe fehlt und nach schnellem Hinabschlingen einiger Speisen sofort die Ordinations-Stunde folgt, bei welcher ich mich kaum auf rechthalte vor Müdigkeit, und da ich nachher entweder Examina oder ein Diner zu absolviren habe, so befinde ich mich in der zweiten Hälfte des Tages in einem höchst be jammernswerthen Zustande. Eine zeitlang rappelte ich mich zusammen und täuschte mir vor, ich sei frischer als je; doch nun ist es ganz aus, und ich fühle, daß eine force majeure mich zwingt, eine zeitlang auszuspannen. Doch wie? Wann? Was unternehmen? Des Entschließens Fähigkeit schien mir fast abhanden gekommen; ich kenne mich nicht mehr. Da kommst du mir als rettender Engel mit positiven Vor schlägen, bestimmten Zwecken, Terminen. Ich ergreife das, wie ein Sinkender einen Strohhalm faßt. Fixiren wir auf alle Fälle „Othello“ am 29. März in Mailand.