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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.
Ed. H.
Siehe Nr. 10675 der „
und Nr. 10685 vom 24. Mai.
hörten, bewies
daß er nach der ermüdenden Oper noch das um halb 12 Uhr
beginnende Ballet bis zu Ende genoß, während ich mit dem
„
kehr erkrankte
wierige Krankheit im Frühjahre
eingreifenden Abschnitt in seinem Leben. In
ich damals zur Cur weilte, erhielt ich von
die erste Nachricht von seiner Rettung; einige Zeilen vom
31. Mai — Brief und Adresse mit Bleistift geschrieben —
welche lauteten:
„Herzlichen Dank für deine lieben Zeilen! Die Zei
tungen lassen mich wol aufstehen und umherwandeln, in
Wahrheit liege ich noch fest im Bette mit der Empfindung
eines eisernen Ringes um die Brust. Ich war so froh, schon
halb hinüber zu sein, doch da mich der
rückgeworfen hat, so freue ich mich doch herzlich, daß man
mich hier noch so freundlich wieder empfängt. Es war ein
harter Stoß!“
Sobald es sein Zustand erlaubte, übersiedelte
in seine Villa nach
den er sich selber nicht zugetraut, befolgte er die strenge
Bewegungs- und Entziehungscur, welche eine Entfettung
seines Herzens bewerkstelligen sollte. Seine Kräfte nahmen
zu, aber daß er sich nie wieder vollständig von dem „harten
Stoß“ erholen werde, das sagte ihm nur zu deutlich die
eigene unbestechliche Diagnose. In seinen Briefen mehren
sich die weichen, melancholischen Stimmungen; das Bewuß
sein der Pflicht gibt ihm jedoch immer wieder neue
Kraft, sich aufzuraffen. Am meisten beunruhigen ihn Zweifel
an seiner Arbeitstüchtigkeit. Mit kindlicher Freude erfüllt
ihn jede Berufung zu einem auswärtigen Kranken; sie
beweist ihm, daß man ihn „noch brauche“, obwol er mit
großmüthiger Bescheidenheit nicht müde wird, zu versichern,
seine Schüler machten jetzt Alles eben so gut wie er selbst.
seiner Schüler oder Collegen. In
sehen wir ihn unermüdlich mit ernster Lectüre und eigener
Forschung beschäftigt. Die darauf bezüglichen Briefe bedürfen
nur in zwei Punkten einer kurzen Erklärung. Fürs Erste
hatte
rich Nietzsche behauptet,
St. Gilgen, Juli
zumal im Sommer, wo ich bei der Hitze transspirire, eine
solche Tortur, daß ich nicht weiß, ob ich es durchsetzen werde.
Mir den Trunk kalten Quellenwassers versagen, wenn mir
die Zunge am Gaumen klebt, beim Speisen und Abends
weder Bier, noch Wein, noch Wasser trinken, das halte ich
nicht aus; ich habe mir früher einige Energie zugetraut,
doch war es immer nur Energie des Handelns; in der
Energie des Entsagens war ich nie ein Held, und habe diese
Tugend auch nicht geübt, da ich keine Veranlassung dazu
hatte. Es ist sonderbar, daß ein solches Verbot, den Genuß
von Flüssigkeiten auf das äußerste Maß zu beschränken, zur
Folge hat, daß der Trieb dazu sich fortwährend steigert. Der
fortdauernde Kampf macht mich in einem Grade nervös,
wie ich es kaum je war. Den Tag über bis zum Abend
geht es noch, aber Abends, wo ich gewohnt bin, gemüthlich
im Kreise meiner Familie am Tische sitzen zu bleiben und
mindestens eine Flasche Gumpoldskirchner zu trinken (
trank jeden Tag bei Tisch drei Flaschen Rheinwein) — da
halte ich es nicht aus, wenn ich nicht vom Tisch aufspringe
und alles Getränk schnell entfernen lasse. Dann faßt mich
aber zuweilen vor dem Schlafengehen auf meinem Zimmer
ein förmlicher Durst-Paroxismus, dem ich endlich nachgeben
muß, um schlafen zu können; ich würde sonst zur Morphium
spritze greifen, was wol schlimmer wäre, als mein inneres Fett.
St. Gilgen, 7. Juli
St. Gilgen, 31. Juli
Du weißt doch immer etwas Besonderes zu finden,
was mich freut; die Aussprüche von Moriz
sind mir wie in eigener Seele entstanden und empfunden.
Wir tadeln so oft Componisten, wenn uns ihre Werke ge
quält und gesucht erscheinen, und merken das als einen der
stärksten Fehler an. In den letzten Quartetten
kann ich nicht finden, daß das gewiß ernste Streben, immer
Neueres und Schöneres neuer und schöner zu gestalten,
erreicht ist; mir scheint, daß hier das musikalisch Schöne
aufhört. Von den späteren Claviersonaten muß ich immer
noch den einen oder andern Satz als wunderbar schön be
zeichnen; es kommen da gewisse Inventionen vor, die mich
entzücken. Zum Beispiel der erste Satz der
in C-moll, auch das Thema zu den mich wenig erfreuenden
gräßlichen Schlußfuge; das Adagio der
ist für mich ein vollendet schöner Satz, in dem sich Erfin
dung und interessante Gestaltung in einer Weise verschmilzt,
daß ich nichts Schöneres und Interessanteres in der Musik
zu nennen wüßte. — Bei großen pathetischen Compositionen
unseres Freundes
wüßte aber bisher keine solchen Verirrungen ins musikalisch
Unschöne in ganzen Sätzen oder ganzen Compositionen zu
nennen, wie die drei bis vier letzten
sie aufweisen, von der
zu reden. Ich kenne von
schön klingende Fuge, das ist der letzte Satz aus dem großen
Sachen, in welchen die schönsten Erfindungen mit schönst
klingenden Polyphonien verbunden sind, wie neuerlich in
dem
bei den
Griff, sondern ebenso sehr die meisterhafte Gestaltung in
jeder einzelnen Singstimme bewundern. Diese immer wieder
von Zeit zu Zeit auftauchende frische Unmittelbarkeit läßt
mich hoffen, daß
kleinen Formen zeigt er oft mehr vollendete Meisterschaft,
wie in den großen Werken, in welchen er, wie mir scheint,
den Höhepunkt erreicht hat.
Die Quelle rauscht draußen immer fort. Es hat wol
seine guten Gründe, daß der griechische Mythos den Pegasus,
das Dichterroß, aus einer Quelle trinken ließ. Die Dichtung
ist doch die einzige Kunst, die so lange existirt, als es Men
schen gegeben hat. Sie hängt so sehr mit der Religionsbil
dung zusammen, mit der Vermenschlichung der Naturkräfte,
mit der Furcht und Freude der Menschen über die ihnen
günstigen und gefährlichen Naturkräfte, daß sie davon lange
nicht zu trennen ist; ist doch die Religion in ihren verschie
densten Formen die schönste Dichtung. Ja selbst unsere mo
dernste Naturforschung steht auf einem Berge, von welchem
sie mit klarem Auge nach einer Seite Alles klar vor sich
sieht; doch wendet sie sich um, so steht sie vor einem Wolken
meere. Wer nicht befriedigt ist mit dem Blick in die klare
Ebene, sondern sich immer auf die andere Seite wenden
muß, der muß eben dichten, glauben. Es war immer so,
so lange sich Menschen aufwärts bewegt haben; wir sind
etwas höher gestiegen, doch die Wolken bleiben auf der
andern Seite immer dieselben.
Die bildenden Künste sind immer nur eine Repro
duction unserer Augenwelt; sie bilden eben nach, was
unseren Augen schön erscheint. — Mit unserer Gehörwelt
ist es ein ganz eigen Ding. Da das Gehörschöne nichts
nachahmt, nichts nachbildet, so hat es doch eine nahe Ver
wandtschaft zum reinen Anschauen der Natur, das eben einen
schönen Eindruck auf uns macht, ohne daß wir irgendwo
einen Maßstab dafür fordern, mit dem wir ein Richtiges
oder Falsches ausmessen könnten. Das „musikalisch Schöne“
ist so vergänglich fast wie das „Conventionelle“, wenn wir
das Triviale von diesem fatalen Worte abstreifen können —
man könnte wol besser sagen, die musikalischen Menschen
sind gleich einem Freimaurerbund mit unbewußtem Bande
mysteriös verbunden.
Wer ist musikalisch? Das wäre so eine Ueberschrift für
ein Essay für dich. Wie complicirt ist dieser Begriff! Der
Eine hat vorwiegend rhythmisches Talent und Empfindung
(das elementar-rhythmische Moment im Menschen ist der
Herzschlag), der Andere hat vorwiegend melodisches Talent
(Melodie ist vom Rhythmus nicht zu trennen; die Gliede
rung des menschlichen Körpers, seine Doublirung nach hori
zontaler und verticaler Richtung ist ein Theil seiner elemen
taren Grundlage); wieder ein Anderer erscheint musikalisch
durch ein eminent technisches und mechanisches Talent
(elementares Moment: die Freude an der Ueberwindung
von Schwierigkeiten als Hauptprincip des gesteigerten Selbst
bewußtseins); wieder ein Anderer erscheint musikalisch durch
eine Uebertragung seines intensiven Temperaments im dra
matischen Ausdruck (elementares Element: Wunsch, so groß
artig wie möglich zu erscheinen, wie etwa der Pfau, der
sein Rad vor dem Weibchen schlägt); wieder ein Anderer
durch colossales Tonformen- und Rhythmen-Gedächtniß,
wieder ein Anderer durch Hingabe an die sinnliche Gehörs
wirkung u. s. w.
In mir ist Alles Chaos. Ich täusche mich gern darüber,
daß ich nur phantasmagorire; ich könnte auch einmal etwas
Vernünftiges über Dinge schreiben, die außer meinem
Beruf liegen; die kurzen Ferien seien nur daran schuld,
daß sich nichts in mir zur Reise ausbildet. Ich bilde mir,
wie gesagt, solche Dinge gerne ein. Doch bin ich mir dieser
Einbildung bewußt. Auch in meiner Special-Wissenschaft
habe ich nur anregend, nur als Pionnier und Mineur ge
wirkt; doch wenn das Terrain geebnet, der Weg gefunden,
die Mine gesprengt war, dann ließ ich gern Andere dort
bauen und Früchte ernten.
St. Gilgen, 15. August
gesagt; so Alltägliches soll man doch nicht niederschreiben.
Nun habe ich, so weit es meine Zeit erlaubt, in den
letzten Jahren viel Philosophisches gelesen, um mich über
den Stand der Dinge zu orientiren. Jetzt beschäftige ich
mich mit den dickleibigen Werken von
Naturforscher, Physiologe und Anatom war, und dann zur
Philosophie überging.
sich Alles zu Flocken verflüchtigt; die Versuche dieser Herren,
aus dem zu Dunst aufgelösten und ins Unendliche, Un
kennbare sich Verflüchtigenden wieder irgend etwas Har
monisches zu gestalten, fallen meist sehr schwach aus. Ich
gestehe ja gerne zu, daß man auf dem Gebiete der exacten
Wissenschaft genau die Grenzen erkennen und bezeichnen
muß, wo man ganz einfach sagt: „Wir sind nicht in der
Lage, darüber etwas wissen zu können“ (
Redensart), doch da beginnt nun doch das „künstlerische“
Gebiet, auf welchem mir eine geistvolle Hypothese lieber ist,
als ein leerer Raum. Mit ersterer kann die Wissenschaft
wieder anbandeln und dadurch auch wol wieder neues
Wissen schaffen; mit dem leeren Raum ist nichts weiter zu
machen. — Wenn ich bei meinem Spazierenklettern hier
vor eine Felswand komme, so weiß ich auch, daß ich da
nicht hinauf kann; ich muß eben wieder etwas zurückklettern
und finde einen Umweg, auf dem ich doch vielleicht auf die
Spitze der Felswand komme, vor der ich früher rathlos
stand. Auf diese Weise bin ich in meiner Special-Wissen
schaft doch zuweilen weiter gekommen, als Andere, und wenn
ein Versuch einer Umgehungs-Hypothese mißlang, so suchte
ich einen andern.
St. Gilgen, 24. September
fest verwachsen vorkomme, hat meine Arbeitslust eher ver
ringert als gesteigert; ich fühle mich in
meine Wissenschaft und die Praxis. Meine geistigen Söhne
wachsen mir über den Kopf, neue zu zeugen fehlt mir Lust
und Kraft. Doch jetzt schon meinen Abschied nehmen darf
ich nicht wegen meiner Familie; auch wäre es undankbar
gegen meine Freunde, deren Zahl und Anhänglichkeit sich
bei meiner Krankheit größer erwiesen hat, als ich zu ver
muthen wagte. Ein Redivivus ist selten ein willkommener
Gast. Wie wird es mir in der Klinik, in der Praxis gehen?
II. Act. Der reisende fröhliche Bader.
Aus dieser Stimmung reißt mich ein Telegramm aus
diversen Consultationen, noch bevor ich meine Geschäfte in
nicht nur im Lande, wo der Pfeffer wächst, sondern an der
über
bei meinem Schüler
besuchen.
18. October 1888.
Beifolgend also Fortsetzung und Schluß meiner Apho
rismen: „Was uns die Malerei erzählt.“ Neues ist schwerlich
darin. Doch Manches aus dem Metaphysischen ins Psycho
logische übersetzt — eine Art der Bewegung, welche die
ganze moderne Philosophie durchzieht. Für mich hat diese
Schreiberei die gute Folge gehabt, daß sie mich eine zeitlang
von gewissen ästhetisch-psychologischen Grübeleien befreit. Es
geht damit wie mit den in Worte gefaßten Melodienzügen:
Frühlingsblumen und Duft werden zu Nebelgrauen und
schwinden wie ein Hauch! — Freilich dämmern wir lieber
im unklaren Scheinen als in den Pappel-Alleen psycholo
gischer Wahrheit bei hellem Sonnenschein. Doch der Tag
vergeht, die Sonne sinkt und das Abendroth und die Däm
merung umfangen uns mit neuen Träumereien.
Jedenfalls habe ich mich etwas im Ausdruck geübt und
manche ästhetische Eindrücke auf einheitlichere Grundwirkungen
zurückgeführt. So werde ich denn wol, wenn die Dämme
rung wieder kommt und ich nicht zu müde geworden bin,
mich auch einmal an Aehnliches über Musik machen, will
es aber dann gleich von Anfang besser ordnen.