Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10825. Wien, Freitag, den 12. October 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10825. Wien, Freitag, den 12. October 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 12.10.1894
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Zum Strauß-Jubiläum.

Ed. H. Mit der heutigen Première von StraußApfelfest“ beginnt die fröhliche Feier, die wir sein Lorbeer fest nennen möchten. Nicht einen Festtag, eine Festwoche veranstaltet Wien zur Erinnerung an Strauß’ erstes Auf treten im Dommayer-Garten. Aus fernsten Ländern schallt herzlicher Antheil herüber an diesem fünfzigjährigen Jubi läum. Für Wien aber ist’s ein Familienfest, Johann Strauß gehört zur Familie. Seine zahllosen „Brüderlein und Schwesterlein“ umdrängen heute mit stolzer Befriedigung den Künstler, der sein glänzendes Talent ein Halbjahrhundert lang blühend erhalten hat. Mit dem genießenden, großen Publicum wetteifern glückwünschend auch sämmtliche Musik kritiker. Unter ihnen bin ich wol der einzige, welcher StraußAnfänge miterlebt und seine ganze lange Thätigkeit bis zum heutigen Tage theilnehmend begleitet hat. Ich habe die Ehre und das Mißvergnügen, mit Johann Strauß im selben Jahre geboren zu sein. Lieber wäre mir’s freilich, ich hätte erst bei seinem „Apfelfest“ die Studentenmütze geschwenkt, als damals schon bei Dom mayer. Vor dem Altwerden schützen aber die allerreizend sten Walzer weder den, der sie hört, noch den, der sie gemacht hat. Wir Vormärzlichen müssen uns mit den Erinnerungen trösten, die wir voraus haben vor der Jugend. Lustige Erinnerungen an Juristenbälle, in welchen der alteStrauß seine neuesten Walzer dirigirte, und an die ersten Gartenconcerte, wo sein Sohn dasselbe that. Mir war es noch vergönnt, in der von Eitelberger redigirten Literatur-Beilage zur Wiener Zeitung die Morgenröthe des jungen Strauß zu begrüßen und dem alten die letzte Ehre zu erweisen. Dieser starb bekanntlich im September 1849, erst fünfundvierzigjährig, auf der Höhe seines großen Talentes. Viel Anfeindung erfuhr ich ob der Schlußworte jenes Nach rufes, worin ich Wien beklagte, daß es nacheinander in

Otto Nicolai seinen besten Dirigenten, in Dr. Becher seinen geistreichsten Kritiker, in Strauß seinen begabtesten Componisten verloren habe. Welche Kühnheit! Nicolai war ja ein Ausländer, Becher ein justificirter Revolutionär und Strauß — nur ein Walzercomponist! Das damalige Wien, meinte man, besaß doch angesehene Tonsetzer, welche Opern und Oratorien componirt hatten und Gott weiß wie viele Messen! Ja, wenn das Talent Nebensache wäre und eine gut oder schlecht gearbeitete Kirchenmusik werthvoller, als die berückendste Walzermelodie, wie sie ein gottgefälliges, nicht contrapunktisch gefirmtes Naturkind im Schlafe findet! Daß dem jungen Strauß am ersten Abend die enthusiastische Neugierde von ganz Wien entgegenlief, das verdankte er dem Namen seines Vaters; mit seinen Erfolgen hatte dieser Name nichts mehr zu thun, der Sohn hat sie ganz auf eigene Faust errungen. Seltsam genug spricht man von dem Talente, das Jemand „geerbt“ hat. Und doch lassen sich nur Geld und Namen vererben; das Talent muß Jeder für seine Person extra mitbringen. Wie der Melodienquell des jungen Strauß gleich in klarer, frischer Fülle hervorsprang und immer breiter anwuchs, das brauche ich dem Leser nicht erst zu erzählen. Nur der wunderbaren Mär sei gedacht, daß an einem kalten December-Nachmittage des Jahres 1846Robert Schumann mit Clara nach Hietzing hinauswanderte, um den vielgerühmten neuen Walzercomponisten zu hören. Strauß hatte bald seinen Vater erreicht, in feinem Detail und modernem Geist ihn noch überholt. Treu der Kunst form und der Familien-Tradition, schuf er sich doch sein eigenartiges Gepräge.

Wir besitzen von Strauß Sohn über 400 Werke, größtentheils Tanzmusik. Wenige Menschen haben eine Vor stellung davon, welche Masse musikalischer Erfindung auch nur zwanzig Walzerpartien verschlingen. Ich habe vor Jahren einmal den Wunsch ausgesprochen, Strauß, der so manche Neuerung gewagt hat, möchte unsere ganze mosaikartige Walzerform reformiren, sie zu einer musikalischen Einheit erheben. Die gegenwärtige Form der Walzermusik birgt ein

großes Hemmniß für deren künstlerische Entwicklung wie für jeden Componisten von besserem Wissen und Können. Die enge festgeschlossene Form des Walzers läßt auch die kleinste Entwicklung einer Melodie nicht zu; diese ist, so wie sie zu Ende gekommen, auch spurlos ab gethan, um einer zweiten, dritten u. s. f. Platz zu machen, bis alle fünf Walzer wie eine unzusammenhängende Bilder reihe in einem Guckkasten abgerollt sind. Zu Einem Tanz braucht der Componist, außer Introduction und Coda, fünf selbstständige Walzer — unsere Großeltern opferten sogar zwölf „Deutsche“ in jeder Walzerpartie — eine musika lische Verschwendung, welche den reichsten Melodiker bald erschöpfen muß. Ich denke mir den Walzer nicht aus fünf selbstständigen, zusammenhanglos aneinandergereihten Stücken aufgebaut, sondern als Ein zusammenhängendes, abge schlossenes Ganzes. Dazu würden ein bis zwei Haupt themen hinreichen, denen (innerhalb der Grenzen der Tanz barkeit) eine freie musikalische Entwicklung vergönnt und geboten wäre. Man wolle dabei nicht etwa an Zukunftsmusik denken, Gott bewahre, sondern nur an die heutige Gestalt einer Strauß’schen Polka-Mazurka, welche nach einem Mittelsatz (Trio) den ersten Satz wiederholt. In größerem Rahmen finden wir dergleichen erweiterte, einheitliche Walzer bereits in dem ersten Finale von „Hanns Heiling“, im zweiten von Gounod’s „Faust“, im ersten von Brüll’s „Goldenem Kreuz“. Strauß selbst hat in seinem „Lustigen Krieg“ ein treffliches Beispiel davon gegeben. Nur durch diese conden sirte Form entginge der Componist dem Uebel, ein halb Dutzend neuer Motive zu erfinden, um sie frischgepflückt gleich fortwerfen zu müssen; nur durch sie könnte der Walzer sich zu einheitlicher, zugleich freierer Form und ausge prägtem Charakter entwickeln. Strauß ist nicht darauf ein gegangen, obwol er in seinem neuen „Kaiserwalzer“ eine Art Neuerung in die Walzerform bereits einzuführen ver sucht hat.

Noch einen zweiten, viel erheblicheren Wunsch habe ich oft und leider vergebens an Strauß gerichtet; er möge ein ganzes Ballet für die Oper componiren. Er wäre der

rechte, vielleicht der einzige Mann dazu, uns ein Ballet zu schaffen, dessen musikalischer Werth alle Bürgschaft für län gere Dauer in sich trüge. Ein Ballet von Johann Strauß, nicht aus Johann Strauß, wie wir deren jetzt haben. Die besten französischen Operncomponisten, Herold, Adam, Halévy, haben es nicht verschmäht, nebenbei Ballette zu schreiben; daß diese Thätigkeit auch materiell nicht unfrucht bar sei, beweisen uns die Ballette von Delibes, welche seine Opern überlebt und noch heute von ihrer Wirkung nichts eingebüßt haben. Es wäre thöricht und undankbar zugleich, wollten wir Strauß, der uns so reich mit Musik aller Art beschenkt hat, diese unerfüllten Wünsche nachtragen. Ich erwähne ihrer nur nebenbei, freilich nicht ohne die stille Hoffnung, Strauß könnte doch noch einmal daran Gefallen finden. Frisch und schaffenskräftig, wie wir unsern Jubilar vor uns sehen, verspricht er uns noch manche holde Ueber raschung. Möge er alt werden und jung bleiben wie sein achtzigjähriger College Verdi!

Unversehens habe ich bisher immer nur von dem genialen Tanzcomponisten gesprochen. Seit zwanzig Jahren hat aber der „Walzerkönig“ sein Königreich erweitert und sich die Bühne erobert. Strauß ist meines Wissens der einzige Componist, der nach dreißig Jahren ausschließlicher, verschwenderischer Productivität in Tanzmusik sich zum dramatischen Tonsetzer aufgeschwungen und als solcher erfolgreich behauptet hat. Was könnte ich an dieser Stelle Neues darüber sagen? Die jetzige Generation hat alle Strauß’schen Premièren mitgemacht und ich habe sie, von Indigo“ an, fast alle besprochen. Den gesammten bio graphischen Stoff findet man in L. Eisenberg’s lesens werthem Buch „Johann Strauß“ vollständig aufgearbeitet. Und keine kritische Abhandlung wollte ich zum heutigen Tage darbringen — nur einen herzlichen Glückwunsch und Gruß an den großen Freudenspender Strauß!

Genau vor zehn Jahren war es mir vergönnt, in dieser Zeitung das vierzigjährige Jubiläum von Johann Strauß zu feiern. Seither hat sich glücklicherweise nichts an ihm verändert. Nur Eines ist nachzutragen, zu seinem Lob

und unserer Freude: daß Strauß in den letzten zehn Jahren nicht müde geworden, daß er jung und liebenswürdig ge blieben ist als Mensch wie als Componist. In dieses letzte Decennium fällt unter Anderm sein „Zigeunerbaron“, eines der frischesten, zugkräftigsten Stücke, dem ich nebst dem Lustigen Krieg“ die ersten Stellen nach der „Fledermauszugestehen möchte. Denn diese bleibt doch immerdar das auserwählte heraldische Thier im Strauß’schen Wappen. Hier fließt am reichsten, anmuthigsten und natürlichsten die echt Strauß’sche Melodie über ein Lustspiel hin, welches dem Talente des Componisten verwandt entgegenkam und ihn nirgends verleitete, sein Naturell umzuzwingen. Wer, wie Strauß, in rascher Folge vierzehn Bühnenwerke geschrieben, der darf nicht hoffen, damit lauter Haupttreffer zu machen. Einige, die vielleicht zu viel Maus oder zu viel Vogel waren, mußten sich mit geringerem Erfolge begnügen. Aber selbst dem schwächsten Werke von Strauß ist ehrlich nachzu rühmen, daß es blühende Musik enthält und geniale Ein fälle, wie sie nur von Strauß herrühren können. Ich brauche nicht ausdrücklich zu sagen, daß es die Scenen heite ren Charakters und anmuthiger Tanzweise sind. Kurz, über jede seiner gesammelten Operetten könnte Strauß das Motto des persischen Dichters setzen: Manches mach’ ich auch wie And’re, Manches macht ein and’rer Mann Besser, aber Manches mach’ ich, Was kein And’rer machen kann.

Mit der Popularität unseres Strauß kann sich heute kein Zweiter messen. Sie hat noch in den letzten Jahren eher zugenommen als eingebüßt. Wie wenige Tonkünstler können an der Schwelle des 70. Lebensjahres sich dieses Glückes rühmen! Paul Lindau erzählt von seiner amerika nischen Reise, wie am See Minnetoka plötzlich die Klänge eines Strauß’schen Walzers an sein Ohr schlugen und ihn so tief ergriffen, daß er zum erstenmale Heimweh bekam. Wir Glücklicheren brauchen nicht an den See Minnetoka zu reisen; die schönsten Strauß’schen Melodien und Strauß selbst haben wir hier bei uns an der schönen blauen Donau!