Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10829. Wien, Dienstag, den 16. October 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10829. Wien, Dienstag, den 16. October 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 16.10.1894
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Vom Strauß-Jubiläum.

Ed. H. Die Strauß-Festlichkeiten haben sich vom Theater an der Wien in die Hofoper und von da in den Musikvereins saal fortgepflanzt, ohne in diesen drei Tagen an Glanz oder Wärme einzubüßen. Ja, in dem großen Festconcert gestaltete das Verhältniß zwischen den Zuhörern und dem Jubilar sich noch intimer, da Strauß (in seiner Parterreloge weithin sichtbar) dem ganzen Publicum nahe gerückt war und fast zu diesem gehörig schien. Bei seinem Erscheinen und nach jedem Stücke des (nur Strauß’sche Compositionen enthaltenden) Programms lebhaft ausgezeichnet, mußte er immer und immer wieder sich dankend verneigen; dabei cedirte er mit bescheidener Handbewegung jeden Beifall an das Orchester. Dem Concert ging ein Festgedicht von Alfred Freiherrn v. Berger voran, das Frau Hohenfels mit der ihr eigenen warmen und schlichten Herzlichkeit vortrug. Sinnig, dabei schwungvoll belebt, wie ihre Rede, ist auch der Prolog selbst, der in jeder seiner zwölf Strophen einen treffenden Gedanken bringt. Aus Berger’s Gedicht — einem der besten mir be kannten Gelegenheits-Prologe — fühlt man heraus, daß der hochbegabte Dramaturg und Aesthetiker auch musikalischen Enthusiasmus besitzt. Nun spielte das Hofopern-Orchester (unter Director Fuchs Leitung) ganz unvergleichlich die Ouvertüre zur „Fledermaus“. So hat sie der Componist gewiß noch nicht gehört und wir auch nicht. Es klang bei nahe classisch. Auf dieses Gaudium folgte, unter Jahn’s Direction, die reizende Balletmusik aus dem „Ritter Pazman“. Zur vollen Wirkung dieser Composition gehören unbedingt die charakteristischen Tänze selbst, die schmucken Tänzerinnen in slavischer und ungarischer Nationaltracht, umgeben von der Pracht der königlichen Festhalle. Die geistvollen Einzel heiten der Instrumentirung konnte freilich der Musiker, unabgelenkt von diesem Anblick, noch aufmerksamer genießen und bewundern, als in der Oper. Damit auch die über seeischen Colonien des Walzerkönigs nicht unvertreten bleiben, spielte das Hofopern-Orchester den „Egyptischen Marschund Herr Alfred Grünfeld den „Persischen“. Stürmi schen Beifall erhielt eine neue Concert-Paraphrase des „Fleder

maus“-Walzers von Grünfeld. Die beänstigenden Schwierig keiten dieses Bravourstückes werden zum Glück etwas ver deckt durch die wundervolle Rhythmik und Elasticität, mit welcher Grünfeld Tanzweisen vorzutragen weiß. Auch der Wiener Männergesang-Verein steuerte zwei Strauß’sche Walzerpartien zu dem Festconcert: „Wein, Weib und Gesang“ und „An der schönen blauen Donau“. Beide Chöre, von dem Dirigenten Kremser mit hübschen Vor tragseffecten ausgestattet, machten Furore. Demungeachtet höre ich sie weit lieber vom Orchester allein. Die Tanz melodie ist wegen ihres so stark hervorgehobenen Rhythmus wesentlich instrumentaler Natur; einem hundertköpfigen Männerchor in den Mund gelegt, wird sie leicht plump und aufdringlich. Ueberdies merkt man den genannten Chor walzern nur zu deutlich an, daß die Musik nicht aus der Dichtung hervorgewachsen, sondern diese dem fertigen Ton stücke nachträglich angepaßt ist. Franz Gernerth hat dieses Geschäft mit bewährter Geschicklichkeit verrichtet — das Ganze bleibt aber doch bestenfalls eine Ehe zur linken Hand.

Für Strauß war dieser dritte Tag ebenso ehren- und jubelvoll, wie die beiden vorausgegangenen, über welche eine andere Feder bereits ausführlich und lebensvoll berichtet hat. Ich werde mich auf einige wenige Ergänzungen be schränken; weiß ich doch, daß man sich niemals an Strauß, wol aber bald an Strauß-Feuilletons übersättigt.

Der außerordentliche Erfolg der neuen Strauß’schen Operette „Jabuka, oder: Das Apfelfest“ verspricht nachhaltig zu bleiben. Er ist überwiegend ein Sieg der Musik, nicht des Librettos. Das Textbuch vermochte durch einige lyrische Ruhepunkte schöne Musik hervorzulocken, keineswegs aber durch die eigentliche Handlung, die sich zähe und uninter essant fortspinnt, noch durch die handelnden Charaktere, welche theils physiognomielos und verbraucht, theils recht unsympathisch sind. Es verlautet, daß von den beiden auf dem Theaterzettel genannten Autoren Herr Davis (der Verfasser eines im Burgtheater beifällig aufgenommenen Lustspiels) die Handlung erfunden hat, während die Gesangstexte von Herrn Max Kalbeck herrühren. Letzteres konnte man beinahe errathen, denn so formschöne, echt musikalische, dabei sogar vernünftige Verse macht heute kaum ein zweiter Textdichter. An der Musik

von Strauß kann man sich ehrlich freuen. Noch immer so viel Schaffenskraft und gute Laune! Es ist erstaunlich. Selbst von einem Fortschritt kann man sprechen. Das Apfelfest“ scheint mir viel besser, als seine Vorgängerin, die „Fürstin Ninetta“; es ist natürlicher, ruhiger und ein heitlicher. Freilich, jener hinreißende Walzer-Rhythmus von elementarer Kraft, wie er frühere Werke von Strauß durchschäumt, fehlt der neuen Operette, in welcher eine Vor liebe für langsames Walzertempo und empfindsame Stim mungen vorherrscht. Auch liebt Strauß in neuester Zeit häufiger Tact- und Rhythmuswechsel, Abreißen und Wieder anknüpfen des melodischen Fadens gegenüber der früheren Geschlossenheit seiner Form. Mit schöner Wirkung benützt Strauß im „Apfelfest“ Anklänge an serbische Volkslieder; so in dem echt poetischen Chorliede „Ueberschneit von tausend weißen Blüthen“, in dem reizenden Gesang der Jelka „Welch ein Schwanken“ mit seiner originellen Beschleunigung des Rhythmus nach den ersten acht Tacten, endlich in dem aller liebsten Zweigesang „Wiehern hell die Rosse dein“. Ich erinnere noch an das kleine Duett zwischen Mirko und Jelka im ersten Act, dann an das ländlerartige Quartett der beiden Liebespaare mit der reizenden Flötenbegleitung. Das sind lauter werthvolle Stücke, denen die Frische der Jugend eignet und zugleich die Feinheit des erfahrenen Alters. Manche weniger originelle Nummern sind wieder durch die Kunst der Instrumentirung so sehr gehoben und verschönt, daß man ihre Aehnlichkeit mit früheren Straußschen Melodien leicht vergißt. Ein Componist von der außer ordentlichen Fruchtbarkeit unseres Strauß kann nicht in jeder Nummer neu und originell sein. Genug, daß er stets nur an sich selbst erinnert, niemals bei Anderen borgt. An der lebendigen, dabei stets vornehmen Klangschönheit seines Orchesters kann man sich nicht satt hören. Ich erinnere nur an die Begleitung von Mirko’s Strophe „Und sollt’ ich darum sterben müssen“ am Schluß des ersten Actes. Welch wunder barer Zusammenklang von Harfenaccorden, pizzikirten Vio loncellen, Flöten und leisen Geigenklängen, die wie feine Silberfäden sich durch das Ganze ziehen! Zauberisch wirken ferner durch ihre Instrumentirung die zarten Zwischenact musiken vor dem zweiten und dem dritten Act. — Die Auf führung war sehr sorgfältig vorbereitet und von Herrn Capell

meister Müller mit Umsicht dirigirt. Fräulein Pohlner, eine stimmkräftige und tactfeste Sängerin, gab die Jelka; ihr ist es leider nicht gegeben, durch liebenswürdige Anmuth oder einen Anflug von Humor diesen ziemlich unausstehlichen Charakter zu mildern. Herr Streitmann (Mirko) verdient alles Lob dafür, daß er sich mehr als sonst mäßigte. Herr Felix (Vasil), ein hübscher junger Mann mit einer hinaufgetriebenen Baritonstimme, ist als Sänger ganz Natu ralist. Herr Josephi und Frau Biedermann thaten für ihre ganz undankbaren Rollen alles Mögliche und noch etwas mehr. Alle Mitspielenden überragt Herr Girardi, welcher aus dem Gerichtsdiener Joschko eine unvergeßliche Figur schafft. Durch seinen Humor weiß Girardi diesen ge meinen Lumpen, welcher für Geld zu jeder schmutzigen In trigue bereit ist, fast liebenswürdig zu machen.

Gleich dem „Apfelfest“ dürfte auch das neue Ballet Rund um Wien“ noch lange, nachdem die Strauß- Jubiläums-Fanfaren verklungen sind, dem Publicum Ver gnügen bereiten. Das Sujet (von Gaul und Willner) ist dem modernen bürgerlichen Leben entnommen, greift aber zu gleich durch Einführung allegorischer Figuren („der gute Genius“, „der böse Genius“) auf den Geschmack der Raimundschen Epoche zurück. Die Handlung wird mehrmals für längere Zeit unterbrochen, um irgend einem glänzenden Schaustück Raum zu geben, das mit dem dramatischen Inhalt gar nichts zu thun hat. Auch in der historischen Anordnung herrscht die größte Liberalität. Unmittelbar nach einem Fest für Johann Strauß in der Rotunde und einem Wettrennen in der Freudenau, mit Bookmakern und Cavalieren, welche (natürlich nur zur Hebung der edlen Pferdezucht) ihr Hab und Gut verwetten, erscheinen Truppenkörper aus der Zeit des sieben jährigen Krieges! Indessen, ein Ballet sieht man auf solche dramatische Seitensprünge nicht so genau an, wenn sie nur sehenswerth und geschmackvoll sind. Und dieses Lob verdienen die Bilder in „Rund um Wien“ vollauf: das Wettrennen, die Volksscenen beim Heurigen, die militäri schen Evolutionen und vor Allem das Ballfest in der Ro tunde, das durch ein Potpourri Strauß’scher Walzer blü hendes Leben erhält. Diese Scene wurde zu einer rauschen den und herzlichen Huldigung für Strauß, wie sie im Hof operntheater noch nicht erlebt worden ist. Der Componist

des neuen Ballets, Herr J. Bayer, fand sich diesmal in seinem Schaffen etwas eingeschränkt, denn ein ganzer Act wird musikalisch von Wiener Volksweisen in Anspruch ge nommen, ein anderer von Strauß’schen Walzern. So mußte er sich denn als Tanzcomponist mit einem hübschen Walzer (gleich in der Introduction) und einer flotten Jockey-Polka begnügen. Um so größere Sorgfalt hat er an den eigentlich dramatischen, illustrirenden Theil seiner Partitur gewendet und denselben geschmackvoll und charakteristisch ausgeführt. In der Instrumentirung hat er viel von Strauß gelernt — dem besten Muster, das man wählen kann. Von der trefflichen Aufführung und der überaus glänzenden Ausstattung des neuen Ballets sind unsere Leser bereits unterrichtet. Ich möchte nur noch die ausgezeichneten mimischen Leistungen von Fräulein Pagliero und Herrn Frappart hervorheben, welche die schaurige Nachtscene unter der Reichsbrücke mit erschütternder Wahrheit spielen. Insbesondere hat mich das Spiel Frappart’s über rascht, das in dieser hochdramatischen Scene gar nichts von der conventionellen, krampfhaften Action des Ballets ver rieth, sondern des besten Schauspielers würdig war. An dem Gerücht, Frappart gedenke der Bühne Adieu zu sagen, kann unmöglich etwas Wahres sein. Dieser Künstler hat mit unserem Strauß ein Glück und ein Verdienst gemein: er ist gefeit gegen das Alter und durch kein Jubiläum zu beugen.

Die Festlichkeiten zu Ehren Strauß’ hatten gestern noch ein intimes Nachspiel in der Wohnung des Jubilars: den Empfang der verschiedenen Gratulanten und Deputationen. Dazu mußte doch auch die Musik ihren Segen geben. Sie gab ihn in Form einer Orchester-Serenade, welche Herr Robert Fuchs für diese Gelegenheit componirt hatte. Der Componist, der speciell auf dem Gebiete der Serenade schon manchen schönen Erfolg errungen, hatte die glückliche Idee, in dem letzten von den fünf Sätzen zwei Motive aus dem „Fledermaus“-Walzer zu benützen und aufs wirksamste contrapunktisch zu verarbeiten. Es ist unglaublich, wie sehr solcher Impfstoff das Blut verbessert. Das große Publicum wird demnächst Gelegenheit haben, in einem Concert der Philharmoniker die Gratulations-Serenade von Fuchs zu hören. Ihren schönsten Zweck hat sie gestern erfüllt; dem Lieblinge Wiens Freude zu machen.