Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10845. Wien, Donnerstag, den 1. November 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10845. Wien, Donnerstag, den 1. November 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 01.11.1894
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Neueste Liszt-Literatur. (Lina Ramann. La Mara.)

Ed. H. Fräulein Lina Ramann hat endlich ihre ge waltige Liszt-Biographie zum Abschluß gebracht. Franz Liszt“ von L. Ramann. Zweiter Band, zweite Abtheilung. (Leipzig, bei Breitkopf & Härtel, 1894.) Eine Regung schämiger Verlegenheit über dessen beispiellose Auf bauschung mag sie bewogen haben, den mehr als fünf hundert Seiten füllenden dritten Band als „zweite Abtheilung des zweiten Bandes“ zu bezeichnen. Auch den aufrichtigsten Verehrern Liszt’s dürfte die Lectüre dieser drei Bände eine recht mühselige Unterhaltung gewähren. Es ist ein apologetisches Buch im kühnsten Sinn des Wortes, geschriebener Götzendienst. Wer sich der Verzückung erinnert, mit welcher im ersten Band das kleinste Clavier stücklein Liszt’s bewundert worden, der konnte darauf gefaßt sein, daß Fräulein Ramann bei den Symphonien und Ora torien der Athem ausgehen werde. Für sie ist eine Variation in Liszt’s Opernphantasien „ein aufgefangener Strahl des Prisma des Geistes“, und hat das „mächtige Crescendo“ darin nur noch seinesgleichen bei — Michelangelo! Den kritischen Theil ihrer Arbeit hätte die Verfasserin sich beinahe ersparen können, indem sie unter ein Verzeichniß sämmtlicher Liszt’scher Compositionen einfach schrieb: Alles im höchsten Grade bewunderungswürdig, genial, vollendet, „bahnbrechend“ und „reformatorisch“. Die peinliche Um ständlichkeit der beiden früheren Bände war für den dritten freilich schwer beizubehalten, sollte dieser nicht mindestens tausend statt fünfhundert Seiten füllen; es mußten nament lich die langen historischen Excurse zu Gunsten der musi kalisch-kritischen Beleuchtung eingeschränkt werden. Der weitaus größte Theil dieses neuen Bandes behandelt die Weimar’sche Periode von 1848 bis 1861. Als Introduction dient eine Charakteristik der Fürstin Caroline Wittgenstein. (Warum sie in einem deutschen Buch stets „Carolyne“ genannt wird, ist mir nicht klar.) So kühl und ab günstig die Verfasserin im ersten Band von der Gräfin d’Agoult, der Mutter von Liszt’s Kindern, gesprochen hatte, so enthusiastisch preist sie jetzt die Fürstin

Wittgenstein — die Frau, „welche Liszt seiner hohen Be rufung zum Componisten zuführte“! „Ihre, wenn auch oft phantastischen, aber immer idealgetränkten Ge danken über die Instrumentalmusik wirkten wesentlich hiebei mit; insbesondere da, wo sie wie eine religiöse Naturgewalt den Punkt im Wesen Liszt’s trafen, der, zurückgehaltene Gluth, nur wahlverwandter Berührung bedurfte, um sich zum Kunstwerk zu entzünden.“ Aus dem Qualm dieser Rede entwickelt sich, daß Liszt die Anregung zu seiner Dante-Symphonie der Fürstin verdankte. Höchst charakteri stisch für Liszt’s Musikanschauung und Methode ist es, wie er sich die Form dieser Composition gedacht hat. Man höre: „Das von Gropius in Berlin kurz vorher zur künstle rischen Höhe vervollkommte Diorama hatte Liszt wie die Fürstin solchermaßen beeindruckt (!), daß der Gedanke bei ihm wie bei ihr auftauchte: in der Verbindung des Diorama mit der Musik müßte der letzteren noch ungeahnte Wirkung erstehen. Die Malerei sollte in Bildern dioramaartig die Symphonie begleiten und der Gesang — ein Chor am Schluß des Werkes — die Krönung der Leiden in der errungenen Seligkeit, in dem mystischen Magnificat verkünden.“ Diese von L. Ramann bewunderte „große Idee“ war Liszt durch äußere Verhältnisse aufzu geben gezwungen. Ich möchte es eher ein Glück für Liszt nennen, daß er ein so ganz unkünstlerisches, dilettantisches Vorhaben unausgeführt lassen mußte. Die Dante-Symphonie erfährt in einem späteren Capitel natürlich die genaueste Analyse — aber von dem bloßen Entwurf dazu kann die Verfasserin schon in der Einleitung sich nicht trennen. „Dieser Entwurf,“ sagt sie, „weist auf den Stand der geistigen Sonnenuhr des Componisten hin, deren Zeiger in der That nach den Höhenpunkten hinweist, die seit Jahrtausenden Intellect und Phantasie der Denkbe flissenen beschäftigt haben, zu denen aber eine Leiter zu bauen nur der kirchlichen Dogmatik gelingen wollte.“ Endlich bildet dieser vielbesprochene „ideelle Entwurf der Dante- Symphonie auch noch „gleichsam den geistigen Vermälungs ring“ Liszt’s mit der Fürstin Wittgenstein“.

Nach einer detaillirten Beschreibung der „Altenburg“ behandeln vier Capitel „Liszt’s bahnbrechende und reformatorische Thätigkeit als Dirigent“. („Auf seinem Dirigentenpulte lagen bereits auf

geschlagen die großen Partituren und die musikalischen Reform-Ideen der Zeit.“) Es folgen als weitere Capitel: Liszt als Lehrer der reproducirenden Künstler, Liszt als Schriftsteller, Liszt’s Compositionen deutsch-natio naler Richtung (vier Capitel), Liszt’s Ungarische Musik, Die symphonischen Dichtungen, Neue Schöpfungen für das Clavier, Liszt’s Eintreten in die kirchenmusikalische Reform und Abschluß der Weimar-Periode. Wer L. Ramann’s unabsehbare Analysen der symphonischen Dichtungen oder der Kirchen-Compositionen liest, worin theils mit über schwänglicher Sentimentalität, theils in dem trockenen philo sophischen Hegel-Jargon Brendel’s die tiefe Bedeutung jedes Tactes ausgegraben wird — der behält wol für sein Leben lang einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alle poetisch- philosophische Musikbeschreibung und Nacherzählung. So heißt es z. B. über eine Stelle im ersten Satze der „Faust“-Symphonie: „So schweben Physis und Psyche, von dem Gewinde der Violinen umschlungen, in noch ungelöstem geheimniß vollen Bunde der Einheit dahin. Nur ein Moment — die Sehnsucht reißt das Band und schwillt zu heftiger Erregung, der das Motiv II zur Folie dient, es schwillt zu leidenschaftlichem Strom, um, plötzlich gedämpft, nur noch ein nachzitternder Schatten zu sein, in den eine Willenszuckung gewaltsam hineintritt, sich wiederholt und dann in kurzem, aber zwingendem Anlaufe sich zum fünften Thema zusammen ballt. Auf Dreiklänge gestellt, mit diesen in sich gefestigt bis zur Großheit, scheint nun der sich zum Uebermenschlichen emporreckende Faust, den weicheren Regungen trotzend, sich von ihnen abzuwenden: der weltliche Dreiviertel-Tact des Themas gibt dieser Groß heit eine andere Richtung“ u. s. w. Das fünfte Buch behandelt die letzten Jahre Liszt’s mit den Hauptstationen Rom, Weimar, Budapest. Hier durften wir hoffen, Neues zu erfahren, insbesondere über die lange vor bereitete und dann in zwölfter Stunde gescheiterte Ver mälung Liszt’s mit der Fürstin Wittgenstein. Die Verfasserin weiß jedoch über diese merkwürdige Begebenheit nichts Anderes zu berichten, als was La Mara bereits in der Münchener Allgemeinen Zeitung vom 22. October 1893 („Liszt und die Fürstin Wittgenstein“) nach Mittheilungen aus dem Munde der Fürstin selbst veröffentlicht hat. — Der Hauptsache nach verlief dieses Drama folgendermaßen: Die Fürstin Wittgenstein hatte Liszt 1847 in Odessa kennen und lieben gelernt. Sie zerriß die nur noch äußeren Bande, die sie an den ungeliebten Gatten ketteten, und verließ mit ihrer zehnjährigen Tochter, Prinzessin Marie, Rußland, um

sich auf der Altenburg bei Weimar, einer Besitzung der Großherzogin, niederzulassen. Auch Liszt bezog einen Flügel desselben Schlosses. Die Fürstin hatte bei der geistlichen Behörde in Rußland eine Scheidungsklage eingereicht, auf deren Erledigung sie, die Katholikin, viele Jahre lang harren mußte, während ihr Gemal, als Protestant, die Lösung des Ehebundes leicht erlangte, auch bald eine zweite Heirat schloß. Im Frühjahre 1860 reiste die Fürstin nach Rom, um da selbst die bisher noch immer vergeblich erstrebte Lösung ihrer Ehe persönlich zu betreiben. Endlich gelang es ihr, über die Intriguen der ihr feindselig gesinnten polnischen Anver wandten zu siegen: der in Rußland geführte Scheidungs proceß wurde zu ihren Gunsten entschieden, und der Papst ertheilte seine Sanction. An Liszt’s Geburtstag, dem 22. October 1861, sollte in Rom in aller Stille die Trauung stattfinden. Alles war dazu bereit. Da eilte die fromme Fürstin Odescalchi, eine Polin von Geburt, nochmals zum Papst mit der dringenden Bitte, den „Meineid“ der Fürstin, wie sie es nannte, in letzter Stunde noch zu verhindern. Pius IX. wurde erschüttert, verlangte schleunigst die Proceß acten zu nochmaliger Prüfung und befahl einen Aufschub der Trauung. Von einer Art abergläubischer Scheu erfaßt, verweigerte die Fürstin die verlangten Acten. Ihr durch vierzehn lange Jahre so heiß erstrebtes Ziel schien nun wieder in unbestimmte Ferne gerückt. Als bald darauf, im März 1864, ihr Gemal Fürst Nikolaus Wittgenstein starb, stand ihrer Vermälung mit Liszt freilich nichts mehr im Wege. Sie verzichteten jedoch. Es war, als ob die Beiden sich gesagt hätten: Jetzt freut es uns nicht mehr. Die Fürstin war fromm geworden, trieb theologische Studien und schrieb kirchenpolitische Schriften, und Liszt wurde Abbate.

Weit besser als aus den redseligen drei Bänden der Lina Ramann lernen wir Liszt aus einem schmächtigen Buche kennen, das den Titel führt: „Franz Liszt’s Briefe an eine Freundin“, herausgegeben von La Mara. (Leipzig, 1894, Breitkopf & Härtel.) Liszt zeigt sich hier von der liebenswürdigsten und edelsten Seite seines Charakters, aufrichtig und unbefangen. Diese vertrauten Briefe um fassen 31 Jahre seines Lebens; sie beginnen mit dem April 1855 (also um die Zeit, da Liszt als Componist großer Tondichtungen hervortrat) und enden im Juli 1886, wenige Wochen vor seinem Tode. Und wer ist die Freundin, die

sich eines so langen, ununterbrochenen Briefwechsels mit Liszt rühmen durfte? „Der Name thut nichts zur Sache,“ sagt uns Frau La Mara. Schade! Wir ehren so discrete Verschwiegenheit, möchten sie aber dennoch beklagen im Interesse der ungenannten Freundin selbst. Denn eine hoch begabte, geist- und gemüthvolle Dame mußte es sein, welcher Liszt unwandelbar so rührende Theilnahme, Sorg falt und Offenherzigkeit bewahrt hat. Wir erfahren aus dem kurzen Vorwort nur so viel, daß Madame X. eine zeitlang in WeimarLiszt’s Unterweisung genoß und dann über Paris nach Brüssel zu ihren Angehörigen zurückgekehrt ist. In mißliche Vermögensumstände gerathen, wollte sie an fangs durch Clavierunterricht ihren und ihrer zwei Söhne Lebensunterhalt gewinnen, betheiligte sich aber bald am Be rufe ihres Vaters bei diplomatischen Missionen und der Redaction politischer Zeitschriften. Ihre Beziehungen setzten sie in den Stand, Liszt über Constellationen und Vorkomm nisse der europäischen Politik zu berichten, noch bevor die selben öffentliches Gemeingut geworden waren. So füllen denn abwechselnd rein persönliche, musikalische und politische Mittheilungen diese durchaus in französischer Sprache ge schriebenen Briefe. Aus Liszt’s musikalischen Urtheilen inter essirte uns zumeist das über Schumann’s Oper „Genovefa“. „Sie wissen,“ schreibt Liszt im April 1855, „daß mir selbst die Dummheiten geistreicher Leute lieber sind, als der Geist der Dummen, und gewisse Fehler angenehmer, als gewisse Tugenden. In diesem Sinne gibt es verfehlte Werke, die viel werthvoller sind, als andere wohlgelungene und sehr erfolgreiche. „Genovefa“ steht unter jenen in erster Linie und wird eine selbstständige Bedeutung behaupten in der Ent wicklung der deutschen Oper. Seit mehreren Jahren hören wir bei allen Opern-Novitäten die stereotype Anklage gegen das Textbuch. Seltsam, daß Schumann, welcher andere Opern texte so gut kritisirte, fast in dieselbe Schlinge gefallen ist. Der Stoff hätte legendenhaft behandelt werden müssen, zart, eigenartig, der katholischen Phantasie entsprechend. Vor Allem durfte das erste Element des musikalischen Dramas, die Leidenschaft, nicht fehlen, ohne welche der ganze Rest überflüssig ist. Die Musik kann schlechterdings der Leiden schaft nicht entbehren. Sie ist ihr Lebensnerv, mehr noch als das Geld für die Kriegführung. Dieser Nerv hat Weber gerettet und ihm einen eigenen Platz gesichert neben

den in scheinbarem Wissen und zurücktrebendem Classicis mus eingesargten deutschen Componisten seiner Epoche. Bei Schumann erreicht die Leidenschaft selten jene Momente höchster Steigerung, wo sie augenblicklich aufblüht in Aller Herzen; man könnte sagen, sie zog sich krampfhaft in seinem eigenen zusammen — „und dann summt und brummt er so dahin, wie ein specifisch musikalisches Spinnrad.“ (Die letzten Worte sind auch im Original deutsch.) Trotz dem verdient Schumann die höchste Beachtung, und man muß ihn gut studiren, wenn man wissen will, was seit einem Dutzend Jahren an vornehmster und bester Musik gemacht wird. Joachim sagte mir sehr richtig von ihm: er ist von allen Componisten derjenige, der am meisten und am natür lichsten Musik denkt. Das ist etwas, ist sogar viel, aber es ist nicht das Ganze in einer Kunst, welche noch über das Ganze hinaus streben soll.“

Ueber sich selbst, seine künstlerische Thätigkeit und Richtung, macht Liszt der Freundin manch werthvolles Be kenntniß. Das Unterrichtgeben wird ihm bald lästig, so Aus gezeichnetes er als Lehrer geleistet hat. „Ich bin es höchlich müde, zu lehren, was sich thatsächlich nicht lernen läßt — und das ist gerade das Allerwesentlichste in der Musik. Deßhalb bin ich sehr taub gegen die Pianisten beiderlei Ge schlechts, welche sich massenhaft bei mir anmelden, und habe jetzt meine kleine Bande auf vier bis fünf reducirt.“ Von seinen Werken spricht Liszt mit der ihm eigenen liebens würdigen Bescheidenheit, die sich nur selten Aeußerungen stolzen Selbstgefühles gestattet. Ein Wort von Bayle, welcher den Ehrgeiz „eine heilige Krankheit“ nennt, hat sich ihm tief eingegraben; doch nennt Liszt diese Krankheit „mehr als heilig, nämlich göttlich, und sie hat einen einzigen Arzt, Christus, und eine einzige Arznei, das ewige Leben.“ Voll Bewunderung spricht Liszt von dem Schauspieler Dawi son. „Das ist ein großer Künstler; seine Virtuosität hat einige Verwandtschaft mit der meinigen. Er ist schöpferisch im Reproduciren. Seine Auffassung des „Hamlet“ ist voll ständig neu.“ Am häufigsten und entscheidendsten betont Liszt seine Mission als Kirchencomponist. Im Jahre 1856 schreibt er aus Wien: „Ich habe eine feste Stellung ge nommen als religiöser und katholischer Componist. Denn da liegt ein unbegrenztes Feld für die Kunst, das zu be bauen ich den Beruf in mir fühle. Ich hege die volle

Zuversicht, daß ich in drei bis vier Jahren vollständig werde Besitz ergriffen haben von der Domäne der geistlichen Musik, welche seit 20 Jahren nur von Mittelmäßigkeiten beherrscht wird. Diese werden mir freilich vorwerfen, daß ich keine religiöse Musik mache — was richtig wäre, wenn ihre Dutzend-Marktwaare diesen Namen verdiente.“ Aus Rom schreibt er im Jahre 1861: „Ich kümmere mich nicht um die Verbreitung meiner Sachen und übe die sonderbare Tugend, welche die Väter Jesuiten die „heilige Gleichgiltigkeit“ nennen.“ Wenn sein Mephisto-Walzer in Brüssel einen schlimmen Erfolg haben sollte, was Liszt vorauszusehen scheint, so werde ihn das nicht kränken. „So wie Velasquez, ohne an seine Tadler ein Wort zu verlieren, sich begnügte, seinen Namen unter das angefochtene Bild zu setzen, so habe ich für mein Werk keine andere Prätension, als die, es geschaffen zu haben.“

Von Richard Wagner spricht er sehr oft und immer mit derselben Liebe und Bewunderung. Seitdem Liszt durch die erste „Lohengrin“-Aufführung in Weimar dem Freunde die Ruhmesbahn geebnet, wird er nicht müde, für ihn zu wirken, zu schreiben, zu sorgen. Daß dies nicht immer leicht war, bestätigt (1861) ein Stoßseufzer Liszt’s: „Es liegt mir sehr auf dem Herzen, die Correspondenz mit Wagner wieder aufzunehmen. Gewiß kann Niemand ihm ergebener sein als ich. Ich möchte auf eine oder die andere Art ihm gute Dienste erweisen, unglücklicherweise verfüge ich nicht über die hiezu nothwendigen Mittel. Er braucht durchaus viel Geld; woher es nehmen?“ Liszt bemüht sich um die Aufführung des „Tristan“, um das Schicksal des „Tannhäuser“ in Paris, um die Amnestirung Wagner’s, um die Decorirung des selben mit dem Weimar’schen Falken-Orden u. s. w. Das geht so fort bis zu Wagner’s Berufung nach München, seinem plötzlichen Glückswechsel. Da hört Wagner auf, zu schreiben. „Seit mehr als zwei Jahren,“ berichtet Liszt, „habe ich kein Lebenszeichen von Wagner! Aber da er glücklich ist, freue ich mich dessen und halte ihn mir gegen über für quitt.“ Und ein Jahr später: „Seit vier Jahren hat meine Correspondenz mit Wagner aufgehört.“ Liszt sagt das, ohne zu klagen oder anzuklagen, aber im Zusammen hang mit früheren Briefen fühlt man heraus, wie weh es ihm thut. „Von allen Lastern halte ich Undankbarkeit für das häßlichste,“ schreibt Liszt in einem anderen Briefe an die Freundin.

Liszt’s werkthätige Freundschaft, sein Zartgefühl und prunkloser Wahrheitssinn zeigen sich, den ganzen langen Briefwechsel hindurch, in immer gleichem schönen Licht. Ueber den ersten Briefen scheint mir der Nachglanz einer zärtlicheren Neigung zu liegen. Später verwandelt sich das Du seiner Ansprache in Sie, aus „Chère enfant“ wird „Chère bienveillante amie“, und die frühere geheimnißvolle Unterschrift „A. A.“ weicht dem vollen Namen „Franz Liszt“. Schwärmerisch religiöser Sinn dictirt ihm meistens die Schlußworte: „Priez pour moi!“, „Laisse-moi te bénir“, „Prions Dieu qu’il nous accorde cette foi, qui sauve“ etc. In den späteren Briefen vermissen wir diese und ähnliche Wendungen. Erst in Rom (1863 bis 1865), wo sich Liszt für den geistlichen Stand vorbereitet, tritt sein katholischer Glaubenseifer wieder merklich hervor, ja derselbe scheint aus der Entfernung auf die Freundin abzufärben; muß ihr doch Liszt einen vom Papst selbst geweihten Rosen kranz versprechen. Am 1. Mai 1865 meldet er ihr, daß er in der Capelle des Cardinals Hohenlohe die niederen Weihen empfangen habe. Sie brauche nicht zu erschrecken, ihn im geistlichen Gewand wiederzusehen, denn er trage es, wie man ihm schmeichelhaft versichert, als hätte er niemals ein anderes Kleid angehabt. „Ich fühle mich darin vollkommen wohl und so glücklich, als ich es zu sein vermag.“

Fräulein La Mara (Marie Lipsius) hat sich durch die Herausgabe dieser Briefe den Dank Aller verdient, die sich für Liszt’s merkwürdige und sympathische Persönlichkeit interessiren — und wer thäte das nicht? Wir hatten wieder holt Gelegenheit, ihren feinen Spürsinn, ihr Entdeckertalent und ihren rastlosen Fleiß zu würdigen. Ihr im vorigen Jahre (bei Breitkopf & Härtel) erschienenes Buch „Clas sisches und Romantisches aus der Tonweltgibt gleichfalls Zeugniß davon. Es enthält ungedruckte Briefe von Beethoven, Spohr, Marschner, Adolph Henselt und Robert Volkmann, die allen anderen Späheraugen bisher verborgen geblieben, nebst interessanten Schilderungen aus dem Leben dieser Meister. La Mara unterscheidet sich sehr vortheilhaft von Fräulein Lina Ramann durch maßhaltendes Urtheil, Erzählertalent und literarischen Geschmack. Man wandelt mit ihr auf reinlichem, geebnetem Weg und weder auf Wolken noch auf Dynamit-Patronen.