Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10869. Wien, Sonntag, den 25. November 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10869. Wien, Sonntag, den 25. November 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 25.11.1894
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Hofoperntheater. („Cornelius Schut“, Oper in drei Aufzügen von L. Illica, deutsch von Ludwig Hartmann. Musik von Antonio Smareglia.)

Ed. H. Held der neuen Oper ist der niederländische Maler Cornelius Schut, ein Rubensschüler dritter Ordnung, von dessen Erlebnissen uns die Kunstgeschichte nur spärlich berichtet. Möge ja Niemand die Mühe geschichtlicher Nach forschungen an unsere Novität wenden. Der Name des Helden ist historisch, alles Uebrige freie Erfindung. Corne lius Schut (geboren 1597, gestorben 1655 in Antwerpen) war, wie einer seiner Biographen sagt, ein so rüstiger Maler, daß er im Laufe von wenigen Jahren reich wurde und auf großem Fuße lebte. Er malte viel aus der Heiligen Geschichte und Mythologie, war auch ein Hauptmitarbeiter an den Blumenstücken des berühmten Jesuiten Daniel Seghers, in dessen Gehänge und Kränze er biblische Scenen, meist Maria mit dem Kinde, reliefartig Grau in Grau malte. Die kaiser liche Gemälde-Galerie in Wien besitzt von Schut ein für seine ganze Art charakteristisches Bild: „Hero beweint den Leander“. Der halbnackte Jüngling liegt todt auf dem Strand, zu seinen Häupten steht Amor, der auf einen Pfeil getreten ist und weinend ein Tuch an die Augen drückt; Hero, in gelber Gewandung, starrt mit ausgebreiteten Armen schmerzerfüllt gegen Himmel. Gemachter Idealismus und gequälte Alle gorie — aber, wie die Kenner sagen, flott gemalt. Dieser dem großen Publicum bis auf den Namen fremde Maler findet im Theater nicht die Bekanntschaft und die Sympa thien vor, wie etwa der von vier italienischen Operncompo nisten verherrlichte Rafael Sanzio. Dafür haben die Herren Illica und Smareglia wenigstens den einen Vortheil, daß sie ihrem Cornelius Schut unbehindert an- und aufrichten können, was ihnen beliebt.

Zu Beginn der Oper sehen wir die Maler von Ant werpen in einer Schänke beisammen und hören von ihnen,

daß der früher so heitere Cornelius Schut trübsinnig und Philosoph geworden sei. So producirt er sich auch selbst. Aber bei dem Anblicke einer ihm begegnenden fremden schönen Dame geräth der weltmüde Skeptiker sofort in helle Flammen. Er spricht sie an, aber Elisabeth, so heißt das Fräulein, antwortet mit keiner Sylbe und erreicht schweigend ihre Wohnung. Natürlich erscheint sie alsbald auf dem Balcon. Cornelius macht ihr von unten seine Liebeserklärung, erklettert dann den Balkon und findet schnell Erhörung. Der zweite Act spielt in der Umgebung von Antwerpen, am Alkmarsee, wo die Liebenden heimlich ein Landhaus be zogen haben. Wie der erste Act geendet, so beginnt auch der zweite: mit einem langen, langen Liebesduett zwischen Cor nelius und Elisabeth. Cornelius hat schon zwei Jahre in seinem Landhäuschen gesteckt, ohne Sehnsucht nach der Stadt zu empfinden. Da nahen sich die Maler, welche einen Ausflug nach Alkmar unternommen, und begrüßen jubelnd den langvermißten Freund. Sie erzählen von dem unge heuren Aufsehen, das sein neues Madonnenbild im Ant werpener Dom erregt, und wie sein Ruhm die ganze Stadt erfülle — er möge doch mit ihnen zurückkehren! Cornelius wäre dazu von Herzen gern bereit, aber Elisabeth zerfließt in Thränen und hält ihn verzweifelt zurück. Vergebens bittet er sie, mitzugehen und sich seines Ruhmes zu freuen; „O komm’ mit mir, sei’s nur auf Tage, auf Stunden!“ Nein, Elisabeth will weder den Geliebten begleiten, noch ihn fort lassen. Als er endlich mit dem Versprechen baldiger Rück kehr den Freunden zum Schiffe folgt, ruft sie in Ver zweiflung: „Die Liebe — oder das Kloster!“ Und trotz der unglaublichen Dummheit dieses Verhaltens der holden Elisabeth, schafft es doch den ganzen Jammer und den tragischen Ausgang des Stückes. Elisabeth ist wirklich Nonne geworden, weil Cornelius seine Freunde nach Antwerpen begleitet; er findet später das Landhaus leer und bleibt ohne jede Spur von der Ge liebten. Wir sehen ihn zu Anfang des dritten Actes in der Kirche an einem Bilde malen, oder richtiger, vor der leeren Leinwand in melancholischen Betrachtungen kauern. Da vernimmt er im Mittelschiff der Kirche die Stimme Elisa beth’s. Er stürzt ihr zu Füßen und beschwört sie, durch

ihre Liebe ihn dem Leben wieder zurückzugeben. Umsonst. „Ich bin des Himmels. Mein Herz ist todt für dich!“ Elisabeth entfernt sich mit den Nonnen. Cornelius aber malt schnell das Bildniß Elisabeth’s als Madonna auf die Lein wand und sinkt todt zu Boden.

Die ganze Handlung, welche sich weit weniger für ein Drama, als für eine psychologische Novelle eignet, spielt nur zwischen Cornelius und Elisabeth, zwei mehr leidenden als handelnden Personen. Für keine von beiden vermögen wir uns zu erwärmen. Elisabeth folgt nur ihrem bornirten Liebes-Egoismus, ihren „ahnungsvollen“ Träumen und ihrer fixen Idee: die Liebe oder — das Kloster! Schut’s Charakter erscheint verständlicher; daß er, wie seine Freunde behaupten, ein ganz außerordentlicher Mensch ist, müssen wir freilich auf Treu’ und Glauben hinnehmen. „Cornel strebt zu Höhen des Menschengeistes, seines Genius Flug beschämt des Adlers Kühnheit, furchtlos und ohne Zagen reißt er keck des höchsten Himmels Allmacht herab“ — und was solcher Prah lereien mehr sind. Von ihm selbst bekommen wir in harten, ungefügen Versen nur pessimistische Phrasen und liebestrunkene Ausbrüche zu hören; er ist abwechselnd ein Stückchen Hamlet und ein Stückchen Romeo — auf beiden Seiten gleich ver schwollen. Alle übrigen Personen, die sich um die Herzens geschichte der beiden Liebenden herumbewegen, sind im Grunde überflüssige Nebenfiguren. Ein billiges Auskunfts mittel, die Freunde Schut’s durch historische Namen inter essant zu machen! Neben Franz Hals und Craesbecke, die aus der Malergruppe individueller hervortreten, hat ein Chorist als „Teniers“, ein anderer als „Breughel“, ein dritter als „Brouwer“ je zwei Noten zu singen. Die berühmten Namen fliegen nur so herum. Man erwarte beileibe nicht ein Seitenstück zu Oehlenschlä ger’s bekanntem Künstlerdrama, wo drei große Maler, Coreggio, Michelangelo und Giulio Romano, zusammen treffen und jeder in seinem Charakter und seiner künstleri schen Eigenart treffend individualisirt ist. Das Textbuch ist im Geschmacke einer abgelaufenen Literaturströmung erfun den: der Künstler- und Klosterschwärmerei der romantischen Schule. Im Schauspiele waren auch eine zeitlang die Malerdramen in Mode. Nach Oehlenschläger’s „Coreggio

insbesondere „Van Dyck’s Landleben“. Da stellten die an muthigsten Situationen Rubens’sche Bilder dar; Scenen aus dem Soldaten-, Bürger- und Bauernleben sollten gleichsam die niederländische Malerschule repräsentiren. Aehnliches scheint dem Textdichter in den Volksscenen seines Cornelius Schut“ vorgeschwebt zu haben, aber die Wirkung versagt, weniger durch seine, als des Componisten Schuld.

Antonio Smareglia hat sich in Wien vor fünf Jahren mit seinem „Vasall von Szigeth“ nicht unvortheilhaft ein geführt. Bedeutet „Cornelius Schut“ einen Fortschritt nach jenem ersten Werke? In formaler und technischer Beziehung gewiß. Die Musik der neuen Oper ist einheitlicher, vor nehmer im Styl und noch sorgfältiger, scrupulöser in der Ausführung. Auch die Wahl des Textbuches bezeugt einen ästhetischen Fortschritt, denn mit der unsäglich brutalen Handlung des „Vasall von Szigeth“ zeigt „Cornelius Schut“ keine Verwandtschaft. Einen musikalischen Vorzug möchte ich dennoch der älteren Oper nachrühmen: ihre Chöre und Tänze im zweiten Acte haben ungleich mehr Leben und Frische, als die analogen Volksscenen in „Cornelius Schut“. Im Wesentlichen ist Smareglia’s musikalischer Charakter derselbe geblieben: er neigt entschieden zum Weichen, Senti mentalen, Schwärmerischen. Auch in „Cornelius Schut“ sind die zarten, gefühlvollen Partien die besten. So die Duette Elisa beth’s mit Cornelius, oder wenigstens Stücke daraus. Diese drei Liebesduette im ersten, zweiten und dritten Acte verhalten sich dramatisch zu einander wie Eroberung, Besitz und Verlust. Zu lang sind sie alle drei; auch fehlt ihnen das Gegen gewicht kraftvoller, farbenfrischer Musikstücke. Dazu boten die zechenden Maler, die Spaziergänger, die Kirmeß, die Schiffer- und Brummchöre Gelegenheit genug. Aber hier zeigt sich der Componist auffallend schwerblütig, temperamentlos und von dürftiger Erfindung. Auch vermissen wir in seinen Volksscenen nationale Charakteristik. Nichts als die Deco rationen und Costüme erinnern daran, daß wir uns auf niederländischem Boden befinden. Der Musik nach könnte dieses Antwerpen in jeder beliebigen Gegend liegen — Italien natürlich ausgenommen, denn weder Signor Sma reglia noch seine Landsleute verstehen mehr italienische Musik zu machen. Diese „Volksscenen“ schmachten nach einer ein

leuchtenden frischen Melodie und keckem Rhythmus. In zwei Figuren, dem Maler Craesbecke und dem Modell Gertrud, nimmt Smareglia einen kurzen Anlauf zu realistischer Fär bung; aber wie vor seiner eigenen Kühnheit erschrocken, kehrt er schnell wieder um.

Wenn ich schon nach dem „Vasall von SzigethSmareglia einen Künstler nannte, dessen Streben, Wissen und Können unsere volle Achtung erzwingt, so gilt dies noch viel mehr von seinem „Cornelius Schut“. Aber der Respect ist’s ja nicht, womit einem dramatischen Compo nisten gedient sein kann. Erheben, erschüttern, fortreißen soll er uns, wenigstens unterhalten. Das gelingt unserem Maëstro äußerst selten und gleichsam nur im Vorübergehen. Er sucht, was ihm an schöpferischer Kraft und starker Sinnlichkeit fehlt, durch kunstreiche Detailarbeit und psychologische Grübelei zu ersetzen. Oder sollte er die Naivetät, die Freude am sinnlich Schönen, diese angeborene Mitgift des Italieners, absichtlich erstickt haben, um sich zum „Dra matiker“ im Sinne Wagner’s zu machen? Schon „Der Vasall von Szigeth“ verrieth ein genaues Studium Wagner’s. Noch gründlicher hat sich „Cornelius Schutan Wagner’scher Musik vollgesogen. Die endlos, formlos sich fortschleppende Cantilene, die scharf accentuirte Declamation, der Aufwand einer effectvollen, aber ruhelosen und vordringlichen Instrumentirungskunst — das Alles verräth den zu Wagner’s Fahne übergegangenen abtrünnigen Italiener. In den Volksscenen des ersten Actes bemüht sich Smareglia mit sehr schwachem Erfolge, das Durcheinander der einzelnen Stimmen in den „Meistersingern“ nachzuahmen. Das macht Wagner eben viel besser. Und wenn im zweiten Acte die Maler den wiedergefundenen Cornelius begrüßen und zur Rückkehr bewegen („Kehr’, o Cornel, zu uns zurück“!), so mahnt die ganze Situation so lebhaft an das erste Finale im „Tannhäuser“, daß man gern etwas mehr von Wagner’s Musik dazu hören möchte. Aber der junge Wagner ist den heutigen Italienern schon zu melodiös. An klängen, sehr starken Anklängen aus Wagner’s späteren Opern begegnen wir in „Cornelius Schut“ jeden Augenblick. Ueber wiegend herrscht in der ganzen Oper der weichlich oder auf geregt sentimentale Ton. Wie gerne gäben wir ganze Seiten

dieses gefühlsschwelgerischen declamirten Singsangs für eine ein zige schön gewachsene, reinliche Melodie, die sich frei bewegt und nicht auf einem instrumentalen Ameisenhausen sitzt! Wie überdrüssig sind wir dieses allzeit bedeutsamen und nachdrücklichen Musik styls, welcher jedes Wort des (ohnehin unverständlichen) Textes im Orchester dick unterstreicht, roth, grün, blau unterstreicht, so daß wir Wichtiges von Unwesentlichem kaum mehr unterscheiden und nur lauter Farbenkleckse sehen, keine einzige deutlich umrissene Zeichnung! Mancher geist reiche, fein empfundene Zug in Smareglia’s Partitur geht rettungslos verloren in dem Nebel ihrer aufgeregten Mono tonie. So machte denn „Cornelius Schut“, wenn ich richtig beobachtet habe, auf das Publicum schließlich den Eindruck achtungsvoller Langweile. Und wenn die Langweile vorhält, wird selbst die Achtung ärgerlich.

Die sehr beifällige Aufnahme der ersten Aufführung haben wir gestern bereits gemeldet. Herr Smareglia mußte mit den Darstellern der Hauptrollen wiederholt dankend hervortreten. Applaus und Hervorruf nahmen aber nach dem letzten Acte, als der größte Theil des Publicums sich bereits entfernt hatte, einen so demonstrativ lärmenden Charakter an, daß man sie schwerlich für den Ausdruck der allgemeinen Meinung halten konnte. Aus persönlicher Sym pathie für den kenntnißreichen, ehrlichen und bescheidenen Componisten möchte ich seinem „Cornelius Schut“ eine an sehnliche Reihe von Wiederholungen wünschen. Die nächste Zukunft wird lehren, ob das Werk sich aus eigenen Mitteln zu behaupten vermag. Von Seite der Aufführung war nichts verabsäumt. Glänzend lösten der Chor und das Orchester ihre schwierigen Aufgaben unter der Leitung des Hofcapell meisters Hanns Richter. Herrn Van Dyck’s feuriger Gesangsvortrag und schauspielerisches Talent gestalteten die Figur des Cornelius Schut so interessant wie möglich. Fräulein Lola Beeth, ein Frauenbild wie kein Nieder länder ein schöneres gemalt hat, entsprach auch als Dar stellerin den Anforderungen ihrer Rolle. Zum Schlusse zollen wir auch Frau Warnegg, Fräulein Lederer, den Herren Grengg und Neidl gerne den Dank, welchen die Rollen selbst ihnen schuldig geblieben sind.