Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 10879. Wien, Mittwoch, den 5. December 1894 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 10879. Wien, Mittwoch, den 5. December 1894 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 05.12.1894
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Concerte.

Ed. H. Das zweite Gesellschaftsconcert bot eine interessantere Mannigfalt von Tonstücken und Per sonen, als die ihm vorausgegangene zweite Production der Philharmoniker. Diese bescheerte uns die „Egmont“- Ouvertüre, Liszt’s Es-dur-Concert und Bruckner’s C-moll- Symphonie Nr. 2, welche bereits in den Jahren 1873 und 1876 hier aufgeführt worden ist — also bekannte Werke. Es bleibt somit nur der Erfolg zu constatiren, welchen Herr Richard Epstein mit dem virtuosen Vortrage des Liszt’schen Clavierconcertes errungen hat.

Im Gesellschaftsconcert concentrirte sich der Antheil des Publicums zumeist auf Herrn Eugen d’Albert. Zuerst trat er als Componist und Dirigent mit zwei neuen größeren Tonwerken auf. Das „Vorspiel“ zu seiner Oper Der Rubin“ — dem Umfange nach eine stattlich aus gewachsene Ouvertüre — besteht aus zwei Theilen. Ein langes Adagio, das eine sanfte Melodie von Flöten und Oben über Harfen-Arpeggien ausführt, gilt offenbar der in einen Rubin verzauberten Prinzessin; wir begegnen dem Hauptmotiv wieder im zweiten Acte bei der Entzauberung der Schönen durch den jungen Asaf. Ein rasches Lustspiel- Allegro schließt sich an, das den kühnen Abenteurer Asaf charakterisiren dürfte, worauf als Gesangsthema das erste (Prinzessin-) Motiv in rhythmischer Verkürzung wieder auf genommen und lebhaft durchgeführt wird. Das ganze Stück ist klar und verständlich gegliedert und effectvoll instrumen tirt. Viel Originalität und aus dem Innern quellende Schöpferkraft konnte ich darin nicht entdecken. Bedeutender, schwerer faßlich ist die zweite Composition d’Albert’s, ein sechsstimmiger Chor mit Orchester-Begleitung: „Der Mensch und das Leben“. Der Inhalt des Gedichtes von Otto Ludwig liegt in der ersten Strophe ausgeprägt, welche dem Ganzen wie eine Thesis vorausgeschickt und am Schlusse wiederholt wird: „Mensch, du armer, lebengehetzter,

ewig hoffender, ewig enttäuschter Tantalus!“ Unverkennbar ist die schon im Text begründete Verwandtschaft der Com position d’Albert’s mit dem „Schicksalslied“, zum Theile auch mit dem „Parzenlied“ von Brahms. Ludwig’s Gedicht gleicht einer Paraphrase der Hölderlin’schen Ode von dem beklagenswerthen Los der Menschen, „denen es gegeben ist, auf keiner Stätte zu ruhen“. Sehr natürlich, daß d’Albert für den gleichen Vorwurf die gleichen Farben gewählt hat wie Brahms. Nur linderte er nicht, wie dieser in dem herrlichen Nachspiele des Schicksals liedes, die uns erdrückende Verzweiflung durch einen trösten den Ausblick. d’Albert, sagte ich, malt mit denselben Farben; das gibt noch nicht dasselbe Bild oder ein gleich gutes. Brahms’ „Schicksalslied“ ist ein herrliches Vorbild, aber ein sehr gefährlicher Nachbar. An solche Werke erinnert nur mit Vortheil, wer ihnen sehr nahe kommt. d’Albert greift zu größeren Dimensionen und reicheren Mitteln als Brahms (vier Hörner, drei Trompeten, drei Flöten, drei Pauken, Tuba, Contrafagott, Harfe), erreicht aber nicht die er schütternde und zugleich erhebende Wirkung des Brahms’schen Werkes, weil die gleiche Kraft und Tiefe des musikalischen Gedankens fehlt. Mit dieser sich nothwendig aufdrängenden Vergleichung sollen aber die Vorzüge von d’Albert’s Ton dichtung nicht geschmälert sein. „Der Mensch und das Leben“ ist ein Werk reifer Kunst, von großer Auffassung des Ganzen und vornehmem Ernst in jeder Note. Unter den jüngeren Componisten Deutschlands nimmt d’Albert gewiß einen hohen Rang ein. Er vereinigt künstlerischen Ernst und Aufrichtigkeit mit voll kommener Beherrschung aller Kunstmittel. Erstaunlich, wie der Neunundzwanzigjährige, der bis vor Kurzem ganz der Virtuosenlaufbahn angehörte, zu so früher Meisterschaft ge langen konnte. Was auch in seinen neuesten Werken uns noch immer abgeht, ist der Stempel der Persönlichkeit, die individuelle Physiognomie. In seiner Instrumentalmusik ver nehmen wir zwar nicht die Worte, aber die Stimmen Brahms’ und des späteren Beethoven; in der Oper (soweit ich nach dem Clavierauszug des „Rubin“ urtheilen kann) die Stimme Wagner’s. Es scheint bei d’Albert sich derselbe

Seelenproceß vollzogen zu haben, nur früher, wie bei Liszt und Rubinstein. Die Uebersättigung an der Virtuosität, worin alle drei Meister eine noch höhere Stufe und größeren Ruhm nicht mehr erreichen konnten, entfachte in ihnen die glühende Sehnsucht nach eigenem Schaffen und nach gleicher Anerkennung als Tondichter. Liszt und Rubinstein haben im reiferen Mannesalter, d’Albert schon als Jüngling nach der Palme des Tondichters gelangt in den größten, schwierigsten Musikformen. Soweit wir d’Albert bis heute kennen, über trifft er Liszt und Rubinstein an gediegener ernster Schu lung, in contrapunktischer Kunst, in Beherrschung der Form und des polyphonen Styls. Er erreicht sie aber nicht an sinnlicher Kraft und Eigenart. Uebrigens steht d’Albert als Componist im Anfang seiner Laufbahn und läßt noch einen weiten Ausblick offen. Diesen hier nur ganz allgemein wieder gegebenen Eindruck hat mir auch d’Albert’s Es-dur-Quartett (op. 11) bestätigt, das kürzlich von dem Böhmischen Quartett verein mit großem Beifall gespielt worden ist. Es scheint mir bezeichnend, daß der weitaus gelungenste und effectvollste Satz derjenige ist, welcher durch geschickteste Mache und geistreiche Zuspitzung wirkt: das Scherzo. Alle vier Instrumente mit Sordinen, die zwei oberen Geigen in Terzen pianissimo, geisterhaft auf und nieder sausend, bald von abgerissenen Pizzicato-Tönen geneckt, bald von breiten, gehaltenen Baßnoten gestützt — ein Stück von glänzender Aeußerlichkeit. Das Scherzo, von dem „Böhmischen Streich quartett“ ganz unübertrefflich vorgetragen, mußte wiederholt werden, während die drei anderen Sätze, welche nach tieferer Gemüthserregung streben, nur schwachen Eindruck erzielten. Besäße d’Albert halb so viel Sinnlichkeit wie reflectirende Kraft, so viel melodische Mitgift wie erworbene Kunst, alle Herzen wären sein.

In einer kürzlich erschienenen autobiographischen Skizze betont d’Albert mit starkem Nachdruck sein „unverfälschtes Deutschthum“, das bisweilen wegen seines französischen Namens und seiner englischen Geburt angezweifelt wird. Gewiß, den echt deutschen Charakter seiner Compositionen kann Niemand anfechten. Weniger vermag mich seine Polemik

gegen die deutschen Opernbühnen zu überzeugen. d’Albert sagt, daß „vielleicht mit Ausnahme von Karlsruhe“ (wo d’Albert’s „Rubin“ mit Erfolg aufgeführt wurde) „auf deutschen Bühnen kein Werk seines eigenen Werthes willen angenommen wird“. Das möchte ich doch bezweifeln; freilich rechne ich zu dem „eigenen Werth“ einer Oper auch den Vorzug der Bühnentauglichkeit und Wirksamkeit. d’Albert klagt, daß nur wer sich in die Gunst eines Intendanten einschmeichelt oder die Schulden eines allmächtigen Capellmeisters tilgt, in Deutschland eine Oper anbringt, „während der größte Schund, die „Medici“, „Freund Fritz“ etc.“ überall ge geben wird. Ich bin kein Verehrer von „Freund Fritz“ und Medici“, aber an noch größerem „Schund“ — wenn schon das harte Wort gestattet ist — leiden wir in Deutschland keinen Mangel; er hat nur ein anderes Gesicht. Es ist ein wunder liches, ungerechtes Vorurtheil, welches meint, daß in Deutschland mehr neue französische und italienische Opern gegeben werden, als neue deutsche. Die Zahl der letzteren ist mindesten drei- bis viermal so groß, aber die deutschen Novitäten ver mögen sich selten zu erhalten, während die fremden meistens auf dem Repertoire verbleiben. Daran sind doch nicht gerade die Theater-Directoren schuld. Sehr groß ist die Zahl der deutschen Opern-Novitäten, die in den letzten dreißig Jahren aufgeführt worden sind, seit Gounod’s „Faust“, A. ThomasMignon“ und Bizet’s „Carmen“; aber „Faust“, „Mignonund „Carmen“ erweisen sich bis heute noch lebenskräftig, während von den gleichzeitig erschienenen deutschen Opern die meisten kaum noch dem Namen nach gekannt sind. Man verfolge nur unsere Musikzeitungen. An der Hand der Theater- Statistik darf man die Behauptung wagen, daß es den neuen deutschen Opern viel schwerer ist, am Leben zu bleiben, als ins Leben zu treten. Anfänger bringen freilich ein erstes Werk, auch ein werthvolles, überall nur mühevoll zur An nahme; einem berühmten und gefeierten Künstler jedoch wie d’Albert kann dies unmöglich schwer fallen, wenn seine Oper überhaupt lebensfähig ist.

d’Albert’s Selbstbiographie hat mich nicht sowol von seiner Person, als vom Gesellschaftsconcert abgelenkt. Ich

kehre zu diesem zurück, um d’Albert die höchste Bewunderung für seinen Vortrag des Es-dur-Concerts von Beethoven auszudrücken. An Kraft und Zartheit, an glänzender Technik und eindringendstem lebendigen Verständniß der Composition, welcher von d’Albert nicht die kleinste moderne Fälschung oder eigenwillige Deutung widerfuhr, war die ganze Leistung unübertrefflich. Der Künstler feierte mit diesem Stück, was doch kaum die Hälfte seiner Virtuosität in Anspruch nimmt, einen Triumph ohnegleichen.

Zwei Chöre mit Orchesterbegleitung von Hugo Wolf, Elfenlied“ und „Der Feuerreiter“, haben großen Beifall gefunden und sind auch das Beste, was ich von diesem auf eng begrenztem Gebiete unendlich fruchtbaren Componisten kenne. Hugo Wolf betreibt die Lieder-Composition im Großen, nicht heft-, sondern bandweise, darin ein Rivale des Grazer Balladenfabrikanten Martin Plüddemann, welcher in einer eigenen Broschüre gegen die schnöden Verleger wettert, deren Zurückhaltung ihn nöthige, für seinen nächsten großen Balladenband eine vorläufige Subscription einzuleiten. Hugo Wolf componirt nicht blos Gedichte, sondern sozusagen ganze Dichter. Ein BandGoethe, 51 Gedichte (Preis 25 Mark), ein BandMörike, 53 Gedichte (Preis 25 Mark) u. s. w. Unser Componist liebt es leidenschaftlich, die Clavierbegleitung zur Hauptsache, den Gesang zum An hängsel zu machen, mitunter auch die Begleitung zu einer Art bissigem Störefried der Gesangspartie. Wie jedes selbst bewußt und revolutionär auftretende junge Talent verfügt Wolf, der angebliche Erfinder des „symphonischen Liedes“, über eine kleine enthusiastische Partei. Sie erblickt in Hugo Wolf den Richard Wagner des Liedes wie in Bruckner den Richard Wagner der Symphonie. Der Ruhm dieser beiden Neuerer soll also, wenn wir es recht verstehen, darin liegen, daß jeder aus seiner Kunstgattung (Lied, Symphonie) etwas macht, was sie nicht sein soll. Mit den zwei obgenannten Chor-Compositionen vollzieht Wolf den ersten Schritt, wenn auch nicht zu größerer Form (denn beide Stücke sind ur sprünglich für eine Singstimme mit Clavierbegleitung er schienen), so doch zu reicheren Mitteln. Sein Versuch ist

geglückt. Beide Stücke gehören jener schildernden, malenden Gattung an, welche dem Talent dieses Componisten am willigsten entgegenkommt. Die gut declamirte und meistens stimmgemäß gesetzte Chorpartie bewegt sich über einem blendenden, raffinirt effectvollen Orchester. Im „Elfenliedsind die subtilsten Künste, im „Feuerreiter“ die grellsten der modernen Instrumentirungskunst mit Erfolg aufgeboten. An manchen Stellen des „Feuerreiters“ überwuchert leider der Orchesterlärm so stark, daß man kein Wort versteht, was doch gerade in der Ballade nicht ganz gleichgiltig ist. Im Gesellschaftsconcert hat Herr Hugo Wolf sich zum ersten male einem größeren, nicht ausschließlich wölfisch gesinnten Publicum mit Glück vorgestellt. Unzweifelhaft ein Mann von Geist und Talent, hat er sich nur zu hüten vor Ueber hebung und vor „guten Freunden“.

Die letzte Nummer des Gesellschaftsconcerts war dem Andenken Rubinstein’s gewidmet. Drei Chöre aus seiner geistlichen Oper „Der Thurm zu Babel“ machten, von Gericke dirigirt und vom „Singverein“ vortrefflich ge sungen, einen überaus erfrischenden Eindruck. Es ist der Gesang der drei auswandernden Völkerstämme. Zuerst intoniren die Semiten einen feierlichen Gesang von idealisirt hebräischem Gepräge; es folgt ein Unisono-Chor der Hamiten, wahre Mohrenmusik in athemversetzendem Zweivierteltact, von wilden Trommelschlägen begleitet, ein Stück äußerster musi kalischer Realistik, aber an dieser Stelle der „geistlichen Oper“ zweifellos berechtigt. Von diesen zwei vorangehenden Chören wesentlich verschieden und gleichsam über ihnen schwebend in süßem heiteren Frieden ertönt der Gesang der Japhetiten, ein vierstimmiger Vocalsatz beinahe volksthümlich deutschen Charakters, welchen in der zweiten und dritten Strophe eine reichere Begleitung belebt und steigert. In diesen drei Chören hat Rubinstein, der ja in nationaler Charakteristik besonders glücklich war, ein lebensvolles, farben reiches Bild hingestellt, ein musikalisches Stück Völker- Psychologie. In Compositionen dieser Art wird Rubin stein seine Bedeutung und seine Gewalt über die Zuhörer lange behaupten.