Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11177. Wien, Sonntag, den 6. October 1895 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11177. Wien, Sonntag, den 6. October 1895 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.10.1895
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. („Das Mädchen von Navarra“ von J. Massenet. — „Amor auf Reisen.“ Ballet.)

Ed. H. Form und Inhalt der neuen Massenet’schen Oper verrathen deutlich die Einwirkung von Mascagni’s Cavalleria“. Ein atemlos vorwärts stürmender Einacter, nur durch ein bei offener Scene gespieltes Orchester-Inter mezzo unterbrochen. Die knappe Form ist mit tödtlichem Zündstoff gefüllt, der rasch explodirend die Hauptpersonen in Stücke reißt. Die Handlung, nach einer Novelle des Jules Claretie dramatisirt und von Max Kalbeck vor trefflich ins Deutsche übertragen, spielt in Spanien, während eines der jüngsten Carlisten-Aufstände. Ein muthiges armes Mädchen, Anita, eilt Nachts in das feindliche Lager und ersticht dort den Anführer der Carlisten — nicht um, wie Judith, ihr Volk zu befreien, sondern um eine hohe Geld summe zu verdienen, die sie als Mitgift zu ihrer Heirat braucht. Schwerverwundet wird ihr Geliebter, der Sergeant Araquil, herbeigetragen; er stößt die Mörderin mit einem Fluche von sich und stirbt zu ihren Füßen, während sie in wahnsinniges Lachen ausbricht. Man sieht, in dem Mädchen von Navarra“ ist der tragische Spiritus noch concentrirter als in der „Cavalleria“; unter beständigem Herzklopfen eilt die Handlung vorwärts und treibt jeden der wechselnden Gemüthsaffecte gleich auf die äußerste Spitze. Trotz dieses Zusammentreffens zählt Massenet keineswegs zu den Nachahmern Mascagni’s; seine Musik trägt unverkenn bar den Stempel ihres Autors und klingt so ausgesprochen französisch, wie die „Cavalleriaitalienisch. Originell zeigt sich Massenet zunächst in der Stoffwahl. Als eminent rea listisches Drama mußte „Das Mädchen von Navarra“ in der Gegenwart spielen. Dem heutigen Opernwesen ist aber gerade noch so viel Poesie oder Idealismus geblieben, daß es das Salonkleid unserer feinen Gesellschaft auf der Bühne schlechterdings nicht brauchen kann, also für moderne Stücke immer wieder zu den Bauern zurückgreift. Die Ehebruchs-

und sonstigen Unglücksdramen von Dumas und Sardou, von Ibsen und Sudermann wären für die Oper schon des Costüms wegen schwer zu verwenden. Fast alle die zahl reichen Nachfolger der „Cavallaria“, italienische wie deutsche, sind Bauernstücke. Massenet’sOper hingegen ist ein Soldatenstück, und zwar eines im Kriege. Der malerische und poetische Reiz, womit der Soldat durch schmucke Uni form, stramme Haltung und frisches Temperament sich von der bürgerlichen oder bäuerlichen Umgebung abhebt, ist zwar älteren Operncomponisten auch nicht entgangen, doch waren es immer nur einzelne Figuren, wie Belcore im Liebestrank“, Lorenzo in „Fra Diavolo“. Selbst in „Car men“, wo die Soldaten einen ziemlichen Raum einnehmen, bildet die Titelheldin mit ihren Freundinnen, mit den Schleichhändlern und den Stierkämpfern das bewegende dra matische Element; das Militär verschwindet in den beiden letzten Acten vollständig. Massenet’s Oper hält den kriege rischen Schauplatz und die kriegerische Handlung von Anfang bis zu Ende fest. Das ist etwas Neues. Nicht wie in „Car men“ der uniformirte Müßiggang vor einer friedlichen Hauptwache, sondern Schlachtenlärm und ernste militärische Zurüstung beherrschen die Scene. Schon das wilde Vorspiel, worin Trommeln und Trompeten das große Wort führen, läßt uns ahnen, daß wir hier mehr ein Gemälde als eine Oper zu erwarten haben. Der Vorhang geht auf; wir befinden uns vor einer Barricade, im Bivouak, Hornsignale und Trommelwirbel schmettern von allen Seiten, Verwundete werden hereingetragen, der General und die Officiere, von den Insurgenten besiegt, folgen ihnen in düsterem Schwei gen. Die musikalische Schilderung dieser Exposition besorgt allein das Orchester, welches die stummen pantomimischen Vorgänge auf der Bühne erklärt und colorirt. Diese und noch andere Partien in „La Navarraise“ werfen ein bedeut sames Licht auf das sich immer mehr verschiebende Ver hältniß zwischen Gesang und Orchester in den neuesten Opern. Kaum hätte noch vor zwanzig Jahren ein Componist diese erste Scene ohne einen Soldaten chor, überhaupt ganz ohne Vocalmusik sich ab spielen lassen. Der Gesang scheint qualitativ und quantitativ in der modernen Oper immer mehr zurückzu treten, das Orchester eine immer wichtigere Rolle zu erobern.

Wir lesen soeben von einer neuen (auch aus der „Cavalleriaherausgeborenen) einactigen deutschen Oper „Amen“, deren erste Scenen sich nur pantomimisch abspielen. Das Auftreten des Generals Garrido, seine Conversation mit den Offi cieren, das erste Gespräch Anita’s (der einzigen Frauenrolle) und ihr Monolog, das Alles ist nur recitativisch, über einer stetigen Orchester-Begleitung ausgeführt. Erst als Anita ihren geliebten Araquil wiederfindet, beginnt ein Stück melodisch geformten Gesanges. Hier war dem Liebesduett eben nicht auszuweichen. Das Duett, aus dem die hohen Brusttöne des Tenors wie Raketen aufsteigen, wirkt mehr durch leidenschaftlichen Ausdruck, als durch die Melodie selbst. Nun tritt Araquil’s Vater, ein habsüchtiger alter Bauer, zu den Liebenden und versagt seine Einwilli gung, falls nicht Anita eine Mitgift von zweitausend Thalern beschaffe. Ihr Flehen „Verlangt nicht Geld um Geld“, ein rührendes Andante in Fis-dur, ragt melodisch fast als einziger Höhenpunkt aus der Partitur hervor. Und auch diesem gesangvollen Thema gönnt der Componist keine Entfaltung; schon im fünften Tact wird es durch convulsivisches Parlando verzerrt und zerrissen. Die Melodie erinnert an das Liebesduett zwischen Silvain und Rose Friquet im „Glöckchen des Eremiten“, das sich aber viel einheitlicher, musikalischer entwickelt. Man hat in Massenet’s Oper bishin so viel Sprachgesang ver nommen, daß man diese wirkliche Gesangsmelodie mit ver doppelter Freude begrüßt. Darum möchte ich jedoch jene Scenen der „Navarraise“, in welchen der Gesang neben sächlich, fast nur als erklärende Begleitung des Orchesters behandelt ist, nicht geringer achten. Es gehören in diese Classe wol die eigenthümlichsten und geistreichsten Partien der Oper; nur die Thatsache, daß dem melodisch geformten Gesange eine weit untergeordnetere Stellung darin eingeräumt ist, sollte hier betont sein. Da haben wir gleich zwei merk würdige Gesangstücke, in welchen die Singstimme völlig un bedeutend, stellenweise ganz nichtig ist, und welche trotzdem durch den exotischen Reiz der Begleitung eigenartig fesseln. Beide sind spanischen Volksmelodien nachgebildet. Zuerst die Erzählung Anita’s (in dem Terzett), wie sie bei einem ländlichen Fest ihren Araquil kennen gelernt. Sie wirft ihre Schilderung in zerpflückten Parlandosätzen ins Orchester

hinab, wo eine fortlaufende Fandango-Melodie dieselben auf fängt und zusammenhält. Dieser Fandango ist eine arm selige Tanzmelodie auf einer noch armseligeren Harmonie, wenn man vier kurz abgerissene Baßnoten so nennen kann — aber das Ganze wirkt durch seinen von Tamburin und Ca stagnetten belebten, fremdartigen Rhythmus und eine naive, nicht ungraziöse Unbeholfenheit. Das zweite Beispiel liefert uns der Soldat Bustamente. Auf einer Lafette sitzend, singt er seinen Kameraden ein Lied vor, in welches sie, tactweise in die Hände klatschend, mit einem kurzen Chor-Refrain auf Einer Note einfallen. Die Melodie ist trivial, die Be gleitung besteht aus zwei, die Guitarre imitirenden Accor den in monotonen gleichen sechs Achteln. Also absichtlich aller dürftigste Volksmusik, Musik in ihren Kinderschuhen. „Chanter très fort et sans nuances“ lautet die Anweisung des Com ponisten, der somit ängstlich besorgt scheint, der Sänger könnte etwa durch „Vortrag“ das plumpe Stück ein bischen ideali siren. Auch dieses Gesangstück macht seine Wirkung durch derbe Realistik und exotischen Klang. Daß es unser musi kalisches Gefühl befremdet, ja stellenweise verletzt, entspricht vollkommen den Absichten der neuesten realistischen Schule in der Musik, welche selbst das Volkslied möglichst natura listisch, ungewaschen und ungekämmt uns vorführt. Man vergleiche nur diese zwei Beispiele mit den Barcarolen in der „Stummen von Portici“. Diese sind echt national, keineswegs idealisirt, aber doch so weit „stylisirt“, daß sie mit den Schönheitsgesetzen, mit dem Styl des Ganzen har moniren.

Das Musikstück, welches allenthalben den Erfolg der Novität hauptsächlich begründet hat, ist keine Gesangsnummer, sondern, sehr bezeichnenderweise, ein Orchesterstück: das Inter mezzo zwischen der ersten und zweiten Abtheilung. Die Sol daten haben nach den Anstrengungen des Tages, in ihre Mäntel gehüllt, sich auf den Boden gelegt und schlafen. Das Orchester begleitet ihren Schlummer mit einem zarten Nocturno, das sich auf einem durch 36 Tacte festgehalte nen Orgelpunkt bewegt. Ein Gefühl wohliger Ermüdung durchdringt die sanfte Monotonie dieses Musikstückes. Von schönem, eigenthümlichem Effect ist das tactweise stark an geschlagene tiefe F der Harfe, auf dem die zartere Beglei

tungsfigur der Bratschen und höher die zwitschernde Me lodie von Flöten und Clarinetten sich erhebt. Auch hier wirkt hauptsächlich der Reiz des Fremdartigen, der geheimnißvolle Zauber des Klanges. Wahrscheinlich entstand dieses Noc turno als ein Concurrenzstück zu Mascagni’s über Verdienst berühmtem „Intermezzo“. Das Massenet’sche ist ungleich feiner und geistreicher. In dieser Kunst stimmungsvollen Farbenmischens entfaltet Massenet eine außerordentliche Ge schicklichkeit, und für den Musiker steckt die ganze Orchester- Partitur voller Leckerbissen. Darauf ist „Das Mädchen von Navarra“ leider nur allzu sehr angewiesen; die Musik kann in dieser anhaltend gewitterschwülen elektrischen Span nung nicht tief athmen, nicht aus eigenen Mitteln leben und sich bequem machen; den größeren Theil der Oper hindurch wirkt sie nicht gestaltend, sondern decorativ.

Was nun auf das Intermezzo folgt — das Erwachen der Soldaten, Hereinstürzen der Anita nach vollbrachtem Mord, ihre Dialoge mit Garrido und Araquil — also eigentlich die ganze zweite Abtheilung ist nicht melodisch geformte und entwickelte Musik, sondern zwischen Andeutung und Aufschrei wechselnde Declamation. Kein Wunder, daß alle diese heißen Interjectionen, der jähe Wechsel zwischen tonlosem Psalmodiren (Anita’s Gebete zur Madonna) und dolchartig einschneidenden Schmerzensrufen uns allmälig müde und nervös machen. Zum Schluß gar die nicht enden wollenden Todtenglocken für den gemordeten Zaccaruga, die wilde Empörung Araquil’s, sein Tod, der Wahnsinn Anita’s! Der Wahnsinn, das ist in solchen Fällen die ultima ratio der Operncomponisten, ein verbrauchtes, widerwärtiges Theater-Requisit. Fast mit denselben Wendungen wie die elegante Lucia von Lammermoor: „Nun komm’! Voll ist die Kirche. Sie warten schon!“ beginnt Anita irre zu reden. Nach Vorschrift des Autors hat sie das auch noch „mit reizender Liebenswürdigkeit, wie ein Kind“ zu sagen.

Soll ich die Summe der Eindrücke ziehen, die ich hier rasch geschildert? Wer noch daran hält, auch in der Oper musikalisch denken und genießen zu können, der wird für das „Mädchen von Navarra“ nicht schwärmen, jedenfalls hat er nach dem „Nocturno“ seinen Lohn dahin. Was darauf folgt, mag jene Opernfreunde befriedigen, die

nur dramatisch geschüttelt und gepeinigt sein wollen und am liebsten ins Theater gehen, um das Gruseln zu lernen. Bei aller Bewunderung für Massenet’s glänzende Technik, und bei aller Vorliebe für die Schönheiten in „Manonund „Werther“, sein navarresisches Mädchen wirkt ungefähr auf mich, wie ein überheizter, rothglühender Ofen, der jeden Augenblick zu zerspringen droht.

Die Aufführung der neuen Oper war ganz ausgezeichnet, und ebenso die Aufnahme derselben im Publicum. An Fräulein Renard (Anita) und Herrn van Dyck (Araquil) soll der anwesende Componist seine helle Freude gehabt haben, sowie an der virtuosen Leistung des vom Herrn Director Jahn dirigirten Orchesters. Im Mittelpunkt des Interesses stand natürlich Fräulein Renard, welche die anstrengende, musikalisch wie dramatisch sehr schwierige Hauptrolle mit glänzendem Erfolg durchführte. Die Rolle verleitet, ja zwingt beinahe zu Uebertreibungen in den letzten Scenen; Fräulein Renard dürfte in späteren Aufführungen manchen Aufschrei mildern. Auch Herr van Dyck, der treffliche Darsteller des Araquil, hat in der Aufregung, die jede Première mit sich bringt, sein Organ mehr angestrengt, als rathsam war. Die durchwegs wichtigen kleineren Rollen werden von den Herren Neidl, Reichenberg, Ritter und Schittenhelm vorzüglich gegeben.

Nicht ganz so traurig wie „Das Mädchen von Navarraverläuft das neue Ballet „Amor auf Reisen“. Die Verfasser mögen es sogar für höchst belustigend gehalten haben, während es dem Publicum mehr langweilig vorkam. Von den neueren Balletten im Hofoperntheater zur äußersten Genügsamkeit erzogen, sind wir schon zufrieden, wenn in einer halbwegs einheitlichen, munteren Handlung uns etliche charakteristische Figuren und witzige Einfälle geboten werden. Können wir gar ein paarmal herzlich lachen, so kennt unsere Dankbarkeit keine Grenzen. Aber hinter so bescheidenen Wünschen bleibt der reisende Amor noch bescheidener zurück. Kaum ist je eine armseligere Ballethandlung zu so lästiger Breite ausgezerrt worden. Für Jeden, der nicht im Text buch nachliest, bleibt sie obendrein ganz unverständlich. Gott Amor wird „wegen eines Schelmenstreiches“, den das Libretto aus Discretion verschweigt, strafweise auf Reisen

geschickt; ein Thema, aus dem wol eine Reihe lustiger Abenteuer und Verwicklungen hervorgehen konnte. Allein dem Textdichter will durchaus nichts einfallen — oder stellt er sich nur so, um den Componisten, der sich in den gleichen uninteressanten Umständen befindet, nicht zu beschämen? Wir bekommen mit schrecklicher Ausführ lichkeit zu sehen, wie Amor von tanzenden Mücken gestochen, dann von Brieftauben umflattert wird, worauf er ein zerbrochenes Wagenrad und ein zerbrochenes Pfeffer kuchenherz reparirt. Natürlich verschießt er auch etliche von seinen berühmten Pfeilen. Ein blonder Jüngling und eine brünette Jungfrau sinken sich liebeglühend in die Arme, und wir wähnen, daß damit Alles zu Ende und gut ausgegangen sei. Ausgegangen ist aber nur dem Textdichter der Faden; in seiner Rathlosigkeit bringt er statt einer Fortsetzung der Handlung eine „Allegorie“. An diese zweite Abtheilung ist die denkbar glänzendste Ausstattung gewendet worden; die blendendsten Decorationen, die farbenprächtigsten Costüme, das Alles überfluthet vom elektrischen Licht. Da sehen wir zunächst die Neuvermälten am Traualtar; sie haben ein sehr gründliches „Myrten- und Schleier-Ballabile“ zu über stehen, ehe sie ihr „Entin seuls!“ lispeln können. Wir müssen hierauf 25 Jahre überspringen oder übertanzen, um uns im nächsten Bilde an der silbernen Hochzeit des zärt lichen Paares erbauen zu können. Das folgende Bild heißt „Nach 50 Jahren“ und zeigt uns die beiden Alten, mit goldenen Kränzen geschmückt, in jämmerlicher Entkräftung eine Rasenbank aufsuchen, wo sie auch sterben. Und nun ereignet sich das Unglaubliche. „Der irdischen Hülle ledig,“ wie das Textbuch versichert, schweben ihre beiden Herzen vereint zum Himmel empor! Es sind dies zwei veritable plumpe rothe Herzen, wie man sie auf dem Jahrmarkte kauft; fehlt nur der Papierstreif mit der Devise: „Aus Achtung!“ Weiter kann die Geschmacklosigkeit nicht mehr gehen. Das scheint auch Amor zu fühlen, denn er nimmt schleunigst sein Ränzel auf und setzt auf einem colossalen Luft ballon seine Reise fort. Vielleicht erlebt das verschmitzte Kind da etwas Interessantes. Nur unter diesem ausdrücklichen Vor behalt könnten wir uns an den Gedanken eines Wiedersehens allmälig gewöhnen.