Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11238. Wien, Freitag, den 6. December 1895 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11238. Wien, Freitag, den 6. December 1895 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.12.1895
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Waldmeister.“ Operette in drei Acten von G. Davis, Musik von Johann Strauß.

Ed. H. Wieder ein neuer Blüthenzweig von Straußunverwüstlicher Jugend. Kaum ein Jahr, nachdem er zu seinem „Apfelfest“ geladen, bescheert er uns schon eine neue Oper! Und, gottlob, eine durchaus lustige. Strauß zählt nicht zu den Componisten, die im Alter kirchlich fromm werden oder wenigstens fromme Kirchenmusik schreiben, wie Gounod, Liszt, Rossini. Auch Rubinstein mit seinem „Christus“, Wagner mit seinem „Parsifal“ ge hören im Grunde dazu. Eher läßt uns Strauß an Verdi’sFalstaff“ denken, nur mit dem Unterschied, daß Strauß sein Lebenlang immer lustig war, während Verdi es erst mit 80 Jahren geworden ist. Der „Waldmeistersteckt von einem Ende bis zum andern voll Heiterkeit. Das unterscheidet ihn von seinen Vorgängern: dem „Zigeuner baron“, „Simplicius“, „Pazman“, „Apfelfest“, die wenigstens scenenweise auf der gefährlichen Spitze tragischen oder senti mentalen Styles schaukeln und damit den arglosen Zuschauer aus der Stimmung werfen. „Waldmeister“ biegt vielmehr in das Geleise von Strauß’ wirksamster Operette „Die Fleder maus“ zurück, sowol mit seinem harmlos bürgerlichen Stoff wie mit dem consequent festgehaltenen Lustspielcharakter der Musik. Wo die Handlung spielt? Darüber schweigt das Textbuch. Aber die Musik sagt es uns ganz unzweifelhaft: es ist ein österreichisches, ein gut wienerisches Stück.

Auf einer Landpartie wird eine lustige Gesellschaft von plötzlichem Unwetter überrascht und flüchtet in eine Mühle. Sämmtliche Damen, die in jedem Sinne vielbeklatschte Sängerin Pauline an der Spitze, beeilen sich, ihre durch näßte Toilette mit den Bauernkleidern der Müllerin zu vertauschen. Der Müller scheint gleichfalls eine unge wöhnlich stattliche Garderobe zu besitzen, denn auch die Herren der Gesellschaft, meistens Forstzöglinge, er scheinen alsbald in Müllerburschen umgewandelt. Diesen

etwas undisciplinirten jungen Forsteleven folgt der erzürnte Ober-Forstrath Tymoleon v. Gerius auf den Fersen, allein er kann seine Strafpredigt nicht anbringen, da die Schul digen sich alle rechtzeitig versteckt haben. Nur die muntere Pauline bleibt in ihrer Verkleidung allein in der Stube, entschlossen, als Müllerin sich für die bösen Nachreden zu rächen, welche der gestrenge Tymoleon andernorts gegen die Sängerin geführt hat. Sie legt es darauf an, ihn schleunigst verliebt zu machen, was ihr nicht allzu schwer fällt. Während die Beiden sich zärtlich umschlungen halten, nähert sich leise die ganze Gesellschaft zum Triumph der Sängerin, dem Ober-Forstrath zur Beschämung. Vorher noch ist in der Mühle eine andere Figur aufgetaucht, die nicht zur Landpartie gehört: der sächsische Professor und Botaniker Herr Müller. Professoren sind im Leben zuweilen lächerlich, im Lustspiel immer. Unser Gelehrter trieft vom Regen; auch für ihn ist in dieser wunderbaren Rothberger- Mühle noch ein passender Anzug vorhanden, in welchem er für den wirklichen Müller gehalten wird. Was nun der zweite Act an Verwicklungen und Ueberraschungen producirt, läßt sich hier blos andeuten; diese drolligen Mißverständ nisse sind nur auf der Bühne ganz verständlich und von unfehlbar komischer Wirkung. Es treten da neue Personen auf: der Amtshauptmann Heffele, seine Frau Malvine und seine Tochter Freda. Letztere feiert eben wider willig ihre Verlobung mit dem ihr durchaus unangenehmen Tymoleon. Welches Entsetzen für ihn, als unerwartet Pauline, die vermeintliche Müllerin, eintritt! Sie setzt unerschrocken ihre Comödie fort: nach dem Tête-à-tête mit Tymoleon sei sie von ihrem Manne verstoßen worden und eile nun dem Geliebten nach, um sich nie mehr von ihm zu trennen. Der Professor, von Tymoleon für den Müller gehalten, geht auf den Spaß ein und spielt, Genugthuung fordernd, den beleidigten Ehemann. Diese Verwirrungen benützt der junge Forsteleve Botho v. Wendt und macht der heimlich angebeteten Freda mit gewünschtem Erfolge seine Liebeserklärung. Zu rechter Zeit wird ein Maitrank gebraut, der die ganze Gesellschaft bald in übermüthigste Heiterkeit versetzt. Man singt und tanzt und jubelt — ungefähr wie in der berühmten Ball

scene der „Fledermaus“. Der dritte Act zeigt uns die ganze Gesellschaft, wie sie von ihrem Waldmeisterrausch sich am Kaffeetisch ernüchtert. Dabei nehmen die Liebesaffairen den günstigsten Fortgang. Die in den früheren Acten verwickelten Verhältnisse werden heiter gelöst, und die Comödie der Irrungen schließt mit einer dreifachen Heirat: Tymoleon geräth für immer in das Netz der schönen Sängerin, der Professor unter den Pantoffel der Kammerjungfer Jeanne, und Botho bekommt seine Freda.

Das Libretto des Herrn Gustav Davis bewegt sich in dem gemüthlichen Tempo und heiteren Behagen des älteren deutschen Lustspiels. „Waldmeister“ gehört zu den besseren neuen Operettentexten, von denen ja die meisten vergessen, daß witzloser Blödsinn ebensowenig unterhaltend ist wie stofflose Witzjagd. Unter den Personen des Stückes finden wir wenig neue Originale, aber zum Glück auch keine widerwärtigen. Im „Waldmeister“ herrscht weniger die Komik der Charaktere als die der Situationen, Verwick lungen und Ueberraschungen. Diese wachsen reichlich und ungezwungen aus der recht glücklichen Exposition. Für den sächsischen Professor hat vornehmlich das Talent des Dar stellers zu sorgen; für die Handlung ist er ein fünftes Rad am Wagen, thut aber seine komische Schuldigkeit, wenn die anderen versagen. Noch gibt es da ein sechstes Rad, das uns weniger Achtung abzwingt: die für Botanik schwärmende Frau Amtshauptmannin Heffele. Sie erinnert an die lächer liche alte Gräfin in Lortzing’s „Wildschütz“, welche uns mit der Declamation griechischer Tragödien belästigt. Aber die Passion der Frau Heffele, eine nicht existirende Species schwarzen Waldmeister zu entdecken, ist doch noch viel uninteressanter. Im Ganzen hat das Textbuch trotz mancher Längen und Lückenbüßer doch den werthvollen doppelten Vorzug, weder in sentimentales Pathos noch in lascive Gemeinheit zu verfallen. Wie wenige unserer Operetten wissen sich ohne diese beiden fatalen Gewürze zu behelfen!

Der gemüthlich heitere Charakter des Textbuches hat auch sehr günstig auf die Composition eingewirkt. Wie be reits erwähnt, schlägt Strauß zu unser Aller Freude hier wieder den Grundton der „Fledermaus“ an. Daß dieser

Ton, bei aller einschmeichelnden Süße, im „Waldmeisterdoch nicht mehr ganz so neu und üppig klingt, wie in jener unverwüstlichen Operette, wird Niemanden er staunen. Genug, daß der siebzigjährige Johann Strauß noch heute sämmtliche lebenden Operetten-Componisten übertrifft. Er ist wirklich jünger, als sie alle, nur nicht mehr so jung, wie seinerzeit der jungeStrauß. Er darf sich des zweifachen Glückes rühmen, daß man seine Jahre weder ihm selbst anmerkt, noch seiner Musik. Der Duft des „Wald meister“ ist noch immer würziger echter Strauß, nur durch Abliegen milder geworden; er hat uns nicht toll berauscht, wie die Gesellschaft des Herrn Heffele, aber sehr angenehm belebt, erwärmt und erheitert.

Gleich der erste Act ist voll Leben und graziöser Me lodie. Das beherzte Jagdlied, mit dem sich Pauline einführt, noch mehr ihr Duett mit Tymoleon sind allerliebste Stücke. Auch das Entréelied Herrn Streitmann’s „Im Walde, wo die Buchen rauschen“ und Girardi’ssächsische Couplets fanden lebhaften Beifall. Der zweite Act ist musikalisch noch reicher ausgestattet. Ein Terzett der Pauline mit den zwei sittenstrengen Amtspersonen wirkt durch seine graziöse Schelmerei ganz köstlich. Noch mehr das Finale, von dessen langsam wiegenden Walzermotiven der feurige Schluß sich überaus effectvoll abhebt. Auf den lieblichen „Trau- schau-wem“-Walzer dieses Finales hat uns schon die Ouver türe aufmerksam gemacht, wo das Thema in Terzen von zwei Flöten geblasen und von den Geigen anmuthig contrapunktirt wird. Mit dem Finale des zweiten Actes ist das dramatische Pulver so ziemlich verschossen; es bleiben dem Componisten eigentlich nur drei, mit der Scene sehr locker zusammenhängende Lückenbüßer: die Couplets Tymo leon’s und Müller’s, dann das Kaffee-Septett. Hier hilft die Musik uns und dem Textdichter angenehm über das Stillestehen der Handlung hinweg; insbesondere thun es die von Herrn Josephi mit wohlthuender Wärme gesungenen Strophen „So wunderschön!“. Mit der Aufzählung dieser effectvollsten Gesangsstücke sind die Vor züge der Partitur keineswegs erschöpft; zahlreiche Details im Orchester, die sich hier schwer beschreiben lassen, bereiten dem lauschenden Musiker ein Extravergnügen. Wenn der

gleichmäßige Rhythmus eines Stückes monoton zu werden droht, schiebt Strauß schnell eine weiche Flötenpassage da zwischen, oder eine Pizzicato-Figur der Geigen, oder einen unerwarteten hellen Accord der Waldhörner. Längere ge sprochene Scenen im dritten Acte werden von einer so feinen melodramatischen Musik begleitet, daß man fast mehr darauf achtet, als auf die Reden der Schauspieler. Mit welchem Vergnügen haben wir wieder im „Waldmeister“ der reiz vollen, stets vornehmen und natürlichen Instrumentirung gelauscht, welche jede, auch die kleinste Composition von Johann Strauß auszeichnet. Es ist wahrlich keine musikalische Majestäts-Beleidigung, wenn wir behaupten, es herrsche in seinem Orchester Mozart’scher Goldklang.

Die Aufführung des „Waldmeister“ gehört zu den besten des Theaters an der Wien. Fräulein Dirkens — um geziemend mit den Damen zu beginnen — war uns als Pauline eine neue und durchaus erfreuliche Bekanntschaft. Sie behandelt ihr zartes Stimmchen sehr geschickt, fein und geschmackvoll. Ob sie nun singt, spielt oder tanzt, immer ist sie graziös, decent und von natürlicher Lebendigkeit. Fräulein Pohlner (Freda) bewährte sich als gute Sängerin, und Frau Biedermann machte mit der bekannten über triebenen Beweglichkeit ihres Mienen- und Geberdenspiels gerade als Kammerkätzchen Jeanne viel Effect. Von den Herren stand Girardi als sächsischer Professor im Vorder grunde durch seine unwiderstehliche Drolligkeit; er ist die komische Seele des ganzen Stückes. Die beiden größeren Gesangspartien, Botho und Tymoleon, kommen durch Herrn Streitmann und Herrn Josephi zu voller Geltung, sowie die komischen Nebenrollen durch die Herren Kern reuter, Lunzer und Lindau. Ein besonderes Lob verdienen das Orchester und dessen Dirigent Herr Adolph Müller. Nur würde manchen Nummern ein weniger schleppendes Tempo zu statten kommen: dem Liebesduett, dem zweiten Finale, insbesondere den beiden Couplets von Girardi. Ueber den Erfolg des „Waldmeister“ können wir nur wiederholen, was unsere gestrige Notiz bereits ge meldet: er war nicht blos ehrenvoll, sondern glänzend. Meister Strauß kann mit dem Abend vollauf zufrieden sein. Wir waren es auch.