Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11259. Wien, Samstag, den 28. December 1895 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2024

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11259. Wien, Samstag, den 28. December 1895 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 28.12.1895
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Zur Biographie Franz Liszt’s.

Ed. H. Noch immer strömen neue Beiträge aus Liszt’s Correspondenz, dieser unerschöpflichen Quelle. Zuerst kam der hochbedeutende Briefwechsel Liszt-Wagner, dann folgten zwei Bände Briefe von Liszt und dessen „Briefe an eine Freundin“. Nun liegen zwei weitere Bände vor uns: dies mal nicht Briefe von, sondern anLiszt. Briefe hervorragender Zeitgenossen an Franz Liszt.“ Heraus gegeben von La Mara. (Leipzig bei Breitkopf & Härtel, 1895.) Die Heraus geberin der früher genannten Sammlungen, Frau La Mara, erwirbt sich damit ein neues Verdienst. Durchaus interessant als Geistesproducte und Bekenntnisse so vieler bedeutender Zeitgenossen Liszt’s, werfen diese Briefe auf den Empfänger selbst einen hellen Widerschein. Es sind darunter wenige, in welchen Liszt („l’homme le plus abusé“, wie ihn H. W. Ernst nennt) nicht um irgend etwas ge beten würde; bald soll er jungen Componisten Verleger schaffen, Concertgebern Empfehlungsschreiben senden, bald hohenorts die Genehmigung von Dedicationen oder gar Orden erwirken. Und wenn wir nur wenige Seiten weiter blättern, so sagt uns gewiß ein Dankbrief desselben Schreibers, daß Liszt die Bitte erfüllt hat. Seine Autorität und sein Einfluß waren ebenso groß, wie seine Gefälligkeit, seine Herzensgüte. Diese aus den verschiedensten Kreisen stammenden Briefe, gegen 500 an der Zahl, geben zusammen ein ganz einziges Bild von Liszt’s Weltverkehr, wie er bei keinem anderen Musiker je seinesgleichen fand. Die Herausgeberin durfte den ganzen handschriftlichen Schatz des Weimarer „Liszt- Museums“, dieser schönen Stiftung der Fürstin Marie Hohenlohe in Wien, unbeschränkt benützen. Als willkommenen charakteristischen Schmuck hat sie jedem Briefe die auto graphirte Unterschrift des Verfassers beigegeben.

Wenn wir die erste Abtheilung aufschlagen: „Virtuosen- und Wanderjahre 1824 bis 1847“, so überrascht uns gleich auf der ersten Seite ein interessanter Brief unseres Karl Czerny

aus Wien. Er schreibt an seinen „lieben Franzi“ nach London, wo sein junger Zögling erfolgreiche Concerte gibt. Czerny titulirt ihn mit „Er“ und gibt ihm väterliche Ermahnungen: „Er wird nie vergessen, daß, je größer der Ruf und der Enthusiasmus des Publicums ist, desto schwerer und wich tiger es ist, sich darin zu erhalten, und daß das Urtheil ein zelner wahrhaft großer Meister und Kenner mehr werth ist und länger dauert, als das einstimmige Klatschen der Menge.“ Erst viele Jahre später weicht das pädagogische „Er“ dem höflichen „Sie“. Das Verhältniß hat sich um gekehrt: der alte Czerny schickt seinem berühmten Schüler nach Weimar einige seiner „eigenen Scriblereien“ und empfiehlt sie dessen „schützender Meisterhand“. ... Aus Liszt’s erster Pariser Zeit datirt einer der merkwürdigsten Briefe von George Sand, Ausbrüche einer leiden schaftlich erregten, fast verzweifelnden Seele. Sie bittet den Freund, sie nicht zu besuchen, da sie in ihrer schmerzlichen Lage, eine Beute tiefsten Kummers und grausamer Zweifel, auch von der echtesten Theil nahme keinen Trost erwarte. „Ich will abreisen, um eine tiefe, schreckliche Leidenschaft in mir zu ersticken. Schwerlich wird das mir zu irgend etwas nützen, denn jeder neue Tag läßt mich an meiner Willensfreiheit zweifeln. Sie werden mir bezeugen, daß ich in den Tagen meines größten Schmerzes den Urheber meiner Leiden nicht angeklagt habe. Daß ich fliehe, beweist meine Schwäche, nicht meine Stärke. Meine Vernunft und meine Religion verlassen mich. Gott weiß, was aus mir wird. Meine Seele ist vielleicht für immer verloren.“ Von berühmten deutschen Frauen begegnen wir um diese Zeit Bettina Arnim. Trotz ihrer 60 Jahre bleibt sie immer „das Kind“, dessen Naivetät nicht leicht von Affectation zu unterscheiden ist. Natürlich duzt sie ihn. „Ist es schwer“ — so beginnt ihr erster Brief an Liszt„mir zu schreiben, so ist es auch schwer, von dir gelesen zu werden. Es ist das Tiefste und Innigste, was auch das Einfachste ist. Dies allein kann dem Freund etwas gelten. Wie das Kind vom Schlaf befallen wird, während es Nah rung saugt, so geht mir’s, ich muß gleich träumen, wenn ich an dich denken will. Du bist ein Organ der Zeit; ich

weiß auch Wie und Warum, aber ich bin mit im Werden in dir begriffen und muß mich leidend verhalten.“ Je weiter desto enthusiastischer und unverständlicher wird die poetische Dame: „Du, der das Haupt untertaucht in den Quellen der Harmonie, wie könntest du nach Anderem dich sehnen, als nach Ihr, die eines Vaters Tochter ist, der des Himmels Schöpfer ist und der Erde nach der Natur!“

Ernest Legouvé, einer der wenigen noch Ueberlebenden aus jenem glänzenden Pariser Künstlerkreis von 1830 bis 1840, ist durch einen Brief vertreten, indem er ebenso geistreich wie vornehm eine Verstimmung Liszt’s besänftigt. Letzterer war verletzt davon, daß Legouvé in einem musikali schen Essai ChopinüberLiszt gestellt habe. Legouvé be dauerte sehr, dem Freunde unabsichtlich weh gethan zu haben, hält jedoch seine individuelle Meinung aufrecht und erklärt sie folgendermaßen: „Was mir in den Künsten den höchsten Rang zu verdienen scheint, ist die Einheit, die Vollständig keit. Chopin, so glaube ich, ist ein Ganzes; Composition und Ausführung, Alles ist bei ihm in Uebereinstimmung und von gleichem Werth; sein Spiel und seine Werke sind zwei von ihm gleichmäßig geschaffene Dinge, die sich gegenseitig unterstützen und in ihrer Art vollkommen sind. Chopin ist zur Verwirklichung seines Ideals gelangt. Sie im Gegen theil, sind erst auf dem halben Weg Ihrer Entwicklung; der Virtuose steht auf der Höhe, aber der Componist ist ein wenig zurückgeblieben. So ist es, so muß es sein. Noch kämpfen zu viele Ideen in Ihrer Phantasie. An dem Tag, wo der innereLiszt zum Vorscheine kommen wird, an dem Tag, wo diese wunderbare Macht der Ausführung ihre Ergänzung gefunden in einer ebenbürtigen Kraft der Com position — an diesem Tag wird man nicht mehr sagen, Liszt sei der erste Pianist in Europa — man wird ein anderes Wort finden. Eugen Sue wird Ihnen bestätigen, daß ich der jenige bin, der ihm am meisten Böses über seine Werke sagt; das ist sehr einfach: ich liebe ihn, ich kenne ihn und bin wüthend, zu sehen, daß seine Bücher weniger Talent be sitzen, als er. Können Sie mir verübeln, daß der Liszt, den ich in der Zukunft sehe, mich verhindert, den Liszt von heute ebenso sehr zu bewundern?“

Von Heine finden wir nur zwei kurze Billette aus dem Jahre 1844, welche eben den Keim zu bleibendem Zerwürfnisse zwischen den beiden Männern enthalten. Im ersten ersucht Heine um Karten zu Liszt’s Concert, im zweiten erbittet er sich Liszt’s Besuch. „Ich habe bereits einen ersten Artikel über Sie geschrieben, den ich vor Ihrem zweiten Concerte fortschicken möchte, und es steht vielleicht etwas darin, was Ihnen nicht gefiele; deßhalb ist es mir ganz recht, daß ich Sie erst spreche.“ Liszt scheint die von Heine ihm vorgelesenen Stellen übel genommen und heftig erwidert zu haben. Hierauf hat Heine den Artikel mit noch schärferen Spitzen und einem geringschätzigen Schlußwort versehen. Heine soll gegen Liszt aufgebracht gewesen sein, weil ihm dieser die verlangten Concert-Billette nicht zu geschickt habe. Solche Züge kleinlicher Rachsucht sind leider nicht selten bei Heine; sein Talent und seine Lust, zu ver letzen, erprobte er ohneweiters auch gegen Freund. Blättern wir weiter nach den großen Namen des damaligen Frank reich, so stoßen wir gleich auf Lamartine. Er bittet Liszt nach Mouceau zu Tische. „Wir speisen zu welcher Stunde Sie wollen. Es steht kein Clavier da. Wir wollen Sie und nicht Ihre Hände.“

Gegen Ausgang der Vierziger-Jahre erscheint Hector Berlioz immer häufiger unter den Briefschreibern. Die lebhafte Sympathie, welche Liszt jedem genialen Künstler zu wendete, welcher neue Wege einschlug, ist auch Berlioz zeit lebens zu statten gekommen. Zuerst half Liszt durch seinen von Robert Schumann bewunderten Clavierauszug der Sinfonie fantastique“ dieses Werk verbreiten, später, in seiner Weimarer Zeit, war er unermüdlich in Vorführung der in Deutschland noch wenig bekannten Berlioz’schen Werke. Berlioz, bekanntlich ein leidenschaftlicher Raisonneur, beginnt seine Briefe aus dem Jahre 1848 mit heftigen An griffen auf die französische Regierung, „diese Leute, welche vorgeben, uns zu regieren, und den Ruin der Musik decretiren“. Von London heimgekehrt, habe er im Pariser Conservatorium eine Commission von zehn Einfaltspinseln vorgefunden, welche die Aufhebung des Bibliothekarpostens beschlossen haben. Wenn der Minister, wie vorauszusehen,

zustimmt, werde er (Berlioz) von ein paar Feuilletons leben müssen, welche jetzt nur zu halbem Preise bezahlt werden, oder gar nicht. Berlioz ist entzückt von Liszt’s Antrag, die Oper „Benvenuto Cellini“, die seit ihrem Pariser Fiasco vom Jahre 1838 vollständig vergessen war, in Weimar aufzuführen. „Ich habe diese Oper jetzt durch 13 Jahre ernsthaft geprüft und schwöre, daß ich diese Cellini’sche Gewalt, diesen Aufschwung und Ideenreich thum niemals wiederfinden werde. Aber die Aufführung ist jetzt nur noch schwieriger, da die Theaterleute, insbesondere die Sänger, keine Spur von Humor besitzen.“ Zur Auf führung in Weimar kündigt Berlioz sein Erscheinen an; Liszt’s Vorschlag, ein Concert vorausgehen zu lassen, hält Berlioz für unmöglich, denn die Oper dauert drei Stunden und „das deutsche Publicum muß um zehn Uhr im Bette liegen“! Nachdem der „Benvenuto Cellini“ auch in der italienischen Oper in London von Anfang bis zu Ende ausgezischt worden und am nächsten Tage zurückgezogen war, schreibt Berlioz an Liszt: „In meinem Kopfe tobt ein großer Conflict zwischen der Liebe zur Kunst und dem Ekel, zwischen dem Ueberdruß des Bekannten und der Sehnsucht nach dem Unbekannten. Die Musik, so wie wir sie ver stehen, ist eine Millionärkunst! Sie braucht Millionäre. Mit den Millionen verschwindet jede Schwierigkeit, erleuchtet sich jede Intelligenz, wird der Marmorblock ein Gott und das Publicum ein Mensch. Und kein Monarch, kein Roth schild, der das begreift!“ — Liszt bemühte sich auch, den Cellini“ an der Dresdener Hofoper anzubringen; aber erst vierunddreißig Jahre später gelangte die Oper dort zur Aufführung.

Mit Liszt’s Niederlassung in Weimar tritt eine große Zahl neuer Correspondenten auf den Schauplatz. Zuerst Dingelstedt, dessen Briefe, flott und burschikos ge schrieben, ein seltsames Gemisch von deutschen und franzö sischen Sätzen bilden. Er fühlt sich unbehaglich in seiner Stellung als Bibliothekar in Stuttgart und sucht (bereits 1845!) durch Liszt Anknüpfung mit Weimar. Er schreibt: „Cher excellent! Riemer ist zu Weimar gestorben. Gott hab’ ihn selig: er war ein langweiliger, alter —. Weise

für die Stelle des Ober-Bibliothekars in Weimar auf mich hin. Das Geschäft verstehe ich durchaus, und die Person kriegen sie drein, auch noch das Talent meiner Frau, die für die Gesellschaft dort eine Acquisition wäre. Hier bleib’ ich nicht. Es ist mir zu „gemüthlich.“ Dingelstedt’s Wunsch, gemeinsam mit Liszt das Weimarer Theater zu leiten, ging erst zwölf Jahre später in Erfüllung.

Ein ergreifendes Bild bedrückten Künstlerlebens und verschämter Armuth bietet ein Brief von dem später be rühmt gewordenen Componisten der „Verkauften Braut“, Friedrich Smetana in Prag. Voll Vertrauen wendet sich der 24jährige, völlig mittellose Musiker an Liszt. „Meine Conditionen bringen mir monatlich 12 fl. CM., so daß ich gerade so viel habe, um nicht zu verhungern. Meine Com positionen kann ich nicht drucken lassen, weil ich daraufzahlen müßte und leider mir nicht so viel ersparen kann. In meiner Noth, ohne Aussicht auf Hilfe, ohne Freund, fuhr es wie ein Blitz durch meine Gedanken — der Name Liszt auf einem Musikstücke, das auf meinem Tische lag, bewog mich, Ihnen, dem Künstler ohne Gleichen, von dessen Großmuth alle Welt redet, Alles zu vertrauen.“ Er bittet Liszt, sein Opus 1 anzunehmen und es drucken zu lassen. Aber noch eine größere Bitte fügt er hinzu: um ein Dar lehen von 400 fl.! Smetana möchte eine Musik-Bildungs anstalt errichten. „Wenn ich nur so viel Geld hätte, um eine Wohnung miethen zu können und wenigstens zwei Instrumente anzuschaffen, so wäre meine Existenz gedeckt. Ich besitze kein Instrument; ein Freund erlaubt mir, bei ihm zu üben.“ Liszt half wie immer.

Nicht ohne Rührung wird man den Brief lesen, in welchem Ottilie v. Goethe die Oper ihres Sohnes Walther v. Goethe, behufs einer Aufführung in Berlin, Liszt empfiehlt: „Ich wollte Ihnen nicht gleich schreiben, denn es erschien mir so zudringlich; es sah aus, als wenn ich nun gleich aus dem zarten flüchtigen Seidenfaden unserer Be kanntschaft ein Ankertau drehen wollte. Es war Unrecht von mir, daß ich nicht so aussehen wollte, denn es war ja wahr.“ Liszt’s guter Wille und Einfluß waren gewiß auch diesmal so stark wie immer, aber das Talent Walther’s

v. Goethe war zu schwach. Es scheint nicht, daß seine Oper irgendwo zur Aufführung gelangt ist. Zwei Tonkünstler, die nun häufiger und mit längeren Briefen an Liszt heran kamen, sind Robert Volkmann und Robert Franz. Liszt hat bekanntlich Beide hochgeschätzt und kräftig gefördert. Volkmann übersendet ihm aus Pest (1850) eine seiner ersten Compositionen, das Claviertrio in B-moll, mit der Bitte um Liszt’s Urtheil und um dessen guten Rath, wie er für diese und ähnliche Compositionen „am ersten einen Erfolg hoffen könne?“ Wie mit Volkmann verhält es sich mit Robert Franz. Liszt macht Beide durch rühmende Aufsätze dem größeren Publicum bekannt, vermittelt ihnen Dedicationen u. s. w. Robert Franz schreibt (wol Liszt zu liebe) auch einige Artikel zu Gunsten der Zukunftsmusiker, obwol er „von dem unseligen Parteiwesen kein Heil für die Kunst erblicken kann.“ Aber groß ist sein Schrecken, als sein Schwager, Dr. Hinrichs, eine geistvolle Broschüre gegenWagner veröffentlicht und Robert Franz von mancher Seite für ein bischen mitschuldig gehalten wird. „Hätte ich ahnen können, welche Folgen meines Schwagers Arbeit für mich mit sich bringen würde — keine Sylbe hätte er schreiben dürfen!“

Den schwärmerischen Freundinnen Liszt’s bringt das Jahr 1849 mancherlei Befürchtungen. Die geistvolle Schau spielerin Charlotte v. Oven, geborene v. Hagen, schreibt: „Sonst gaben doch noch die Zeitungen Nachricht über Sie, jetzt liest man nur Politik. Wenigstens hoffe ich, daß diese Wirren keinen Bezug haben auf jene mystische Stelle Ihres Briefes, worin es heißt, „sie sei ernst und entscheidend für Ihr Schicksal“. Ich dachte zuerst an den ungarischen Krieg, und das stimmte mich sehr ernst — dann fiel es mir ganz heiß aufs Herz: Heirat! Und ich bekam beinahe ein Fieber, denn jetzt erst weiß ich, welches Uebel in der Welt das größte ist, und wollte, ich hätte die tugendhafteste Hand lung meines Lebens nicht begangen. Vorbei, vorbei!“ Eine andere Freundin, die italienische Fürstin Belgio joso, hält ihm eine kleine politische Strafpredigt: „Ihr Vaterland ist jetzt unterlegen wie das meine. Wie ist es möglich, lieber Liszt, daß Sie nicht theilnehmen an dem

Kampfe? Ist Ungarn nicht Ihr Vaterland? Thatsächlich und nach Ihrer Wahl? Ich glaubte Sie längst jenseits der Donau.“ Liszt war viel zu vernünftig dazu. — Die Briefe von Robert und ClaraSchumann (meistens schreibt sie im Namen ihres Mannes) sind fast durchaus ganz prak tischen, sachlichen Inhalts, Concertreisen betreffend, wichtige Aufführungen in Leipzig oder Weimar u. dgl. Um so auf fallender sticht ein einzelner Brief Schumann’s davon ab. Er betrifft die Composition „Faust’s Verklärung“, nach welcher Liszt sich erkundigt hatte. Nun scheint Schumann ein abschätziges Wort Liszt’s über Musik und Musiker in Leipzig übel vermerkt zu haben; es reizt ihn zu folgender Auslassung: „Würde Ihnen, lieber Freund, die Composition nicht vielleicht zu leipzigerisch sein? Oder halten Sie Leipzig doch für ein Miniatur-Paris, in dem man auch etwas zu Stande bringen könne? Im Ernst — von Ihnen, der so viele meiner Compositionen kennt, hätte ich etwas Anderes vermuthet, als in Bausch und Bogen so ein Urtheil über ein ganzes Künstlerleben aus zusprechen. Wahrlich, sie waren doch nicht so übel, die in Leipzig beisammen waren — Mendelssohn, Hiller, Benett und Andere; mit den Parisern, Wienern und Berliner konnten wir es allenfalls auch aufnehmen. Gleicht sich aber mancher musikalische Zug in dem, was wir componirt, so nennen Sie es Philister oder wie Sie wollen, alle verschie denen Kunstepochen haben dasselbe aufzuweisen, und Bach, Händel, Gluck, später Mozart, Haydn, Beethoven sehen sich an hundert Stellen zum Verwechseln ähnlich (doch nehme ich die letzten Werke Beethoven’s aus, obgleich sie wieder auf Bach deuten). Ganz originell ist Keiner. So viel über Ihre Aeußerung, die eine ungerechte und beleidigende war. Im Uebrigen vergessen wir das Alles — ein Wort ist kein Pfeil — und das Vorwärtsstreben die Hauptsache.“ Dies ist wol der einzige Brief in der ganzen großen Sammlung, welcher einen Vorwurf gegen Liszt enthält. Hingegen mußte er manche Klage über Extravaganzen seiner Schüler und Verehrer anhören. So hatte Hanns v. low die große Sängerin Henriette Sonntag (Gräfin Rossi) bei Gelegenheit ihres Auftretens in Weimar in einem

scharfen Artikel — seinem ersten schriftstellerischen Debüt — angegriffen, und nicht blos als Künstlerin. Auch hier hatte Klatschsucht sich geregt und, wenigstens in halben Andeu tungen, Liszt als nicht ganz unbetheiligt an jener Kritik bezeichnet. Die Künstlerin bedauert, daß die glaubwürdigen Aufklärungen, welche Liszt ihr persönlich gegeben, leider keine Wirkung auf die irregeleitete öffentliche Meinung üben können. „Das ist schlimm und läßt sich nicht wieder gutmachen.“

Die Correspondenz Liszt’s beschränkte sich keineswegs auf Künstler; unter den Briefstellern finden wir Namen vom höchsten Range. König Friedrich Wilhelm IV., die Prinzessin Augusta, nachmalige Kaiserin von Deutschland, der Fürst von Hohenzollern-Hechingen, Herzog Ernst von Coburg-Gotha — sie Alle schreiben an Liszt eigenhändig und in liebenswürdigstem, fast freundschaftlichem Tone. Der Herzog Ernst wendet sich in seiner Eigenschaft als Opern componist an Liszt, und in dieser Beziehung ist sein Brief sehr charakteristisch. Im Begriffe, ein Libretto von der Birch-Pfeiffer zu componiren, wünscht der Herzog, Liszt möchte zwischen ihm und R. Wagner den Vermittler machen. „Ich habe bereits über die Hälfte des ersten Actes fertig. Nun tritt die große Frage in Bezug auf die In strumentation hervor. In keiner Weise habe ich Lust, diese schwere Aufgabe Lampert (Hofcapellmeister zu Gotha) oder einem unbedeutenden Componisten zu übertragen; wer ließe sich aber besser vorschlagen, als unser genialer Wagner? Hier handelt es sich also nur darum, ob er geneigt ist, den bereits fertigen Musikstücken die Instrumentation anzupassen und, sozusagen, die letzte Hand ans Werk zu legen. So viel ich höre, soll Wagner wenig beschäftigt und nicht in brillanten Umständen sein. Vielleicht kommt es ihm gelegen, in wenig Monaten 100 Louisd’or zu verdienen. Alles dies ist jedoch Nebensache, wenn es ihm im Ganzen Freude macht, an einem Werke theilzunehmen, das ja doch nicht seinen Namen tragen dürfte.“ Es ist begreiflich, daß Wagner, der eben mit Leib und Seele an seinen Nibelungen arbeitete, auf diesen gutgemeinten Antrag nicht einging. Eher könnte man sich denken, daß Liszt ihm gar nichts davon gesagt habe.