Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11270. Wien, Donnerstag, den 9. Januar 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11270. Wien, Donnerstag, den 9. Januar 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Philharmonische Concerte.

Ed. H. In den beiden letzten Philharmonie-Concerten bekamen wir zwei Novitäten zu hören: ein Clavierconcert von E. Schütt und eine symphonische Dichtung von Richard Strauß: „Till Eulenspiegel’s lustige Streiche.“ Beide haben Interesse erregt und lebhaften Beifall geerntet; eine bleibende Bereicherung des Concert-Repertoires dürften sie schwerlich bedeuten. Herr Schütt gefiel weit mehr durch sein virtuoses Clavierspiel, als durch seine Compo sition. Er verfügt über ein graziöses Compositions-Talent von bescheidenem Wuchs, das sich in dem Clavierconcert zu anspruchsvoll und gewaltsam streckt. Schütt’s weiches schmiegsames Naturell, seine französisch-russische Eleganz sprechen sich am gewinnendsten in kleinen Formen aus, wie seine bekannteren Clavierstücke darthun. Erfindung und Ge staltungskraft sind nicht kräftig genug in Schütt, um große symphonische Formen zu erfüllen und zu bewältigen. Die anmuthigen Einzelheiten seines Concerts, vornehmlich des Andante, verschwimmen häufig in dem Wust unruhiger Passagen oder werden erdrückt von einer geradezu mörde rischen Instrumentirung. In diesem Aufgebot der Bläser und der Lärminstrumente hat sich der Componist offenbar verrechnet, und hier dürfte durch nachträgliche Lichtung eine freiere Aussicht zu gewinnen sein für spätere Aufführungen. Herr Schütt, der sich leider selten öffentlich hören läßt, hat durch seine glänzende Virtuosität das Publicum der Phil harmonie-Concerte förmlich überrascht.

Das folgende (fünfte) Concert begann mit einer der schönsten Symphonien von Mozart, der dreisätzigen in D-dur. Sie wurde fein und lebendig gespielt, hätte aber durch etwas weniger schnelle Tempi, besonders im ersten Satz, noch gewonnen. Die ganz eigene, echt Mozart’sche Grazie geht leicht verloren, wenn man sie auch nur ein wenig zur Eile antreibt. Die Symphonie wurde so stürmisch und anhaltend applaudirt, daß wir uns der Empfindung

nicht erwehren konnten, es stecke eine kleine anticipirte De monstration darin. War es doch vorauszusehen, daß zwei nachfolgende Nummern allermodernsten Styles einen orga nisirten Beifallssturm entfesseln würden, und da mochte doch die Majorität des Publicums ihren Mozart nicht allzu schmerzlich von den Herren Richard Strauß und Bruckner geschlagen wissen. Mendelssohn’sHebriden-Ouvertüre hätte den Platz nach der Mozart’schen Symphonie bekommen sollen; unmittelbar nach einem coloristischen Paradestück wie der „Eulenspiegel“ von R. Strauß mußten ihre Farben etwas verblaßt aussehen, und die Farben geben heute, wie es scheint, allein den Ausschlag. Richard Strauß hat in Einem Orchestersatz (auf den die Bezeichnung „in Rondoform“ nur in weitester Auslegung paßt) eine wahre Weltausstellung von Klangeffecten und Stimmungscontrasten eröffnet. Die Einheit dieser rhapsodischen Einfälle haben wir in der Aufschrift „Till Eulenspiegel’s lustige Streiche“ zu suchen. Niemand wird an derlei poetischen Anregungen Anstoß nehmen, wenn nur (wie Schumann stets betont hat) das Musikstück auch ohne die specielle Ueberschrift verständ lich, zusammenhängend und reizvoll ist. Auch daß gerade unser Eulenspiegel zu humoristischer Musik verlocken könne, begreift man. Er hat zu einer Anzahl älterer Singspiele (von S. Schmidt, Rungenhagen, Adolph Müller) den Stoff geliefert, von Nestroy’s köstlicher Posse ganz abgesehen. Wie ein echter Tondichter solche Anregung verwerthet, hat uns Schumann in seinen „Klängen aus Osten“ gezeigt. Ihm war bei diesen kleinen Charakterstücken die orientalische Schelmen figur des Abu Seid vorgeschwebt, den Schumann selbst ein Seitenstück des Eulenspiegel nennt, nur edler und poeti scher. Streicht man von dem Hefte die Ueberschrift und das kurze Vorwort, so lassen uns die reizenden Clavierstücke Schumann’s keinen auslegerischen Zweifel, keinen unver standenen Rest zurück. Anders mit R. Strauß’ Orchester- Rondo. Trüge es nicht die Ueberschrift „Till Eulenspiegelund damit die Nöthigung, nach einem bestimmten Zu sammenhange zu suchen, hieße es einfach „Scherzo“, so würde der unbelehrte und unhöfliche Zuhörer es vielleicht

kurzweg ein verrücktes Stück nennen. Mit seinem Titel nennen wir es, für unseren bescheidenen Theil — ebenso. Wie viel hübsche, witzige Einfälle tauchen darin auf; aber kein einziger, dem nicht sofort ein anderer auf den Kopf spränge, ihm das Genick zu brechen. Man täuscht sich, wenn man diese maß- und meisterlose Bilderjagd für ein Ueberquellen jugendlicher Genialität halten möchte, für die Morgenröthe einer großen neuen Kunst; ich kann darin nur das Gegentheil erblicken: ein Product der raffinirtesten Décadence.

Es fehlen die neuen bedeutenden Gedanken, musi kalischen Ideen und die sie gestaltende Kraft. Diesen Mangel ersetzen uns keine Aeußerlichkeiten, keine Geistesblitze, und wären es die glänzendsten. Wir besitzen ein Buch von dem Grazer Wagnerianer Hausegger: „Die Musik als Ausdruck“; dafür gäbe Strauß-Eulenspiegel ein prächtiges Beispiel ab. Jede Figur, jede Modulation soll etwas „aus drücken“. Was? Darüber mögen wir uns den Kopf zer brechen. In der Partitur wimmelt es von suggestiven Vor tragsanweisungen, die mitunter ans Komische streifen: „liebeglühend, wüthend, leichtfertig, schattenhaft, entstellt, kläglich“. Sogar ein einzelner Ton, das tiefe F der Contra bässe und Posaunen, soll „drohend“ vorgetragen werden! Anders kann man ihn doch nicht geigen oder blasen, als wenn einfach forte oder ff darunter stünde. Es müßten denn die Orchestermitglieder ein drohendes Gesicht dazu machen. Vielleicht kommt auch das noch einmal in die „Musik als Ausdruck“.

Die Tyrannei der „Musik als Ausdruck“ beginnt uns etwas langweilig zu werden; wir möchten nicht ungern auch wieder einmal „Musik als Musik“ hören. Damit ist ge sunder Humor und allerhand Eulenspiegelei wohl verträg lich. Nur müssen unsere jüngsten Musik-Symbolisten die Jean Paul’sche Definition vom Humor, der mit einem Auge lacht, mit dem andern weint, nicht wörtlich übertragen wollen und es für Humor ausgeben, wenn sie uns ins rechte Ohr D-dur, ins linke D-moll blasen. Till Eulen spiegel war ein lustiger armer Teufel; die Schelmenstreiche, mit denen er Bauern und Spießbürger aufsitzen ließ, hatten

nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem Einbruche der Eng länder im Transvaal oder dem Kriege der Italiener in Massauah. Es darf uns demnach verwundern, daß R. Strauß für seinen „Eulenspiegel“ eine so furchtbare Armee von Orchester-Instrumenten ausrücken läßt. Flöten, Oboen, Clarinetten, alle vierfach, dazu acht Hörner, sechs Trompeten, drei Posaunen nebst Baßtuba, Pauken, große Trommel, Tambour, Becken, Triangel und — eine große Ratsche! Solche Ehren hat sich Eulenspiegel sein Lebtag nicht träumen lassen. Mit dieser Armee operirt der Componist außerordent lich gewandt; wir kennen ihn längst als einen glänzenden Virtuosen der Mache. Seine speciellen Talente schmücken auch das „Eulenspiegel“-Scherzo. Es ist verschwenderisch in Klangeffecten, pikant in seinen überraschenden Contrasten, voll contrapunktischer Kunststückchen, origineller Rhythmen und witziger Modulationen; Alles furchtbar geistreich und wahnsinnig schön.

Die Strauß’sche Novität, welche die vollendetste Virtuo sität in Anspruch nimmt, wurde unter Hanns Richter’s Leitung bewunderungswürdig gespielt. Ein ähnliches Meister stück lieferten die Philharmoniker in ihrer jüngsten Auf führung der „Sinfonie pathétique“ von Tschaikowsky. Wir haben das wunderliche Werk auch zum zweitenmal gern gehört; es ist doch Seele darin, nicht bloßer Witz. Auch eine der durch ihre erhabene Länge berühmten Bruck ner’schen Symphonien kam neuerdings zur Aufführung. Diesmal war es „Die Romantische“ in Es-dur. Nachdem sie bereits dreimal in Wien gespielt worden ist, darunter zweimal unter Hanns Richter, so dürfen wir wol heute an ihr respectvoll vorübergehen.

Unter den jüngsten bekannten Wiederholungen im philharmonischen Programm fiel uns das Vorspiel zu Parsifal“ auf. Wenn Wagner, der Dramatiker par excellence, durchaus auch im Concert als Instrumental- Componist vertreten sein muß, dann erscheint jede seiner Ouvertüren passender dazu, als gerade diese. Das „Parsifal“- Vorspiel findet seine einzig richtige Stelle und Wirkung in unmittelbarem Anschluß an das Drama. Wer letzteres nicht

kennt — und die große Mehrzahl der Wiener war ja nicht in Bayreuth — dem bleibt das Vorspiel völlig unverständ lich und unerquicklich. Sollte hier vielleicht die neueste Wagner-Mode, die Exaltation für das religiöse Element in Wagner, mitspielen? Dann dürften wir uns eigentlich wundern, daß die Wagner-Apostel diese heilige Musik über haupt in einen profanen Concertsaal zulassen. VorWagner’s letztem Werk, dem „Parsifal“, ist es Niemandem eingefallen, von der Religiosität und der „Gottinnigkeit“ Wagner’s zu sprechen, für die auch wirklich „Tannhäuser“, „Walküre“, Tristan und Isolde“ wenig passende Beispiele darboten. Mit gewissen frommen Strömungen neuester Zeit mag es zu sammenhängen, daß nun auch die „Religiosität“ als höchste bewegende Kraft in Wagner gefeiert wird. Ein Franzose, der Abbé Marcel Hébert, Director der Ecole Fénélon in Paris, veröffentlicht soeben ein eigenes Buch über „das religiöse Gefühl in Wagner’s Werken“. Deutsche Uebersetzung von A. Brunemann, München, bei A. Schupp, 1895. Darin kämpft er mit pietistischen und dilettantisch-philosophischen Ueberschwänglichkeiten und mit zahllosen Citaten aus den Wagnerianern E. Schuré, Chamberlain, Kufferath, H. Dinger, Noufflard und Wolzogen für die Heiligkeit Wagner’s. Freiherr Hanns v. Wolzogen führt das Buch mit einer Vorrede ein, worin er es „wohlthuend bemerkt, wie das Verständniß für den religiösen Grund der Wagnerschen Kunst auch bei den Vertretern der Religion selbst zunimmt“. Nach Herrn von Wolzogen „beruht Wagner’s Kunst (wie Parsifal’s Wissenschaft) auf dem religiösen Grund der Erkenntniß des Erlösers“. (!) Und welchen classi schen Zeugen für Wagner’s frommen Christenglauben führt Wolzogen auf? Den Berliner Hofprediger Stöcker! Dieser habe „die schönsten Worte über das Bühnenweih festspiel geschrieben“. Wagner würde sich ohne Zweifel gegen die Zusammenstellung mit einem Subject wie Stöcker ge wehrt haben. Ich gehöre nicht zu den Intimen Wagner’s, dennoch thut es mir in der Seele weh’, wenn ich ihn in der Gesellschaft seh’.