Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11290. Wien, Mittwoch, den 29. Januar 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11290. Wien, Mittwoch, den 29. Januar 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 29.01.1896
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Zur Biographie Franz Liszt’s. II. (Schluß.)

Ed. H. Vergl. Nr. 11259 der „Neuen Freien Presse“ vom 28. De cember 1895. So lange Franz Liszt als Virtuosen-Schmetter ling rastlos durch Europa flatterte, war er nicht so leicht einzuholen und zu haschen. Als er aber in Weimar seß haft geworden und allmächtig am großherzoglichen Hofe, da überschüttete ihn tagtäglich die Post mit Briefen von Freunden, Bewunderern und — Bittstellern. „Du solltest eigentlich Helferich statt Franz heißen,“ schreibt ihm Adolph Stahr (dessen jetzt noch in Weimar lebende Töchter Liszt’s be sonderen Schutz genossen), „denn eine hilfsbereitere Menschen seele als dich habe ich in meinem Leben nie kennen gelernt!“ Zunächst hatte der „Helferich“ viel seufzende Sehnsucht nach dem Weimarischen Falken-Orden zu stillen. „Ich fliege dem Vogel nach,“ bekennt Dingelstedt, und er hat durch Liszt den „Vogel“ erhalten, ebenso wie Mosenthal, Dessauer, E. Devrient, Dawison, Tichatschek und noch manche Andere, von welchen keine Briefe vorliegen. So viele Orden wie Liszt hat wol noch kein Künstler verschafft, Wagner ausgenommen, der gelegentlich seiner Festspiele bayrische Auszeichnungen vertheilte wie ein Souverän. Der Musik-Theoretiker C. Weitzmann begnügt sich mit dem Doctordiplom, das ihm Liszt von der Universität Jena er wirkte. Dann kommen die Bitten von Robert Franz, Ferdinand David und Anderen um Annahme von Dedicationen oder Befürwortung dieses Ansuchens bei kaiser lichen und königlichen Hoheiten. Minna Wagner wünscht, daß eine Nichte Richard Wagner’s in Weimar als Schau spielerin engagirt werde. Marie Seebach bestürmt Liszt um eine melodramatische Musik zu Bürger’s „Leonore“ und Des Sängers Fluch“ von Uhland. („Ich hätte mögen auf

den Knien am liebsten vor Ihnen liegen und beten!“ Berlioz hofft durch Liszt auf einen Verleger für seinen Faust“; Capellmeister C. Krebs auf die Aufführung seiner Oper „Agnes“. Johanna v. Beethoven (die Witwe des „Neffen Karl“) bittet in großer Bedrängniß um eine wiederholte Geldunterstützung, indem sie sich für bereits empfangene hundert Gulden bedankt. Aber eines der allerinteressantesten Anliegen kommt von dem 73jährigen Rossini. Er berichtet dem neugeweihten Abbé von seiner kürzlich componirten und in Privatkreisen gesungenen vier stimmigen Vocalmesse: „Man wollte, daß ich die Messe instrumentire, um sie sodann in einer Pariser Kirche auf führen zu lassen. Doch widerstrebte mir’s, da ich all mein geringes musikalisches Wissen an dies Werk gelegt und es mit wahrhaft religiöser Hingebung geschaffen habe. Es existirt, wie man mir versichert, von einem früheren Papste her eine beklagenswerthe Bulle, die ein Zusammen wirken beider Geschlechter in der Kirche verbietet. Könnte ich jemals zugeben, meine armen Noten von den mißtönen den Knabenstimmen singen zu hören, statt von Frauen, die für die geistliche Musik herangebildet sind und, um musika lisch zu sprechen, mit ihren wohllautenden, lichten Stimmen gleichsam Engel des Himmels darstellen? Wäre es mir, gleich Ihnen, vergönnt, im Vatican zu wohnen, ich würde mich zu den Füßen meines angebeteten Pius IX. nieder werfen, um seine Gnade für eine neue Bulle anzurufen, die den Frauen gestattet, vereint mit den Männern in der Kirche zu singen. Diese Maßregel würde der in völligem Niedergang befindlichen Kirchenmusik neues Leben verleihen. Als wackerer Abbé vereinigen Sie sich, Theuerster, mit mir und versuchen wir es, bei Sr. Heiligkeit eine Gnade zu er langen, die Ihnen als Diener der Kirche wie als Musiker doppelt am Herzen liegen muß.“

Auch in ernsten politischen Fällen mußte Liszt mitunter den Vermittler spielen; so für zwei Oesterreicher: Moriz Hartmann und Eduard Reményi. „Moriz Hartmann ist gefangen,“ schreibt Adolph Stahr im October 1854 an Liszt. „Seine Freunde in Paris schreiben mir, daß, wie sie aus Wien erfahren, ein Theil der dor tigen Minister es aus Furcht vor Scandal selbst für poli tischer halte, den Dichter wieder in Freiheit zu setzen, der

seit sechs Jahren ohne politische Thätigkeit, rein nur seinen schriftstellerischen Arbeiten gelebt hat. Es sei Alles noch im ersten Stadium der Untersuchung und eben noch Zeit, für den Dichter thätig zu sein. Auch ohne Auftrag von Paris her würde ich dazu deine Mitwirkung, deinen Einfluß, deine Verbindungen in Anspruch nehmen, denn es gilt einem Freund, einem edlen Charakter, einem Dichter, einem Un glücklichen. Je mehr von allen Seiten Bitten und Befür wortungen nach Wien kommen, um so eher ist Aussicht dazu da, daß Kaiser Franz Joseph und seine Räthe thun werden, was menschlich und politisch das Klügste ist, zumal in einem Augenblick, wo ein Louis Napoleon einen Bar bès begnadigt und wo Oesterreich durch einen solchen Act die Stimmung von ganz Deutschland gewinnen kann.“ Was den jungen Geiger Reményi betrifft, so hatte er sich nach der Besiegung der ungarischen Revolution geflüchtet und durfte nicht nach Oesterreich zurück. Wiederholt hatte Liszt ihn ermahnt, Schritte für seine Rehabilitirung zu thun; der Trotzkopf wollte nichts davon wissen. Nun wendet er sich (1854 aus London) doch an seinen mächtigen Beschützer, damit dieser ihm die Erlaubniß zur Rückkehr nach Oester reich erwirke.

So von allen Seiten von Einzelnen und für Einzelne in Anspruch genommen, hat Liszt doch ununterbrochen daran gedacht, wie er im Großen für deutsche Kunst und Bildung wirken und Weimar durch ein monumentales Werk zu neuem Glanze erheben könne. Er plante eine großartige Goethe-Stiftung“, welche ihren Sitz und Mittelpunkt in Weimar haben sollte. Zweck und Einrichtung dieser Stiftung erklärte Liszt in einer (sonderbarerweise französisch ge schriebenen) Broschüre: „De la fondation — Goethe“, die er noch vor ihrer Veröffentlichung verschiedenen Künstlern und Schriftstellern zur Beurtheilung schickte. Die meisten Freunde und Verehrer Liszt’s, auch Stahr und Dingelstedt, haben seinen Entwurf in Pausch und Bogen gepriesen. Eine Aus nahme macht Gutzkow, der in einem ausführlichen, sehr verständigen Briefe manchen unpraktischen Ideen Liszt’s ent gegentritt. „Allgemeine, vague, blind ins Leere hinausge schriebene Preisaufgaben halte ich für keine Förde rung der Kunst. Sehen Sie nur das klägliche Resultat der Laube’schen Concurrenz in Wien! Talent wird nicht ge

weckt durch Preise, im Gegentheile, statt zu encouragiren, decouragirt die Concurrenz. Wie mancher talentvolle junge Mann ist über seinen Durchfall in einer Concurrenz halb verrückt geworden! Aber lassen Sie noch mehr wegfallen! Die Krönungs-Ceremonie, die ganze Richard Wagner’sche Kunst- Zukunfts-Volks-Universal-Acclamation. Das ist Bombast! Das Wesen der Kunst im 19. Jahrhundert ist — die Individualität.“ Ein anderes Schriftstück, das Liszt auf dem Herzen lag, war die Dichtung des „Nibelungenring“, die Wagner be kanntlich noch vor der Musik selbstständig veröffentlicht hatte. Liszt wünscht zuerst das Urtheil der Brüder Grimm und wendet sich deßhalb an Bettina. Diese antwortet: „Ich habe die Söhne aufgefordert, den Nibelungentext den beiden Grimm von deiner Seite zu übergeben; sie haben mir es abgeschlagen und mir betheuert, daß sich kein gutes Resultat daraus erwarten ließe. Ich möchte auch nicht, daß Schaden daraus erwüchse, da dein Eifer für diesen Freund doch immer etwas Heiliges hat, das weit schöner ist als das, worum es sich handelt.“ Noch schlimmer ergeht es den Nibelungen bei Adolph Stahr, welcher doch von Wagner’s früheren Werken eingenommen war. „Um es kurz zu sagen,“ schreibt Stahr, „ich weiß kein anderes Urtheil über diese Pro duction als dasjenige, welches in dem Dilemma enthalten ist: entweder bin ich unfähig, zu verstehen und zu empfinden, was möglich, darstellbar und dramatisch wirksam, was tragisch und die Menschen ergreifend ist — oder: diese Dichtung ist von Anfang bis zu Ende ein einziger un geheurer Mißgriff. Einen genialen Menschen so ver irrt zu sehen, daß man kaum noch das Wort des Polonius (Wenn das Wahnsinn ist, so ist doch Methode darin) auf ihn anwenden kann, das ist geradezu ein Schmerz. Dies Gedicht ist in Allem ein Abfall von seiner ganz früheren Weise, nur insofern nicht, daß alle Mängel und Fehler der früheren Dichtungen hier zu riesiger, überwuchernder Höhe aufgeschwellt sind, während die schönen menschlich poetischen Eigenschaften fast ganz in den Hintergrund treten. Hier ist eine Sprache, die kein Lebender spricht, eine Rhythmik und ein Versbau, die meinem Ohre fremd sind; der Wortsinn schwer verständlich, sogar für den ruhig auf merksamen Leser; die Reden lang und überlang, der Gang der Fabel ohne Gelehrsamkeit und Wissen geradezu unverständlich, und das ganze über- und untermenschliche

Wesen dieser ganzen Welt in Motiven, Ansichten, Thaten, Schicksalen im höchsten Grade interesselos, ja — lang weilig!“

In Liszt’s Weimarer Zeit (1855 bis 1861) fällt die lebhafteste Correspondenz mit seinen Lieblingsschülern Tausig, Cornelius und Bülow. Die Briefe des Letzteren stehen nicht in der Sammlung von La Mara, sondern sind selbstständig in zwei Bänden erschienen, auf die wir auch einmal zurückkommen. Alle drei Jünglinge sind von der aufrichtigsten Begeisterung für Liszt und seine Werke erfüllt — fast möchte man sagen: besessen. „Be greift man erst Ihre Musik,“ schreibt Tausig, „so wird erst dann Bach verstanden werden!“ Und später: „Ist Ihr Dante erschienen? Ich habe großes Bedürfniß nach echt classischer Musik, und bis ich nicht wieder eine neue Partitur von Ihnen vor mir sehe, bekomme ich nicht meine Herzensruhe.“ Dem armen Tausig ging es lange Zeit recht übel. Aus den verschiedensten Städten wiederholen seine Briefe dieselbe Klage, daß seine Eltern ihm jede Unterstützung entziehen und er die nächsten Monate werde „von der Luft leben müssen“. Da hat denn „Helfe rich“ immer wieder geholfen. Auf Liszt’s Rath geht Tausig Ende 1860 nach Wien, wo er bekanntlich mehrere Orchester concerte zu dem Zwecke veranstaltet hat, um für Liszt’s symphonische Dichtungen Propaganda zu machen. Das Unternehmen fand wenig Anklang und verursachte große Unkosten. Dennoch bleibt Tausig auf Liszt’s Wunsch in Wien. „So leicht ist mir der Entschluß, in Wien zu bleiben, keineswegs geworden, und ich habe überwinden müssen. Wien ist mir unausstehlich, und meine Stellung, wenn ich überhaupt darauf ausgehe, jetzt oder später eine einzunehmen, ist zu aller Welt eine schiefe, unangenehme und höchst un entwickelte.“ Bei allem Enthusiasmus für Liszt benimmt er sich doch nicht so herausfordernd wie Bülow, der in Berlin (1859) als Dirigent von Liszt’s „Idealen“ einige Zischende laut aufforderte, den Saal zu verlassen. „Ich hätte es für würdiger gehalten,“ schreibt Tausig, „wenn er hätte die Leute zischen lassen. Diese Schroffheit verdirbt Alles. Wie will er, daß die Leute in seine Concerte gehen, wenn er ihnen verbietet, ihre Meinung zu sagen? Es bleibt ihm nichts übrig, als sich mit Jedem, der nicht seiner Meinung ist, zu duelliren.“ Noch entschiedener äußert sich die berühmte

Sängerin Pauline Viardot gegen Liszt: „Gewiß wird das Publicum stets günstig aufnehmen, was ihm von Ihnen selbst, persönlich vorgeführt wird, aber ich habe jedesmal Angst, wenn Bülow und die anderen Fanatiker sich hineinmischen. Sie schädigen die Sache, welcher sie dienen wollen, indem sie andere als musikalische Mittel zur Ueber redung anwenden. Sie sind exaltirt, ungeduldig und heftig bis zur Grobheit; sie suchen Streit und schreiben Kampf artikel gegen Alle, die nicht geneigt sind, ihnen aufs Wort zu glauben, und nicht gewillt, einer neuen Musik zuliebe auf jene zu verzichten, die das Glück ihres Lebens gewesen ist. Das ist absurd. Sie allein können, ja Sie müssen die Hitze Ihrer jungen Leute mäßigen! Die heftigen oder scan dalösen Scenen, die sie hervorrufen, werfen einen Schein von Lächerlichkeit auf Ihre Sache. Bringen Sie also alle die verrückten und ungeschickten Thoren zum Schweigen und sprechen Sie!“

Sehr bemerkenswerth sind die Briefe von zwei aufrichtigen Freunden und Verehrern Liszt’s, welche inmitten der fanatischen Propaganda für dessen Compositionen sich verpflichtet fühlten, aufrichtig ihre Bedenken dagegen auszusprechen: Ferdinand Hiller und Joachim. „Ich hätte dir,“ schreibt Hiller, nach dem Aachener Musikfest, „mit dem besten Willen nicht viel Freundliches sagen können, ohne Comödie zu spielen. Wenn auch meine Sympathie für dich immer die gleiche ist, so muß ich doch hinzufügen, daß es sich mit einem Theil deiner musikalischen Bestrebungen ganz anders verhält, daß ich nicht allein in denselben nicht mit dir übereinstimme, sondern es nachgerade für Pflicht halte, dir mit allen Kräften entgegenzutreten, so schwach sich dieselben auch deiner Stellung und deinem Einfluß gegenüber erweisen mögen.“ Mit schöner Offenheit betont Joachim, indem er die Einladung zu dem Musikfest in Weimar ablehnt: „Was hilft es, wollte ich noch länger zaudern, auszusprechen, was ich empfinde! Ich bin deiner Musik gänzlich unzugänglich; sie widerspricht Allem, was mein Fassungsvermögen aus dem Geist unserer Großen seit früher Jugend als Nahrung zog. Ich kann euch kein Helfer sein und darf dir gegenüber nicht länger den Anschein haben, die Sache, die du mit deinen Schülern ver trittst, sei die meine.“

Einmal kommt es doch vor in dieser Sammlung von 240 Briefen, daß Liszt selber eine Gefälligkeit von

Jemandem ansucht. Er bittet Berlioz, in Paris seine Wahl zum Membre de l’institut (nach Spohr’s Tod) anzuregen, was Berlioz gerne und mit Erfolg thut. Berlioz berichtet auch, daß R. Wagner sich in London durch seine Gering schätzung Mendelssohn’s sehr geschadet habe. „Wagner hat Un recht,“ schreibt Berlioz, „den Puritaner Mendelssohn nicht als eine reiche und schöne Individualität anzuerkennen. Wenn ein Meister ein Meister ist, und wenn dieser Meister immer und überall die Kunst geehrt und hochgehalten hat, dann muß man ihn gleichfalls ehren und hochhalten, mag auch unsere Richtschnur von der seinen abweichen.“ Wie mühsam es Berlioz geworden, seine Oper „Die Trojaner“ zur Auf führung in Paris anzubringen, illustrirt er Liszt durch folgende kleine Erzählung: „Der Kaiser hatte mich auf gefordert, ihm das Libretto zu bringen, und gewährte mir eine (wie ich glaubte) besondere Audienz: es waren unser 42. Kaum war es mir möglich, ihm ein paar Worte zu sagen. Er hatte seine Miene von 25 Grad unter Null, ver sprach, mein Buch zu lesen, falls er einen Augenblick der Muße finden könnte, und seitdem habe ich nichts mehr davon gehört. Die Sache war abgethan. Das ist so alt wie die Welt. Ich bin gewiß, daß der König Priamus sich ganz ebenso benommen hat.“

Von Rubinstein finden sich nur wenige Briefe in der Sammlung, aber sie sind nicht ohne Interesse. Es erging dem jungen Virtuosen anfangs ganz so miserabel, wie seinen beiden Collegen Tausig und Bülow. Und doch bildeten diese Drei die herrlichste Blüthe der nachliszt’schen Clavier-Virtuosität. Zuerst eine bittere Klage aus Berlin (1855), wo Rubinstein für sein erstes Concert 160 Thaler aus eigener Tasche zuzahlen mußte, um seine Ocean- Symphonie durchfallen zu sehen. Dann im selben Jahre Wien, wo das Vergnügen, ein Concert zu geben, ihn bare 260 Gulden kostete. Einen leeren Saal gibt es frei lich nicht in Wien nach Rubinstein’s Versicherung, da drei Viertheile der Plätze von Freibilletten verschlungen sind. Auch die Kritik, welche für Wilhelmine Clauß schwärme, habe ihn schlecht behandelt, besonders Hanslick. Dieser sage: „Sie hat das ästhetisch Schöne in der Kunst mit Löffeln aufgefressen, so daß für die Anderen nicht mehr als ein Leck für einen Groschen übrig bleibt.“ Dieser mir zuge schriebenen Albernheit stehe ich vollständig fremd und un

schuldig gegenüber. Auch ist es nicht ganz mein Styl. Von da an klafft eine breite Lücke in der Correspondenz zwischen Rubinstein und Liszt bis zum Jahre 1871, wo Rubinstein seine Trauer um den früh heimgegangenen Tausig aus spricht. Dieser sei mit Bülow und Nikolaus Rubinstein der letzte große Pianist gewesen. „Die Instrumental-Musik,“ sagt Rubinstein, „kann aber nur verlieren mit dem Ver schwinden der Virtuosität; die „guten Musikersind es nicht, durch welche die Kunst vorwärts kommt. Man hat gut sagen, der „gute Musiker“ sei der Deputirte der Rechten, oder des Centrums, oder der Linken — die Kunst verlangt aber einen Dictator, einen Imperator.“

Die weit überwiegende Mehrzahl der uns vorliegenden Briefe Liszt’s datirt aus seiner Weimarer Zeit; da waltete auch die sorglich hütende Hand der Fürstin Wittgenstein über den Schriftstücken. Aus Liszt’s römischen Jahren und seinem Pester Aufenthalte haben wir nur eine spärliche Ausbeute. Im Jahre 1871 benachrichtigt ihn der Minister-Präsident Graf Julius Andrassy, daß der Kaiser seine Ernennung für Pest mit dem Titel eines königlichen Rathes und einem Gehalt von 4000 Gulden genehmigt habe. In Erwartung eines seinem Genie entsprechenden Amtes werde Liszt durch seine bloße AnwesenheitPest zu einem musikalischen Mittelpunkt machen. Die Briefe seiner ungarischen Verehrer übertreffen in schwärmerischer Huldigung Alles, was Liszt in diesem Artikel sonst erlebt hat. „Welch tiefen Gehalt,“ schreibt E. v. Mihalovich, „welch unvergleichlichen Werth soll das Leben wieder für mich gewinnen, wenn es mir ver gönnt sein wird, in der elektrischen Sonnennähe des Gött lichen zu leben, aus dessen geflügelten Worten und er habenen Mienen u. s. w. u. s. w.“ Und Cornel v. Abranyi: „Seitdem ich denke, und gar seitdem ich musikalisch denke, habe ich nur eine einzige Idee: diese Idee concentrirt sich in Ihrem unsterblichen Genie!“ Ein Brief des berühmten Theologen Karl v. Hase in Jena an den (damals erkrankten) Liszt beschließt die Sammlung; er endet mit den hübschen Worten: „Ich würde selbst den heiligen Franciscus für Ihre Genesung anrufen, wenn mir’s nicht am Glauben fehlte.“ Es war der Anfang vom Ende: mit Einemmale kam das Alter über ihn, dessen er bisher zu spotten schien. Fünf Jahre später (1886) war Liszt nicht mehr unter den Lebenden.