Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11315. Wien, Sonntag, den 23. Februar 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11315. Wien, Sonntag, den 23. Februar 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 23.02.1896
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Concerte. Festconcert des Pensionsvereins „Haydn“. — Damenquartett Soldat. — Philharmonisches Concert.)

Ed. H. Die Wiener Tonkünstler-Societät „Haydn“ feierte gestern ihr 125jähriges Bestehen mit einem Fest concert. Ein schwächerer Nachklang ihres 100jährigen Jubi läums, welches am 3. und 4. April 1871 in großem Styl gefeiert worden war. Nur äußerlich stand das gestrige Concert im Vortheile, nämlich durch den großen Musik vereinssaal, während das erste Jubiläum sich noch im alten Burgtheater abspielte. Die ganze hundertjährige Geschichte der „Tonkünstler-Societät“ war ja mit diesem akustisch berüchtigten Local verwachsen, durch zahllose ruhmvolle Erinnerungen daran gekettet. Sie durfte an ihrem Jubel tage der berühmten Stätte nicht untreu werden, an welcher einst Haydn, Salieri, Dittersdorf, Mozart und Beethoven dirigirt oder gespielt hatten. Eine neue Zeit bedarf aber neuer, vollkommenerer Mittel. Unser damals ausgesprochener Wunsch, die (seit 1862 „Haydn“ benannte) Tonkünstler- Societät möchte nunmehr für immer Abschied nehmen vom alten Burgtheater, ward erfüllt, und Haydn’s Oratorien erlebten im großen Musikvereinssaale unter Herbeck eine zweite Jugend. Seither sind auch die ehrwürdigen Wiegen des Wiener Haydn-Cultus vom Erdboden verschwunden: das alte Burgtheater, das Kärntnerthor-Theater (welches and einige Aufführungen der Tonkünstler-Societät beherbergt hat), endlich das Schwarzenberg-Palais auf dem Mehl markte, wo „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ zum allererstenmale gehört worden sind. Nach dem Jahre 1872 zog sich der Pensionsverein „Haydn“, dessen musikalische Bedeutung allmälig bis zur Unscheinbarkeit verblaßt war, von den Concerten zurück, um fortan nur seinen Wirkungs kreis als Humanitäts-Institut auszufüllen.

Das hundertjährige Jubiläum vor fünfundzwanzig Jahren war königlich mit beidenOratorienHaydn’s auf getreten; hingegen begnügte sich das gestrige „Festconcert“ mit einem gemischten Programm, woran das Festlichste,

daß drei Dirigenten sich in das Commando theilten: Hof capellmeister Fuchs, Hofopern-Director Jahn und in Ver hinderung Hanns Richter’s der Director der Gesellschafts concerte, R. v. Perger. Mit Ausnahme einer einleitenden Ouvertüre von Florian Gaßmann, auf die wir noch zurückkommen, gab man nur Haydn — eine verdiente Huldigung für diesen Schutzheiligen der Pensions-Gesellschaft, welche ihm die bessere Hälfte ihrer künstlerischen Existenz und die größere ihrer materiellen verdankt. Die Auswahl aus seinen Compositionen hätten wir uns interessanter gedacht. Wie viele längst vergessene, selten gehörte gibt es darunter, die wir freudiger begrüßt hätten, als die sehr bekannte Oxford- Symphonie, die Quartett-Variationen über das Kaiserlied, die Tenorarie in C-dur aus der „Schöpfung“ und schließlich die sogenannte Nelson-Messe. Diese im Jahre 1797 componirte Messe (in England die „kaiserliche“ genannt) heißt in DeutschlandNelson-Messe“, weil sie (1800) bei Nelson’s Besuch in Eisenstadt aufgeführt worden sein soll. Der berühmte Seeheld hat sich die Schreibfeder Haydn’s erbeten und ihm dafür seine eigene goldene Tachenuhr geschenkt. Messen gehören gar nicht ins Concert und machen da auch keine Wirkung. Zu recht fertigen sind nur ganz großartige Ausnahmen (Bach, Beethoven), welche in unseren Kirchen nicht die entsprechen den Kräfte vorfinden und deren tiefer musikalischer Gehalt an sich, ohne Beihilfe kirchlicher Functionen und Symbole, den Hörer vollständig erfüllt. Haydn’sche Messen kann man in jeder Kirche hören. Hingegen die berühmte „Abschieds symphonie“, von der Jeder von uns schon als Kind ge lesen, wie gern hätte man sie einmal selbst gehört und — gesehen! Ein anziehendes Gesangstück aus einer Oper von Haydn („Orfeo“, „Armida“), ein Claviertrio oder eine Violin-Sonate von Haydn, würde dem Publicum die ange nehmste Ueberraschung bereitet haben. Und welch’ prächtige, elektrisirende Schlußnummer hätte statt der Messe der Herbst oder der Winter aus den „Jahreszeiten“ abgegeben!

Viel mehr haben wir uns über die Ouvertüre von Gaßmann gefreut — nicht so sehr der Composition, als des Autors wegen. Der gegenwärtige Vorstand des Vereines, Hofcapellmeister Fuchs, hat damit ein Unrecht an dem Manne gutgemacht, den man bei dem Jubelfest von 1871 total vergessen hatte. Damals war weder Gaßmann’s Büste neben Haydn aufgestellt, noch sein Name auch nur auf

dem Anschlagszettel erwähnt. Und doch ist Gaßmann der Gründer der Tonkünstler-Societät, Haydn nur deren posthumer Adoptivvater und Namenspatron. So sei es denn hier erlaubt, an die Verdienste Gaßmann’s zu erinnern, wozu die Gelegenheit kaum wiederkehren dürfte. Florian Leopold Gaßmann war 1723 in Brüx in Böhmen geboren. Als zwölfjähriger Knabe entlief er seinem Vater, der ihn zum Kaufmann bestimmt hatte. Mit seiner Harfe wanderte der Junge bis nach Bologna, wo Padre Martini ihn unter seine Schüler aufnahm. Dann trat er in die Dienste des Grafen Leonardi Veneri in Venedig. Da seine Compositionen bald allgemeine Beliebtheit errangen, wurde Gaßmann1762 als Balletcomponist nach Wien be rufen und nach Reutter’s Tod von Kaiser Joseph zum Hof-Capellmeister mit 800 Ducaten Gehalt ernannt. Die Hofcapelle war so tief gesunken, daß bei Gaßmann’s Antritt ihr Stand auf zwanzig größtentheils invalide Mitglieder zusammengeschmolzen war, darunter nur ein Cellist, ein Fagottist, ein Oboist, gar kein Violoncellspieler, kein Contrabaß, ja sogar — kein Organist! Gaßmann erklärte es als Ehrensache, die frühere Wirthschaft nicht fortzusetzen, und obwol in seinem vorgeschriebenen Budget aufs äußerste beschränkt, brachte er es doch dahin, daß über seinen Vor trag die empfindlichsten Lücken noch im selben Jahre aus gefüllt wurden und der Stand der Hofcapelle auf vierzig Individuen stieg. Stets eingedenk der Zeit, da er selber Hunger und Kälte gelitten, sorgte Gaßmann redlich für das Wohl seiner ärmeren Collegen und gründete die „Musi kalische Sozietät der freyen Tonkunst für Witwen und Waisen“ in Wien, nach deren Muster später die ähnlichen Versor gungs- und Concert-Institute in Berlin, Petersburg, Prag etc. entstanden. Die Früchte seiner segensreichen Thätigkeit sollte er selbst nicht erleben; kaum 50 Jahre alt, starb er in Folge eines Sturzes aus dem Wagen. Die Kaiserin Maria Theresia ernannte sich selbst zur Pathin bei Gaßmann’s nachgeborener Tochter und setzte eine Pension für die Hinterbliebenen aus. Als Componist außerordentlich fruchtbar, hat Gaßmann 23 Opern (alle auf italienischen Text) ge schrieben, außerdem eine Menge Symphonien, Quartette und Kirchenmusiken. Ueber letztere äußerte Mozart zu Doles in Leipzig: „Wenn Sie nur erst Alles kenneten, was wir in Wien von Gaßmann haben! Komme ich heim, so will

ich seine Kirchenmusiken fleißig studiren und hoffe, viel daraus zu lernen.“ Das Haydn-Concert versammelte ein zahlreiches und äußerst dankbares Publicum, welches die genannten drei Dirigenten, Herrn van Dyck und die in der Messe mitwirkenden Solosänger (Fräulein Abend roth, Fräulein Walker, Herr Schittenhelm, Herr Grengg) sehr lebhaft auszeichnete.

Unser Damen-Streichquartett Soldat-Roeger ist nicht mehr bloße Localberühmtheit. Es hat aus kritischen deutschen Städten, zumal aus Berlin, seinen Ritterschlag heimgebracht. Die jüngste Production offenbarte deutlich, wie schön das Zusammenspiel der vier jungen Damen seit Jahresfrist sich vervollkommt hat. Es geziemt sich, daß die Primvioline und das Violoncell, Fundament und Spitze des Baues, die Werthvollsten sind. Frau Soldat-Roeger, bekannt als eminent musikalische Virtuosin, ist speciell im Quartettspiel eine ganz hervorragende Erscheinung. Nicht blos die erste Stimme dieses Quartetts, sie ist zugleich dessen regelnder Verstand, dessen oberster Wille, dessen empfindende Seele. Ihr zunächst möchte ich die Violoncellistin Miss Herbert-Campbell nennen, den schönen blonden Flügel mann des Quartetts. Ihre solide Technik und süßer, stets reiner Ton gereichen dem Ganzen zu großem Vortheil. Die beiden minder dankbaren und doch so verantwortungs vollen Mittelstimmen werden von Frau Finger-Bailetti und Frau Lechner-Bauer gewissenhaft besorgt. Ihr Bestes leisteten die vier Damen mit dem Vortrage eines seltener gehörten, ganz reizenden Quartetts von Haydn (G-dur, op. 77, Nr. 1). Man mußte an das alt modisch naive Wort denken, mit dem Fr. D. Schubart auf dem Hohen-AspergHaydn charakterisirt hat: „Das Genie jauchzt ihm Beifall zu, und der mäßige Kopf schlingt mit Entzücken seine Töne.“ Herr Alfred Finger (gewisser maßen der Schwager des Damenquartetts) und Herr Pro fessor R. Hausmann aus Berlin vervollständigten die Besetzung des B-dur-Sextetts von Brahms, an dem man sich seit etwa dreißig Jahren nicht satt hören kann. Die „Böhmen“ hatten damit erst wenige Tage früher Furore gemacht. Herr Hausmann und Fräulein Marie Bau mayer (die man Beide nicht mehr zu rühmen braucht)

spielten zusammen zwei Beethoven’sche Duos für Clavier und Violoncell: die C-dur-Sonate op. 102 und die Variationen über das Mozart’sche Thema: „Bei Männern, welche Liebe fühlen.“ So verlief denn das Concert, dem ein sehr großes Publicum lauschte, durchaus harmonisch und genußreich. Wir möchten bei diesem Anlaß alle Quartettvereine und alle Haydn-Verehrer auf die allerneueste (bei A. Payne in Leipzig) erscheinende Ausgabe sämmtlicher Haydn’schen Quartette aufmerksam machen. Es fehlte seltsamerweise bisher an einer ganz correcten, gut bezeichneten und in der richtigen Reihenfolge geordneten Ausgabe. Die in dem Prospect abgedruckten Urtheile von Hugo Heerman (Frankfurt), J. Röntgen (Leipzig), H. Petri (Dresden) und Julius Winkler (Wien) sprechen so unbedingt zustimmend und rühmlich von dieser musterhaften, obendrein sehr billigen Ausgabe, daß an deren Erfolg kaum zu zweifeln ist.

Im fünften Philharmonischen Concert hörten wir Dvořak’s neue Symphonie in E-moll. Sie ist „Aus der neuen Welt“ betitelt und heißt darum gemeiniglich die Amerikanische“. Der Componist protestirt zwar lebhaft gegen die Vermuthung, er habe die Motive in Amerika auf gelesen. Gewiß sind die Themen, so wie sie in der Symphonie stehen, Dvořak’s Eigenthum — aber daß seine Phantasie von der originellen Nationalmusik angeregt und beeinflußt war, die ihn in Newyork tagtäglich umschwirrte, scheint mir außer Zweifel. Dvořak’s Werke liefern selbst den Beweis, denn einerseits haben seine früheren, von slavischem Charakter beherrschten Compositionen keine Aehnlichkeit mit der E-moll- Symphonie, andererseits zeigen die unmittelbar nach dieser in Newyork componirten Stücke denselben exotischen Zug in Rhythmus und Melodie. Ich erinnere an das F-dur-Quartett op. 96, insbesondere sein Finale; an das köstliche Streichquintett op. 97, auch an Nr. 1 der Suite op. 98. Wer einmal eine Production der schwarzen „Christy’s Minstrels“ in London gehört hat oder ihre bei Boosy & Sons erschienene Lieder sammlung durchblättert, der wird einige Verwandtschaft mit diesen letzten Dvořaks wol bemerken. Was wir ganz allge mein amerikanische Musik nennen, sind eigentlich importirte schottische und irische Volksweisen, nebst etlichen Neger melodien. In der E-moll-Symphonie ist dieser Typus nicht so stark ausgeprägt, wie in den oben genannten Kammer

musiken, aber man wird doch sofort Motive heraushören, die, von Dvořak’s früherer Art weit abstehend, wirklich, wie der Titel besagt, aus einer andern Welt sind. Aus dieser neuen Welt, die Dvořak durch ein paar Jahre auf merksam, mit offenen Sinnen beobachtet hat, ver wendet er einige noch unverbrauchte, erfrischende Volks klänge — dafür können wir ihm nur dankbar sein. Das Entscheidende bleibt immer, was Dvořak daraus ge macht und wie er es angefangen hat, Bedeutung, Reiz und Adel einer Volksmusik abzugewinnen, die uns in natura hölzern, platt, burlesk erscheint. Und hierin liegt das Glück und Verdienst von Dvořak’s neuesten Arbeiten. Nur ein genialer Erfinder und ein Meister polyphonen Styls ver mochte solche Anklänge künstlerisch zu gestalten und ein Stück wie die E-moll-Symphonie zu schreiben. Die Themen des ersten Allegro scheinen mir die bedeutendsten und originellsten; gleich das kühn aufsteigende Hauptmotiv gewinnt uns und bestimmt den ganzen frischen, energischen Charakter des Satzes. Das folgende Largo, dessen Thema ein schwer müthiges Englischhorn intonirt, ist in bleiches Mondlicht getaucht, einfärbig, rührend und fremdartig. Wurde nicht das Tempo etwas gar zu langsam genommen? Sehr originell in kurzen Sprüngen führt sich das Scherzo ein. Wie dieser Satz der keckste, so darf das Finale der kunst vollste heißen. Die Art, wie hier Motive aus früheren Sätzen, zumal aus dem ersten, in allerlei Veränderung und Vermummung eingeschoben werden, zeigt uns Dvořak’s Meisterschaft in voller Reife. Ungezwungen und geistreich vermittelt dieses Wiederauftauchen der Hauptmotive einen festeren Zusammenhang zwischen den einzelnen Thei len. Nur etwas zu lang scheint mir das Finale, das, nachdem es uns Alles vollständig gesagt hat, noch kein Ende finden will. Das ungemein interessante Werk, das, glänzend instrumentirt, doch keineswegs nach jüngstdeutschen Manieren die Klangeffecte zur Hauptsache macht, fand die wärmste Aufnahme. Sobald man den charakteristischen Kopf Dvořak’s in der Directions-Loge entdeckt hatte, wurde so lange nach jedem Satz applaudirt, bis der bescheidene Com ponist sich erheben und von oben herab danken mußte. Schließlich nöthigte man ihn noch auf das Podium. Hoffent

lich werden die Philharmoniker, die mit der virtuosen Aus führung der Symphonie einen verdienten Triumph feierten, uns auf eine Wiederholung nicht allzu lange warten lassen. Das Wiederhören ist in der Musik eigentlich das erste rechte Hören. Hofcapellmeister Richter hat die Tschaikowsky’sche Symphonie pathétique in kürzester Zeit zum zweitenmale aufgeführt und bereits eine andere Symphonie desselben Autors für das nächste Concert angesetzt. Von Dvořak’s drei ersten Symphonien ist meines Erinnerns noch keine einzige wiederholt worden seit ihrer ersten Aufführung, „es ist schon lange her“! Wir möchten unsere Componisten doch nicht allzusehr hinter Rußland zurückgesetzt sehen.

Herrn Feruccio Busoni haben wir nicht zum ersten mal gehört, und dennoch erschien er uns im Philharmoni schen Concert als eine ganz neue Bekanntschaft. Es war vor zwanzig Jahren, daß der kleine Busoni hier zuletzt als Wunderkind gespielt hat. Die Versprechungen der Wunder kinder sind bekanntlich trügerisch, und so sahen wir denn mit einem Gemisch von Erwartung und Besorgniß dem Auftreten des jetzt 29jährigen Künstlers entgegen. Er hat vollauf die großen Hoffnungen von damals erfüllt. Als Virtuose nämlich, denn von seinen Compositionen ist uns nichts bekannt worden. Unter den Clavierspielern ist heute Busoni einer der Allerersten. Ich kenne Keinen, der mich so frappant an Rubinstein erinnert hätte. Derselbe klang volle, saftige Anschlag, dieselbe Riesenkraft, Ausdauer und Sicherheit, dieselbe gesunde Plastik des Vortrages. In dem unerhört schwierigen und anstrengenden Es-dur-Concert (Nr. 5) von Rubinstein konnte Busoni seine Technik trium phiren lassen. Als guter Musiker hat er diese Composition wol nicht um ihrer Schönheit willen, sondern trotz ihrer Häßlichkeit gewählt. Zwischen dem ersten Satz und dem Finale lagert das Adagio wie ein faules Schaf zwischen zwei Kannibalen. Busoni erntete stürmischen Beifall; seine Er folge dürften noch höher und schöner wachsen auf einer künstlerisch gediegeneren Unterlage, als dieses Concert sie bietet. Fügen wir unserem Concertbericht noch die ange nehme Bemerkung bei, daß zum Schluß Beethoven’s kürzeste und einfachste Symphonie, die erste in C, wunder voll gespielt und enthusiastisch aufgenommen worden ist.