Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11350. Wien, Sonntag, den 29. März 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11350. Wien, Sonntag, den 29. März 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 29.03.1896
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Concerte.

Ed. H. Es kann nicht immer vollen Sonnenschein geben; nicht einmal in den Productionen unseres glorreichen Männergesang-Vereins. Seine letzte stand im Schatten der vorangegangenen glänzenderen Concerte. Herr Camillo Horn, von dem man anmuthige, melodiöse Lieder kennt, ist mit seiner „Ouvertüre“ weniger glücklich hervor getreten. Eine achtbare Composition, wenn wir sie als ein Uebungs- und Vorbereitungsstück für reifere Orchesterwerke ansehen dürfen, aber an sich von geringer Kraft und Selbst ständigkeit. Sie segelt meist im Fahrwasser der bekannten Reissiger- und Lindpaintner-Ouvertüren, in welchen Vieles neu und wirksam klang, was heute den Eindruck des Auf gewärmten macht. Wir kennen sie ganz gut diese er künstelte Leidenschaft aufgeregter Violinfiguren, diese akade misch geradlinige Durchführung und den wohlfeilen Pomp ihrer Coda. Es fehlt der Horn’schen Ouvertüre nicht an Form, aber an bedeutendem Inhalt und indivi dueller Prägung. Der Hymnus „Phöbos Apollon“ von Fr. Gernsheim, zuerst in dem Jubiläums-Concert des Vereins 1893 vorgetragen, hat uns jetzt bei obendrein mangelnder Feststimmung noch kälter gelassen, als damals. Trotz seiner gräcisirenden Erhabenheit und seines gewaltigen Chor- und Orchesterschalls macht dieser Hymnus doch nur den Eindruck einer sich berauschenden Capellmeistermusik. Nachbil dungen der Antigone- und Oedipus-Chöre können stets nur auf kühle Anerkennung zählen, insbesondere wenn ihre Autoren nicht Sophokles und Mendelssohn heißen, sondern Allmers und Gernsheim. Das schwierige Werk ist obendrein eine Art Männerchor-Turnleistung, ermüdend durch die an haltend stark und hoch geführten Tenorstimmen. Neben den jugendlichen Tenoristen des Vereins singen aber doch auch manche ältere, die man nicht reizen darf. Geringe Er frischung boten die Liedervorträge der Hofopernsängerin Frau Elizza. Es that uns leid, Schubert’sGretchen am Spinnrad“ und R. Heuberger’s poetisches Lied: „Der Liebste schläft“, von reizloser Stimme so dilettantisch gesungen zu hören. Beinahe hätte es uns sogar um Grünfeld’s Erste Liebe“ leid gethan. „Balkanbilder“ betitelt sich eine umfangreiche Novität für Soli, Chor und Orchester, von E. Kremser. Der Text dieser verschämten Concert-Oper leidet an dem sehr unklaren Zusammenhang der einzelnen dreizehn Nummern. Dem geschätzten Componisten, welcher

uns so manchen lebendigen und heiteren Chor gespendet, können wir diesmal nur das eine Lob zollen, dessen er längst nicht mehr bedarf: das Lob seines sangbaren, effect vollen Chorsatzes. Die Phantasie hat ihn bei diesem Opus 144 unfreundlich im Stich gelassen, wahrscheinlich verstimmt durch die vielen langsamen, tristen Gesänge. Auch in Betreff der einheitlichen Grundfarbe scheint Kremser nicht recht schlüssig geworden. Dem Schauplatz der Balkanbilder“ entsprechend, dachten wir uns in der Musik den Ton rumänisch-serbischer Volksweisen festgehalten. In Kremser’s Liederspiel scheiden sich aber orientalische und rein deutsche Partien wie Oel und Wasser. Am glücklichsten getroffen ist der orientalische Charakter in der kurzen charakteristischen Einleitung. Auch der erste Klaggesang der Bässe und die „Botschaft“ (von deren wich tigem Inhalt kein Mensch eine Idee bekommt) tragen noch discrete Localfarbe. Nun folgen aber recht charakterlose Nummern, wie das sentimentale Bariton-Solo und das Sopran-Solo „Sehnsucht“. Die Chöre „Rachebündniß“, „Gebet um Sieg“, „Heimkehr“ sind gangbare Liedertafel- Musik, und nicht von der besten Sorte. Der Componist scheint bei diesen Stücken mehr an den Stuttgarter Lieder kranz, dem das Werk gewidmet ist, als an die Balkanvölker gedacht zu haben. Die effectvollste Nummer kommt glück licherweise zuletzt: ein „Hochzeitsreigen“, volksthümlich-lustig und mit pikanten Schallwerkzeugen, wie Tamtam, Glöckchen und Tamburin so freigebig ausgestattet, daß jede Möglichkeit des Einschlafens ausgeschlossen ist. Natürlich hielt das Publi cum sich nicht an die Aufforderung des Schlußverses: „Schleichet sachte, sachte fort!“, sondern applaudirte stand haft und beherzt zu Ehren Kremser’s und seiner erprobten Balkansänger.

Ein ähnliches Resultat ergab das außerordentlich gut besuchte Concert des Schubertbundes: vortreffliche Aus führung eines nur theilweise glücklichen Programmes. Als strahlendes Juwel überglänzte Schubert’sGesang der Geister“ die übrigen Repertoirestücke. Unter den Novitäten interessirte zumeist R. Heuberger’s Chor (mit Orchester- Begleitung) „Nun grüße dich Gott, Frau Minne“. Das Gedicht, von dem jung gestorbenen Grafen Moriz Strach witz, erschwert und gefährdet die musikalische Behandlung nicht blos durch manche gequälte, schwer verständlich Wendung, sondern noch mehr durch seine auseinanderfallende Form. Eine Ballade vom sterbenden Ritter Walter wird da

künstlich eingeklemmt zwischen zwei höchst persönliche, lyrische Ergüsse des Dichters. Diese drei Theile gehörig zu sondern und sie doch zugleich als einheitliches Ganzes wirken zu lassen, ist keine leichte Aufgabe. Heuberger hat sie geistreich und effectvoll gelöst, indem er die „Ballade“ blos von Baß stimmen, schlicht erzählend, unisono vortragen läßt, hingegen die beiden sie einschließenden lyrischen Sätze im lebendigsten Aufschwunge des vollen Chores und Orchesters emporhebt. Frau Minne“ klang vortrefflich und hat dem Componisten, der in seiner energischen und umsichtigen Weise selbst diri girte, lebhaften Beifall eingetragen.

Wiens Verständniß für ernste Künstlerschaft hat den Erfolg von vier Concerten der Herren Messchaert und Röntgen neuerdings bewiesen. Der Sänger Messchaert ist in diesen Blättern bereits so vollständig gewürdigt, daß mir kaum mehr als ein Wort der Zustimmung übrig bleibt. Nicht überfeinertes oder klügelndes, sondern starkes, natür liches Gefühl ist es, was, gebändigt durch Schönheitssinn und sichere Technik, uns aus den Gesängen Messchaert’s unmittelbar anspricht und mit fortzieht. Seiner Natur ent sprechen am meisten die starken, männlichen Empfindungen, so in Schumann’sDichterliebeIch grolle nicht“. Die zarten, mitunter raffinirt sentimentalen Lieder dieses Cyklus kommen seinem, in der tieferen Lage etwas starren Bariton weniger günstig entgegen. Der Sänger schien mir manchmal zu viel Stimme zu geben. Seine Auffassung hingegen ist durchaus wahr und eindringend. Messchaert hat den Geist eines Mannes, der es nicht darauf anlegt, geistreich zu sein. Befremdet hat mich nur die fast heroische Kraft, mit welcher er die echt Heine’sche Pointe „und wem es just passiret, dem bricht das Herz entzwei“ hervorhob. Dieses Pathos stimmt nicht wohl zu der tändelnden Ironie der früheren Strophen; eher ein leichter Ton verbissenen Humors. Wie richtig hat Messchaert durch starke Accentuirung des letzten Wortes ein anderes Gedicht interpretirt: „Dein Gefühl enthülle mir, dein wahres!“ in Brahms’ bekanntem Liede. In diesen und vier anderen Gesängen von Brahms (worunter die seelenvolle „Mainacht“) hat Messchaert den Ton des Dichters und des Componisten unvergleichlich getroffen. Den Begleiter Messchaert’s, Herrn Julius Röntgen, darf man einen ebenbürtigen großen Künstler nennen. Man braucht allerdings ein Weilchen, um sich an die Aeußerlich keiten dieses Pianisten zu gewöhnen: er ist ganz Hingebung, ganz Gefühl und begleitet jedes Motiv, ja die einzelne

bedeutungsvolle Note mit heftigen Bewegungen des ganzen Körpers und wechselndem Mienenspiel. Aber man fühlt sofort, daß an diesem theilnehmenden Beiwerk keine Spur von Affection, Alles vielmehr ein leidenschaftliches Miterleben ist. Die Beethoven’sche C-moll-Sonate, op. 111, habe ich nie zuvor mit so überlegener, freier Technik und so klarem Aus einandersetzen des verschlungenen rhythmischen und harmonischen Gewebes spielen gehört, dabei mit so inniger persönlicher Hingebung. Nach der titanischen Gewalt des ersten Satzes dieses verklärte Adagio-Thema; die Variationen in Einem Strom sich ergießend bis zu dem Schlusse, der in Triller ketten (auch über und unter dem Thema) sich nicht ersättigen kann! Da verging Einem das Lächeln über den nervös beweglichen kleinen Herrn mit dem glattrasirten, brillen bewehrten Schulmeistergesicht. Athemlos lauschte Alles bis zur letzten Note: dann brach sturmesgleich der Beifall los, nicht enden wollend.

Das letzte Philharmonische Concert be scheerte uns als Novität ein symphonisches Zwischenspiel aus der Oper „Malawika“ von Felix Weingartner. Das vom Componisten bearbeitete gleichnamige Drama des großen indischen Dichters Kalidasa behandelt die sehr verwickelte Familiengeschichte des Königs Aquimitra zu Vidisa im zweiten Jahrhundert vor Christus. Die Autorschaft Kalidasa’s, des Dichters der ungleich bedeutenderen „Sakuntala“, wird bekanntlich von Autoritäten bestritten. Aus einem anderen Gedankengange dürfte vielleicht in zwanzig Jahren die Autor schaft Weingartner’s an dem „Malawika“-Zwischenspiel be zweifelt werden; denn es ist so ziemlich dieselbe Musik, die heute alle jungen Wagner-Capellmeister schreiben. Gleich Weingartner sind sie alle virtuose Dirigenten, alle im Besitze einer raffinirten Orchestertechnik und alle recht arm an eigenen musikalischen Gedanken. Aus solchen In gredienzien läßt sich trefflich „ein System bereiten“, und einige Opern noch dazu. Wagner’sche Redensarten, geschickt verbunden und vor eine Wandeldecoration von chromatischen Gängen und enharmonischen Verwechslungen gestellt, dazu zwei Harfen, eine Baßclarinette, tremolirende getheilte Violinen, Schlaginstrumente u. s. w. In diesem Schweben und Wogen, Schwirren und Toben vermag ein gläubiger Sinn alles Erdenkliche zu erblicken, nur nicht ein plastisch vortretendes Thema, eine sangbare Melodie, eine künstlerische Form. Mehr als diese „Malawika“ haben uns einige literarische Publicationen des Herrn Weingartner

interessirt. Es ist charakteristisch, daß unsere jungen Hof capellmeister sich gern auch als schneidige Schriftsteller hervor thun und mit einer meist aus Schopenhauer flüchtig zu sammengerafften Bildung Philosophie dociren. „So wie weitere philosophische Systeme nur auf Schopenhauer basiren können,“ schreibt Herr Weingartner, „so können auch weitere künst lerische Bestrebungen, soweit sie das musikalische Drama be treffen, nur von Richard Wagner ausgehen.“ Weingartner’s Schrift „Vom Dirigiren“ enthält, weil seinem eigensten praktischen Beruf entnommen, ganz vortreffliche Bemerkungen, wenngleich darin weniger vom Dirigiren, als von (und gegen) Dirigenten gesprochen wird. Eine zweite größere Abhandlung Weingartner’s heißt „Die Lehre von der Wiedergeburt und das musikalische Drama“. Indem sie ein gewaltiges Schopenhauer-Wagner’sches Feuerwerk von Erlösung, Verneinung des Willens, Brahma und Nirwana abbrennt, beleuchtet sie damit den eigentlichen Zweck und Plan des Verfassers: die Verkündigung seines großen Mysteriums „Die Erlösung“. Dasselbe wird aus drei Theilen bestehen (Kain, Jesus, Ahasver), von denen die erste und dritte je Einen Abend, die mittlere zwei Abende in Anspruch nimmt. Diese Tetralogie soll nicht an einem der bestehenden Theater aufgeführt werden, sondern „in einem besonders dazu eingerichteten Hause, mit der Auswahl der geeignetsten Kräfte und den nothwendigen scenischen Vorbereitungen in dem Sinne, wie Wagner seine Bühnen festspiele geplant hat“. Die Wagnerianer beherrscht ein merkwürdiger Nachahmungstrieb, nicht blos im rein Musikalischen, sondern auch in Bezug auf exotische Theatergründungen. Für ihre übermenschlichen Ideen sind alle unsere Opernhäuser zu klein, unsere Bühnentechnik zu armselig, unser Publicum zu einfältig. Fühlen sie wirklich nicht, welche Selbstüberhebung darin liegt, daß sie dabei sich auf Wagner’s Vorgang berufen? Wagner hatte für die so mißachteten Opernhäuser sechs große Werke geschaffen (Rienzi, Holländer, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, Meister singer) und mit ihnen die musikalische Welt erobert, bevor er daran ging, für eine Schöpfung von ganz ungewöhn lichem Inhalt und Umfang ein eigenes Festspielhaus zu er richten. Er durfte es wagen, denn er, der Dreiundsechzig jährige, hatte Schritt für Schritt sich das Vertrauen und die Zuneigung der Nation erworben. Aber was hat Herr Weingartner geleistet, um für seine noch ungeborene Tetralogie ebenfalls ein eigenes Theater zu beanspruchen? Nichts, als

eine Oper „Genesius“, welche in Berlin ein solches Ent setzen hervorrief, daß der Componist sie nach der zweiten Aufführung zurückzog, natürlich weil das Publicum sie nicht versteht. „Genesius“, so hieß es in dem Berliner Manifest Weingartner’s, „wird dem Hörer nicht auf der flachen Hand geboten, er stellt höhere geistige Ansprüche an das Publicum. Wer wollte es auch dem nervös gemachten Großstädter ver übeln, wenn er im Kunsttempel nichts weiter will, als sich amüsiren, Witze hören, Witze machen u. s. w.“ Aber Wein gartner steht mit seiner Erwartung, daß man ihm ein zweites Bayreuth schaffe, nicht mehr allein. Herr v. Gold schmidt in Wien hat für seine Riesenoper „Gaea“ ähn liche Absichten und unstreitig ähnliche Rechtsansprüche: denn auch ihm ist eine Oper „Helianth“ in Leipzig durchgefallen. Mit gleichen Sonderbunds-Ideen trägt sich, dem Vernehmen nach, Herr August Bungert für sein Musikdrama „Nausikaa“. Andere jugendliche Titanen werden nicht zurückbleiben wollen, und bald sehen wir lauter specielle Opernbühnen für Opern- Specialisten sich erheben — musikalische Chambres séparées für jeden einzelnen Componisten und für jedes einzelne Opernungeheuer. Charakteristisch ist nebenbei, daß diese sich eminent deutsch und modern nennenden Tondichter ihre Opernstoffe aus den ältesten Zeiten und den entlegensten Völkern nehmen: Genesius, Malawika, Urwasi, Helianth, Gaea, Nausikaa, u. s. w. Gewiß hegen Weingartner und seine übrigen schon durchgefallenen oder noch nicht aufgeführten Collegen die ehrliche Ueberzeugung, daß der Kunst nur durch colossale Dimensionen und Separat- Theater gedient sein kann, und daß in allergrößtem Format sie auch Allergrößtes leisten werden. Dagegen möchten wir nur schüchtern den Zweifel äußern, ob Jemand, dessen Ideenvorrath nicht für Einen Abend ausgereicht hat, sich in vier aufeinanderfolgenden Abenden wirklich als Krösus legitimiren werde. Noch immer gilt der Ausspruch Diderot’s: „Quand on désespère de faire une chose belle, naturelle et simple, on en tente une bizarre.“

Der Laibacher Musikverein „Glasbena Matica“ hat die Wiener mit Dvořak’s Ballade „Die Geisterbraut“ be kannt gemacht. Als „the spectre’s bride“ erschien sie zuerst in englischer Sprache am Musikfest zu Birmingham (1885), sodann böhmisch in Prag (als „Hochzeitshemd“), jetzt endlich bekamen wir sie in Wien in slovenischer Sprache zu hören. Die Gesellschaft der Musikfreunde wird hoffentlich

nicht zögern, dieses uns seit zehn Jahren vorenthaltene Werk auch mit deutschem Texte aufzuführen. Indem wir bis dahin eine eingehende Würdigung der „Geisterbraut“ uns aufsparen, beschränken wir uns vorläufig auf einige flüchtige Andeutungen. Dvořak’s Ballade steckt voll Talent und naiver Empfindung; sie ist lieblich in den rein lyrischen Partien, charakteristisch und effectvoll in den malenden. Der specifische Musiker in Dvořak, den es nach Ausbreitung und Ver tiefung verlangt, übt darin bewußte Oberherrschaft über den Dramatiker. Die ganze Erzählung, die wir uns in Einem Zuge vorüberjagend denken — sie stimmt bis auf den guten Ausgang im Wesentlichen mit Bürger’s Leonore überein — theilt Dvořak in sieben gesonderte Abschnitte. Mit Vorliebe verweilt er bei den sentimentalen Gesängen und leiht sogar dem todten Bräutigam recht menschlich liebenswürdige Can tilenen, um die schauerlich gespenstischen Eindrücke nicht allzusehr zu häufen. Die Zuhörer, die sich nicht gerne anhaltendem Grausen und Gespensterspuk hingeben, sind ihm dafür dank bar; ja, für umfangreiche Form dürfte diese Erzählung nur mit Hilfe solcher lyrischer Ruhepunkte und mit einigem Verzicht auf streng einheitlichen Charakter musikalisch möglich sein. Die von Dvořak persönlich dirigirte Aufführung gab vor Allem der Sängerin Fräulein Fanny Verhunc Ge legenheit, sich auszuzeichnen. Noch Schülerin des Wiener Conservatoriums, soll sie bereits für Berlin engagirt sein und dürfte eine schöne Zukunft haben. Auch der stimm kräftige Tenorist des Böhmischen National-Theaters, Herr Lašek, und der Bassist Herr Kliment fanden lebhaften Beifall. Das Concert endete mit einer lang andauernden begeisterten Ovation des ganzen Publicums für Dvořak. Einen nicht geringeren, viel intimeren Genuß verdanken wir Dvořak’s seit fünfzehn Jahren hier nicht wieder gehörtem originellen Streichsextett op. 48, mit welchem die letzte Production des „Böhmischen Quartetts“ begann. Von einer großen, sehr erfolgreichen Kunstreise in Italien und Frankreich eben zurückgekehrt, konnten die trefflichen Quartettspieler sich nicht schöner von Wien verabschieden, als mit Dvořak’s Sextett und (unter Mitwirkung von Herrn Richard Epstein) mit dem herrlichen Clavierquartett in G-moll von Brahms. In diesem har monischen letzten Ausklang des musikalischen Winters wehte bereits ein Hauch von beseligender Osterstimmung. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche ...