Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11442. Wien, Donnerstag, den 2. Juli 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11442. Wien, Donnerstag, den 2. Juli 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 02.07.1896
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Billroth in seinen Briefen. III.

Ed. H. Siehe Nr. 11405 und 11427 der „Neuen Freien Presse“. Man trennt sich schwer von Billroth. Wie unter Tags mein Blick, bewußt oder unwillkürlich, immer wieder auf sein Bildniß fällt, so zieht es mich auch von neuem zu seinen Briefen. Ja, noch viel wahrer, wärmer, lebendiger als das beste Porträt zeigen diese uns den echten Billroth. Wir schauen da in seine sanften Augen, lauschen seiner wohlklingenden Stimme, hören sein herzliches Lachen, fühlen seine anmuthig ausgreifende Bewegung. Selten hat Jemand sein Ich unmittelbarer, volltönender, rücksichtsloser ausgesprochen als Billroth in seinen Briefen. Und so viele ihrer gedruckt vor uns liegen, es ist kaum die Hälfte von den kennenswerthen. Die allerintimsten, psychologisch er giebigsten blieben dem Herausgeber unnahbar. Unser erstes Feuilleton hatte sich auf die Briefe an Fachgenossen be schränkt, das zweite auf Mittheilungen musikalischen Inhalts; damit sollten vorerst, ohne chronologische Ordnung, die beiden vorstechendsten Thätigkeiten Billroth’s, die ärztliche und die musikalische, hervorgehoben sein. Aber wie zahlreich sind jene von Billroth’s Verehrern, die für Medicinisches oder Musikalisches sich nicht sonderlich interessiren! Und die Freunde, nah und fern, welche vor Allem den Menschen geliebt haben! Ihnen ist noch wichtiger, was Billroth erlebt, als was er geleistet hat, und darum mögen sie vor Allem dem biographischen Faden nachgehen, welcher die chronologische Anordnung der Briefe bloßlegt. Von diesem Standpunkte werfen wir noch einen letzten zusammenfassenden Blick auf die Sammlung.

Die Göttinger Studentenzeit (aus der nur ein einziger Brief vorliegt) zusammen mit der sich anschließenden Thätig keit in Berlin bildet gleichsam die erste Periode. Im Herbst 1853 läßt sich Billroth als praktischer Arzt in Berlin nieder.

Nach zwei Monaten hat er noch keinen einzigen Patienten! Zum Glück erhält er eine eben erledigte Assistenstelle an der Langenbeck’schen Klinik, dem Ausgangspunkt seines selbstständigen Schaffens und seines jungen Ruhmes. Anfangs bedrückt ihn die Sorge, die alles verschlingende Praxis werde ihn der „reinen, idealen Wissenschaft“ für immer entziehen. „Ich betrachte mich jetzt schon als völlig verloren,“ schrieb er an Professor His, „und thue mir selber leid; wenn Sie das für arrogant halten, so bin ich es in hohem Grade.“ Vergebens bewirbt er sich um die Stelle am Kranken hause in Danzig. Aber schon 1859 grüßt ihn vom Ber liner Weihnachtsbaum das Ernennungsdecret zum ordentlichen Professor der Chirurgie in Zürich. Voll fröhlicher Zuversicht begibt sich der erst dreißigjährige junge Ehemann an seinen neuen Bestimmungsort. Damit beginnt die zweite, für Bill roth’s Laufbahn so überaus wichtige Periode: die Thätigkeit in Zürich von 1860 bis 1867. Hier arbeitet er, wie Dr. Fischer erzählt, rastlos mit der Kraft eines Löwen; Alles kochte in ihm bis zum Ueberschäumen. In Erinnerung an diese Zeit schreibt er 25 Jahre später aus Wien an Pro fessor Wölfler: „Ich muß Sie bitten, sich nur ein Beispiel an mir zu nehmen, wie ich früher war, als ich mich noch jünger und kräftiger fühlte; nicht wie ich jetzt bin. Die Tradition, wie sie jetzt ohne mein Zuthun auf meiner Klinik fortlebt, habe ich schon in Zürich ausgebildet, als ich noch gar keine anderen Interessen als meinen Beruf als Lehrer und wissenschaftlicher Arbeiter hatte. Ich war fast den ganzen Tag auf der Klinik, in meinem Experimentir- Zimmer oder auf der Anatomie. Meine gute Frau denkt nicht gerne an diese Zeit zurück, wo ich nur an meine Kranken, meine Experimental-Thiere, meine histologischen Untersuchungen und Injectionen dachte, und wenn auch zu weilen leiblich zu Hause, doch mit meinen Gedanken immer wo anders herumschwärmte. Ich habe es auch wol damit übertrieben.“ Anfangs fühlt er sich unzufrieden in Zürich; später hat er sich manchmal dahin zurückgesehnt. So ging es ihm ja auch in Wien. Wir stehen

betroffen vor abfälligen, recht mißmuthigen Aeußerungen über Wien und die Wiener aus Billroth’s erster Zeit daselbst; aber das änderte sich bald. Seinem universellen Geist und kunstbedürftigen Naturell war Wien jedenfalls verwandter als Zürich; dennoch brauchte es auch ziemlich lange, bis er sich bei uns moralisch acclimatisirt hatte. Bill roth war auch darin Künstlernatur, daß er der Gewalt augenblicklicher Stimmungen unterlag und in raschem Wechsel die Dinge schwarz oder rosenfarb sah. Als er 1864 einen Ruf nach Heidelberg ablehnte, brachte man ihm in Zürich die herzlichsten Ovationen. „Man hat mich hier,“ schreibt er an Professor His, „mit Liebenswürdigkeit erdrückt; ich war so angegriffen, daß ich kaum Stimme hatte zur Erwiderungsrede. An dem Fackelzug haben alle Studenten theilgenommen, und ihr Redner sprach warm und zum Herzen.“ Es gefällt ihm nun viel besser in Zürich; sein Lehramt befriedigt, die Gegend entzückt ihn, und in den ersten Hotels kennen ihn „die Wirthe gut, als einen lustigen Herrn, der gerne Abends zumal mit Künstlern ein Glas Sect liebt“. An seinen Basler Freund His schreibt er, es gehe ihm über alles Verdienst gut. „Wenn ich jetzt sterben sollte, so wäre ich einer der glücklichsten Menschen gewesen! Alles schlägt mir gut ein! Es wird mir manchmal bange dabei. Ich habe die fixe Idee, daß ich noch einmal an einen der größten Plätze meiner Wissen schaft in Wien oder Berlin kommen werde; lächerlich!“ Die „lächerliche fixe Idee“ war vielmehr eine richtige Ahnung. Ein Jahr später hatte sie sich erfüllt. Bis dahin lebte Billroth fleißig in seinem von Musik und freundschaft lichen Beziehungen erhellten Beruf. Er kauft sich einen Pariser Flügel von Herz um 2500 Francs; hat aber eigent lich nur wenig Genuß davon, denn (so schreibt er an Lübke) „ich spiele für mich nur Sachen, die ich nicht kann und nie lerne, wie meine Frau sehr richtig bemerkt“. Die Nöthigung, dem Krieg von 1866 unthätig zusehen zu müssen, empfindet er schmerzlich; das vermehrt seine mißlaunigen Stimmungen. „Ich fühle mich schon seit längerer Zeit hier

unbehaglich, denn ich sehe ein, daß ich hier meinen Wirkungs kreis nicht vergrößern kann. Ich habe hier Alles erreicht, was ein Chirurg hier erreichen kann, und das ist für einen Menschen von 37 Jahren doch ein entschiedenes Unglück! Wenn ich nicht bald von hier fortkomme, werde ich bald ganz fettig degene riren, weil es mir zu gut geht.“ Die Erlösung war näher, als Billroth selbst vermuthete, denn schon einen Monat nach obigem Brief meldeten ihm Depeschen zugleich von Arlt, Pitha und Brücke, daß das Wiener Professoren-Collegium ihn zum Nachfolger von Professor Schuh gewählt habe. „Was wird das Ministerium dazu sagen? Ein protestantischer Preuße! Es wirbelt mir etwas im Kopfe bei dem Gedanken, in der Weltstadt Wien zu arbeiten. Ich habe so was immer gewünscht, nun wird mir fast bange!“ Am 12. Mai 1867 erfolgte die kaiserliche Ernennung, und am 11. October hielt Billroth seine Antrittsvorlesung in Wien. Er bezieht eine Wohnung in der Josephstadt, Tulpenstraße 3, aus der er an Lübke anfangs recht zufrieden schreibt: „Denken Sie sich, daß ich meine beiden ältesten Mädel auf dem Schooß habe und, am Clavier sitzend, mit ihnen singe, meine Frau dahinter. Je älter ich werde, desto kindischer komme ich mir vor!“ Anfangs kämpft Billroth in seinem Berufe mit manchen Schwierigkeiten, die sein reformatorischer Eifer nicht so schnell zu beseitigen vermochte, wie er es gehofft. „Was soll ein Unterrichtsminister,“ schreibt er im December 1867, „wenn jede kleine und große Provinz in eigener Sprache sich bilden will, wenn er weder über Universitäts- noch Schulanstalten, noch über Lehreranstellungen frei ver fügen kann? In allen Provinzen will man an den kleinen Universitäten nur Eingeborene; für die Docenten hier gibt es keine Ziele, keine Carrière, denn die Brücken nach Deutschland sind früher aus Hochmuth abgebrochen, und in Wien können doch nicht Alle Professoren werden. ... Ich bin herberufen, um hier zu kämpfen, und daran wird es nicht fehlen. Meine Klinik, an der ich 300 junge Leute unterrichten soll, hat zu wenig Kranke (wie man im Kunstausdruck sagt, „zu wenig Material“); ich muß mehr Krankensäle, mehr Betten zur Disposition haben. Diese müssen anderen Chirurgen im

Krankenhaus abgenommen werden; da haben Sie gleich den Scandal fertig. Ich habe meine Bombe platzen lassen, und Alles wüthet gegen den Ruhestörer der gemüthlichen Phili sterei. Drei Monate hat es gedauert, bis ich mein Operations- Amphitheater so hergerichtet hatte, wie ich wollte. Zähigkeit und Ausdauer ist hier nothwendig und ist wirksam, weil sie beim Wiener selten vorkommt.“ Wenn Billroth im Juni 1868 an Professor Esmarch schreibt: „Vorläufig bin ich hier Allen ein Gräuel!“, so dürfen wir hinzusetzen, daß dieses „vorläufig“ sehr rasch vorüberging. Mit seinen Collegen (Dumreicher etwa ausgenommen) stand er bald auf dem besten Fuß, von seinen Assistenten und Schülern war er vergöttert. Director Gersuny, der von den jüngeren Aerzten dem Vertrauen und dem Herzen Billroth’s vielleicht am nächsten stand, hat vor acht Jahren für Lindau’s „Nord und Süd“ eine treffende Charakteristik Billroth’s geschrieben, der wir einige Zeilen über dessen lehramtliche Thätigkeit entnehmen. „Selbst noch jung (er zählte da mals 38 Jahre), stand Billroth den Studenten innerlich noch nahe und suchte die Kluft zwischen Lehrer und Schülern zu über brücken; er nahm an ihren Festen theil und pflegte den persönlichen Verkehr mit ihnen, soweit es die großen Verhältnisse der Wiener Universität nur immer gestatten. Sein Vortrag war kein trocken akademischer, sondern floß ohne rednerischen Schmuck wie in leichtem Gesprächston von den Lippen; man hatte nie die Empfindung, ein Capitel aus einem Lehrbuch zu hören; stets war er so, als schöpfte er, angeregt durch einen Krankheitsfall, aus dem reichen Schatze seines Wissens und seiner Erfahrung, und als entstünde der Vortrag erst, während er gehalten wurde. Dadurch wurde der Hörer zum Mit denken herangezogen. Auch Billroth’s zarte, rücksichtsvolle Art des Verkehrs mit den Kranken, die damals bei den Chirurgen selten war, trug dazu bei, ihm die Herzen seiner Schüler zu gewinnen. Die Schonung der Empfindungen der Patienten einer Klinik in dieser Richtung ist nicht nur für die Kranken selbst eine Wohlthat, sondern auch für die Studenten ein Beispiel, dessen Nachwirkung in ihrem späterem Thätigkeitskreise zum Ausdrucke kommt. In den klinischen Einrichtungen wurden manche Aenderungen getroffen, namentlich in Bezug auf die Reinlichkeit; bis dahin war der Reinlichkeit in der Chirurgie nicht die genügende, ja kaum die dürftigste Würdigung zu Theil geworden. Nimmer müde, interessirte sich Billroth für die großen und für die kleinen Dinge an der Klinik in gleicher Weise; für die Einrichtung der Klinik wie für den Anstrich des Fußbodens, für die wichtigsten Operationen wie für die kleinen Details der Krankenpflege. Oft übertrug er einen Kranken, an dem er eben eine schwierige Operation ausgeführt hatte, selbst von dem Operationslager auf das Krankenbett, lagerte ihn dort mit der Sorgfalt und Zartheit, wie man sie meist nur von zarter Frauenhand erwartet, und gab seinen Schülern damit ein unvergeßliches Beispiel und die Lehre, daß bei der ärtzlichen Thätigkeit Alles gleich wichtig und keine Arbeit unter geordnet oder entwürdigend ist. Oft kam er auch in der Nacht an die Klinik, wenn besonders schwere Fälle da waren; nie wurde er gegen die Leiden seiner Kranken und gegen die ihnen drohenden Gefahren gleichgiltig.“

Ein Virtuose in der unschätzbaren Kunst, strenge Be rufserfüllung mit heiterem Lebensgenuß zu verbinden, ge dieh Billroth immer prächtiger in dem ihm anfangs frem den Wiener Leben. „Alles geht weit besser, als ich es ver dient habe,“ schreibt er 1869 an Esmarch, „und wenn ich weniger in Theater, Concerte, Bälle ginge, so könnte ich auch noch mehr arbeiten. Doch genießen muß ich das Leben aus vollen Zügen, sonst arbeite ich auch nichts Rechtes.“ Kraftbewußtsein und volles Glücksgefühl konnten aber bei Billroth oft ganz plötzlich in zweiflerische, besorgte Stim mung herabsinken. In seiner ersten Wiener Periode löst er solch flüchtige Dissonanzen gern humoristisch auf. „Wie es möglich gewesen ist,“ schreibt er an Lübke, „daß ich, von allen meinen Brüdern der wenigst gescheite, der schlechteste, miserabelste Gymnasialschüler, in eine solche Stellung ge kommen bin, ist mir sehr unklar; nur meinem Idealismus und meiner Phantasie habe ich es zu danken! Sonderbare Welt! Wenn ich nun ein Oesterreicher wäre, so duselte ich mich jetzt so nach und nach ins Dolce far niente, doch der alte Schwede steckt mir im Leibe. Ich sehe immer Nebel, trübe Zukunft, phantastische Gestalten vor mir: es quälen mich ewige Scrupel, ob ich meiner Stellung genüge, ob ich ihr noch für zehn Jahre oder wie lange noch gewachsen bin — was aus mir werden soll, wenn die ganze Facultät regenerirt ist u. s. w. Ich bin ein rechter Esel in diesen, vielleicht auch in vielen anderen Dingen! Uebrigens arbeite ich recht flott, und es geht mir leichter als je von statten. Mit jedem Jahr lerne ich noch mehr und weiß immer weniger!“ (Schluß folgt.)