Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11443. Wien, Freitag, den 3. Juli 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11443. Wien, Freitag, den 3. Juli 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 03.07.1896
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Billroth in seinen Briefen. IV. (Schluß.)

Ed. H. Siehe Nr. 11405, 11427 und 11442 der „Neuen Freien Presse“. Am 21. Juli 1870 stellte Billroth in der Sitzung des „Oesterreichisch-patriotischen Hilfsvereins in Wien“ den An trag, ohne Entschädigung sich auf den deutschen Kriegsschau platz begeben zu wollen, und reiste als Delegirter des Ver eins mit seinem Assistenten Dr. Czerny wenige Tage später ab. Unermüdlich thätig auf dem Kriegsschauplatze, schrieb er doch, so oft es nur möglich, von Weißenburg, zuletzt von Mannheim nach Hause. Die Briefe sind rührend durch ihre zärtliche Sorgfalt für Frau und Kinder, zugleich voll wichtiger Bemerkungen über die Geschichte des deutsch-fran zösischen Krieges. Nach diesen Anstrengungen erholt sich Billroth doppelt vergnügt in Wien. „Die hiesigen Kunst schätze,“ schreibt er im Mai 1871 an Professor His, „sind unerschöpflich, und wer Freude an Musik hat, kann hier schwelgen. Hier singen und musiciren wir und gehen ins Theater und zu Strauß und stecken mit ihm den Kopf in den Sand unserer Gemüthlichkeit. Es ist eine rechte Stadt für Kunst, zumal für Musik. Wissenschaft verlangt weniger fetten und warmen, als festen und trockenen Boden; damit geht es nur mäßig vorwärts, es ist mühsam, solchen Boden zu bearbeiten.“ Der immer steigende Ruhm Billroth’s führt ihm Berufungen an verschiedene auswärtige Universitäten zu; er lehnt jedesmal ab. Auch die Ein ladung nach Straßburg, welcher er aus Begeisterung für das neugegründete deutsche Reich nicht ungern ge folgt wäre. „Ich war begeistert für Straßburg,“ schreibt er im October 1872. „Wäre ich Junggeselle gewesen, ich hätte auf meine alten Tage noch den Kampf aufgenom men; doch so ging es doch nicht. Ich habe nun einmal meine Familie hier in einen gewissen Comfort ohne Ver

schwendung gewöhnt. Und das kann ich doch nur durch die Praxis; keine Regierung kann das ersetzen. So bin ich mit goldenen Ketten gefesselt. Das Leben in einer großen Stadt und mitten im Trubel socialen Daseins consumirt stark, doch so lange man gesund und mitteljung ist oder sich wenigstens so fühlt, so bietet es auch vielerlei für den, der zu genießen versteht und sich die richtige Eintheilung zwischen Arbeit und Genuß zu machen versteht.“ Aber aus dieser Zeit seiner blühendsten Kraft und größten Erfolge finden wir in Billroth’s Briefen schon Zweifel an seiner Kunst und Wissenschaft; Momente des Unbefriedigtseins, wie sie gerade die Unbestechlichsten und Größten heimsuchen. „Daß mich die praktische Verwendung meiner Kunst glücklich mache,“ äußert er gelegentlich der Straßburger Berufung, „kann ich nicht sagen. Ich bin nicht von den bescheidenen Naturen; doch daß mich die besten Erfolge meiner Kunst befriedigen, kann ich nicht sagen. Was ich nicht kann, was mir mißglückt, das quält und wurmt mich, und nicht selten verwünsche ich die ganze Chirurgie. Aber kann man sich der reinen Wissenschaft noch hingeben, wenn man die Praxis kennen gelernt hat? Ich bezweifle es fast.“ Und noch er greifender klingt sein Bekenntniß an den alten Professor Baum (1872): „Mir schwankt der chirurgische Boden unter den Füßen, wohin ich tiefer vordringe, finde ich, daß hergebrachte An sichten zu zerstören sind. Ich bin oft in der Klinik innerlich in Verzweiflung, wenn ich etwas Positives über Therapie sagen soll; ich höre immer Jemand hinter mir, der mir ins Ohr ruft: Das ist ja auch nicht richtig!“ Und dreizehn Jahre später: „Ihr glücklichen Naturforscher! Ihr habt gar keine Ahnung von dem furchtbaren Jammer, der die ganze kranke Menschheit durchzieht, und von dem Katzen jammer, den man empfindet, wenn man oft täglich mehrere Stunden aus Mitleid und Menschlichkeit immer lügen soll und oft eine Comödie spielen muß, die auf anderem Ge biete geradezu verächtlich wäre. Wol magst du es Uebermuth nennen, wenn man der glücklich Geheilten kaum noch achtet und sie bald vergißt! Auch haben viele von meinen Col legen ein glücklicheres Temperament; ich sehe immer nur

die Grenzen meines Könnens und sehe verzweiflungsvoll darüber hinaus. Beim Forschen gibt es ja auch Grenzen; doch wenn sie endlich nicht zu überschreiten sind, so gibt man es ärgerlich auf. Bei uns steht aber hinter jeder Grenze das höhnisch grinsende Gesicht von Freund Hein! Nimmt man trotzdem den Kampf mit ihm auf und ringt ihm ein armseliges Menschenleben ab — wie bald und wie grausam rächt er sich dafür in anderen Fällen!“

Mitten in anstrengendster Berufsarbeit, in regstem An theil am musikalischen, theatralischen und geselligen Leben Wiens schreibt Billroth (1875) sein berühmtes Buch „Ueber das Lehren und Lernen der medicinischen Wissenschaften“. Er kann nicht ruhen, der alte Wahlspruch: „Rast’ ich, so rost’ ich“ paßte für ihn. Er nennt es einen seiner Hauptfehler, viel zu viel zu wollen. „Die rechte Resigna tion fehlt mir immer noch; ich meine immer noch, nun müsse doch bald etwas aus mir werden, Kaiser oder Papst! ... Da wundern sich die Leute, daß ich so viel arbeite; es ist doch nur ein Vorwand, allein mit meiner Phantasie sein zu dürfen. Entweder muß ich toll arbeiten, oder mich toll im Menschenstrudel herumdrehen. Mir ist jede innere Ruhe abhanden gekommen. Wenn ich den Leuten noch so ruhig, gemessen und wohlwollend vorkomme, kocht in mir oft Alles von Leidenschaft, und ein psychisches Feuer durchschauert mich.“ Alles, was er leistet, dünkt ihm noch zu wenig! Im Herbst 1878 stürzt er sich in eine neue Phase seiner Thätigkeit: die Be gründung des Rudolphiner Krankenhauses zur Ausbildung von Pflegerinnen aus besseren Ständen. „Meine Klinik und Privatpraxis,“ schreibt er darüber an Professor Czerny, „füllen doch nur wenig Zeit aus, lassen zumal meinen Geist frei; da muß ich etwas Neues haben!“

Es konnte nicht ausbleiben, daß nach Perioden solch fieberhafter Thätigkeit Momente der Abspannung, des Ruhe bedürfnisses eintraten, welche Billroth, dessen Stimmungen immer häufiger vom Himmelhoch jauchzend bis Zum Tode betrübt umschlugen, pessimistisch als Eintritt des Alters und der Schwäche empfand. Ende der Siebziger-Jahre begegnen wir in den Briefen schon solchen Meditationen. „Lebe ich

noch ein paar Jahre,“ schreibt er an Lübke, „so bringe ich auch noch das Wenige fertig, was ich mir vorgenommen habe. Dann werde ich noch einmal die Arie aus dem Elias“ singen: „Es ist genug.“ Das klingt melancholisch und ist es doch keineswegs; es ist ein still sich vorbereitender Sonnenuntergang, wenn man einen kleinen, teleskopisch nur sichtbaren Planeten mit der Sonne vergleichen darf.“ In einem merkwürdigen Briefe an Brahms (Juni 1880) bestellt sich Bill roth sogar eine Begräbnißmusik. „Ich war neulich,“ schreibt er, „bei einem protestantischen Begräbnisse eines einfachen, aber vortrefflichen, tüchtigen Menschen und war wieder entsetzt über die entsetzliche Leichenrede des Pfarrers. Da habe ich mir vorgenommen, mir so etwas nicht anthun zu lassen und allerlei Bestimmungen darüber aufzuschreiben. Ich wollte dir einen Text suchen für einen kurzen, nicht zu schweren Männerchor, beim Einbuddeln auf dem Kirchhof zu singen. Doch ich finde keinen Text. Ich werde mich, um keine Ver kehrsstörung in der lebhaften Alservorstadt zu machen, ganz simpel ohne Musik zum Central-Friedhof herausfahren lassen, ohne geistliches Geleite und ohne geistlichen Empfang. Dort wäre Musik mir lieb, dann einige Worte von einem Freunde oder Studenten, dann wieder ein kurzer Musiksatz. Ließe sich der zweite Chor deines Requiems für Blas instrumente und Männerchor setzen? Zum Schlusse etwas aus Schumann’sFaust“: „Dir, der Unberührbaren“, für Blasinstrumente allein (ohne Gesang), oder der Schluß chor aus dem zweiten Theile von „Paradies und Periohne Gesang. Es kommt mir freilich etwas prätentiös vor, doch ich weiß nichts Anderes. Ich habe wahrlich nichts gegen Religion, auch nicht gegen Confession, so lange sie im Geiste allein lebendig ist; doch wenn sie in praxi auftritt, kann ich mich immer eines inneren Widerspruchs und eines trivialen Eindrucks nicht erwehren.“ Drei Jahre später klagt er: „Ich bin recht unzufrieden mit mir, daß ich den Verkehr mit den Musen von Jahr zu Jahr weniger pflege. Sie sind eben ewig jung, und ich werde leider älter und älter. Ich setze mich sehr, sehr selten ans Clavier; doch in mir klingt es oft genug. Das Schöne empfinden, ist schon ein höchstes Glück.“ Und wie lebhaft, wie intensiv zugleich und

fein empfand er bis an sein Ende das Schöne in jeder Kunst! Wie entzückt schreibt er über den Schauspieler Rossi, über die Bilder des spanischen Malers Velasquez, über Paul Heyse’s Gedicht „Salamander“, über eine Aufführung von Grillparzer’s „Esther“ mit Sonnen thal und der Barsescu! Für alles Schöne und Be deutende bewahrt Billroth ein offenes Auge, ein lebhaftes Empfinden, ein impulsives Mit- und Nachdenken. Er hat dafür ein treffendes schönes Bild: „Mein Gehirn ist mit so vielerlei Verbindungen nach allen Richtungen hin ausgestattet, daß bei der Berührung eines Punktes gleich eine Menge elektrischer Glocken zu läuten beginnen.“ Mit Humor klagt er über seine rastlose geistige Thätigkeit: „Man kann sich eben das verfluchte Denken und Gestalten nicht abgewöhnen, wenn man es sich einmal angewöhnt hat. Die literarische Thätig keit ist eine Art von Morphinismus; es wird Einem dabei wol manchmal übel, wie auch bei vielem Cigarrenrauchen; man kann es aber doch nicht lassen. Der Teufel hole die Bildung, sie macht den Menschen ganz dumm.“

Im Frühling 1887 sank der kräftige Mann, der so vielen Kranken geholfen, selbst, von schwerer Krankheit ge troffen, hilflos danieder; nahe, ganz nahe stand der Tod an seinem Bette. In einem ergreifend rührenden Brief an Brahms schildert der kaum Genesene seinen Zustand: „Als wir uns zum letztenmale sahen und uns für den Sommer Adieu sagten, hatte ich die Empfindung, daß ich dich kaum wiedersehen würde, so krank fühlte ich mich schon damals innerlich. Beinahe wäre vor Kurzem meine Ahnung in Erfüllung gegangen. Ich nahm an einem Tage Abschied von den Meinen, von meinen nächsten Schülern und den Freunden, die mich umgaben; ich sendete durch Seegen letzten Gruß an Hanslick und durch ihn an dich, da kein directer Vermittler zwischen uns Beiden um mich war. ... Ich lag längere Zeit in einem nicht unangenehmen Halb schlummer, manchmal wol dabei ärztlich mich beobachtend, wie die Athemzüge immer rasselnder, immer flacher wurden und mein Geist zu wandern schien. Ich weiß ganz deutlich, wie ich aus einem deiner Lieder sprach: „Mir ist, als ob ich schon gestorben bin etc.“ Und das Alles war

so milde und schön, ich schwebte und sah die Erde und meine Freunde so ruhig und freundlich unter mir! — Mit einemmale rüttelte man mich empor; ich mußte wie ein Soldat auf Commando athmen, allerlei Zeug schlucken. Ich bat: laßt mich! mir ist so gut! Doch umsonst, immer rüttelte man mich auf, und aus vielen Stimmen, dies und das zu thun, hörte ich dann die Stimme meiner Frau: „So thu’s doch um der Kinder willen!“ So ließ man mich über eine Woche lang nie zum festen Schlaf kommen — mein Schlaf hatte wol eine zu große Aehnlichkeit mit seinem Zwillingsbruder. — — Die halb träumerische, durch die Krankheit bedingte Stimmung brachte mich über diese Dinge leichter hinweg, als man meinen sollte. Der Mensch vergißt zum Glück auch das Unangenehme bald. Der Schlaf, der mich in den letzten Jahren schon oft floh, ist mir auch jetzt noch nicht hold; ich muß mich mit drei bis vier Stunden begnügen und habe mich gewöhnt, damit zufrieden zu sein. Das wird hoffentlich Alles besser werden draußen in der freien Natur, in der frischen Bergesluft.“

Es ist wirklich besser geworden, zeitweise sogar recht gut, aber völlig erholt hat sich Billroth nicht wieder seit jenem verhängnißvollen Jahre 1887. Tage, ja Wochen hoff nungsfreudigen Aufleuchtens wechselten mit Momenten trübster Resignation. Letztere gewannen allmälig die Ober hand. Mit der ihm eigenen Milde und Zartheit verhehlte der unrettbare Kranke es standhaft seiner Umgebung, daß er sich selbst längst aufgegeben. Sollten wir neuerdings den Schleier von dieser letzten Leidenszeit Billroth’s hinweg ziehen, die in unserer Erinnerung noch schmerzlich wie eine offene Wunde nachblutet? Wir wollen lieber mit den schönen Worten schließen, die Billroth seinem verstorbenen Lehrer Baum nachrief und die so vollständig auf ihn selber passen: „Sein Schatz von Liebe und Wohlwollen war so groß, daß er mit vollen Händen austheilen konnte und immer noch für neue Generationen genug hatte. Seine unendliche geistige Regsamkeit und seine lebhafte innerliche Theilnahme an allem Schönen und Guten war stets ein freilich unerreichbares Beispiel.“