Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11537. Wien, Dienstag, den 6. October 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11537. Wien, Dienstag, den 6. October 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.10.1896
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. („Die verkaufte Braut“, komische Oper von Friedrich Smetana. Deutscher Text von M. Kalbeck.)

Ed. H. Nun hat endlich auch unser Hofoperntheater die Braut verkauft. Etwas spät allerdings. Nach dem großen Erfolg der czechischen Aufführung im Ausstellungs-Theater 1892 waren bekanntlich zahlreiche Stimmen laut geworden für eine Aufführung der „Verkauften Braut“ in deutscher Sprache. Die Direction der Hofoper wollte aber davon nichts hören; sie hatte es sehr dringend, Opern wie „Signor Formica“ und „Cornelius Schut“ liebevoll aufzufüttern zu deren sicherer Abschlachtung. Da griff das Theater an der Wien muthig zu und wahrte sich (1893) die Ehre der ersten deutschen Aufführung. Gerne gedenken wir ihres günstigen, durch viele Wiederholungen bekräftig ten Erfolges. In das allgemeine Lob jener sorg fältigen, für ein Operetten-Theater hochanständigen Auf führung mischte sich trotzdem der stille Seufzer: Wie schade, daß die Hofoper sich diesen Treffer entgehen ließ! Jetzt, drei Jahre nach dem Theater an der Wien, entschließt sich plötzlich Herr Director Jahn, der „Verkauften Brautseine Pforten zu öffnen. Seltsamer Rückfall in eine frühere, längst verschollene Uebung! Aeltere Theaterfreunde ent sinnen sich wol der Zeit, da Wiener Vorstadtbühnen dem Hoftheater zuvorzukommen pflegten mit neuen Opern. Sensations-Opern von europäischem Ruf wie „Robert der Teufel“, die „Hugenotten“, „Tannhäuser“, „Der Nord stern“ (Vielka) waren auf der kleinen Bühne des Joseph städter und des Theaters an der Wien früher erschienen, als im Hoftheater. Desgleichen zahlreiche reizende Repertoire- Opern von Lortzing, C. Kreutzer, Auber, Adam etc. Damals besaßen die genannten Bühnen freilich ein tüchtiges Opern personal; man sang und spielte sehr gut in der Vorstadt. Das ist lange vorbei; neben den Possen und Ausstattungs stücken herrscht da nur mehr die Operette. Die Hofoper ward bald aller Rivalen ledig und glück liche, alleinige Herrin über sämmtliche Novitäten. Und trotz

dem sehen wir heute abermals, wie eine Reminiscenz aus überwundenen Zeiten, die Hofoper hinter dem Vorstadt theater langsam nachhinkend. Es heißt, daß ein Lüftchen vom Seinestrand die „Verkaufte Braut“ gestreift und den schlummernden Ehrgeiz unserer Hofopern-Direction neu an gefacht habe. Las man doch schon vor Monaten in französi schen Blättern, daß auf Anregung der Fürstin Metternich die Oper Smetana’s in der Opéra Comique vorbereitet werde. Das Wort der Fürstin und das Beispiel Frankreichs — sie sind ja beide unwiderstehlich. Die künstlerische Autorität der Fürstin Metternich, welche unter Louis Napoleon den „Tannhäuser“ in Paris durchgesetzt hat, über dauert alle Regierungsformen. Indem sie jetzt die komische Oper Smetana’s der französischen Republik zuführt, beweist die Fürstin ihre musikalische Unbefangenheit und Viel seitigkeit. Tannhäuser und der Heiratskuppler Kezal, Elisabeth von Thüringen und die böhmische Marie, der Sängerkrieg auf der Wartburg und die Jahr marktspossen der Dorfbewohner — welche Gegensätze! Endlich Wagner und Smetana! Letzterer bekannte sich zwar per sönlich als Verehrer Wagner’s und ist in seiner letzten Oper Libussa“ ihm auch vielfach nachgefolgt. Aber in der „Ver kauften Braut“ wird die schärfste Brille keinen Wagner-Styl entdecken, ebensowenig im „Kuß“ und anderen Lustspiel opern Smetana’s. Ja, gerade der Gegensatz kommt dieser Musik heute zu statten und erklärt theilweise ihre nach geborenen Erfolge. Man empfindet die einfache Sangbarkeit, die heitere Naivetät, das Volksthümliche dieser Gesänge als ein wohlthuendes Aufathmen nach dem aufreibenden Genuß und schmerzlichen Nervenreiz der „Musikdramen“. In Paris scheint jetzt überdies ein günstiger Augenblick für fremd ländische Musik eingetreten. So patriotisch conservativ der Franzose auch empfindet in theatralischen Dingen, er kann gegenwärtig mit einheimischen Opern-Novitäten unmöglich auslangen. Der Eine Massenet vermag doch, bei all seinem Fleiße, dem Bedürfnisse nicht allein zu genügen. Wie witzig, daß man die Pariser mitten in ihrem aller neuesten Wagner-Taumel wieder mit dessen geradem Widerspiel zu angeln vorhat: mit Smetana! Fast möchten wir den Franzosen mehr Verständniß zumuthen für die Verkaufte Braut“, als für die Nibelungendichtung. Ihnen sind Wotan, Fafner, Fricka, Loge ohne Frage noch weit

böhmischere Dörfer als das böhmische Dorf der guten Marie Kruschina.

Vor Kurzem ist die interessante Thatsache bekannt worden, daß eine französische Aufführung der „Verkauften Braut“ bereits einmal geplant gewesen. Sie ist nicht zu Stande gekommen. Aber die Vorbereitungen dazu blieben nicht ohne Einfluß auf die gegenwärtige Fassung der Partitur, welche Smetana, im Hinblick auf Paris, zu be reichern und aufzufrischen für nöthig erachtete. Er fügte den bierbegeisterten Bauernchor, das Lied Mariens („Wie fremd und todt“), endlich den Tanz in der Comödiantenscene neu hinzu und theilte die ursprünglich zweiactige Oper in drei Aufzüge. In dieser Gestalt und mit hinzucomponirten Recitativen an Stelle der gesprochenen Prosa hat die „Ver kaufte Braut“ überall freundlichste Aufnahme gefunden und auch im Hofoperntheater gestern sehr lebhaft angesprochen. Mit dem vollen Reiz der Neuheit vermochte die Oper freilich hier nicht mehr zu fesseln; dafür besitzt sie andere, nachhaltigere Reize, die sich nicht so schnell abstumpfen.

Die Handlung — wir brauchen sie nicht von neuem zu erzählen — kennt man als gemüthlich, heiter und einfach in ihrer Intrigue. Daß letztere auf einer crassen Unwahr scheinlichkeit fußt, läßt man den lebensfrischen Charakteren und der guten Musik zuliebe nachsichtig hingehen. Ein schlauer Geschäftsmann, der, wie Kezal, alle Vorsichten eines Winkeladvocaten übt, wird es nicht unterlassen, im Heirats contract den Taufnamen des Bräutigams aufzunehmen. Nur dadurch aber, daß in diesem Contracte und zwei Acte lang in allen darauf bezüglichen Gesprächen blos vom „Sohn des Michna“ die Rede ist, niemals von Wenzel Michna, wie der Liebliche heißt, ist der merkwürdige und verhängnißvolle Irrthum aller Betheiligten möglich. Die Musik ist bereits gelegentlich der früheren Aufführungen ein gehend und in erfreulichster Uebereinstimmung der Kritik gewürdigt worden. Mit Unrecht pflegte Smetana selbst etwas geringschätzig auf seine „Verkaufte Braut“ herab zusehen, weil er sie mühelos und weniger zu eigenem Er götzen, als zu dem des Prager Publicums geschrieben hatte. Die „Verkaufte Braut“ bleibt bei all ihrer Bescheidenheit doch der feste Grundstein von Smetana’s Ruhm und Be liebtheit. „Der Kuß“, „Das Geheimniß“, „Dalibor“ be sitzen neben einer sorgfältigeren, mitunter lippigeren musika

lischen Technik auch einzelne entzückende Musikstücke, denen kaum eines aus der „Verkauften Braut“ gleichkommt. Als Ganzes aber steht letztere obenan unter seinen Opern; keine andere ist so einheitlich, so frisch und unge künstelt, so national im besten Sinne. Von Wagner’schen Einflüssen zeigt sie, wie bereits erwähnt, keine Spur. Weniger platonisch als seine Liebe zu Wagner war Smetana’s Begeisterung für Liszt. Allerdings konnte sich diese nicht in der Oper offenbaren, wol aber in den symphonischen Werken. Wir kennen den Cyklus Mein Vaterland“ aus den Philharmonischen Con certen. Bisher unbekannt waren hingegen drei (jetzt bei Simrock erschienene) symphonische Dichtungen, welche Sme tana während seines Aufenthaltes in Götaborg (1856 bis 1861) componirt hat und die nach Form und Inhalt das Vorbild Liszt’s nicht verkennen lassen. Schon die Titel sind charakteristisch: „Richard III.“, „Hakon Jarl“ und „Wallen stein’s Lager“. Also ein englischer, ein dänischer, ein deut scher Stoff. Nirgends der leiseste Anklang an den böhmi schen Musikcharakter, welchem Smetana’s Opern ihren so eigenartigen Reiz verdanken. An diesen Orchesterstücken würde Niemand den Componisten der „Verkauften Brautwiedererkennen. Ein oder das Andere davon werden wir hoffentlich in den Philharmonischen Concerten hören.

Die Aufführung der „Verkauften Braut“ im Hofopern theater hat verdienterweise die lauteste Anerkennung gefunden. Es ging ein Jubel durch das Haus, wie wir ihn da seit Langem nicht erlebt haben. Aufrichtig erfreut waren wir, Fräulein Mark wieder einmal in einer neuen Partie zu sehen. So weit sich aus dieser weder großen noch anstren genden Rolle schließen läßt, befindet sich Fräulein Mark wieder im ungehemmten Besitze ihrer Stimme. Als Schau spielerin schien sie uns das Pikante zu übertreiben. Nament lich im ersten Acte war sie zu nervös aufgeregt in Ton und Mimik. Ein böhmisches Bauernmädchen war das nicht, noch weniger Smetana’s Marie, welche als eine schlichte, innige Natur gedacht ist. Im zweiten Act kam die Rolle der Sängerin besser entgegen; für das neckende Schelmen spiel, das sie mit dem blöden Wenzel aufführt, paßte diese malitiöse Beweglichkeit und Schärfe ganz gut. Rein gesang lich bietet diese Rolle keine glänzende Aufgabe; doch wußte Fräulein Mark einige zarte Stellen besonders fein zu ge

stalten. In schöner Verwendung der Kopfstimme ist sie jedenfalls vorgeschritten. Herr Schrödter gefiel als Hanns, wie in allen ähnlichen Rollen, durch sein lebhaftes, an muthiges Spiel und die wohlthuende Frische seines jugend lichen Organs. Die komische Figur des Heiratsvermittlers wurde durch die unübertreffliche Darstellung des Herrn Hesch zum Mittelpunkte der ganzen Oper. Die scharfe, dabei nicht aufdringliche komische Charakteristik, das prickelnde Leben des Vortrages und die musikalische Tüchtigkeit sind Vorzüge, die Herrn Hesch zu einem sehr werthvollen neuen Mitglied unserer Oper stempeln. Seine kräftige Stimme wirkt durch ihr Volumen, nicht durch Glanz oder sympathischen Wohllaut. Also eine echte Baßbuffo stimme. Ob Herr Hesch, den ich nur in der Rolle des Kezal gehört, auch andere Aufgaben gleich vortrefflich zu lösen vermag, ist abzuwarten. Als Mephisto soll er sehr gefallen haben. Jedenfalls möchte ich gerne annehmen, daß er ein gewisses bellendes Tremoliren der Stimme sich nur als charakteristisch für die komische Rolle des Kezal ange eignet habe und in edleren Gesangspartien davon abzugehen vermag. Dem Stotterer Wenzel kommt die gutmüthige Komik des Herrn Schittenhelm trefflich zu statten. Besonders ergötzlich ist er im dritten Acte, wo die Passion für die schöne Esmeralda ihn in die drolligste Lebendigkeit versetzt. Die beiden bäuerlichen Ehepaare Michna und Kruschina werden von den Damen Kaulich und Walker, den Herren Frey und Felix sorgfältig gegeben. Wäre es aber nicht doch leicht möglich gewesen, sie etwas mehr zu individualisiren, schärfer von einander abzuheben? Besonders die beiden Männer sehen aus wie Doppelgänger und agiren wie Zwillinge. Es gibt in der „Verkauften Braut“ zwei noch kleinere Rollen, die erst ganz zum Schluß episodisch auftreten und sehr wenig zu singen haben: der Seiltänzer-Principal Springer und die Tänzerin Esmeralda. Wie wichtig sie beide für den Erfolg der Oper sind, zeigte sich, indem sie von Herrn Stoll und Fräulein Abendroth vortrefflich gespielt wurden. „Es gibt keine kleinen Rollen,“ pflegte der be rühmte Hamburger Director Schröder zu sagen. Das Talent des Herrn Stoll für dergleichen komische Chargen ist bekannt; aber Fräulein Abendroth hätte man so viel Laune, koketten Uebermuth und gar solches Balletgenie nimmer zugetraut. Kurz, Fräulein Abendroth und Herr

Stoll (denen sich noch Herr Marian als Kannibale bei gesellte) haben sich in diesen schnell vorüberhuschenden Episodenrollen um die Vorstellung sehr verdient gemacht, denn ohne die possenhafte Seiltänzer-Episode würde sie recht matt auslaufen. Nicht nur langt der Stoff nur mehr kärglich zu, auch die Musik lahmt im dritten Act an vielen Stellen.

Die „Verkaufte Braut“ ist im Hofoperntheater sehr gut ausgestattet — zu gut, möchte ich sagen. Im ersten Act herrscht auf der Bühne eine ununterbrochen fluthende un ruhige Bewegung, welche, in der Absicht, „die Scene zu beleben“, gerade die Scene stört. Was geht da nicht Alles vor, dicht hinter dem Rücken der beiden Verliebten, die uns ihre Gefühle mittheilen! Ein geistlicher Herr schreitet über die ganze Bühne, von händeküssenden Bauernkindern um ringt; Zigeuner werden vom Flurschützen arretirt und unter großer Theilnahme abgeführt; an allen Krambuden drän gen sich Käufer und Schaulustige, beißen in Aepfel oder Marzipan; Bauernjungen schäkern aufdringlich mit den Mädchen u. s. w. Damit stiehlt man nur der Hauptsache die nothwendige Aufmerksamkeit und macht die Zuschauer verwirrt. Auch im zweiten Act, der zum Glück die Statisten und Choristen an die Wirthshaustische fesselt, war trotzdem ähnlicher Unfug angebracht. In seiner merkwürdigen Vorliebe für Arretirungen läßt der Regisseur während der schönsten Stelle des Duetts zwischen Marie und Wenzel einen Unbekannten am Ausschank verhaften, der, heftig mit dem Regenschirme gesticulirend, die Leute um sich versammelt und unter allgemeiner Aufregung fortgeführt wird. Da schaut natürlich das ganze Publicum auf diese stürmische, unerklärliche Nebenhandlung, muß unwillkürlich hinschauen und verliert so den Zusammenhang und den Eindruck des Duetts, welches uns ganz allein wichtig sein soll.

Die Tänze, die auch musikalisch zu dem Erquickendsten dieser Oper gehören, sind sehr hübsch arrangirt; ein Er götzen für Auge und Ohr. Der Erfolg der ganzen Vor stellung war ein glänzender und dürfte zahlreichen Wieder holungen getreu bleiben. Die Hauptdarsteller wurden nach jedem Act stürmisch gerufen; Herr Hofcapellmeister Fuchs hatte als Dirigent der Oper vollen Anspruch, sich ihnen anzuschließen.