Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11558. Wien, Dienstag, den 27. October 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11558. Wien, Dienstag, den 27. October 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 27.10.1896
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Aus Robert Schumann’s letzten Tagen. Mit ungedruckten Briefen von ihm. I.

Ed. H. Es ist genau sechsundvierzig Jahre her, daß Robert Schumann (am 24. October 1850) sein Amt als städtischer Musikdirector in Düsseldorf antrat. Man weiß aus seinen Briefen, wie er während der beiden ersten Jahre sich dort wohl und zufrieden gefühlt und nur über die un gewohnte Anstrengung des Dirigirens geklagt hat. Bekannt ist aber auch, daß bald ein qualvoller Zustand nervöser Ueberreizung immer beunruhigender sich seiner bemächtigte, daß er an Wahnvorstellungen litt, von Stimmen und Tönen verfolgt wurde und endlich in einem Anfalle von überwäl tigendem Angstgefühl plötzlich das Haus verließ und sich von der Rheinbrücke ins Wasser stürzte. Gerettet und nach Hause gebracht, erholte er sich bald, doch war dieses rasche Sich selbstwiederfinden nicht von Dauer. Schumann fühlte sich von der nervösen Ueberreizung, welche seinen Geist zu um schleiern begann, so sehr beängstigt, daß er selbst in eine Heilanstalt gebracht zu werden verlangte. Da sein Zustand in der That unausgesetzte Ueberwachung nothwendig machte, führte man Schumann am 4. März 1854 in die Privat heilanstalt des Dr. Richarz in Endenich bei Bonn, welche er bis zu seinem Tode (29. Juli 1856) nicht mehr ver lassen sollte.

Ueber den Zustand Schumann’s während dieses Aufent haltes in Endenich sind, wie ich häufig, ja fast aus nahmslos wahrzunehmen Gelegenheit hatte, sehr irrige Vor stellungen verbreitet. Es ist begreiflich, daß der Gedanke an eine solche Heilanstalt bei den meisten Menschen gleich die gräßlichsten Bilder heraufbeschwört. Sie entsprechen aber keineswegs immer der Wahrheit. Nichts unrichtiger, als sich Schumann als einen Kranken vorzustellen, in dem jeder Funke von Denkvermögen ausgelöscht, jeder mit seiner Um gebung ihn verbindende Faden abgerissen ist, wie bei dem

unglücklichen Lenau, dessen Anblick den Freunden sich als die furchtbarste Erinnerung lebenslang eingeprägt hat. Nichts dergleichen bei Schumann. Mild und freundlich, ja mit theilsamer als in gesunden Tagen unterhielt er sich mit den ihn besuchenden Freunden Brahms und Joachim; er musicirte, las, schrieb Briefe und componirte. Seine Krankheit äußerte sich nicht in den erschreckenden Formen der Exaltation oder des vollständigen Stumpfsinnes, sondern als eine tiefe Ermüdung, eine melancholische Abspannung, die vorübergehend in Gedankenflucht abirren mochte. Als authentisches Zeugniß citire ich einen mir vorliegenden ungedruckten Brief des Directors der Heilanstalt, Dr. Peters, an Frau Clara Schumann: Endenich, 1. April 1854. Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, daß sich das bessere Befinden und ruhigere Verhalten Ihres Herrn Gemals seit Montag gehalten hat. Noch immer sehr ruhebedürftig, brachte er den größten Theil des Tages, ausgenommen der Zeit, die er nach seinem Wunsche zum Spazierengehen verwendet, meist schlummernd auf dem Sofa, noch lieber aber auf dem Bette zu. Anfälle von Aengstlichkeit sind in dieser Periode gar nicht bemerkt worden, und haben sich ebensowenig die früheren Gehörstäuschungen eingestellt. Im Ganzen war er milde, freundlich, ziemlich unbefangen, aber kurz bei der Unterhaltung. Ge waltthätig gegen seinen Wärter, wie dies in der ersten Zeit wol vor gekommen, ist er nicht gewesen, im Gegentheile zeigte er sich wohl wollend gegen denselben, sprach sein Bedauern aus, ihm früher viele Unruhe gemacht zu haben, und machte gestern, als er sich bei ihm nach dem Datum erkundigte, einen Scherz in Bezug auf den 1. April. Auf seinen Spaziergängen sucht er häufig Veilchen. Sein Aussehen ist besser, Appetit und Schlaf sind sehr gut.“ Nicht vergessen kann ich die schönen Worte, die Ferdinand Hiller am Grabe seines Freundes sprach: „Dein müder Geist! Zu viel hattest du ihm abverlangt. Was in geweihter Stunde dem dankbar Empfangenden zu Theil werden mag, das fordertest du als ein Recht jeden Augeblicks. Lange gehorchte er willig — und wer vermöchte zu sagen, wie er sich mit dir entzweite? Ach, vielleicht war es nur ein kurzes Schmollen, wie es ja zwischen den besten Freunden vor kommt, und nur unseren blöden Augen erschien es wie ein Zerwürfniß, und ihr seid wieder im besten Einvernehmen und lächelt über Alles, was wir hier von euch sprechen, und lächelt milde und verzeiht es uns!“

Ich denke, es müßte allen Verehrern Schumann’s, dieses großen Künstlers und herrlichen Menschen, willkom

men sein, ein tröstlicheres Bild von seinen letzten Tagen zu empfangen. Dieses freundlichere Bildniß kann ihnen Nie mand getreuer liefern, als Schumann selbst in den Briefen, die er aus der Heilanstalt an seine Frau, an Brahms und Joachim schrieb. Mir war’s beim Lesen dieser Briefe oft zu Muth, als blickte mich der Schumann aus alter Zeit mit seinen milden Augen an und spräche mit seiner wohlbekannten stillen, freundlichen Stimme. Es sind unschätzbare Beiträge zur Kenntniß Schumann’s, tief gemüthvolle Klänge aus seinem Herzen. Rührender als in diesen Endenicher Briefen kann die zärtliche Liebe zur Gattin, zu den Kindern, zu den Freunden, endlich zu seiner Kunst sich nicht aussprechen. Wie dankbar zeigt sich Schumann für jedes kleine Liebeszeichen, das seine Clara ihm sendet; wie unermüdlich erinnert er sie an gemeinsam Erlebtes in glücklicheren Tagen; wie eifrig bespricht und rühmt er die Compositionen seiner beiden jungen Freunde Joachim und Brahms!

War es nicht längst eine Pflicht, diese Zeugnisse von Schumann’s letztem Denken und Fühlen und damit ein verklärtes, geläutertes Bild des Verewigten seiner großen, ihm liebevoll anhängenden Gemeinde zu überliefern? Es sind sieben Briefe Schumann’s an seine Frau, vier an Brahms und einer an Joachim, welche ich hier mit Zu stimmung der beiden letztgenannten Freunde und der ältesten Tochter Schumann’s, Fräulein Marie Schumann, zum erstenmale veröffentliche. Die Briefe liegen mir zur Hälfte im Original vor, zur andern in Abschriften von der Hand Clara’s und Brahms’. Ich habe mir keine Veränderung daran erlaubt, nur einzelne, offenbar in der Eile ausge lassene Worte in Klammern supplirt.

Den hier folgenden Briefen an Clara schicke ich einige nothwendige Erläuterungen voraus.

Schumann’s Hochzeitstag war der 12. September, Clara’s Geburtstag der 13. September; darum äußert Schumann in seinem ersten Briefe vom 14. September seine Freude darüber, daß seine Frau ihm „gerade an solchem Tage“ schrieb. Das Zusammentreffen wichtiger Kalendertage hat Schumann immer als bedeutungsvoll empfunden. So preist er im zweiten Briefe „die Freuden botschaft, daß Clara ihm gerade im Juni einen Knaben

geschenkt“. Der 10. Juni war Schumann’s Geburtstag. Der Knabe, dessen Geburt ihm gemeldet ward, erhielt nach Schumann’s Wunsch den Namen Felix, in Erinnerung an Mendelssohn „den Unvergeßlichen“! Sein Taufpathe war Brahms. Mendelssohn selbst hatte den ältesten Sohn Schu mann’s, Ludwig, aus der Taufe gehoben. Es war ein eigener Aberglaube Schumann’s, daß es nicht gut anschlage, wenn das Kind den Namen seines Pathen erhalte. Felix Schumann ist in jungen Jahren an der Lungentuberculose gestorben und hat seinen Vater nie gesehen. Er war poetisch veranlagt; eines seiner Gedichte: „Meine Lieb’ ist grün“, ist durch Brahms’ Composition (op. 63, Nr. 5) berühmt geworden. Ferdinand, Schumann’s zweiter Sohn, hat den Feldzug vom Jahre 1870 mitgemacht und ist in Folge der Kriegsstrapazen gestorben. Nur der älteste von den drei Söhnen, Ludwig, lebt noch, leider seit Jahren in einer Heilanstalt. Von den Töchtern Schumann’s ist Julie als die Gattin eines italienischen Conte gestorben. Die jüngste Tochter, Eugenie, lebt in London als Clavier lehrerin. Die beiden älteren, Marie (die treue Begleiterin und Pflegerin ihrer Mutter) und Elise, verehelichte v. Sommerhoff, leben in Frankfurt a. M.

Die am Schlusse des ersten Briefes erwähnten Variationen über ein Thema in Es-dur haben eine merkwürdige Ge schichte, die nur den nächsten Freunden Schumann’s bekannt geworden. Eines Nachts, zu Anfang Februar 1854, war Schumann plötzlich aus seinem Bett aufgestanden und hatte Licht verlangt, da ihm Franz Schubert ein Thema geschickt, das er sogleich aufschreiben müsse. Ueber dieses Thema in Es-dur begann er bei schon anbrechender Krank heit Variationen zu componiren. Er war an dem unglück seligen 27. Februar mitten im Aufschreiben der fünften, stürmisch bewegten Variation, als er plötzlich aufsprang, barhaupt das Haus verließ und sich in den Rhein stürzte. Aus den Fluthen gerettet und heimgebracht, setzte er sich sofort schweigend an seinen Schreibtisch und schrieb an der Variation weiter, genau wo er aufgehört hatte. Die Variationen sind nicht gedruckt, nur das Thema ist in den Supplementband seiner gesammelten Compositionen aufge nommen. Dasselbe Thema hat eine rührende Auferstehung und Verklärung erlebt in den vierhändigen Variationen op. 23 von Brahms.

Die anderen in demselben Brief erwähnten Schumannschen Compositionen sind: Der Balladencyklus „Vom Pagen und der Königstochter“, op. 140, und das Johann Brahms gewidmete Concert-Allegro in D-moll, op. 134. — Die Gesänge in der Frühe“, deren Manuscript Schumann ver langt, sind keine Lieder, sondern fünf Clavierstücke, op. 123, „der hohen Dichterin Bettina gewidmet“. — Das im dritten Brief vorkommende plattdeutsche Wort „Leuschen“ (aus Fritz Reuter’s „Leuschen und Rimmels“ bekannt) hat Joachim in der gedruckten Ausgabe seiner „Drei Stücke für Violine und Piano“ (op. 5) durch Ballade ersetzt. „Das Thema, was du variirtest“ (im vierten Brief) bezieht sich auf die „Variationen über ein Thema von Robert Schumann, Ihm gewidmet von Clara Schumann“ (op. 20). Ueber dasselbe Thema in Fis-moll hat auch Brahms seine Variationen, op. 9, geschrieben und Clara Schumann zu geeignet. Von diesen Brahms’schen Variationen spricht Schumann auch in den späteren Briefen.

Die Freunde, nach denen Schumann sich erkundigt, sind: der Componist Woldemar Bargiel, ein Stief bruder Clara’s, dann der ausgezeichnete Concert-Dirigent J. H. Verhulst im Haag (geboren 1816, gestorben 1891), ferner Lindhult, Gesanglehrer in Köln, Julius Otto Grimm, königlicher Musikdirector in Münster, endlich Ernst Adolph Becker (nicht F. A. Becker, wie Schu mann ihn irrthümlich in der Widmung der „Nachtstückenannte), geboren 1798 in Dresden, gestorben 1874, Unter suchungsrichter beim Bergamte („Bergschreiber“) in Frei berg. Er war Schumann’s intimer Freund, insbesondere Vertrauter in dessen Herzens- und Verlobungsgeschichte mit Clara Wieck. Schumann’s „Glückwunsch zu der Ernennung in Holland“ bezieht sich auf das Ehrendiplom von der Amster damer Musikgesellschaft „Maatschappy tot Bevordering der Toonkunst“.

Die „Tagesfolge im August: Clara, Aurora, Eusebius“ (im fünften Brief) bedeutet auch eine von Schumann’s pietät vollen Kalender-Erinnerungen. Der Name Clara fällt auf den 12. August, Eusebius auf den 14. August. Die „Aurora“ und ihre specielle Bedeutung für Schumann konnte ich nicht entdecken.

In dem letzten Briefe vom 6. Januar 1855 spricht Schumann von BrahmsBalladen, op. 10. Daß er die

dritte Ballade (Intermezzo, H-moll 6/8) als „dämonischbezeichnete, während Clara darin Engel erblickte, welche durch den blauen Himmel ziehen, machte seine Umgebung sofort ängstlich, und die Absicht, Schumann aus der Heilanstalt herauszunehmen, wurde wieder aufgegeben. Brahms selbst neigt mehr zu der Anschauung Schumann’s als zu jener Clara’s über den Charakter des Stückes.

Briefe von Robert Schumann an seine Frau. Endenich, 14. September 1854. Wie freute es mich, geliebte Clara, deine Schriftzüge zu erblicken! Habe Dank, daß du gerade an solchem Tage schreibst und du und die lieben Kinder sich meiner noch in alter Liebe erinnern. Grüße und küsse die Kleinen! O könnt’ ich euch einmal sehen und sprechen; aber der Weg ist doch zu weit. So viel möchte ich von dir erfahren, wie dein Leben überhaupt ist, wo ihr wohnt und ob noch du so herrlich spielst wie sonst, ob Marie und Elise immer vor schreiten, ob noch auch singen — ob du noch den Klemmsschen Flügel hast, wo meine Partituren-Sammlung (die ge druckten) und die Manuscripte (wie das Requiem, des Sän gers Fluch) hingekommen sind, wo unser Album, das Auto graphen von Goethe, Jean Paul, Mozart, Beethoven, Weber und viele an dich und mich gerichtete Briefe enthielt, wo die Neue Zeitschrift für Musik und meine Correspondenz? Hast du noch alle an dich von mir geschriebenen Briefe und die Liebeszeilen, die ich dir von Wien nach Paris schickte? Könntest du mir vielleicht etwas Interessantes schicken, viel leicht die Gedichte von Scherenberg, einige ältere Bände meiner Zeitschrift und die musikalischen Haus- und Lebensregeln? Dann fehlt es mir noch an Notenpapier, da ich manchmal etwas an Musik aufschreiben möchte. Mein Leben ist sehr einfach, und ich erfreue mich immer wieder an der schönen Aussicht nach Bonn, und wenn ich da bin, an dem Sieben gebirge und an Godesberg, an das du dich auch noch erinnern wirst, wie ich in der stärksten Sonnenhitze, am „Pagenarbeitend, von Krampfanfällen angefallen wurde. Dann möchte ich wissen, liebe Clara, ob du vielleicht für meine Kleidung gesorgt und ob du manchmal Cigarren gesandt? Es liegt mir viel daran, es zu wissen. Schreibe mir noch Genaueres über die Kinder, ob sie noch von Beethoven, Mozart und aus meinem Jugendalbum spielen, ob auch

Julie das Spiel fortsetzt und wie sich Ludwig, Ferdinand und die liebenswürdige Eugenie zeigen. O wie gerne möchte ich dein wundervolles Spiel einmal hören! War es ein Traum, daß wir im vorigen Winter in Holland waren und daß du überall so glänzend aufgenommen, namentlich in Rotterdam, und uns ein Fackelzug gebracht wurde, und wie du in den Concerten das Es-dur-Concert, die Sonaten aus C-dur und F-moll von Beethoven, Etuden von Chopin, Lieder ohne Worte von Mendelssohn und auch mein neues Concertstück in D so herrlich spieltest. Erinnerst du dich noch eines Themas in Es-dur, was ich in der Nacht einmal hörte und Variationen darüber schrieb, könntest du sie mir beilegen und vielleicht etwas von deinen Compo sitionen mit?

So viele Fragen und Bitten hab’ ich — könnt’ ich zu dir und sie dir aussprechen. Willst du den Schleier über Dieses oder Jenes, worüber ich dich gefragt, werfen, so thue es. So leb’ denn wohl, geliebte Clara und ihr lieben Kinder, und schreibt mir bald. Dein alter getreuer Robert.

Endenich, 18. September 1854. Geliebte Clara! Welche Freudenbotschaften hast du mir wieder gesandt, daß der Himmel dir einen prächtigen Knaben und im Juni geschenkt, die liebe Marie und Elise dich zu deinem Geburtstag mit den „Bildern aus Osten“ zu deiner und meiner Ueberraschung vorgespielt, Brahms, den du freundlich und verehrungsvoll grüßen wollest, ganz nach Düsseldorf übergesiedelt — welche Freudenbotschaften! Wenn du wissen willst, welches mir der liebste Name, so erräthst du ihn wol, der Unvergeßliche! Freude hat es mir gemacht, daß die gesammelten Schriften vollständig und das Violoncell- Concert, die Violin-Phantasie, die Joachim so herrlich ge spielt, und die Fughetten erschienen. Kannst du mir, da du es mir so liebevoll anbietest, Eines oder das Andere schicken? Schreibst du Joachim, so grüß’ ihn. Was haben Brahms und Joachim componirt? Ist die Ouvertüre zu Hamlet [von Joachim] erschienen, hat er seine andere vollendet? Du schreibst mir, daß du im Clavierzimmer die Stunden gibst. Welche sind denn die jetzigen Schülerinnen, welche die besten? Strengst du dich nicht so sehr an, liebe Clara?

Abends 8 Uhr. Eben komme ich von Bonn zurück, immer Beethoven’s Statue besuchend und von ihr entzückt. Wie ich vor ihr stand, erklang die Orgel in der Münster kirche. Ich bin jetzt viel kräftiger und sehe viel jünger aus, als in Düsseldorf. Nun möchte ich dich um etwas bitten, daß du Herrn Dr. Peters schreibst, mir manchmal an Geld zu geben, was ich wünsche, und ihm wieder ersetztest. Oft bitten mich arme Leute, und dann dauert’s mich. Sonst ist mein Leben nicht so bewegt, als früher. Wie war das sonst ganz anders! Gib mir doch Mittheilung über das Leben unserer Anverwandten, Freunde und Freundinnen in Köln, Leipzig, Dresden und Berlin, über Woldemar, Dr. Härtel, du kennst sie Alle.

Nun möchte ich dich an Manches erinnern, an ver gangene selige Zeiten, an unsere Reise in die Schweiz, an Heidelberg, Lausanne, an Vevey, an Chamouny, dann an unsere Reise in den Haag, wo du das Erstaunlichste leistetest, dann an die nach Antwerpen und Brüssel, dann an das Musikfest in Düsseldorf, wo meine vierte Symphonie zum erstenmale und am dritten Tage das A-moll-Concert von mir, so herrlich von dir gespielt, mit glänzendem Beifalle, die Rhein-Ouvertüre mit weniger glänzendem, aufgeführt. Erinnerst du dich auch, wie in der Schweiz zum erstenmale die Alpen in aller Pracht sich zeigten, der Kutscher in etwas scharfen Trab gerieth und du etwas ängstlich wurdest. Ueber alle unsere Reisen, auch über die, die ich als Schüler und Student gemacht, habe ich kurze Notizbücher geführt — oder viel besser — willst du mir die Freude machen, einen Band deiner Tagebücher zu senden und vielleicht eine Abschrift von den Liebeszeilen, die ich dir von Wien nach Paris geschickt? Hast du noch das kleine Doppelporträt (von Rietschel in Dresden)? Du würdest mich dadurch sehr beglücken. Dann spreche ich dir den Wunsch aus, mir die Geburtstage der Kinder mitzutheilen, sie standen im blauen Büchlein.

Nun will ich noch an M. und E. [Marie und Elise] schreiben, die mich so herzlich angesprochen.

Adieu, herzlichste Clara, vergiß mich nicht, schreibe bald deinem Robert.

Endenich, 26. September 1854. Welche Freude, geliebte Clara, hast du mir wieder durch deinen Brief und die Sendung gemacht und das

Doppelbild. Meine Phantasie war durch die vielen schlaf losen Nächte sehr verwirrt, nun seh’ ich dich wieder in deinen edlen ernsten Zügen.

Was du über — — schreibst, hat mich aufs herzlichste erfreut. So auch über Brahms und Joachim und Beider Compositionen. Das wundert mich, daß Brahms contra punktische Studien treibt, was ihm gar nicht ähnlich sieht. Joachim’s drei Stücke, für Clavier und Viola, möchte ich kennen lernen; erinnerst du dich „Leuschen“, für Violine und Pianoforte, dieses furchtbaren Stückes! Auch Woldemar grüße vielmals.

Des Bildnisses Brahms’ von Laurens kann ich mich noch besinnen, meines aber nicht. Dank für die Mittheilung der Geburtsjahre der Kinder; welche Taufzeugen für den Kleinsten und in welcher Kirche soll er getauft werden? Schreibe mir mehr von den Kindern und von dir, herzlich geliebte Clara. Dein Robert.

Endenich, 10. October 1854. Herzliebste Clara! Welche Freudensendung hast du mir wieder gemacht! Dein Brief mit Juliens ihrem, die Com position von Brahms über das Thema, was du variirtest und die drei Bände des A. B’schen [ArnimBrentano] Wunderhorns, meines Lieblingsbuches, aus dem ich Vieles componirt, und namentlich das „Wenn ich ein Vöglein wär’“ in die Genovefa aufgenommen. Erinnerst du dich, wie dann Golo immer kühner und zu dem Liede in anderen Weisen singt?

Nun habe herzlichen Dank für die Abschrift der kleinen Verse, die ich dir aus Wien nach Paris geschickt. Das Umkehrräthsel von Roma (Amor) gefällt mir noch sehr. Ich wünschte manchmal, daß du mich am Flügel phanta siren hörtest; das sind meine schönsten Stunden. Die Variationen von Brahms muß ich noch genauer kennen lernen; ich schreibe selbst an ihn.

Könnte ich vielleicht durch deine Güte das Manuscript der „Gesänge der Frühe“ noch einmal zur Ansicht be kommen? Wie steht es mit dem Verlage des Concertstückes in D mit Orchester, das du in Amsterdam so wunder schön spieltest, und des zweiten spanischen Liederspieles?

Nun nimm, geliebte Clara, meinen Glückwunsch zu der Ernennung in Holland, das ist das älteste Diplom,

das ich erhalten. Schreibst du an Verhulst, so grüße ihn. Wer ist Herr Lindhult? Ich glaube, ihn früher in Düsseldorf gesehen zu haben; er sprach nicht viel, schien aber viel in sich zu tragen. Herrn Grimm’s erinnere ich mich auch sehr gut, wir waren ja immer mit Brahms und Joachim in der Eisenbahn-Restauration (in Hannover); grüße ihn und vor Allem auch Fräulein Leser. An Brahms schreibe ich selbst, wie auch Marien und Julien. Meine Fußwanderungen bestehen noch immer nach Bonn, mich an der reizenden Aussicht nach dem Siebengebirge erlabend; weißt du noch, wie wir den Drachenfels bestiegen und einem würdigen Geistlichen begegneten? Wir hatten Mühe, gegen den Strom und auf die Insel Nonnenwerth zu kommen. Nun lebe wohl, geliebte Clara, grüße Alle, die sich meiner erinnern. Dein Robert.

12. October 1854. Ich empfange eben deinen neuen herzlichen Brief mit dem Daguerreotyp von Mariechen, das mir noch immer in der Erinnerung vorschwebt. Auch für die Cigarren nimm meinen Dank, wie für den vierten Band des Wunderhorns. An das englische Schachspielbuch gedenke ich auch sehr gerne, und es freut mich, einige noch unaufgelöste Spiele zu lösen. Die Brahms’schen Variationen bewundere ich immer mehr. Willst du den beifolgenden Brief ihm übergeben? Es freut mich auch, daß du von Becker in Freiberg Nachrichten empfangen und auch Aussicht hast, von Härtel wegen des thematischen Verzeichnisses meiner Compositionen Nachricht zu erhalten. Nun muß ich dir auch sagen, wie mich auch deine Variationen immer mehr entzücken und deines herr lichen Spiels dieser und meiner erinnern. Des Gedichtes an dich, liebe Clara, in meinen Schriften gedenke ich auch gerne, auch des Tages im August, wo ... Tagesfolge Clara, Aurora, Eusebius sich folgten und ich dir durch Becker meinen Verlobungsring sendete. Erinnerst du dich an Blankenburg, wo ich dich an deinem Geburtstage einen Diamantring in einem Blumenstrauß suchen ließ und du einen der Diamanten in Düsseldorf verlorst und ihn Jemand wiederfand! Das sind selige Erinnerungen.

Schreibe mir noch mehr, theure Clara, von den Kin dern. Ludwig wurde das Sprechen immer sehr schwer, aber vom Ferdinand wüßte ich es nicht. Und schreibe recht bald

und immer so fröhliche Nachrichten. Dein in alter und neuer Liebe ergebener Robert.

Aus einem Briefe vom 27. November 1854. Die Variationen von Johannes haben mich bei der ersten Durchsicht gleich und bei tieferer Erkenntniß immer mehr entzückt. An Brahms schreib’ ich selber noch; hängt sein von de Laurens gezeichnetes Bild noch in meinem Studirzimmer? Er ist einer der schönsten und genialsten Jünglinge. Mit Entzücken erinnere ich mich des herrlichen Eindrucks, den er das erstemal durch seine C-dur-Sonate und später Fis-moll-Sonate und das Scherzo in Es-moll machte. O könnte ich ihn wiederhören! Auch seine Balladen möcht’ ich.

6. Januar 1855. Nun wollte ich dir, meine Clara, auch ganz besonders für die Künstlerbriefe danken und Johannes für die Sonate und Balladen. Die kenn’ ich jetzt. Die Sonate — einmal erinnere ich mich sie von ihm gehört zu haben — und so tief ergriffen; überall genial, tief, innig, wie Alles in einander verwoben. Und die Balladen — die erste wunderbar, ganz neu; nur das doppio movimento wie bei der zweiten versteh’ ich nicht, wird es nicht zu schnell? Der Schluß schön-eigen thümlich! Die zweite wie anders, wie mannigfaltig, die Phantasie reich anzuregen; zauberhafte Klänge sind darin. Das Schluß-Baß-Fis scheint die dritte Ballade einzu leiten. Wie nennt man die? Dämonisch — ganz herrlich und wie’s immer heimlicher wird nach dem pp. im Trio; dieses selbst ganz verklärt und der Rückgang und der Schluß! Hat diese Ballade auf dich, meine Clara, wol einen gleichen Eindruck hervorgebracht? In der vierten Ballade wie schön, daß der seltsame erste Melodieton zum Schlusse zwischen moll und dur schwankt und wehmüthig in dur bleibt. Nun weiter zu Ouvertüren und Symphonien! Gefällt dies dir, meine Clara, nicht besser als Orgel? Eine Symphonie oder Oper, die enthusiastische Wirkung und großes Aufsehen macht, bringt am schnellsten und auch alle anderen Compositionen vorwärts. Er muß.

Nun grüße Johannes recht und die Kinder, und du, meine Herzensliebste, erinnere dich deines in alter Liebe ergebenen Robert.