Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11595. Wien, Donnerstag, den 3. December 1896 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11595. Wien, Donnerstag, den 3. December 1896 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 03.12.1896
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Zum hundertsten Geburtstag Karl Loewe’s.

Ed. H. Am 30. November d. J., genau hundert Jahre nach Karl Loewe’s Geburt, ist in Kiel das Denkmal des geist- und gemüthvollen Balladen-Componisten enthüllt worden. Es fügte sich schön, daß Eugen Gura, der vor nehmste Interpret Loewe’scher Gesänge, gleichzeitig in Wien eintraf und seinem Lieblings-Componisten eine glänzende Huldigung darbringen konnte. Er hat gestern im Bösen dorfer-Saale ein eigenes „Loewe-Concert“ gegeben, dessen Programm, ausschließlich aus Loewe’schen Gesängen gebildet, eine zahlreiche Hörerschaft entzückte. Loewe’s Balladen sind bei seinen Lebzeiten fast nur im häuslichen Kreise von be gabten und begeisterten Dilettanten gesungen worden. Schon im Jahre 1842 klagte R. Schumann (in seiner Kritik des Oratoriums „Huß“), daß Loewe fast schon zu den Verschollenen gehöre, trotz seiner regen, fortgesetzten Productivität. In der That verlebte Loewe seine letzten zwanzig Jahre wie ein Geheimniß und sein Tod (1869) erregte wenig Aufmerksamkeit. Bei uns haben in den Fünfziger-Jahren zwei warmherzige Sänger, deren Namen aber kaum über Wien hinausgedrungen, Ernst Förchtgott und Rudolph Panzer, mit ihren Vorträgen für Loewe bescheidene Propaganda gemacht. Mit diesen Beiden sind auch Loewe’s Balladen in Wien ver stummt für lange Zeit. Da traten im Jahre 1882 in Berlin einige Kenner und Verehrer des Meisters zusammen und stifteten auf Anregung des Predigers Dr. Max Runze einen eigenen „Loewe-Verein“. Ihr Werk begann schnell schöne Früchte zu tragen. Unter den Sängern war es vor Allen Meister Gura, dessen Vortrag Löwe’scher Balladen allerwärts zündete und heute noch, wo bereits sein Sohn als Opernsänger wirkt, unübertroffen dasteht. Nächst Gura sind insbesondere Georg Henschel in London und Albert Bach in Edinburgh seit Jahren als treffliche Loewe-Sänger rühmlichst thätig. Alle drei Sänger haben nicht

blos musikalisch zu Loewe’s Ruhm beigetragen, sondern auch in klingender Münze sehr reichlich zu seinem Denkmal. Die jetzt von der Jubiläumsfeier sich fortpflanzende Be wegung führt uns auch eine wenig verbreitete interessante Schrift in Erinnerung: die von C. H. Bitter heraus gegebene Selbstbiographie Karl Loewe’s.

Sie ist allerdings nicht „Selbstbiographie“ in vollem Umfang und strengem Sinne. Nur die erste Abtheilung des Buches enthält eine von Loewe selbst dictirte Erzählung seines Lebens; sie bezieht sich wesentlich auf seine Jugend geschichte bis zur Uebersiedlung nach Stettin. Ueber sein späteres Leben erfahren wir das Wichtigste aus einer Reihe chronologisch zusammengestellter Briefe, welche die zweite Abtheilung des Buches bilden. Eine dritte Abtheilung endlich bringt uns die Aufzeichnungen der TochterLoewe’s über seine letzte Lebenszeit.

Johann Karl Gottfried Loewe wurde, das Jüngste von zwölf Geschwistern, am 30. November 1796 in dem Städtchen Löbejün bei Halle geboren. Von seinem Vater, der dort Cantor und Lehrer war, erhielt er eine streng religiöse Erziehung und die Grundlage seiner musikalischen Bildung. Das schöne, tiefe Gemüth Loewe’s verräth sich schon in der Weise, wie er von seiner arbeitsamen und doch so glück lichen Kindheit erzählt. Er mußte überall wacker mithelfen im Hause, einkaufen, Wasser tragen, Kartoffeln ausgraben, sogar den Pferdemist aufsammeln, der im Obstgarten als Dünger verwendet wurde. „Mit welchem Vergnügen,“ ruft er aus, „ruhte ich während der warmen Sommernächte in den kleinen Strohhüttchen, in denen ich das reifende Obst bewachen mußte!“ Die schönsten Stunden brachten ihm aber die Winterabende. „Wenn die Mutter den ganzen Tag unermüdlich für uns geschafft hatte und der Abend zu dunkeln begann, dann setzte sie sich an den großen Ofen, mein Platz war zu ihren Füßen und meinen Kopf legte ich in ihren Schoß. So saßen wir eine zeitlang halb träumend da. „Jetzt laßt mich gehen,“ sagte sie dann zum Vater und zu den Geschwistern, und dann fing sie, die ich vor Allen liebte, an zu erzählen — wunderschöne Erinne rungen aus ihren Jugendjahren, alte, längstverklungene Ge schichten, die noch immer wie seltsame Märchen vor meiner Seele stehen. Meine Augen streiften dann oft aus den

Fenstern unserer Wohnstube, die auf einen alten, verfallenen Kirchhof hinausgingen, über dessen zerfallende Hügel und morsche Kreuze hinaus und gruben sich in das dunkle Laub der alten Linden ein. Wenn so die Mutter endlich still geworden war und ich mich fester an ihre Knie drückte, dann pflegte ich auch zu bitten: „Mama, nun spiele noch etwas“; dann nahm sie lächelnd die Violine, mit der mein Vater in der Schule den Gesang leitete, und spielte auf ihr die schönsten Melodien. Nie hatte sie Unterricht im Violin spiel gehabt, doch sang ihr Ton mir so tief ins Herz hin ein!“ Diese Jugend-Eindrücke fühlen wir wie ein fernes Echo aus manchen der schönsten Balladen Loewe’s nach klingen.

Sehr hübsch schildert er auch sein Leben als Chor schüler in der kleinen, stillen Residenz Köthen. „Dieser aus sechzehn Schülern bestehende Chor mußte durch drei maliges Singen auf den Straßen, vor den Thüren der wohlhabenderen Einwohner seine Existenz ersingen. Die abenteuerliche, althergebrachte Tracht dieser kleinen Sänger bestand aus einem dreieckigen Hut und einem langen schwarzen Mantel, vom Hinterkopf herab hing aber ein ehr würdiger Zopf.“ Von Köthen kam der dreizehnjährige Loewe nach Halle, wo der alte, berühmte Theoretiker Türk sich eifrig der musikalischen Ausbildung des Knaben widmete. Nach Türk’s Tod wendete er sich wieder den wissenschaft lichen Studien zu und bezog 1817 die Universität, um nach dem Lieblingswunsche seines Vaters Theologie zu studiren. In diese Studentenzeit fallen seine ersten Balladen, welche sein intensives und eigenartiges Talent bereits vollständig offenbarten. Seine Bekanntschaft mit C. M. Weber und Hummel verhalf ihm im Jahre 1820 zu einer Anstellung in Stettin als Musikdirector, Cantor an der Jacobskirche und Gymnasial-Lehrer. Nun führte er auch seine Braut, Julie v. Jacob, heim. In Stettin blieb er bis zum Jahre 1864, also volle 44 Jahre, in rastloser, fruchtbringender Thätig keit. Er stiftete daselbst einen Gesangverein, bildere zahl reiche Schüler und machte sich um das Musikleben seiner neuen Heimat außerordentlich verdient. Sein vierjähriger Aufenthalt in dem weltentlegenen Stettin war nur durch kleinere Reisen unterbrochen, die er zur Ferienzeit unter nahm, um in verschiedenen deutschen Städten seine Balladen

vorzutragen und der Aufführung seiner Oratorien bei zuwohnen.

Von diesen musikalischen Reise Loewe’s erhalten wir ein getreues, lebhaftes Bild durch die BriefeLoewe’s. Sie sind größtentheils an seine zweite Frau gerichtet (die erste war ein Jahr nach ihrer Vermälung gestorben), außer dem an den Dichter L. Giesebrecht, den Pastor Kefer stein und einige andere intime Freunde. Wer in diesen Briefen bedeutende Gedanken über Musik, eingehende oder auch nur eigenthümliche Urtheile über Künstler und Kunst werke erwartet, dürfte nicht seine Rechnung dabei finden. Nicht entfernt sind diese Mittheilungen mit Mendels sohn’s reichhaltigen Reisebriefen zu vergleichen; es sind ganz eigentlich Familienbriefe und beschäftigen sich am meisten mit der Person des Schreibers selbst. Trotzdem machen diese schlichten, warm empfundenen und lebhaft erzählten Mit theilungen einen günstigen Eindruck, denn sie sind der unmittelbarste Abdruck einer edlen, liebenswürdigen Natur. Ein besonderes Interesse für uns haben Loewe’s Briefe aus Wien. Sie überfließen fast vor Lob und Entzücken, so glücklich fühlte sich Loewe in Wien. Er erfuhr an sich den selben eigenen Zauber, den Wien auf alle Tonkünstler zu üben pflegt; von Beethoven an, der für „einige Monate“ nach Wien gekommen war und es zeitlebens nicht wieder verließ, bis auf den träumerischen, stillen Schumann, der mir im Januar 1847 gestand, er würde sich am liebsten in Wien bleibend niederlassen, wenn er da einen fruchtbaren Wirkungskreis fände.

Loewe kam nach Wien im Juli 1844. So gewaltig hat sich seither Vieles verändert, daß man mitunter seinen Augen nicht traut. So reist Loewe zum Beispiel fünf Tage lang von Prag nach Wien (über Znaim); „unter fünf Tagen,“ schreibt er, „ist die Reise nicht möglich, wenn man sich nicht über die Gebühr anstrengen will.“ In Wien findet er das Leben „billig, auch wenn man sich nichts ab gehen läßt“! Sein Mittagmal mit Wein kostet einen Drittelgulden und ist so ausreichend, daß er „mit dieser Malzeit, zwischen zwei und drei Uhr genossen, vollständig befriedigt zu Bette gehen kann“. Er beneidet die Wiener, welche nur zehn Stunden (!) zu fahren brauchen, um ihre Villen zu erreichen. Zuerst besucht Loewe Frau v. Goethe,

deren Sohn Walther sein Schüler gewesen; sie gehen mit einander zu Dr. Becher, Professor Fischhof und anderen Musik-Notabilitäten. Am meisten gefällt sich Loewe in dem gastfreien, anregenden Hause des Hofrathes Vesque v. Püttlingen (Hoven), wo ihm zu Ehren eine Soirée gegeben wird. „Alles brannte auf meinen Vortrag,“ schreibt Loewe seiner Frau, „und das ist wahr, die Wiener verstehen mich und verstehen auch zu hören; sie sind so gespannt aufmerksam! Die Domestiken werden gewarnt, von Außen nicht die Thür berühren zu lassen, und es rührt sich kein Auge im Kopfe. Ich sang „Der Wirthin Töchter lein“, „Heinrich der Vogler“, „Die nächtliche Heerschau“ und das „Hochzeitslied“. Mein Ruf breitet sich hier nach und nach aus. Wenn ich einen Winter hier zubringen könnte, würde mir vor den schönsten Erfolgen nicht bange sein. Wäre ich zehn Jahre jünger, dann bliebe ich hier, aber so ist es nichts mehr für mich. Ich sehe in Wien nur bestätigt, was mir sonst immer klar ahnte, daß ich von vornherein in größere Verhältnisse hätte eintreten müssen. Vesque sang auch sechs seiner Lieder von Heine mit einer angenehmen Stimme, geistreichem Vortrag und vortrefflichem Spiel. Unter den Herren, die ich hier kennen lernte,“ erzählt Loewe weiter, „befindet sich auch ein junger, talentvoller Referen darius, der die Zither sehr artig spielt. Es ist dies ein In strument, das ich noch nicht kannte; er heißt Alexander Baumann und will mir einen Operntext schreiben: „Don Quixote“. Baumann glaubt, daß ich eine ungeheure Ader für komische Musik in mir habe; das wäre ihm mächtig im Hochzeitslied“ klar geworden. Er gilt viel bei Hofe; dabei ist er bildhübsch, hat zu Allem Talent, ist witzig, geistreich und sehr gebildet.“ Auch die materiellen Genüsse weiß Loewe zu würdigen, und genau wie Robert Schumann nach einem Diner bei Vesque schreibt, „von solcher Kochkunst hatte ich bisher keinen Begriff“, bekennt Loewe den „Respect“, den er bei Vesque’s Schwiegervater, Herrn v. Plappart, vor der Wiener Küche bekommen. Vesque und Baumann führen ihn nach Vöslau zur Frau v. Pereira, wo „Dessauer einige seiner schönen Compositionen ganz herrlich sang“. Am 8. August, Mittags, gab Loewe in Streicher’s Claviersalon ein Privatconcert vor hundert bis hundertundzwanzig eingeladenen Zuhörern, da ein öffent

liches Concert nicht zu Stande zu bringen war. „Die Wiener sind herrliche Leute, aber sie sagen in ihrer gemüth lichen Art: Zur Sommerszeit könnte auch Gott Vater ein Concert geben, es „kam Kaner“. Ruhm, Ehre und Freude genießt Loewe vollauf in Wien, er bedauert nur, nicht fünf zehn Jahre früher hingekommen zu sein: „Ihr herrlichen Wiener habt von mir nur noch einen Nachklang ver gangener Tage.“ Mit schwerem Herzen nimmt er Abschied von Wien, um über Linz, Prag und Dresden nach Stettin zurückzukehren.

Mit der Reise nach London im Sommer 1847 waren Loewe’s künstlerische Wanderungen beendigt. Die Aufzeich nungen seiner Tochter Helene über Loewe’s letzte Lebenszeit beschließen das Buch und vollenden uns das Bild dieser liebenswürdigen, eigenthümlich abgeschlossenen Künstlernatur. Loewe lebte in Stettin in angenehmen geselligen Verhält nissen; unter seinen intimeren Freunden tritt besonders Ludwig Giesebrecht hervor, der den Text der meisten Oratorien Loewe’s gedichtet hat. Nachdem Loewe im Jahre 1864 einen Schlaganfall erlitten, erfolgte seine Pensionirung. Er empfand sie als eine bittere Kränkung und faßte bald darauf den schweren Entschluß, Stettin zu verlassen und nach Kiel zu übersiedeln. Dort hat er, umgeben von der liebevollsten Pflege seiner nächsten Angehörigen, den Rest seines Lebens verbracht. Am 20. April 1869 machte ein zweiter Schlaganfall seinem Leben ein Ende. Loewe’s zweite Frau ist im November vorigen Jahres, neunzig Jahre alt, in Unkel am Rhein gestorben, wohin sie mit ihrer Tochter und den Enkelinnen aus Kiel übersiedelt war. Die Freude ist ihr doch noch geworden, die Vorbereitungen zu dem Denkmal und die wachsende liebevolle Anerkennung ihres Gatten zu erleben.

Karl Loewe hat über 150 Compositionen veröffentlicht; außerdem hinterließ er eine Anzahl größerer ungedruckter Compositionen, welche wol schwerlich das Licht der Oeffentlichkeit erblicken werden. Ein stiller Seufzer über die Vergänglichkeit musikalischer Kunst, über so viel verlorene Mühe und Liebe entwindet sich wol Jedem, der das lange Verzeichniß von Loewe’s Werken durchblättert. Da finden wir Sym phonien, Sonaten, Streichquartette, Clavierstücke, welche, seit Decennien gedruckt, doch eigentlich nie recht bekannt ge

worden sind. Loewe’s Opern und Oratorien können heute für verschollen gelten. Einige dieser Oratorien haben aller dings bei Lebzeiten des Componisten in wiederholten Auf führungen einen respectablen Erfolg errungen, so z. B. „Die Siebenschläfer“, „Johannes Huß“, „Die Zerstörung Jeru salems“, „Die Apostel von Philippi“ und „Guttenberg“; von den Opern ist eine von Raupach gedichtete: „Die drei Wünsche“, an einigen Bühnen mit Beifall gegeben worden. So viel schöne Einzelheiten sich auch in diesen größeren Werken finden, so wenig können sie verhehlen, daß weder die Oper noch das Oratorium Loewe’s eigentliches Fach war. Ihr Styl kommt uns heute seltsam veraltet vor. Hin gegen läßt sich mit Zuversicht hoffen, daß Loewe’s Balla den ein theures, lebendiges Eigenthum der Nation bleiben werden. Die Balladen-Composition ist Loewe’s künstlerische Specialität; er ist darin geradezu einzig, wie Schubert im Liede. Ein merkwürdiger Zufall will es, daß diese bei nahe gleichalterigen Tondichter (Schubert war genau zwei Monate jünger als Loewe) auch in ihrem allerersten Werke zusammentreffen: Die Composition des „Erlkönig“ ist sowol bei Schubert wie bei LoeweOpus 1; Beide haben auch dieselbe Tonart, G-moll. Der Balladen-Componist Loewe stand schon in seinen ersten Versuchen ausgeprägt und fertig da. In dem wunderbar richtigen Treffen der Stimmung des Gedichtes war darüber kaum ein Fortschritt möglich; doch hat sich Loewe später noch bedeutendere Aufgaben ge stellt und sie mit gereifterer Kunst gelöst, wie dies die farbenglühenden Schilderungen im „Mohrenfürsten“, „Archi bald Douglas“, „Die verfallene Mühle“ u. s. w. glänzend darthun. Für den Sänger gehören diese Balladen keines wegs zu den leichten Aufgaben; sie verlangen nebst einem bedeutenden Stimmumfange vor Allem deutliche Aussprache und einen phantasievoll nachdichtenden, fein schattirten Vor trag. Wie dankbar und effectvoll aber die Loewe’schen Balladen für den tüchtigen Sänger sich erweisen, das haben wir soeben wieder von Gura erfahren. Es wäre zu wünschen, daß nach seinem Beispiel auch jüngere berufene Kräfte sich dieser schönen und lohnenden Aufgabe wieder zuwenden möchten.