Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11653. Wien, Sonntag, den 31. Januar 1897 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11653. Wien, Sonntag, den 31. Januar 1897 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 31.01.1897
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Zum Schubert-Jubiläum. II. („Der vierjährige Posten“ und „Die Verschworenen“ im Hofoperntheater.)

Ed. H. In dem Martyrium von Schubert’s Erden wallen bilden seine Opern eine eigene Leidensstation. Uner schöpflich im Produciren, unabgeschreckt von zahllosen Ent täuschungen sehen wir Schubert unermüdlich im Arbeiten für die Bühne. Nicht weniger als vierzehn Opern und Sing spiele hat er hinterlassen. Mit Bewunderung und Trauer blicken wir auf die reiche dramatische Thätigkeit Schubert’s. Wenn man dies unerschöpfliche Talent zu benützen gewußt hätte, was konnte Schubert der deutschen Bühne werden! Während sein ungestümer Schaffensdrang sich wahllos an das albernste Textbuch, an die erstbeste Gelegenheitsarbeit für ein Vorstadt-Theater hingab, hätte es von der Einsicht eines Opern-Directors abgehangen, Schubert zu einem Schmucke, zu einem ganzen Schmuckkästchen der deutschen Oper zu machen. Zumal der komischen Oper im weiteren Sinne, welche ja ernste und gefühlvolle Momente nicht aus schließt. Mit seinem Melodiensegen und seiner Vorliebe für das Lied schien dieser goldhelle, heitere Geist für das musika lische Lustspiel wie geschaffen. Das beweisen die beiden Singspiele, mit welchen sich das Hofoperntheater heute an der Schubert- Feier betheiligt hat: „Der vierjährige Posten“ und Die Verschworenen“. Zu beiden hat der Zufall ihm die Textbücher in die Hand spielen müssen. In Theodor Körner’s Theaterstücken fand Schubert das einactige Singspiel „Der vierjährige Posten“ — ein bescheidenes kleines Ding, auf das trotzdem ein Halbdutzend Componisten sich gierig gestürzt hat. Darunter außer Schubert Hiero nymus Truhn in Berlin, Jacob Schmölzer in Graz, Karl Reinecke in Leipzig. Das andere Libretto hieß „Die Verschworenen“; bei diesem Worte zitterte die Censur und verwandelte es in „Häuslicher Krieg“. Castelli hatte es in einem Mode-Almanach veröffentlicht mit der lakonischen

Mahnung an die Componisten: „Ihr klagt immer über den Mangel an heiteren Operntexten; da habt ihr einen!“ Schubert componirte das Libretto und — legte die Partitur zu den übrigen. Herbeck, der glückliche Entdecker, brachte den „Häuslichen Krieg“ im Jahre 1860 zuerst in Concertform zur Aufführung. In diesem Concert kam ich neben den alten Castelli zu sitzen, der von seiner Ueberraschung sich nicht erholen konnte. Er hatte erst jetzt von dieser Composition seines Operntextes er fahren — zweiunddreißig Jahre nach Schubert’s Tod! Schubert hatte ihn stillschweigend mit in die Unsterblichkeit eingekauft. Zum Reclamehelden war er jedenfalls verdorben. Ein Jahr später, am 19. October 1861, folgte unter Dessoff’s Leitung die erste scenische Aufführung der „Ver schworenen“ im Kärntnerthor-Theater. Eine genügende, doch keineswegs glänzende Vorstellung. Den Hauptrollen Lud milla, Helena, Astolf fehlten reizvolle, frische Stim men; Jugend und Talent vereinigten sich damals in Walter (Udolin), Mayerhofer (Graf Herbert) und Friederike Fischer (Isella). Die Oper er hielt sich ziemlich lang auf dem Repertoire und in der Zuneigung des Publicums. Da fiel es in den Siebziger- Jahren einem späteren Director ein, sie in einem neuen Gewand vorzuführen. Schubert’s „Verschworene“, waren 1868 unter dem Titel „La croisade des dames“ in Paris in dem kleinen Theater „des Fantaisies Parisiennes“ mit französischem Text von V. Wilder erschienen. Eine willkür liche und geschmacklose Verarbeitung, welche für Wien über setzt und vom Hofoperntheater adoptirt wurde. Während man gewöhnlich den allzu redseligen Dialog in älteren Opern kürzt, zum Vortheil der deutschen Sänger und des Werkes selbst, geschah hier plötzlich das Gegentheil: ein lästiger Haufen gesprochener Prosa ward hineingeschoben. Ueberdies hatte der französische Bearbeiter eine auf unsinnigen Vor aussetzungen basirte höchst unverständliche Intrigue hinzugedichtet. Für unsere Leser, von denen die wenigsten sich jener Bearbeitung erinnern dürften, möchte ich ein einziges kleines Beispiel citiren. In Schubert’s Oper kommen zwei Tenorpartien vor: der vom Kreuzzug heimkehrende Ritter Astolf und sein Knappe Udolin. Ersterer repräsentirt die ideale und sentimentale

Seite, Letzterer sorgt für den Spaß und hat natürlich eine Liebschaft mit dem Kammermädchen. Um nun mit Einem Tenoristen auszulangen, verschmolz der französische Bearbeiter die beiden Rollen Astolf’s und Udolin’s und ließ diesen auch die Partie des Ersteren singen. Während also bei Schubert Ritter Astolf mit seiner langvermißten jungen Frau Helene ein jubelndes Liebesduett anstimmt, singt in der Pariser Be arbeitung Helene dieses Liebesduett statt mit dem Gatten mit — seinem Reitknecht! Eine Barbarei, auch in Paris; in Wien, der Vaterstadt Schubert’s, ein ästhetisches Ver brechen. Den Ideen des französischen Arrangeurs zu folgen, statt denen Schubert’s, hieß in der That, wie Helene, den Bedienten für den Herrn nehmen. Der Director einer tenor armen Provinzbühne soll nach diesem Muster überlegt haben, ob sich das große Duett in „Fidelio“ nicht so arrangiren ließe, daß Leonore es statt mit Florestan mit Jacquino singt, der ihr eiligst die Freudenbotschaft überbringt, ihr Gatte sei amnestirt.

Die Pariser Verunstaltung erhielt sich in Wien einige Jahre, bis man ihr endlich den verdienten Abschied gab und reuig zu dem Original zurückkehrte. Seither hat der „Häus liche Krieg“ wieder volle sechzehn Jahre geruht. Die Wogen des Schubert-Jubiläums treiben jetzt das versunkene Kleinod wieder an die Oberfläche. Selbstverständlich in seiner ur sprünglichen echten Fassung. Nur den Knappen Udolin sehen wir zum erstenmale einer Sängerin zugetheilt, ob mit Recht oder Unrecht, bleibt insoferne streitig, als Schubert in dem Ein gangsduett mit Isella den Udolin (ganz sach- und stimmgemäß) dem Tenor zugetheilt hat, im späteren Verlaufe hingegen einer Sopranstimme. Ueber die Oper selbst haben wir nichts Neues zu sagen; wer kennt und liebt sie nicht? Sie gleicht einem Garten voll Blumenduft und Sonnenschein. Ritter licher Muth, zärtliche Hingebung, verliebte Neckerei, schalk hafter Humor — das Alles lebt und sprudelt in dieser Musik, die in ihrer naiven Genialität und Herzlichkeit stärker und nachhaltiger wirkt, als manches Musikdrama jüngster Zeit. Dieser bescheidene Einakter ist als Kunstwerk reiner und dauerhafter, auf der Bühne effectvoller, als Schubert’s große, heroische Opern, welche trotz köstlicher Einzelheiten uns doch unbefriedigt, ermüdet entlassen und zu erneuerten Aufführungen kaum einladen. „Alfons und Estrella“ sowie

Fierrabras“ leiden an der Armseligkeit ihrer Textbücher und ihrem überquellenden Reichthum liedmäßiger Lyrik. Die „Ver schworenen“ hingegen bleiben uns ein Muster heiteren Opern styls; geistreich, gemüthvoll, nirgends zur Posse herabsinkend und nirgends hinaufstrebend zu dem Pathos der großen Oper. In der großen Wüste, welche in der Geschichte der deutschen komischen Oper den Zwischenraum zwischen Mozart und Lortzing bezeichnet, ist Schubert’s „Häuslicher Kriegso ziemlich die einzige Blume, die heute noch glänzt und duftet.

Die Aufführung ging unter Director Fuchs sorg fältiger Leitung vortrefflich von statten und gab insbesondere den Damen Renard, Sedlmair, Forster, den Herren Ritter und Dippel Gelegenheit, sich auszuzeichnen. In der Ausschmückung und Auffrischung der „Verschworenenhätte man, dem Jubiläum zu Ehren, wol ein Uebriges thun können. Vor Jahren hat schon L. Speidel vorgeschlagen, es möchte die reizende Balletmusik aus Schubert’s „Rosa munde“, die zum ewigen Stillschweigen in der Partitur verdammt ist, in die „Verschworenen“ hinüber gerettet und zum Ergötzen für Aug’ und Ohr vor den Schlußchor ein gelegt werden. Aber die vis inertiae der Operndirectoren ist jederzeit stärker als alle Stimmen der Kritik.

Das einactige Singspiel „Der vierjährige Posten“, ein Jugendwerk des 18jährigen Schubert, zählt jetzt 82 Jahre. In diesem hochrespectablen Alter hat das Werk heute seine allererste Aufführung erlebt. Dem Text buch von Theodor Körner liegt eine hübsche Idee zu Grunde. In einem Moment kriegerischen Gedränges hat man einen Posten abzulösen vergessen. Duval, so heißt der junge Soldat, vermag nach dem eiligen Abmarsch seines Regiments dasselbe nicht mehr einzuholen; er bleibt in dem Dorfe, heiratet die Tochter des Schulzen und wird Landmann. Nach vier Jahren kommt sein Regiment wieder in dasselbe Dorf, der Hauptmann erinnert sich Duval’s und will ihn als Deserteur kriegsrechtlich erschießen lassen. Duval aber marschirt in Uniform, Hahn im Arm, auf seinem alten Posten auf und ab und behauptet, seit vier Jahren da auf seine Ablösung zu warten. Ein gutes Glück führt den General herbei, welcher Duval pardonnirt und ihn seiner Familie zurückgibt. Das Stück, ganz in Versen geschrieben,

sollte nach des Dichters Absicht vollständig durchcomponirt werden, nach Art eines Finales. Damit schien Schubert nicht einverstanden; er componirte nur fünf Gesangstücke lyrischen Inhalts und ließ die den dramatischen Fort gang vermittelnden Scenen durchaus sprechen. In dieser Originalgestalt macht Schubert’s Werk doch eine gar zu dürftige Figur. Der bescheidene Umfang des „Vierjähri gen Postens“, dessen kurze Musikstücke sich überdies be eilen, gesprochenen Scenen Platz zu machen, mußten einen Erfolg bei unserem heutigen Publicum zweifelhaft erscheinen lassen. Dennoch empfahl sich gerade zur Jubiläumsfeier die Wahl eines noch unbekannten Singspiels, das zwei gefeierte Namen vereinigt: Theodor Körner und Franz Schubert. Ueber die unerläßlichen Mittel zu diesem Zweck durfte man freilich nicht allzu engherzig denken; eine Art Be arbeitung erschien unvermeidlich. Herr Dr. Hirschfeld hat sie mit Einsicht und Bescheidenheit ausgeführt. Ohne an Schubert’s Tonsatz oder Instrumentirung zu rühren, gab er dem Ganzen mehr Fülle und Bewegung durch Einschaltung eines Winzerchors aus dem Schubertschen Singspiel „Die beiden Freunde von Salamancaund eines scherzhaften Frauenchors aus dem Fragment Die Spiegelritter“. Bedenklicher mochte es auf den ersten Blick erscheinen, daß der Bearbeiter die große Arie Käthchen’s in Es-dur gänzlich cassirt und durch eine Arie der Oliva aus den „Freunden von Salamanca“ ersetzt hat. Wer aber die beiden Gesangstücke unbefangen prüft, wird zugeben, daß Schubert’s Singspiel an der schwierigen und vom Styl des Ganzen etwas abirrenden Original-Arie wenig verloren, hingegen an dem Ersatzstück ansehnlich ge wonnen hat. In letzterem herrscht ein satteres Colorit und eine romantische Stimmung, die in den chroma tischen Harmonien der Einleitung schon leise an Spohr anklingt. Eine selbstständige Aufgabe ward dem Bearbeiter durch die Verwandlung des Prosa dialogs in Recitative, vollends in der langen, dramatisch bewegten Scene vor dem ganz kurzen Schlußchor. Hier fand Dr. Hirschfeld einen äußerst glücklichen Ausweg, indem er einen ganzen wesentlichen Theil der Ouvertüre unverändert als Fundament ins Orchester legte, über welchem sich zwanglos die Verse Körner’s im Recitativ bewegen. Ich

glaube, Schubert selbst dürfte zu diesem Einfall Bravo rufen. Daß er ihn nicht selber ausführte, lag theils im Zeitgeschmack, noch mehr vielleicht an der unglaublichen Schnelligkeit, mit welcher Schubert das ganze Singspiel niederschrieb. Er, der das einactige Singspiel „Fernandoin sechs Tagen fix und fertig componirt hat, wird zu dem „Vierjährigen Posten“ schwerlich mehr als zwölf ge braucht haben.

Schubert’s „Vierjähriger Posten“ hat im Hofopern theater einen freundlichen Eindruck gemacht. Dem klein bürgerlichen Stoff und Costüm gemäß ist die Musik durchaus knapp und einfach gehalten; den romantischen Duft, den chevaleresken Glanz, welcher den „Häuslichen Krieg“ so warm vergoldet, darf man hier nicht suchen. „Der vierjährige Posten“, Schubert’s erster Bühnenversuch, ist neun Jahre vor dem „Häuslichen Krieg“ geschrieben, und neun Jahre bedeuten für Schubert einen langen Zeit raum. In ihrer melodiösen und harmonischen Einfach heit mahnt diese Musik vielfach an die damals flori renden Wiener Operncomponisten Weigl und Gyrowetz und durch diese hindurch auf ihre französischen Vor bilder in der Opéra Comique: Monsigny, Philidor, Dalayrac. Nur einzelne anmuthige Wendungen und kräftige Modulationen verkünden den späteren reifen Schubert. Was dem kleinen Singspiel an erregender Kraft abgeht, das that die Feststimmung des Publicums hinzu, die starke Strömung, welche jetzt alles Schubert’sche stürmisch in die Höhe hebt. Fräulein Abendroth und Herr Dippel waren wie in den „Verschworenen“ so auch hier das blonde Liebespaar und widmeten ihren wenig dankbaren Rollen den löblichsten Eifer. Die kleineren Partien des Capitäns und des Schulzen werden von den Herren Schittenhelm und Hesch gut dargestellt; sogar der gnadenspendende milde General, der aussah wie ein blutdürstiger Tiger, schien die heitere Stimmung des Publicums eher zu verstärken als zu stören. So hat der Erfolg des „Vierjährigen Postens“ sich heute so günstig, als man nur wünschen konnte, gestaltet. Trotzdem glaube ich, daß dieser Schubert’sche Posten viel früher als erst in vier Jahren am Hofopern theater abgelöst werden wird.