Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11704. Wien, Dienstag, den 23. März 1897 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11704. Wien, Dienstag, den 23. März 1897 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 23.03.1897
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Concerte. (Philharmonisches Concert.)

„Oh Zarathustra! Klatsche doch nicht so fürchterlich mit deiner Peitsche! Du weißt ja: Lärm mordet die Gedanken!“ (F. Nietzsche: „Also sprach Zarathustra.“ III. Anderes Tanzlied.)

Ed. H. So kennen wir denn endlich Richard Strauß vielbesprochene Symphonie mit dem großartigen Titel: Also sprach Zarathustra!“ Sie stolzirte im Phil harmonischen Concert zwischen Weber’s Euryanthe-Ouvertüre und der C-moll-Symphonie von Beethoven, zwei ganz un philosophischen naiven Tondichtungen, die sich gewiß nicht wenig geehrt fühlten. Richard Strauß nennt seine Com position „Frei nach Nietzsche“. Merkwürdig, daß er ihr nicht auch den zweiten Titel von Nietzsche’s Buch umhängte; „Eine Symphonie für Alle und für Keinen“, das hätte so schön geklungen. Was soll uns, so fragen wir, diese Sensa tionsmacherei, welche das Interesse für ein reines In strumentalwerk von einem der Musik ganz fremden, ja un musikalischen Stoff herüber nöthigt? Mit Liszt’s sym phonischen Dichtungen begann die modernste Tendenz, Inhalt und Bedeutung einer Symphonie von der Litteratur zu erbetteln und durch dieses abgedrungene Almosen den Mangel an eigenem musikalischen Bargeld zu ersetzen. Aber die einfachen Liszt’schen Ueberschriften: Tasso, Faust, Dante, Orpheus konnten doch bei den Hörern das noth wendigste Verständniß ihrer musikalischen Wechselbeziehungen voraussetzen. Das scheint Herrn R. Strauß offenbar zu einfach. Unsere Dichter umzucomponiren, wie altmodisch! Er greift also zu den Philosophen. Hat Richard I. angeblich in seinen NibelungenSchopenhauer’sche Ideen verkörpert, so muß Richard II. einen Schritt weiter gehen und Nietzsche componiren. Gewiß kann Strauß nicht voraussetzen, daß das Concertpublicum, dem er doch sein Werk darbringt, in Nietzsche’s schwer verständlichem Buche bewandert und über den räthselhaften „Zarathustra“ informirt sei. Die griechische Form „Zoroaster“ ist uns schon geläufiger und vollends sein zum „Sarastro“ verkürztes Opernabbild. Aber die Specu lation auf das Unverstandene, Mystisch-Symbolische findet mei stens ihre Rechnung, und wenn man sich heute so gern vor einem

Bilde, einem Drama den Kopf zerbricht, was dasselbe bedeute — warum sollte der moderne Musiker hinter dem Dichter und dem Maler zurückbleiben? Die Tausende von Aphorismen, die Nietzsche in seinen vier Büchern „Zarathustra“, aneinanderreiht, enthalten geniale, glänzende Gedanken, aber ebensoviele abstruse, erkünstelte Einfälle und abstoßende Sophismen. Wer nach der Lectüre dieses Buches, ja auch nur des Gedichtes: „Die Wüste wächst, weh’ dem, der Wüsten birgt“ (im vierten Theile) ernstlich behaupten kann, Nietzsche sei damals noch vollkommen bei Verstand gewesen, dem ist nicht zu helfen. Und die Kenntniß dieses Buches will R. Strauß bei seinem Concertpublicum voraussetzen? Ja noch mehr; ihm ist Nietzsche offenbar noch nicht ge heimnißvoll genug. Er erklärt in einem Manifest, er habe als Componist noch Verschiedenes in Nietzsche’s Zarathustra „hineingeheimnißt“. Fast möchte man hinter dem Compo nisten der Zarathustra-Symphonie einen Schalk vermuthen, der sich mit seinem Publicum einen Spaß macht.

Was der Stifter des altpersischen Religionssystems Zarathustra (das ist Goldstern) im sechsten Jahrhundert vor Christus gelehrt hat, ward bekanntlich in der Bibel des Ormuzd-Glaubens, der Zend-Avesta (d. h. Wort des Lebens), gesammelt. Was das Buch für „Keinen und für Alle“ in charakteristisch maskirter, salbungsvoller Rede vor trägt, ist natürlich echtester Nietzsche. In hundert glitzernden Variationen preist er sein philosophisches Ideal: den zu züchtenden Uebermenschen der Zukunft, welcher die Herrenmoral im Gegensatze zur Sklavenmoral der großen Menge zu verkörpern hat. „Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Einst ward ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe als irgend ein Affe.“ Ist der Cynismus Nietzsche’s, wie er sich in der Verachtung der Menschheit, der Moral, der Ehe ausspricht — „auch das Concubinat ist corrumpirt worden durch die Ehe!“ — wirklich ein Ideal für den Musiker, eine Aufgabe für die reinste, stoffloseste aller Künste? Bereits beginnt sich um die Fahne Nietzsche’s eine Art philosophische Heilsarmee oder Unheilsarmee zu schaaren. Er und Ibsen sind die Leitsterne unserer jungen Literaten. Daß Nietzsche auch musikalisch interpretirt werden müsse, ist erst dem Componisten des „Eulenspiegel“, R. Strauß, eingefallen. Ein kühnes Project! Aber Strauß scheint glücklicherweise

mit den Lehren Nietzsche’s auch dessen starkes Selbstbewußt sein eingesogen zu haben. Mein Ehrgeiz, sagt Nietzsche, ist: in zehn Sätzen zu sagen, was jeder Andere in einem Buche sagt oder auch nicht sagt. Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben, das sie besitzt, meinen „Zarathustra“. R. Strauß möchte auch in zehn Tacten sagen, was Andere in einer ganzen Symphonie; und wünscht ohne Zweifel der Mensch heit in seinem „Zarathustra“, das größte symphonische Ge dicht zu geben, das sie besitzt. Eines der längsten gewiß; es dauert in Einem Zuge volle 33 Minuten; 33 bösartig lange Minuten.

Strauß hat einzelne Abschnitte seiner Composition mit Capitel-Ueberschriften aus Nietzsche’s „Zarathustra“ ver sehen, z. B.: „Von den Hinterweltlern“, „Von der großen Sehnsucht“, „Von den Freuden und Leidenschaften“, „Von der Wissenschaft“ u. s. w. Nach einer kurzen feierlichen Einleitung tritt Zarathustra zu den „Hinterweltlern“ — das sind diejenigen, welche jenseits dieser Welt einen neuen Willen suchen und den alten Wahn von sich werfen — vier Trompeten blasen das Leitmotiv des Ganzen: c g c; Aus einem Orgelsatz mit durchaus getheilten Geigen — die Violoncellos an sechs Pulten vertheilt — ringt sich das 2. Thema in H-moll heraus; es schildert den „Sehnsuchtsdrang“. Die Religion als Hoff nungsanker der gequälten Menschheit wird durch das Gregorianische Credo eingeführt, das bekanntlich Bach in die H-moll-Messe aufgenommen hat. Das der „Andacht“ gewidmete Andante in As-dur ist weitaus der reinste, stimmungsvollste und klangschönste Satz des ganzen Werkes. Eine Episode „von der großen Sehnsucht“ führt direct zu den „Freuden und Leidenschaften“; ein aufjubelndes Allegro, über welches die Glissandos zweier Harfen einen wilden Glanz breiten. Der Prophet wendet sich hierauf zur „Wissenschaft“; sie wird durch eine rhythmisch lahme, miß klingende fünfstimmige Fuge recht abschreckend repräsen tirt. Auf die Wissenschaft folgt die „Genesung“ und als ihr Wahrzeichen das „heilige Lachen“, ein zweimal von der Trompete intonirtes komisches Kikeriki! In die Gefilde ewiger Lust versetzt uns ein recht ärmlicher Walzer, welchen das Leitmotiv C G C in allen Formen und Farben um flattert. Was diesem „Tanzlied“ vorhergeht, ist ein vom „Motiv der Verachtung“ beherrschtes langes, wahrhaft

scheußliches Geheul. Nachdem im Tanzlied Triangel und kleine Glöckchen ihr Wesen getrieben, führt sich das „Nacht wandlerlied“ mit einer tiefen, in E gestimmten Glocke ein, die Mitternacht schlägt. Hierauf der merkwürdige Schluß: die Violinen und die Bläser halten hoch oben den H-dur- Accord fest, während dazu in der Tiefe die Contrabässe ihr leises C G C pizzikiren! Dieses Zugleichklingen von H-dur und C-dur soll, den officiellen Auslegern zufolge, „das un gelöste Welträthsel“ bedeuten. „Welch triviale Idee, so geistreich zu sein!“ sagen wir mit dem Kritiker in Harden’s Zukunft“.

Wer die Strauß’sche Symphonie unbefangen anhört, ohne sich um das detaillirte Programm zu kümmern, der wird gewiß keinen Zusammenhang mit Nietzsche’s „Zara thustra“ darin entdecken. Die wunderliche, über einem Orchesterstück ganz sinnlose Aufschrift ist in der That nur ein Mittel, sich interessant zu machen, der Musik eine Bedeutung anzutäuschen, die nicht in ihr selbst liegt. Die Composition, ungemein schwach und gequält als musikalische Erfindung, ist eigentlich nur ein raffinirtes Orchester kunststück, ein klingender Farbenrausch. Als geistreiche Com bination neuer, origineller, aber auch abenteuerlicher und beleidigender Klangeffecte ist das Stück gewiß interessant und unterhaltend. Aber diese fabelhafte Orchestertechnik war nach meiner Empfindung dem Componisten weniger ein Mittel, als vielmehr Zweck und Hauptsache. Die instru mentale Armee, welche R. Strauß zu diesem philosophischen Feldzug aufgeboten hat, steht auf einem bisher ungeahnten Kriegsfuß. 16 erste Violinen, 16 zweite, 12 Bratschen, 12 Violoncelle, 8 Contrabässe, 2 große Flöten, 2 kleine Flöten, 1 Englischhorn, 3 Oboën, 3 Clarinetten, Baßclarinette, 3 Fagotte, 1 Contrafagott, 6 Hörner, 4 Trompeten, 3 Posaunen, 2 Tuben, 2 Harfen, Pauken, große Trommel, Becken, Orgel, Triangel, Glockenspiel, 1 große Glocke (am Schluß).

R. Strauß wird damit gewiß noch weitere ungeahnte strategische Combinationen vornehmen, und da seine Compo sitionen nicht Musik von der Quelle sind, sondern compri mirte Literatur, so liegt noch ein reiches Feld zur Auswahl vor ihm. Ich meine die übrigen Werke Nietzsche’s, der ja ein Virtuose in pikanten, gewaltsam geistreichen Büchertiteln war. Bei dem Aufsehen, das die Zarathustra-Symphonie

überall erregt, und bei der modernen Tendenz, sich an Musik nicht zu erfreuen, sondern den Kopf zu zerbrechen, dürften R. Strauß’ nächste Symphonien frei nach Nietzsche heißen: „Götzendämmerung“, „Menschliches, Allzumensch liches“ und „Wie man mit dem Hammer philosophirt“. Warum auch sollte er, der Allermodernste, der Neugierde des modernen Publicums nicht entgegenkommen? „Mit Bucklichen darf man schon bucklich reden,“ lehrt Nietzsche- Zarathustra in dem Capitel „Erlösung“.

In einer geistvollen, gediegenen Schrift behandelt L. Stein (Professor der Philosophie in Bern) „Friedrich Nietzsche’s Weltanschauung und ihre Gefahren“. Die Ge fahren für das Denken, die Sittlichkeit, die Wohlfahrt der Menschen. Seit Richard Strauß kann man auch von ihren Gefahren für die Tonkunst sprechen. Diese selbst, als nach ewigen Gesetzen sich entwickelnde Idee, hat freilich von ein zelnen Umsturzversuchen nichts zu fürchten; sie wirft, früher oder später, Unmusikalisches, Widermusikalisches aus, wie das Meer die Leichen. Aber für die jungen Componisten, die von Strauß’ raschen Erfolgen geblendet sind, besteht die Gefahr unleugbar. Mit etwas Talent, Studium und Ehr geiz lassen sich ihm feine Klangkunststücke ablernen, und zu reichlicher Auswahl stehen noch Dichter wie Philosophen da, die sich zu symphonischen Lebensbildern umtödten lassen. Brahms und Dvořak werden weniger Nachahmer finden; dazu gehören Mittel.

Die Aufführung der Strauß’schen Novität war ein Heldenstück unserer von Hanns Richter commandirten tapferen Philharmoniker. Tumultuarisch raste der endlose Applaus, schließlich von beherzten Zischlauten gemildert. Uebrigens schien mir der Beifall mehr noch dem Orchester zu gelten als dem Componisten; denn ich kann mir kaum denken, daß unser Publicum wirklich Genuß und Begeisterung aus diesem wüsten Hexenkessel geschöpft habe. Jedenfalls hat Beethoven’s C-moll-Symphonie, die zu ihren übermächtigen Wirkungen nicht einmal Posaunen braucht, durch die prätentiöse Nachbarschaft nicht gelitten. Es wurde ihr noch stärker zugejubelt. Kraft und Schönheit des Gedankens sind doch mächtiger als das kostbarste Gewand, und der echte Dichter siegt schließlich über die verwegensten Künste des Regisseurs und Decorations-Malers.