Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11797. Wien, Sonntag, den 27. Juni 1897 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11797. Wien, Sonntag, den 27. Juni 1897 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 27.06.1897
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Johannes Brahms. (Erinnerungen und Briefe.) I.

Ed. H. Wiederholt mahnen mich Freunde und Ver ehrer unseres theuren Meisters, ich möchte eine Auswahl seiner Briefe dem allgemeinen Interesse und dem liebevollen Antheil Näherstehender nicht vorenthalten. Dabei wird gerne auf die Sammlung der Billroth-Briefe hingewiesen, deren nicht blos für seine Freunde unschätzbare Bedeutung sich auch äußerlich in dem außerordentlichen Erfolge einer dritten Auflage kundgegeben hat. Die darin veröffentlichten Brief Billroth’s an Brahms mußten das Verlangen nach den Antworten des Letzteren noch steigern. Leider steht die Partie nicht gleich auf beiden Seiten. In herzlicher Freundschaft und gegenseitiger Hochschätzung einig, waren die beiden Männer doch in vielen Dingen grundverschieden, darunter speciell in ihrer Correspondenz. Billroth’s offenem, mit theilsamem Wesen war das Briefschreiben ein Bedürfniß, für Brahms war es eine Last. Wenn Billroth nach einem arbeitsvollen oder gesellig bewegten Tage spät Abends nach Hause kam, zündete er seine Lampe an und schrieb bis nach Mitternacht vertrauliche, oft recht umfangreiche Briefe über die Eindrücke, die ihm das eben gehörte Concert oder Theaterstück, das neueste Buch oder die neueste Bekannt schaft zurückgelassen. So schien er das Genossene noch ein mal zu genießen, und wie die Freude, so theilte er mit uns auch willig das Leid. Ganz anders Brahms. Oft, wenn ich eintretend ihn am Schreibtisch fand, schlug er mit einem kräftigen Seufzer oder launigen Fluch auf ein Häuflein Briefe: Das Alles soll ich beantworten! Mitunter war das verwünschte Häuflein recht bedrohlich angeschwollen: Geschäfts briefe von Verlegern, Concert-Directoren, Festcomités, dazwischen Einladungen von Wiener Freunden und Be

kannten, Huldigungen und Autographenbettel von Auswär tigen. Das Alles that Brahms so kurz als möglich ab; die Kunst stark comprimirten Antwortens hatte er zur Virtuosität ausgebildet. Wo es nicht geradezu gegen die Etikette verstieß, benützte er Correspondenz-Karten, deren Format ihm jede Möglichkeit ausführlicher Darstellung liebevoll abschnitt. Er schrieb sehr schnell und benützte, um nicht durch eine harte Stahlfeder in diesem Eilzug aufgehalten zu werden, stets Gänsekiele. Ort und Datum fehlen fast auf allen seinen Briefen; als Unterschrift genügte ihm die Abkürzung J. Br. Seine Abneigung, den vollen Namen zu unter zeichnen, wuchs noch mit der Besorgniß, es könnten seine Briefe von Autographensammlern gekapert und verkauft werden. Brahms hatte eine üble Erfahrung gemacht. In einem Berliner Auctions-Katalog stand unter anderen zum Verkauf ausgebotenen Autographen auch ein „Ausführlicher Brief von Johannes Brahms an seinen Vater“. Ganz erschrocken, seine intimsten Familienverhältnisse und kind lichen Herzensäußerungen fremder Neugier ausgeliefert zu sehen, schrieb er sofort an die betreffende Buchhandlung; aber ein Freund war ihm bereits zuvorgekommen, hatte den Brief für Brahms erworben und ihm zugeschickt. Seit dem verhielt sich dieser in seinen Briefen noch vorsichtiger und knapper. Vertrauliche Mittheilungen über seine persön lichen Verhältnisse, insbesondere aus der Jugendzeit vermied er auch im mündlichen Verkehr, noch strenger im schrift lichen. Urtheile über moderne musikalische Richtungen oder lebende Componisten wird man in Brahms’ Briefen höchst selten und nur andeutungsweise finden, also gerade das, was uns am interessantesten wäre. Daß Autographenjäger ihn mit jedem Jahr lästiger heimsuchten, läßt sich denken. Brahms erledigte auch dieses Geschäft „alla breve“: fünf Notenlinien keck und ungleich hingeworfen, darauf ein Motiv von zwei, höchstens drei Tacten und die Unterschrift. Punctum.

Einmal jedoch handelte es sich um ein über dieses be queme Modell weit hinausreichendes Autograph; einen für den Druck bestimmten förmlichen Brief. Die Musikschrift stellerin La Mara (Fräulein Marie Lipsius in Leipzig), der wir zahlreiche interessante Publicationen verdanken, er suchte Brahms um die Erlaubniß, einige in ihren Besitz gelangte Briefe von ihm in ihrem Band „Künstlerbriefe“ ab

drucken zu dürfen. Das artige Ersuchschreiben der von ihm persönlich geschätzten Dame schien ihn lebhaft zu beunruhigen, wie nachfolgender an mich gerichteter Brief vom Mai 1885 verräth:

„Liebster Freund! Inliegende zwei Briefe machen dir die Situation klar. Unpraktisch wie stets, habe ich neulich deine Karte nicht abgewartet, sondern dem Dr. Fellinger, der mich besuchte, einen Brief an dich und den offenen an die Lipsius mitgegeben — mit der Ordre, letzteren auf die Post zu geben, wenn er dich in Wien nicht anträfe! Frau Fellinger aber hat den Brief copirt. So kann ich ihn dir nachträglich schicken und meine Bitte anbringen. Lies ihn doch und sage mir, ob er an sich eine Dummheit ist oder ob er deren enthält. Ich traue mir alles Mögliche darin zu — ich würde ja aber auch gerne das Maul halten! Recht wohl kann ich nachträglich noch einen andern schreiben, oder in diesem ändern, also: ich bitte um ein Wort!

Grüße Simrock schönstens, und ich schreibe ihm wol gestern oder morgen! Aber der Teufel, wenn man mit Briefen von und an Fräulein Lipsius so geplagt wird, da geht doch gewiß die ohnehin geringe Lust am Briefschreiben zum Kukuk.

Und so verzeih’ auch du die verdrießlichen Buchstaben — aber mich ärgert die Geschichte. Sei von Herzen gegrüßt und lebe so gut, vergnügt und froh, wie du es verdienst. Herzlichst dein J. Brahms.“

Zum besseren Verständniß erlaube ich mir, BrahmsBrief an Fräulein Lipsius aus den von ihr herausgegebenen Künstlerbriefen“ hier folgen zu lassen:

Wien, 27. Mai 1885. Sehr geehrtes Fräulein! Allerdings habe ich den Muth, Sie zu bitten, die frag lichen Briefe ungedruckt zu lassen. Ich weiß und bekenne, daß ich niemals anders als unlustig, eilig und flüchtig schreibe, aber ich schäme mich, wenn mir ein Beispiel vor Augen kommt, wie das Ihre. Es gehört eine Art Muth dazu, einem unbekannten, gebildeten und wohlwollenden Manne so nachlässig zu schreiben, wie ich in diesem Falle. Zugegeben aber, daß solche Briefe gedruckt werden, aus drücklich Ja dazu sagen — das wäre etwas Anderes als Muth! Wenn Sie mir erlauben, an dieser Stelle aus drücklich zu sagen, daß mir Niemand einen schlechteren Ge

fallen thun kann, als wenn er Briefe von mir drucken läßt — so will ich gern mit diesem selbst eine Ausnahme machen. Sie können ihn auch um so leichter in Ihr Buch aufnehmen, als Ihre Leser durch ihn erfahren, daß nicht Sie, sondern ich mich gehütet habe, aus der beabsichtigten Aufnahme meiner Briefe einen Schluß zu ziehen auf den sonstigen Inhalt und Werth Ihres Buches.

Es gibt, wie ich nicht blos aus „Schiller und Goethe“, sondern auch aus angenehmster persönlicher Erfahrung weiß, genug Menschen, die gern und gute Briefe schreiben. Aber es gibt eben auch von meiner Sorte, und deren Briefe sollte man, wenn die Schreiber es sonst verdienen, nach sichtig und vorsichtig lesen und deuten. Ich bewahre mir z. B. gern einen Brief von Beethoven als Reliquie; ent setzen aber muß ich mich, wenn ich bedenke, was so ein Brief Alles bedeuten und erklären soll!

Aehnlich geht es mir mit den nachgelassenen Werken eines Musikers. Wie eifrig bin ich allezeit solchen Spuren nachgegangen, habe sie studirt und vielfach copirt. Wie theuer waren mir z. B. bei Haydn und Franz Schubert diese ungezählten, überschüssigen Beweise ihres Fleißes und Genies. Immer hatte ich den Wunsch, man möchte so werth volle und lehrreiche Schätze für größere Bibliotheken copiren, damit sie den sich ernstlich dafür Interessirenden zugänglich seien. Ich will nicht ausführen, mit welch anderen Empfin dungen ich die geliebten Schätze dann gedruckt sehe — oder selbst noch dafür sorge, daß dies wenigstens ordentlich ge schehe! Mißverstanden, mißgedeutet wird hier wie dort ganz unglaublich, und ob solche Veröffentlichung nöthig, gut oder überflüssig und gar schädlich ist — weiß ich nicht!

Auf die Gefahr hin, daß Sie den Anfang dieser Epistel für eitel Heuchelei halten, zeichne ich Ihr hoch achtungsvoll ergebener J. Brahms.“

Wie charakteristisch, wie inhaltreich bei aller Kürze ist dieser Brief. Er beweist, daß Brahms nur die Lust, nicht das Talent zu schreiben abging. Wo er sich einmal genöthigt sah, statt seiner geliebten Correspondenzkarte einen sauberen Briefbogen hervorzuholen und einige Sorgfalt an Styl und Ausdruck zu wenden, da konnte er meisterhaft schreiben — klar, kernig, um kein scharf bezeichnendes Wort verlegen. Weil ihm nun einmal die Gedanken dazu da waren, sie zu

verschweigen oder in Tönen zu äußern, so mißtraute er seiner Fähigkeit, sie in fester literarischer Form auszuprägen. Und doch galt es bald, für einen hohen Orden, bald für die Aufnahme in eine Akademie schriftlichen Dank abzu statten — nichts Unangenehmeres für Brahms! Er pflegte mir in solchen Fällen brummend sein Concept zur Durchsicht zu bringen. Ich mochte nicht blos kein Wort ändern, son dern mußte manchen Satz ob seines präcisen Ausdruckes und seiner plastischen Form bewundern. Und immer fand Brahms instinctiv den rechten Ton zwischen allzu demüthiger Bescheidenheit und stolzem Selbstbewußtsein. Einmal wollte er die verdrießliche Aufgabe sich wenigstens durch einen Spaß versüßen. Er trat mit ganz ungewohnter, geheimnißvoll ver gnügter Miene bei mir ein und flüsterte, er habe etwas ganz Neues geschrieben und wolle es mir zeigen — kein Mensch habe es noch gesehen. Nachdem er mich eine Weile in freudigster Erwartung hatte zappeln lassen, zog er behutsam sein Concept eines Dankschreibens (wenn ich nicht irre, für den Maximilians-Orden) hervor und ergötzte sich an meiner Enttäuschung.

Man darf es als einen Verlust beklagen, daß Brahms höchst selten und ungern sich entschloß, musikalische Fragen brieflich zu erörtern. Seine tiefen musikhistorischen und technischen Kenntnisse, verbunden mit so klarem, scharfem Urtheil, hätten da einen Schatz von Belehrung niederlegen können, sei es, daß er über eigene Projecte und Composi tionen oder über fremde das Wort ergriff. Brahms konnte doch in vertraulicher Unterhaltung so fließend und lebhaft musikalische Dinge, insbesondere von actuellem Interesse, besprechen, Angelegenheiten des Musikvereins, Programme unserer großen Concerte u. dgl. Mit der Feder in der Hand wurde er einsylbig. Von seinen eigenen Compositio nen oder Plänen zu sprechen, davon hielt ihn zeitlebens die ihm eigene Schamhaftigkeit zurück. Ebenso empfindlich re agirte seine Bescheidenheit gegen fremdes Lob. Sein Wider streben, an ihn gerichtete schmeichelhafte Briefe aus der Hand zu geben, war schwer zu besiegen. Das Ersuchen der Witwe Hanns v. Bülow’s, ihr einige Briefe ihres Mannes zur Veröffentlichung anzuvertrauen, setzte Brahms in große Unruhe, denn Bülow’s Briefe überströmten von Enthusias mus und Hingebung. Eine abschlägige Antwort konnte

Brahms der Frau Marie v. Bülow trotzdem nicht geben. Er suchte also aus seiner großen Bülow-Correspondenz fünf bis sechs unbedeutende kurze Billette heraus, in denen nur von Concertprogrammen, Wohnungsbestellung und anderen praktischen Vorbereitungen die Rede war, und brachte sie mir. Ich erklärte es für ein Unrecht gegen Bülow, wenn man ihn, diesen glänzenden Virtuosen auch im Brief schreiben, lediglich durch so nichtssagende und uninteressante Zettel in einer gedruckten Sammlung repräsentiren wollte. Brahms dankte mir aufrichtig für mein ungeschminktes Veto und entschloß sich, wenn auch nicht leichten Herzens, ausführlichere und inhaltreichere Briefe Bülow’s an dessen Witwe auszufolgen.

Einige Briefe von bedeutenderem musikalischen Inhalt hat Brahms gelegentlich seiner Bearbeitung deutscher Volks lieder an Professor Spitta in Berlin gerichtet. Zu einem andern ausführlichen und gehaltvollen Schreiben veranlaßte ihn eine Jugend-Composition Beethoven’s, welche er durch mich kennen gelernt hatte: die Trauercantate auf den Tod Kaiser Joseph’s II. und die Cantate auf die Thron besteigung Kaiser Leopold’s II. Beide Compositionen waren nie gedruckt und galten für verschollen. Ein musikalisch gebildeter Kaufmann, Herr Friedmann, hatte die von deutlicher Copistenhand geschriebenen Partituren bei einem Leipziger Antiquar gekauft und mir zur Ansicht mitgetheilt. Im Be griff nach Karlsbad abzureisen, schickte ich die Cantaten, nur flüchtig durchgeblättert, an Brahms, der mir im Mai 1884 darüber nachstehenden Brief schrieb:

„Lieber Freund! Du bist abgereist und hast mir einen Schatz zurückgelassen, ohne ihn selbst noch angesehen zu haben. Da muß ich doch zum Danke ein paar Worte schreiben, damit du erfährst, was ungefähr der Schatz be deutet. Es ist wol ganz zweifellos, daß damit die beiden Cantaten gefunden sind, die Beethoven auf den Tod Joseph II. und die Thronbesteigung Leopold II. in Bonn geschrieben hat. Also zwei größere Werke für Chor und Orchester aus einer Zeit, in die wir bis dahin keine Composition von irgend einer Bedeutung setzen konnten. Wäre nicht das historische Datum (Februar 1790), so würde man jeden falls auf eine spätere Zeit rathen — aber freilich, weil wir eben von jener Zeit nichts wußten: Stände aber kein Name

auf dem Titel, man könnte auf keinen Andern rathen — es ist Alles und durchaus Beethoven! Das schöne edle Pathos, das Großartige in Empfindung und Phantasie, das Gewaltige, auch wol Gewaltsame im Ausdruck, dazu die Stimmführung, die Declamation und in beiden letzteren alle Besonderheiten, die wir bei seinen späteren Werken be trachten und bedenken mögen.

Zunächst interessirt natürlich die Cantate auf Joseph II. Tod. Darauf gibt’s keine „Gelegenheitsmusik!“ Dürften wir den Unvergessenen und Unersetzten heute feiern, wir wären so warm dabei wie damals Beethoven und Jeder. Es ist auch bei Beethoven keine Gelegenheitsmusik, wenn man nur bedenkt, daß der Künstler nie aufhört, künstlerisch zu bilden und sich zu mühen, und daß man dies beim Jüngeren wol eher merkt als beim Meister. Gleich der erste Klagechor ist ganz Er selbst. Du würdest bei keiner Note und keinem Worte zweifeln. Ungemein lebhaft folgt ein Re citativ: „Ein Ungeheuer, sein Name Fanatismus, stieg aus den Tiefen der Hölle ...“ (In einer Arie wird er von Joseph zertreten.) Ich kann nicht helfen, es ist mir eine be sondere Lust, hiebei zurückzudenken an jene Zeit und, was ja die heftigen Worte beweisen, wie alle Welt begriff, was sie an Joseph verloren. Der junge Beethoven aber wußte auch, was er Großes zu sagen hatte, und sagte es laut, wie es sich schickt, gleich in einem kraftvollen Vorspiel. Nun aber erklingt zu den Worten: „Da stiegen die Menschen ans Licht“ etc., der herrliche F-dur-Satz aus dem Finale des Fidelio“. Dort wie hier die rührende, schöne Melodie der Oboë gegeben. (Der Singstimme zwar will sie nicht passen oder nur sehr mühsam.) Wir haben viele Beispiele, wie unsere Meister einen Gedanken das zweitemal und an anderer Stelle benützten. Hier will es mir ganz besonders gefallen. Wie tief muß Beethoven die Melodie in der Cantate (also den Sinn der Worte) empfunden haben — so tief und schön wie später, als er das hohe Lied von der Liebe eines Weibes — und auch einer Befreiung — zu Ende sang. Nach weiterem Recitativ in Arien schließt eine Wiederholung des ersten Chors das Werk ab; aber ich will jetzt nicht weiter beschreiben; die zweite Cantate ohnedies nicht. Inter essirt doch hier auch mehr nur die Musik und alles Einzelne, das Beethoven angeht.

Nun aber, lieber Freund, höre ich dich schon in Gedanken fragen, wann werden die Cantaten aufgeführt und wann gedruckt? Auf Brahms’ Anregung erlebte die „Trauercantate auf den Tod Joseph II.“ ihre erste Aufführung durch die „Gesellschaft der Musikfreunde“ im November 1884. Und da hört meine Freude auf. Das Drucken ist jetzt so sehr Mode geworden, namentlich das Drucken von Sachen, die dies gar nicht beanspruchen. Du kennst meinen alten Lieblingswunsch, man möchte die soge nannten sämmtlichen Werke unserer Meister — der ersten sogar, gewiß aber der zweiten — nicht gar zu sämmtlich drucken, aber, und nun wirklich vollständig, in guten Copien den größeren Bibliotheken einverleiben. Du weißt, wie eifrig ich allezeit suchte, ihre ungedruckten Werke kennen zu lernen. Von manchem geliebtesten Meister aber Alles gedruckt zu besitzen, wünsche ich nicht. Ich kann es auch nicht richtig und gut finden, daß Liebhaber und junge Künstler verführt werden, ihr Zimmer und ihr Gehirn mit allen „Sämmtlichen Werken“ zu überfüllen und ihr Urtheil zu verwirren.

Unserm Haydn ist die Ehre einer Gesammtausgabe noch nicht geworden. Eine wirklich vollständige Ausgabe seiner Werke wäre ja auch so unmöglich wie unpraktisch; vielleicht und wie wünschenswerth dagegen eine abschrift liche Sammlung derselben, und diese für öffentliche Bibliotheken mehrfach copirt. Wie wenig geschieht dagegen für neue Ausgaben von so mancherlei Werken, deren Studium und deren Verbreitung zu wünschen wäre. So namentlich ältere Gesangmusik jeder Art. Du wirst zwar sagen, die werden auch nicht gebraucht — sie sollten es aber und sie werden es ganz ohne Zweifel immer mehr. Hier wären auch Opfer am Platz und würden sich in jeder Beziehung gewiß sicherer lohnen.

Das sind aber weitläufige Themen, ich will dir keine Variationen weiter darüber vorphantasiren; sie gehen auch zu ausschließlich aus Moll, und ich weiß sehr wohl, daß auch welche aus Dur möglich und nöthig sind.

Komme aber doch bald und theile die ganz eigene Empfindung und Lust, mit mir der Einzige auf der Welt zu sein, der diese ersten Thaten eines Helden kennt. Herzlichst dein Johannes Brahms.“