Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11799. Wien, Dienstag, den 29. Juni 1897 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11799. Wien, Dienstag, den 29. Juni 1897 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 29.06.1897
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Johannes Brahms. (Erinnerungen und Briefe.) II.

Ed. H. Siehe Nr. 11797 der „Neuen Freien Presse“ vom 27. Juni. Brahms, dessen Compositionen zum größten und wol auch schönsten Theil in Oesterreich entstanden, hat sich hier keineswegs auf eigenes musikalisches Schaffen be schränkt. Er entfaltete daneben eine vielfache praktische Thätigkeit, welche der Kunst in Oesterreich reichlich zu statten kam. Die fast verschwindend kleinste Rolle darin spielt das Unterrichtgeben. Es ist diejenige Thätigkeit, welche, selbst in bescheidenem Maß geübt, dem Tondichter die Kreise des eigenen musikalischen Denkens am empfindlichsten stört, ihm also qualitativ die unwillkommenste erscheint. Meines Wissens ist die als Concertsängerin und Gesangslehrerin rühmlich bekannte Frau Neuda-Bernstein das ein zige Talent in Wien, das sich rühmen darf, Clavier-Unter richt von Brahms genossen zu haben. An der Förderung musikalischer Ausbildung im weiteren Umfange hat Brahms eifrig mitgewirkt als Directionsrath der „Gesellschaft der Musikfreunde“, welcher es zum unschätzbaren Vortheil ge dieh, eine so große Autorität in ihrer Mitte zu besitzen. Brahms konnte auf die Programme der Gesellschafts concerte wie auch auf die Ernennung von Professoren am Conservatorium und artistischen Directoren gewichtigen Ein fluß nehmen. Eine Stellung als Dirigent hat er in Wien zweimal, wenn auch jedesmal nur für kurze Zeit, bekleidet: an der „Sing-Akademie“ (1863) und den Gesellschafts concerten (1872 bis 1874).

Ein anderes musikalisches Amt, das sich nicht vor dem Publicum, aber im Stillen ernst und einflußreich abspielt, hat Brahms durch mehr als zwanzig Jahre als Mitglied der Commission für Ertheilung von Künstler-Stipendien bekleidet. Das Unterrichtsministerium hatte im Jahre 1863 diese neue Institution ins Leben gerufen: die Zuerkennung von jährlichen Stipendien an mittellose talentvolle Künstler, welche bereits mit selbstständigen Arbeiten hervorgetreten sind. Durch diese Maßregel war in Oesterreich zum ersten mal ein eigenes bleibendes Budget gegründet, welches der

Staat zur Ausbildung und Unterstützung einzelner Künstler bestimmt. Für jede der drei Sectionen (Poesie, bildende Kunst, Musik) waren vom Unterrichtsminister drei Commissionsmitglieder ernannt, welche gemeinschaftlich die eingelangten Gesuche und Kunstwerke zu prüfen und zu beurtheilen hatten. Das Referat über die musikalische Ab theilung wurde mir anvertraut und ruht heute noch, seit 34 Jahren, in meinen Händen. Zuerst waren Esser und Herbeck meine Collegen; für Esser trat später Brahms, für HerbeckGoldmark ein. Leider kam Goldmark durch seinen meist bis in den Winter verlängerten Aufenthalt in Gmunden nur sehr selten in die Lage, an der Prüfung der eingelangten Compositionen theilzunehmen. So wickelte sich das Geschäft fast immer nur zwischen mir und Brahms ab. Ich prüfte zuerst allein die meist sehr zahlreichen Gesuche und Compositionen, schied aus, was davon statutenwidrig oder zweifellos schlecht war, und berieth mit Brahms über den Rest. Lagen nur wenige zu ernster Prüfung einladende Gesuche vor, so kam Brahms zu mir, machte sich’s mit einer Cigarre auf dem Sofa bequem und las die eingesendeten Musikstücke. Ich hatte da reichlich Gelegenheit, den raschen Ueberblick und die Treffsicherheit seines Urtheils zu bewundern. Bei stärkerem Einlaufe von Compositionen, die genauere Prüfung und ein gegenseitiges Abwägen erforderten, schickte ich dieselben mit meinem Vorschlag zu Brahms, von wo ich den ganzen, oft sehr gewichtigen Pack mit Brahmsschriftlichen Bemerkungen zurückerhielt. Diese waren meistens sehr kurz gefaßt — stimmten doch seine Vorschläge fast immer mit meinen Anträgen überein — dennoch scheint mir eine Auswahl dieser lakonischen Gutachten der Mittheilung werth, theils wegen der darin vorkommenden Künstlernamen, theils wegen der charakteristischen Art, wie Brahms seines Amtes als Beurtheiler waltete. So mögen denn sieben solcher Gut achten aus der Zeit von 1875 bis 1895 hier Platz finden.

„September 1875. Lieber Freund! Gewöhnlich sind Sendungen wie deine letzte derartiges Gestrüpp, daß ein vorläufiger freundlicher Wegweiser wie der deine höchst angenehm und nöthig ist, um nur einigermaßen durchzufinden. Diesmal ist’s nun doch nicht so schlimm und wie mir scheint ziemlich einfach.

Dvořak und Reinhold verdienen durch ihre Leistungen durchaus das Zugedachte. Bei Lackner (blind) kommt höchst berechtigte Theilnahme dazu. M—y verdient wol, daß man ihm einstweilen das Stipendium ermöglicht — ich meine, er müßte im nächsten Jahre sich das Geld

noch sicherer holen. Von Uebrigen erscheint mir einzig N. N. des Stipendiums so unwürdig, wie es in dem Fall unnütz ausgegeben sein möchte. Sieh’ doch noch einmal seine kleine und seine große Sünde an. Sie sind das Unmusikalischeste im Paket. Wehe, wenn er noch mehr „fortschreitet“! Jeden falls mußte er das Geld doch für Unterricht und nicht für ein Libretto wünschen und verwenden!

Ich erlaube mir, der Sendung gleich einige Worte bei zufügen. Ueber zwei junge Leute hoffe ich meine Collegen gleicher Meinung mit mir. Sollten sie wünschen, einen Dritten theilnehmen zu lassen, so bin ich mir nicht klar, wen ich vorschlagen soll, und hoffe auf eine Besprechung. Eine weitere Theilung der geringeren Summe möchte aber nicht zu empfehlen sein. Das Stipendium soll doch einigermaßen auszeichnen und nützen, darf nicht ein Almosen werden. Weitaus am meisten zu loben erachte ich Mandyczewsky, dessen Vorlagen ernstlich erfreulich sind. Sie zeigen nicht nur in Allem, was zu lernen ist, einen bedeutenden, ruhigen und sicheren Fortschritt — der in Anbetracht der bosnischen Unterbrechung umsomehr zu loben ist — sie geben auch Zeugniß von einer Entwicklung seines Talentes, das man immerhin nicht berechtigt war, zu erwarten. Die vorliegenden Sachen gehen so weit über die früheren hinaus, daß es ungemein reizt, alles Einzelne zu loben, das in solchem Falle bedacht und betrachtet wird. Es ist wohl zu bedenken, daß Mandyczewsky auch anderweite Studien fleißig betreibt, und daß sein trefflicher Vater in gleicher schöner und aufopfernder Weise für noch sechs Kinder sorgt.

Als Zweiten nenne ich Perger, dessen Quartett recht sehr zu loben ist und nicht zu vergleichen mit einem früher eingeschickten Streichquartett. Bei diesem ist zu beachten, daß er im vorigen Jahre durch eine Vorlage ent schiedenes Talent zur Oper zeigte.

Schließlich ist noch N. N. der Einzige, gegen dessen Betheilung ich mancherlei Besonderes einzuwenden hätte. Mir sind seine Leistungen so unerfreulich wie seine Art, sie und sich in Scene zu setzen. Seine Fortschritte sind die ganz natürlichen des Menschen, der unverdrossen (oder unverschämt) weiter schreibt, ohne zu wissen, um was es sich handelt. Er charakterisirt sich übrigens selbst am besten, wenn er von seinem „künstl. Ruf“ schreibt, welches Wort in dieser Abkürzung nur künstlich, aber nicht künstlerisch be deuten kann.“

„Januar 1883. Ich sende dir heute das Paket zu und stimme für R., W. und Wg. ohne jegliches Vergnügen; ich wünschte, ich könnte widersprechen und andere Namen nennen. R. scheint jeden Versuch aufzugeben, auch nur der kleinste Robert Fuchs werden zu wollen. Bei W. denke ich nur an den Vater Schmiedgeselle und dessen sechs Kinder; er liegt mit seinem bischen Talent ganz auf dem Hintern. Wg. aber mit seiner süßlichen Eitelkeit ist mir ganz unsympathisch. Aber zurücklegen für einen besseren Jahrgang kann man das Geld wol nicht — also heucheln wir Interesse; schließlich können die schlechten Musikanten ganz gute Menschen sein.

Die Stipendien-Geschichte ist diesmal einfacher als gewöhnlich und noch unerfreulicher. Die meisten Eingaben enthalten wieder kein deutsches Wort, was ich nicht gehörig finde, wenn man unser deutsches Geld wünscht!“

„December 1884. Unser Monte Testaccio enthält ein ganz merkwürdig erfreuliches, hübsches und gutes Quartett von Perger. Ich nahm es gestern Nachmittags und Abends immer von Neuem in die Hand und konnte nicht aufhören, mich über alles Mögliche darin und daran zu erfreuen. Wenn ich nicht abreiste, müßten wir bei Billroth, ganz unter uns, das Stück ernstlich uns vorüben lassen. Dann gönne ich unser Geld natürlich vor Allem dem Wiedener Bezirkscomponisten Z., der uns gestern Abends durch ein neues Quintett be wies, daß er unerschüttert und ungeschwächt seine schöne reinliche Handschrift weiter übte — wirklich rührend! Aber lasse Perger nicht leer ausgehen! (Er erzählte mir gestern Abends mit strahlendem Gesicht, daß er sich verlobt habe — das muß doch mit dem ganz auffallend hübschen Quar tett ein wenig zusammenhängen!) — Dann habe ich, wie gewöhnlich, einen tiefgehenden Aerger gehabt über die Sachen, die aus unserem Conservatorium hervorkommen. Es ist doch schändlich und unverantwortlich, daß da alle Jahre die paar talentirten Leute so gründlich und unheil bar ruinirt werden! August Förster’s Wirksamkeit wie seine Arbeiten sind höchst anerkennenswerth — aber wir müssen wol die Sorge für ihn den Pfaffen überlassen. Vielleicht kannst du veranlassen, daß wir ihn gegen Bruckner und K. ... austauschen?“

Lieber Freund! Ich sende hier die Stipendien-Arbeiten zurück. Es wird immer trauriger! Von einer Betheilung kann wol nur bei G. P. und C. M. überhaupt die Rede sein. Lass’ mich aber sogleich schweigen, denn sonst widerrufe ich auch sogleich! Bei dem Einen spricht das Concert, beim Andern das Liederheft von einigem Talent, die folgenden Sachen (Trio und Romanzen) zeigen aber gleich, daß sie mit ihrem Talent rascher fertig werden als mit unserem Geld.

Lieber Freund! Erlaube in aller Kürze, daß nach meiner Meinung V. Novak für drei Hefte Clavierstücke (und ein Concert) und Zemlinsky für eine Ouvertüre F-dur verdienen, mit dem Stipendium bedacht zu werden. Ich möchte eigentlich nur diese Beiden vorschlagen; wünschest du einen Dritten (mit einem kleineren Betrag vielleicht) dazu, so wäre Sp. zu nennen, von dem jedoch nur ein älteres (nicht übles) Trio vorliegt. Lass’ es aber doch lieber bei jenen Beiden!

B. 0, S. 0, L. 00, V. 0000! Letzterer ist übrigens unmündig, also verdiente sein Lehrer die Ohrfeige dafür, uns seine Arbeit vorgelegt zu haben!

Wien, 1889. Dr. E. Tjuken gibt höchst erfreuliche Beweise seines Talentes und seines Fleißes. Es wäre sehr schön, wenn ihm durch eine anständige Summe mehr freies Athmen ge schaffen werden könnte. Als Zweiten möchte ich nur R. v. Perger vorschlagen, dessen neues Quartett ihn ganz hübsch empfiehlt. Die Herren X und Y haben eine auf fallende Familien-Aehnlichkeit. Sie können Beide nicht auf hören, Einem das Gehaltloseste, Philiströseste vorzuschwatzen in Trio und Sonate. X ist denn auch in übrigen Sachen den natürlichen Weg in mißverstandene Wagner’sche Duselei gegangen. Lieder und Clavierstücke zeigen seine Schwächen vereint. Bei allem Uebrigen wäre jedes Wort verschwendet.“

So hat Brahms von Wien aus nicht blos zahlreiche herrliche Tondichtungen der ganzen Welt geschenkt, er ermüdete auch nicht, speciell seinem Adoptiv-Vaterlande Oester reich in musikalischen Dingen mit Rath und That zu dienen. Es geschah zu allgemeiner freudiger Genugthuung, daß Brahms, auf Antrag des Unterrichtsministers Dr. v. Gautsch, im Sommer 1889 den Leopolds-Orden

erhielt. Als ich Brahms zu dieser Auszeichnung (allerdings mit etwas geheuchelter Ueberraschung) brieflich gratulirte, erhielt ich von ihm nachstehende Antwort:

Ischl, 1889. Lieber Freund! Tausend Dank für deine Nachrichten, nach denen mich schon recht verlangt hatte. Hoffentlich bleibt es bei deinen Plänen, oder werden sie aus Ischl noch günstiger.

Ueberrascht und verwundert hat mich — deine Verwun derung und Ueberraschung meines Ordens wegen und daß man „in hohen Regionen einen so gescheiten Einfall hatte“! Letzteres ist mir nun gar nicht eingefallen, als ich dachte, wem ich den Orden wol eigentlich verdanke. Es sind ja sehr complicirte Maschinen im Staat; diesmal glaubte ich dich vor Allem mitwissend und mitveranlassend. Sonst sehe ich mich vergebens um, wer irgend angeregt und gefördert haben könnte. Für gewöhnlich gehört aber doch mehr dazu und Anderes, als blos künstlerische Leistungen, und an all diesem Anderen, was es für Namen haben mag, habe ich es doch durchaus fehlen lassen.

Zum erstenmale war ich diesmal wenigstens hinterher artig, indem ich die vielen Telegramme, Briefe und Karten erwiderte! Ich hatte einen so freundlichen Eindruck, daß die Oesterreicher als solche sich freuten, daß ich noth wendig artig danken mußte. Recht sehr möchte ich dich bitten, mir zu sagen, wie ich mich jenen „höheren Regionen“ gegenüber zu benehmen habe?! Ich darf doch jedenfalls die directe officielle Anzeige abwarten? Habe ich dann an das Unterrichtsministerium oder an Se. Majestät selbst zu schreiben? Oder muß ich um eine Audienz einkommen?

Mich findest du hier, bis — ich doch wol zum Musik feste nach Hamburg muß! Ich muß, denn mein Ehrenbürger- Abenteuer war doch gar zu schön und erfreulich mit Allem, was drum und dran hängt. Ich erschrecke aber, da ich mein Telegramm an den Bürgermeister abgedruckt sehe! Es klingt gar albern, „das Schönste, was nur von Menschen kommen kann“ — als ob ich außerdem etwa an die ewige Seligkeit gedacht hätte! Mir ist aber der liebe Gott gar nicht eingefallen, ich dachte nur beiläufig an die sogenannten Götter, und daß, wenn mir eine hübsche Melodie einfällt, mir das lieber ist, als ein Leopolds-Orden, und wenn sie gar eine Symphonie gelingen ließen, dies mir doch noch lieber ist, als alle Ehrenbürgerrechte. Seid Beide herzlichst ge grüßt und kommt nur recht bald!“