Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11898. Wien, Mittwoch, den 6. October 1897 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11898. Wien, Mittwoch, den 6. October 1897 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.10.1897
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Hofoperntheater. („Dalibor“, Oper in drei Acten von Joseph Wenzig; deutsche Bearbeitung von Max Kalbeck, Musik von Friedrich Smetana.)

Ed. H. Wer einmal in Prag gewesen, der kennt auch den runden alten Thurm „Daliborka“, welcher vom Hrad schin so trotzig in den tiefen Burggraben hinabblickt. Dort soll der als Hochverräther eingekerkerte Dalibor sich eine Geige ausgebeten und darauf meisterhaft zu spielen gelernt haben. Die Sage erzählt, sein wundervolles Violinspiel habe stets lauschende Zuhörer herangelockt, welche dem Gefangenen durch die Gitterstäbe Münzen hinabwarfen. In der Sage, im Bilde, im Bewußtsein des Volkes bleibt der gefangene Dalibor untrennbar verwachsen mit seinem Geigenspiel. Ist es nicht unbegreiflich, daß der Textdichter und sein Componist dieses poetische, die Musik geradezu herausfordernde Moment sich konnten entgehen lassen? Die verkleidete Milada bringt doch eigens dem Dalibor eine Geige in den Kerker! Er dankt entzückt, legt aber das Instrument unberührt beiseite. Die Beiden verlieren sich in einem langen Liebesduett; von der Geige ist nicht mehr die Rede. Hingegen schildert Dalibor in jedem der drei Acte gar schwärmerisch, wie einst sein Freund Zdenko so herrlich auf der Geige gespielt habe, was uns sehr wenig interessirt, da Zdenko in dem Stücke gar nicht vorkommt.

Professor Wenzig’s Libretto ist fast durchaus freie Er findung und, wie man sieht, keine von den besten. Das Historische daran beschränkt sich etwa auf Folgendes. Der böhmische Ritter Dalibor hat sich (1497) der Burg Plosch kowitz zu bemächtigen versucht, indem er die Bauern gegen ihren Gutsherrn Wenzel Adam v. Drahenitz aufwiegelte. Die mit Letzterem befreundeten Bürger von Leitmeritz zogen gegen Dalibor zu Felde, nahmen ihn gefangen und lieferten ihn zur Bestrafung an den König Wladislav aus. Dieser ließ den Landfriedensbrecher nach längerer Gefangenschaft im „Weißen Thurm“ des Prager Schlosses enthaupten.

In Smetana’s Oper hat Dalibor den Burggrafen von Ploschkowitz getödtet, um die Ermordung seines Freundes Zdenko zu rächen. Aus dieser Vorhandlung entwickelt sich das Drama. Wir sehen den König Wladislav Gericht halten und Milada, die Schwester des erschlagenen Grafen, Klage führen gegen Dalibor. Dieser gesteht freimüthig die That, mit welcher er seinen Freund gerächt. Die Richter ver

urtheilen ihn zu ewigem Kerker. Vergebens fleht jetzt Mi lada, deren Haß sich schnell in Liebe verwandelt hat, um Gnade für Dalibor. Ein unverhoffter Trost wird ihr nur in dem muthigen Zuspruch eines Landmädchens Jutta, welches, durch Dankbarkeit an Dalibor gefesselt, seine Be freiung plant. Im zweiten Acte sehen wir Milada als Jüngling verkleidet in der Behausung des Kerker meisters Benesch, dessen Vertrauen und Zuneigung sie allmälig gewonnen hat. Ganz wie Fidelio. Sie schmeichelt dem Alten sogar die Erlaubniß ab, zu Dalibor in den Kerker hinabzusteigen und ihm die Geige zu überbringen. Die Neue und aufopfernde Liebe Milada’s wecken vollen Widerklang im Herzen Dalibor’s; über Beider Umarmung fällt der Vorhang. Den dritten Act eröffnet wieder eine feierliche Gerichtsscene unter dem Vorsitz des Königs. Der Fluchtversuch Dalibor’s soll noch am nämlichen Tage mit dessen Hinrichtung gesühnt werden. Milada, in Helm und Rüstung, wagt, von Dalibor’s Anhängern unterstützt, einen gewaltsamen Versuch zu seiner Rettung. Sie wird tödtlich verwundet und stirbt in Dalibor’s Armen.

Das Textbuch, im Geschmack verstaubter Ritterstücke, ist von dürftiger Erfindung und leidet überdies an auf fallendem technischen Ungeschick, zumal im scenischen Auf bau. Einheitlich entwickelt sich nur die Exposition, ähnlich wie im ersten Acte von „Lohengrin“, nach Art eines zu sammenhängenden Finales. Die Musik wirkt hier durchaus schön und bedeutend. Von den pianissimo einsetzenden Trom petenstößen steigert sich die gemessen vorschreitende Intro duction zu großer Kraft in dem Chorsatze: „Heut’ hält der König selbst Gericht.“ Nach einem anfangs zarten, dann hell aufjauchzenden Gesang der Jutta, die auch den jetzt verpönten Schmuck einer Schlußcadenz nicht scheut, folgt der Einzug des Königs: eine von Trompeten auf der Bühne unterstützte feierliche Musik in langsamem Dreiviertel tact. Hier frappirt uns eine schon in Smetana’s früheren Opern bemerkte Eigenthümlichkeit; ich meine sein langes, allzu langes Verweilen bei ein und demselben Motiv. Durch etwa fünfzig Andante-Tacte hören wir, unverändert in den Bässen wie in der Melodie, dasselbe kurze Motiv, das nur dynamisch gesteigert wird durch allmälige Anschwellung und Abnahme. Echt dramatisch ist Milada’s Erzählung von dem nächtlichen Ueberfall; ritterlich kraftvoll Dalibor’s Ent gegnung. Da erklingt auch seine zarte, von einem Violinsolo anmuthig umspielte As-dur-Cantilene, welche als Erinne

rungsmotiv an Zdenko später mehrfach wiederkehrt. Den zweiten Act durchschneiden recht ungeschickt drei Verwandlungen: ein Wirthshaus im Freien, dann die Wohnung des Kerker meisters, endlich Dalibor’s Gefängniß. Der volksthümliche Soldatenchor vor dem Wirthshaus mit dem sich anschließen den Duett zwischen Jutta und ihrem Liebhaber Veit stehen in äußerst losem Zusammenhange mit der Handlung. Wir heißen sie trotzdem willkommen als die einzigen heiteren Lichtpunkte in der beklemmend düsteren Atmosphäre dieser Oper, die sonst nur zwischen dem Gerichtssaal und dem Kerker sich bewegt. Die nächste Scene bringt einen trübseligen Gesang des sein Los beklagenden Kerker meisters und einen um so leidenschaftlicheren Gefühlserguß Milada’s, welche in dem Gedanken an Dalibor’s Rettung schweigt. Im Kerker erscheint dem schlafenden Dalibor sein todter Freund Zdenko, auf der Geige spielend; die Orchester- Begleitung ist von wundervoll süßem Klang, die Vision selbst etwas altmodisch; mehr zart empfunden als originell er funden klingt der ihr nachträumende Gesang Dalibor’s. In der folgenden großen Scene zwischen Dalibor und Milada gibt der Componist sein Bestes. Trotz seiner großen Länge wirkt dieses Liebesduett mächtig ergreifend auf den Zuhörer. Den dritten Act spaltet wieder ein Zwischenvorhang in zwei Theile: zuerst die feierliche Gerichtssitzung, die, mit Dalibor’s Verurtheilung schließend, zu dem ersten Act ein unwill kommenes Duplicat bildet, sodann der Angriff auf die Burg und Milada’s Tod. Die Schlußscene hat durch Director Mahler eine ungemein glückliche Abänderung und Verbesse rung erfahren. In Smetana’s Original stürzen nach dem rührenden Frauenchor an Milada’s Leiche plötzlich Bewaffnete auf Dalibor los, welcher mit verblüffender Schnelligkeit sich rechtzeitig ersticht. Dieser ganze plumpe Spectakel dauert kaum drei Minuten, welche jedoch auf allen Bühnen hin reichten, das Publicum aus der Stimmung zu reißen und den Erfolg der Oper zu gefährden. Mahler läßt hier nach dem sanften Trauergesang an Milada’s Leiche, dessen Nach spiel er um ein Weniges weiterführt, den Vorhang langsam fallen. So scheidet der Zuhörer von dem Werke im Nach gefühl sanfter Rührung, ohne durch den so derb übers Knie gebrochenen Schluß an gefährliche Trauerspiel-Parodien erinnert zu werden.

Die Bereicherung unseres Opern-Repertoires mit Sme tana’s „Dalibor“ verdient den aufrichtigen Dank aller Musikfreunde. Das Wiener Publicum kannte dieses Werk

nur aus der Theater- und Musikausstellung vom Jahre 1892; in Kalbeck’s wohlklingender deutscher Uebersetzung ist es neu für uns und neben der „Verkauften Braut“, dem Geheimniß“ und dem „Kuß“ die vierte Oper Smetana’s im Besitzstande des Hofoperntheaters. Hoffentlich fügt man auch eines Tages „Die beiden Witwen“ dazu, eine kleinere komische Oper, deren Besetzung und Studium wenig Mühe verursacht. Gegenüber diesen heiteren, idyllischen Stücken legte Smetana selbst weit größeren Werth auf seinen heroi schen „Dalibor“; er pflegte ganz speciell von der „Verkauften Braut“ sehr geringschätzig, als von einer Spielerei zu sprechen, zu welcher nicht Ehrgeiz, sondern Trotz gegen seine Gegner ihn veranlaßt habe. Diese hätten nach seinem Erstlingswerke „Die Brandenburger“ ihm vorgeworfen, er sei ein Nachahmer Wagner’s und werde niemals eine leichte natio nale Oper zu Stande bringen. Nicht immer unfehlbar richtet der Autor in eigener Sache; von seinen Kindern ist das eine nun einmal sein Liebling, ein anderes das Aschenbrödel. Das Maß des daran gewendeten Eifers und Ehrgeizes bestimmt häufig sein Urtheil. Uns gilt trotzdem die „Verkaufte Brautals das Beste, Originellste, was Smetana an Opernmusik geschrieben. Das national-czechische Element, das uns ja in seiner Musik am lebhaftesten anspricht, ist in keiner seiner übrigen Opern so rein und schön ausgeprägt, wie in der Verkauften Braut“. Hier hatte der volksthümliche Inhalt überaus günstig der Musik vorgearbeitet. „Dalibor“ be handelt zwar auch einen national-böhmischen Stoff; die Musik hat jedoch nichts von dem köstlichen unverkennbaren Erdgeruch der „Prodaná nevesta“ oder „Hubička“. Kaum daß in der von Violinfiguren umspielten As-dur-Melodie Dalibor’s im ersten Acte ein slavisches Lüftchen weht. Als Kunstwerk höheren Styles und gereifter Technik durfte Smetana immerhin den „Dalibor“ höher stellen; aber die Erfindung fließt darin nicht so leicht, so reiz voll und ursprünglich, wie in der kleineren Oper. Die bereits oben erwähnte Eigenheit Smetana’s, ein kurzes Motiv durch eine lange Reihe von Tacten unerbittlich zu wiederholen, drückt auf mehr als Einem Musikstücke in Dalibor“. Er kann sich oft von einem bestimmten Rhythmus, einer einmal angefaßten Figur nicht losmachen und ladet dadurch auf ganze Scenen eine Wolke von Monotonie. Dalibor’s Gesang im Kerker „Mein Zdenko“ wird in sehr langsamem Tempo durch volle fünfzig Tacte ununter

brochen mit derselben Staccatofigur in Sechzehnteln be gleitet — wer sollte da nicht ermüden! Wie denn über haupt Dalibor bei jeder Erinnerung an Zdenko in eine lang anhaltende rhythmische Eintönigkeit verfällt. Wie solche eigensinnig festgehaltene Monotonie den musi kalischen Reiz abschwächt, so wird andererseits die dramatische Wirkung vieler Scenen durch zu reichlich eingeschobene Orchester-Zwischenspiele gehemmt. In der Er zählung Milada’s vor Gericht erwartet das Gefühl des Zuhörers ein rascheres Fortschreiten, desgleichen in der langen Vertheidigung Dalibor’s — die Wirkung beider wird unterbunden durch das so häufig dazwischenredende Orchester. Das sind unter Anderm die Ursachen, warum wir in „Dalibor“ zwar durch ungemeine Schönheiten uns er hoben und gefesselt, aber am Ende doch ermüdet fühlen und schließlich der Natur in der „Verkauften Braut“ den Vorzug geben vor der Kunst im Dalibor“. Den hochbegabten, seine Kunst vollkommen meisternden Musiker verräth allerdings jede Nummer. Strenge und doch zwanglos schmiegt die Musik sich der Scene an, charakterisirt die Personen, trägt und färbt die Stimmung durch den Zauber des Orchesters. Dabei maßt die Instrumental-Begleitung sich keine Vorherrschaft über die Singstimmen an; nirgends wird der Gesang zu nebenher laufendem Schatten einer unendlichen Orchester-Melodie ver kümmert. Daß man ehedem in Prag den „Dalibor“ als einen Abklatsch Wagner’s bezeichnen und ablehnen konnte, ist uns heute kaum mehr begreiflich. Als „Dalibor“ ent stand (zwischen 1866 und 1868), beherrschten „Tannhäuserund „Lohengrin“ alle Bühnen; kein Wunder, wenn Smetana, ein aufrichtiger Verehrer Wagner’s und Liszt’s, unbewußt etwas von dem berauschenden Geist dieser Werke mit einsog. Das für den eigentlichen Wagnerstyl ent scheidende Werk, „Tristan“, von Wagner selbst als das erste bezeichnet, welches seinen „strengsten Anforderungen ent spricht“ — den „Tristan“ hat Smetana damals schwerlich ge kannt, ebensowenig wie die „Nibelungen“. Ich finde im Dalibor“ mehr Anklänge an Weber und Beethoven, als an Wagner. Was zumeist an diesen erinnert, ist der Auf bau des ersten Actes, der vom Textbuche aus ein ebenso unverhülltes Seitenstück zu „Lohengrin“ bildet, wie der zweite Act zum „Fidelio“. Daß Smetana’s „Daliborweder das eine, noch das andere jener Vorbilder erreicht

hat, unterliegt keinem Zweifel. In seinen dramatischen Grundsätzen trifft Smetana vielfach mit Wagner zu sammen; hingegen ist die musikalische Erfindung im Dalibor“ vollkommen selbstständig und frei von jeder Anleihe bei Wagner. Somit haben nach dieser Richtung vom „Dalibor“ weder die Wagnerianer viel zu hoffen, noch deren Gegner etwas zu fürchten.

Dalibor“ wurde im Hofoperntheater mit theil nehmendster Andacht gehört, mit lebhaftestem Beifalle auf genommen. An diesem Erfolg hat die treffliche Aufführung kaum geringeren Antheil als die Composition selbst. Für die eigentliche Heldin der Oper, Milada, ist Frau Sedl mair wie geschaffen. Nicht nur ihre imposante Er scheinung, auch ihr ausdrucksvolles, in großen, edlen Linien sich bewegendes Spiel, ihre gediegene Gesangstechnik und warme Empfindung verkörpern und beleben diese Gestalt von Anfang bis zu Ende. Milada gehört zu den an strengendsten Partien. Aber auch die zweite Frauenrolle neben der dramatischen Heldin, das Bauernmädchen Jutta, ist vom Componisten nicht viel schonender behandelt. Fräulein Michalek, das jüngste Mitglied unserer Oper, löste diese neue Aufgabe mit überraschendem Gelingen. Ihre anmuthige Persönlichkeit, gewandte Darstellung und warme Vortrags weise verbürgen ihre künstlerische Zukunft. In dem ihr zu sagenden Rollenkreise ist sie jetzt schon ein werthvoller Besitz unserer Oper. Unter den Männerrollen ist einzig der Titel held, Dalibor, von größerer Bedeutung. Herrn Winkel mann’s ritterliche Erscheinung und energischer Vortrag kommen dieser Rolle vortrefflich zu statten. Die kleineren, für das Ensemble im „Dalibor“ höchst wichtigen Rollen finden in Herrn Neidl (König), Dippel (Veit), Hesch (Kerkermeister) und Felix (Budivoj) durchwegs musterhafte Darsteller. Besonderes Lob verdient das exacte Zusammen wirken aller Kräfte und die vortreffliche Ausstattung; die Aufzüge in der Königsburg sind prunkvoll, die scenischen Vorgänge in der Schlußscene des dritten Actes durchaus klar und anschaulich. Für erste Vorstellungen ist das Verbot eines mehr als dreimaligen Hervorrufes der Künstler be kanntlich aufgehoben. Das Publicum, namentlich das jugend liche auf den Galerien, machte von dieser Freiheit einen verschwenderischen Gebrauch; wie oft die Hauptdarsteller nach jedem Act und vollends am Schluß der Oper dankend erscheinen mußten, spottete jede Controle.

Ganz besonders hat Herr Director Mahler sich um je Aufführung des „Dalibor“ verdient gemacht. Gerne ergreife ich diesen Anlaß, den ausgezeichneten Dirigenten zu begrüßen, der in so hohem Grade die Anerkennung und das Vertrauen unseres schwer zu befriedigenden Brahms ge nossen hat. Er theilt mit Wilhelm Jahn die werthvolle Eigenschaft, sein Augenmerk nicht blos der Partitur, son dern auch stets dem Bühnenbilde zuzuwenden, der drama tischen wie der musikalischen Wirkung überall feinsinnig nach zuhelfen. Mit eindringendem Verständniß und minutiöser Sorgfalt hat Mahler den „Dalibor“ einstudirt. Wie er jede Feinheit der Partitur hervorhebt, die harmonische Einheit des Ganzen festhält, hie und da mit einer bescheidenen Kürzung oder Verlängerung die Wirkung steigert, wird keinem Kenner des Werkes entgangen sein. Jung, erfahren und ehrgeizig, ist er hoffentlich der Mann, unserer in letzter Zeit müde und schläfrig gewordenen Oper neues Leben einzuhauchen. Ich habe außer dem „Dalibor“ kürzlich auch zwei ältere Opern, „Figaro’s Hochzeit“ und „Czar und Zimmermann“, unter Mahler’s Direction gehört und kann mich nur dem Lobe anschließen, das die gesammte fach kundige und von lächerlichen Commandoworten unab hängige Kritik über seine Leistungen ausgesprochen. Ob gleich Wagnerianer, wie ja fast alle jüngeren Dirigenten, verwechselt er doch nicht seinen Privatgeschmack mit den Bedürfnissen des Publicums und der Sänger. Er nimmt sich einer Mozart’schen oder auch Lortzing’schen Oper mit derselben eingehenden Sorgfalt und Liebe an, wie des Nibelungenringes. Mit vollem Behagen genoß das Publi cum die jüngsten Aufführungen der genannten zwei Opern, welche in den letzten Jahren unter arger Vernachlässigung litten. Lortzing’s „Czar“ hat heute, sechzig Jahre nach seinem Erscheinen, fast wie eine Novität gewirkt. Das Werk ist eben von Mahler neu studirt, theilweise neu besetzt und in einigen Stellen dem Originale getreu vervollständigt worden. Ich entsinne mich nicht, das Quartett im ersten Acte und das letzte Finale (das bis auf die Abschieds strophe Czar Peter’s stets wegblieb), je zuvor gehört zu haben. Die Aufführung von Smetana’sDalibor“, mit welcher Hamburg und München uns lange zuvor gekommen, war ohne Frage eine Ehrenschuld der ersten Opernbühne Oesterreichs. Es wird nicht die letzte sein, deren Tilgung wir Herrn Mahler zu verdanken haben.