Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 11938. Wien, Mittwoch, den 17. November 1897 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 11938. Wien, Mittwoch, den 17. November 1897 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 17.11.1897
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„Die heilige Ludmilla.“ (Oratorium von Anton Dvořak. Erste Aufführung im Gesellschafts-Concert am 14. November 1897.)

Ed. H. Die Engländer, in Bezug auf musikalisches Talent nicht übermäßig gut angeschrieben, verdienen gleich wol den Ruhm eifriger Schützer und Förderer der Ton kunst. Durch enthusiastische Aufmunterung und directen Auftrag haben sie zahlreiche große Tondichtungen, insbeson dere geistlichen Inhalts, hervorgerufen und die Componisten zur Leitung derselben eingeladen. Von Haydn angefangen bis zu Spohr und Mendelssohn, Raff, Gou nod und Dvořak. Das Bedürfniß nach neuen Oratorien hat sich beinahe ganz auf England zurückgezogen. In Deutschland leben von modernen Oratorien nur die beiden Mendelssohn’schen unverkümmert fort, während die von Loewe, Hiller, Reinthaler, Meinardus, Rubinstein etc. rasch verschwunden sind. Was auslän dische Tonsetzer in diesem Fach geschaffen, Gounod, Massenet, Tinel und die Engländer, konnte bei uns noch weniger Wurzel fassen. Gegenwärtig herrscht eine völlige Stagnation auf diesem Gebiete. Das Bedürfniß nach musikalischer Verherrlichung der Bibel und Heiligen- Legende hat auffallend nachgelassen; nur das sogenannte weltliche oder Halb-Oratorium, das, wie Schumann’s Paradies und Peri“, blos die Form auf einen pro fanen Stoff überträgt, erhält sich ausnahmsweise in wenigen glücklichen Exemplaren. Der in der öffentlichen Gunst bedenklich sinkenden Kunstgestaltung versucht man jetzt auf zwei Wegen zu Hilfe zu kommen. Einmal, indem man die musikalisch werthvolle Form des Oratoriums weltlicheren Stoffen eröffnet, sodann indem man die biblischen Hand lungen durch opernmäßige Einkleidung neu belebt. Letzteren Weg hat Rubinstein mit seinem „Moses“ und „Christuseingeschlagen, Oratorien, die im Costüm bühnenmäßig auf geführt werden als „geistliche Opern“. Damit biegt das Oratorium wieder zu seinen ersten Anfängen, zu der theatralischen Vorstellung des 17. Jahrhunderts zurück. Ob

Rubinstein’s Versuch sich erhalten oder wenigstens die Gattung erhalten werde, muß die Zeit lehren. Unbeirrt von der Zeitströmung, erhält sich die Popularität des Ora toriums noch bei den Engländern. Ihnen ist offenbar die Vermischung ästhetischer mit kirchlicher Andacht, die Ver bindung von Musik und Bibel ein fortdauerndes Bedürf niß. Zur Befriedigung derselben sparen sie weder Mühe noch Kosten, zumal für den Import aus dem Ausland, nachdem ihre einheimische Production, qualitativ wenigstens, doch nicht genügen mag. An Quantität läßt diese Ernte allerdings nichts zu wünschen übrig, ja sie erregt geradezu unser Erstaunen. Welche Menge neuer Oratorien und Cantaten von Mackenzie, Stuart, Macfarren, Sullivan, Villers-Stanford, Cowen haben in den letzten 20 Jahren die regelmäßig wiederkehrenden Festivals in Leeds, Birmingham, Liverpool verbraucht! Mit diesen patriotischen Triumphen mußten die englischen Erzeugnisse sich bis jetzt begnügen; über den Canal will nichts davon dringen. So bezieht denn England, trotz der eigenen Frucht barkeit an Oratorien, nicht das Meiste, aber doch das Beste von auswärts. Dazu gehört auch Dvořak’sHeilige Ludmilla“, die im October 1886 auf dem Musikfest zu Leeds unter persönlicher Leitung des Componisten ihre erste Aufführung erlebt hat. „The specter’s bride“ von Dvořak war ihr 1885 in Birmingham vorangegangen. Auch sein „Stabat Mater“ hat Dvořak zuerst in England aufgeführt.

Die specielle Bestimmung für England ist nicht ohne Einfluß auf die Physiognomie der „Heiligen Ludmilla“ ge blieben. Mir scheint, es spreche aus dieser Musik stärker die Passion der Engländer, als die unseres Dvořak für das geistliche Oratorium. Unstreitig ist „Ludmilla“, ein hervor ragendes, ernstes Werk, kunstvoll und reich an fesselnden Schönheiten. Aber durch alle diese Schönheiten hindurch be schleicht uns doch die Empfindung, daß Dvořak hier nicht seine volle Individualität, sein eigenstes Selbst ausgeströmt, sondern halb-englisch zu componiren getrachtet habe. Er schlägt da eine gewisse traditionelle, theils an Händel, theils an Mendelssohn, mitunter auch an Haydn mahnende

Weise an, die uns an seiner starken Begeisterung für diesen Stoff, für diese Kunstform ein wenig zweifeln läßt. Die musikalische Eigenart, die uns an Dvořak entzückt, lebt über zeugend in seinen Instrumental-Compositionen, insbesondere in seiner Kammermusik. Mit Dvořak’s Quar tetten, Quintetten, Trios, auch mit seinem Sextett, seinen Symphonien und Ouvertüren ist an Originalität und Frische der Erfindung weder „Ludmilla“ noch „Die Geisterbrautzu vergleichen, so viel mehr an Arbeit und Anstrengung an diesen größeren Werken auch hafte. Von einem Niedergang der Schaffenskraft kann bei Dvořak keine Rede sein, an gesichts der vielen nach der „Ludmilla“ componirten reizen den Instrumentalwerke. Ich glaube, daß sowol geistliche wie dramatische Musik seiner speciellen Neigung und Begabung etwas abseits liegen. Wie viel leichter und glücklicher verkehrt Dvořak mit den Instrumenten, als mit den Singstimmen. Und wie viel mehr lyrische als dramatische Seele haben diese bei Dvořak! Vorgeschriebene Textworte, für die Mehrzahl der Componisten eine Stütze und Kraft quelle, werden für Dvořak’s Phantasie leicht zur Fessel. Ich möchte nur einige reizende Lieder ausnehmen, auf denen der Thau slavischer Volksweisen glänzt. Bei dem wohlbegründeten großen Ruf dieses Tondichters hätte es sonst auch schwerlich zehn volle Jahre gebraucht, bis seine „Ludmilla“ auf deut schem Boden landete. Auch seiner zwei großen Opern Dimitri“ und „Der Jacobiner“ müßten längst sich unsere Bühnen bemächtigt haben. An musikalischen Schönheiten ersten Ranges fehlt es beiden nicht.

Dvořak ist ein treuer Sohn seiner czechischen Heimat. Volksthümliche slavische Anklänge durchziehen erfrischend die meisten, die besten seiner Werke. In dem Oratorium Ludmilla“ sah er sich von diesem Jungbrunnen so gut wie ausgeschlossen. Allerdings spielt Dvořak’s Oratorium in Böhmen, aber in dem heidnischen Böhmen des zehnten Jahr hunderts; der Sieg des Christenthums über die heidnische Bevölkerung ist in anderen Ländern ganz ähnlich vor sich gegangen. An national czechische Melodien und Rhythmen konnte hier Dvořak höchstens ganz leise anspielend erinnern, wollte er nicht durch einen anachronistischen nationalen

Realismus dem Stoffe Gewalt anthun und den Styl des Oratoriums verletzen. So sehen wir ihn denn in der „Lud milla“ ein wenig gehemmt, eingezwängt zwischen seiner innersten Neigung und den äußeren Bedingungen: zwischen böhmisch und englisch, zwischen weltlich und geistlich.

Die ziemlich dürftige Handlung ist bald erzählt. Lud milla, die schöne Tochter des Fürsten der Pschower, ist, wie das ganze böhmische Volk, dem Heidenthum ergeben. Wir sehen sie zu Anfang der Nationalgöttin Baba opfern. Ivan, ein christ licher Einsiedler, durchschreitet furchtlos die versammelte Menge und stürzt mit seiner Axt das Götzenbild. Das erschreckte Volk läßt ohne den geringsten Widerstand den Gottesmann ruhig abziehen. Von der Hoheit seiner Erscheinung und seiner Lehre tief bewegt, folgt ihm Ludmilla nach seiner im Waldes dickicht versteckten Hütte. Ihre Begleiterin Svatava hat nur die Mission, als Altistin das Vocalquartett zu vervoll ständigen; in die Handlung greift sie nirgends ein. Da erscheint plötzlich, auf einer Jagdpartie begriffen, Fürst Bořivoj. Er dringt bis zur Klause Ivan’s vor und verliebt sich augenblicklich in Ludmilla. Anfangs zögernd, verspricht ihm diese ihre Hand unter der Bedingung, Svantovit, Rad gost, Baba und wie die übrigen Götter alle heißen, abzuschwören und die Taufe zu empfangen. Bořivoj zögert keine Minute. Es ist, wie man sieht, mehr ein Triumph der Liebe als des Glaubens. Dem ernsten Ton dichter erwächst aus diesen halbschürigen, zwischen irdischer und himmlischer Liebe zappelnden Scenen der beiden Ver lobten eine eigenthümliche Schwierigkeit. Soll er aufrichtig reden nach ihrem Herzen oder frömmeln nach ihrem Munde? Noch in der dritten Abtheilung schwärmen die Neuvermälten von der Taufe, dem „über ihre Stirne träufelnden heiligen Naß“, während sie in diesem Moment offenbar nur an ihre glückliche Vereinigung denken. Der Componist muß sich da herzhaft entscheiden: entweder Rosen oder Weihrauch. Ivan segnet und vermält Ludmilla mit Bořivoj, dem ersten christlichen Herzog von Böhmen, in mitten des jubelnden Volkes, das auch sofort summarisch die Religion des Fürsten annimmt. So schließt das Ora torium in vollem Glück und Sonnenglanz. In Wirklichkeit hat die fromme Ludmilla nicht so fröhlich geendet. Sie war

eine eifrige Christin geworden und erzog auch ihren Enkel, den heiligen Wenzel, in diesem Glauben. Als nach dem Tode von Wenzel’s Vater, Wratislav, dessen heidnische Witwe Drahomira sich der Regierung bemächtigte, siegte wieder die heidnisch-nationale Partei über die christliche. Ludmilla, die Seele dieser Partei, wurde am 15. September 921 auf ihrem Witwensitz, der Burg Tetin, durch ihre Schwieger mutter ermordet. Ihre Leiche ist in der St. Georgskirche nächst der Hradschiner Burg beigesetzt; sie selbst wird be kanntlich als eine der vornehmsten Heiligen des Landes verehrt.

Der Dichter und noch mehr der Componist war be müht, diese dürftige Handlung nach allen Seiten zu strecken und zu dehnen, um dem Oratorium die für England er forderliche Länge zu geben. Die Engländer erfreuen sich einer musikalischen Verdauungskraft, zu welcher der Deutsche nur staunend aufblickt. Die vollständige „Ludmilla“ dauert 3½ bis 4 Stunden. Zu viel für Wien! Neben der Einsicht Director v. Perger’s, welcher sehr ausgiebige Kürzungen vorgenommen, rühmen wir die liebenswürdige Bescheidenheit Dvořak’s, der sie ohne Umstände genehmigt hat. Es ist freilich nicht so sehr die absolute Zeitdauer eines Tonwerkes, als der gleichförmige Charakter seiner Bestandtheile, was uns ungeduldig macht. Die „heilige Ludmilla“ ermüdet durch den Mangel an contastirenden Stimmungen, an wechselnden Ereignissen. Die starken Contraste in Mendelssohn’s „Paulusund „Elias“, wo die Chöre von Juden, Heiden und Christen einander befehden, sie standen dem Componisten der „Lud milla“ nicht zu Gebote. Er hat nur Ein Volk, seine böh mischen Landsleute, zu componiren, und diese betragen sich als Heiden ebenso liebenswürdig und gemüthlich, wie später als Christen. Eine feindliche Menge stellt sich ihnen weder hier noch dort entgegen. Den einzig Andersgläubigen, den frommen Einsiedler Ivan, lassen sie ruhig abziehen, nachdem er ihre Götzenbilder zerschlagen. Sie rühmen noch an ihm, daß er „nur mit einer Axt“ bewaffnet sei. Was soll er denn sonst noch haben, etwa ein Lefaucheux-Gewehr im zehnten Jahrhundert? Noch homogener in ihrem edlen Charakter sind die Solopartien, Ludmilla, Svatava, Ivan und Bořivoj; sie überfließen von Milde und Gottesfurcht.

Vortrefflich für ihre ewige Seligkeit, aber nicht für den Erfolg Dvořak’s. Dieser hat denn auch sein Bestes in den Chören geleistet, welche ja vornherein schon durch die Kraft imposanten Zusammenklangs im Vortheil stehen. Und im plastischen Aufbau dieser Chöre, in ihrer klaren Stimmführung und wirksamen Contrapunktik zeigt sich Dvořak hier als Meister seiner Kunst.

In der ersten Abtheilung herrschen die Chöre vor, zum entschiedenen Gewinn des Ganzen. Dvořak’s Phantasie scheint hier durch das Studium Händel’s genährt und er starkt. Gleich der Eingangschor, dessen düstere Färbung sich gegen das Ende erhellt, ist von großer Wirkung. Des gleichen der folgende fröhliche Chor in raschem Sechs- Achtel-Tact, „Büthe, die der Lenz geboren“. Dramatische Bewegung regt sich mit den Herannahen Ivan’s („Horch, was soll dies Geräusch?“) und wächst bis zu dem schön verhallenden Pianissimoschluß. Mit überwältigen der Kraft setzt der Schlußchor ein („Nun bricht Alles zu sammen!“), zuerst unisono, dann fugirt, später in dem Anrufen des „ewigen Lichtes“ sich zu mäßigerem Tempo besänftigend. Die Soprane schweben mit dem hohen A und G majestätisch über den Chormassen, während im Orchester kurze Triller wie Leuchtkäfer hin und wieder fliegen. Die Instrumentirung bleibt das ganze Werk hindurch glänzend, ohne bizarr zu werden. An ihren Reizen erfreut sich das feine Ohr auch in jenen Nummern, bei deren melodiöser Erfindung es mehr oder weniger darbt. Die Sologesänge stehen an charakteristischer Schärfe wie an musikalischer Schönheit merklich hinter den Chören zurück. Mit einziger Ausnahme von Ivan’s erstem Auftreten, zeigen alle Solo gesänge nur geringe Kraft und Originalität. Ludmilla’s B-dur-Arie, die sich aus dem gleichmäßigen Rhythmus des Neun-Achtel-Tactes gar nicht herauswinden kann, klingt, so wie ihre darauffolgende („Vergönne mir“) farblos und weichlich, ungefähr an Lohengrin’s Elsa erinnernd. In diesen und anderen Gesängen des Oratoriums geräth Dvořak, dessen Rhythmik sonst obenan steht in seiner Kunst, in rhythmischen Bankerott. Fast Alles, was Ludmilla singt, bewegt sich in einer gleichmäßig empfindsamen Monotonie, wohlklingend aber farblos. Die zweite Abtheilung leidet im Gegensatze

zur ersten unter dem Vorherrschen der Sologesänge. Weder die salbungsvolle Ansprache Ivan’s, noch Bořivoj’s Arie vom „Wunderlieblichen Mädchen“, noch seine zweite in „O, zeige mir den Weg“ tragen ein rhythmisch oder melodisch origi nelles Gepräge. Sehr tugendhafte Musikstücke, aber kein Dvořak. Aus diesem sentimentalen Halbschlummer erweckt uns der stolze Flügelschlag des Finales: ein Quartett mit Chor, der in einen von tremolirenden Geigen getragenen Engelchor ausklingt. Daß der Effect etwas opernmäßig auf tritt — Ludmilla hat mit ganzer Kraft das hohe b und ces zu halten, während alle Elemente des Orchesters aufgewühlt sind — wollen wir hier nicht allzu sehr betonen. Wenigstens ist wieder eine starke Wirkung da. Die dritte Abtheilung macht (da die Solonummern hier wegbleiben) den Eindruck eines zusammenhängenden großen Finales. Das Vorspiel alla marcia mit dem anschließenden Chor ist harmonisch wol das originellste Stück der Partitur; es hält nämlich consequent fest an der uns fremdartig berührenden phrygi schen Tonart (d-moll mit der Sext h anstatt b und dem Leitton c anstatt cis.) Dieses prächtige Musikstück wirkt an fangs durch seine von Svatava intonirte einschmeichelnde Cantilene („Du, der Welten Allbeherrscher“), interessirt dann lebhaft durch geistreiche Contrapunktik und Harmonie und erreicht schließlich mit Aufgebot aller Chor- und Orchesterkräfte einen überwältigenden Effect.

Dvořak’s „Heilige Ludmilla“ hat unser Publicum zu leb haftem Beifall hingerissen. Nach den meisten Nummern und am Schluß jeder Abtheilung erscholl anhaltender Applaus, für den der Componist aus der Directionsloge wiederholt dankte. An das Einstudiren des sehr schwierigen und an strengenden Werkes hat Director v. Perger den größten Fleiß verwendet; das Resultat lohnte seine Bemühungen. Die Chöre, an deren Stimmkraft und Tactfestigkeit der Componist nicht geringe Ansprüche stellt, sowie das über reich bedachte Orchester leisteten Außerordentliches. Die Solopartien wurden von der bewährten Kammersängerin Frau Wilhelmj aus Wiesbaden, von Fräulein Helene Schemmel, einer talentvollen, stimmbegabten Schülerin unseres Conservatoriums, endlich von den Hofopernsängern Herrn Gießen und Herrn Hesch mit hingebender Sorgfalt und lohnendem Erfolg gesungen.