Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 12171. Wien, Dienstag, den 12. Juli 1898 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 12171. Wien, Dienstag, den 12. Juli 1898 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 12.07.1898
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
W. J. v. Wasielewski’s Lebenserinnerungen.

Ed. H. Aus 70 Jahren. Lebenserinnerungen von Wilh. Jos. v. Wasielewski.“ Stuttgart und Leipzig. Deutsche Verlags anstalt 1897. Vom Selbstbiographen erwarten wir, daß er entweder Bedeutendes geschaffen oder daß er Bedeutendes erlebt habe; am liebsten Beides. Wollte man diesen An spruch mit äußerster Strenge erheben, so gingen uns freilich zahlreiche Autobiographien verloren, welche in bescheidenen Grenzen viel Lehrreiches und Anziehendes bringen. Ins besondere Musiker-Biographien und speciell auch die uns vor liegende von Wasielewski. Derselbe hat als tüchtiger Geiger und Orchester-Dirigent durch nahezu 40 Jahre im deutschen Musikleben verdienstvoll gewirkt, nebstbei als Schrift steller einige Arbeiten von anerkanntem Werth geliefert. Seine fleißig zusammengestellte „Geschichte der Violine und des Violinspiels“ verdient schon als die erste ausführliche Behandlung dieses Gegenstandes den Dank aller Musik freunde. Der einige Jahre später nachgeschickte schwächere Band, „Geschichte des Violoncells“, hätte sich wol besser in den Zusammenhang seines ersten eingefügt. Die Entwicklung des Violoncellbaues geht ja mit jener der Geige parallel, und die berühmtesten Geigenbauer haben auch die besten Violoncelle verfertigt. Endlich ist die Zahl der hervorragenden Violoncell-Virtuosen und der ausschließlich für dieses Instru ment thätigen Componisten kaum groß genug, um einen eigenen Band zu füllen. Wasielewski’s bekanntestes und wichtigstes Buch ist seine Schumann-Biographie, auf die wir später zurückkommen.

W. J. v. Wasielewski (geboren 1822 bei Danzig, gestorben 1897 in Sondershausen) hat seine vorliegenden Erinnerungen“ in späteren Jahren niedergeschrieben. Er entgeht dabei nicht ganz der gewöhnlichen Versuchung, aus führlich eine Menge Dinge zu erzählen, welche ihn und seine Familie, keineswegs aber einen größeren Leserkreis interessiren. Wenn wir da nach einer historischen Einleitung über die Stadt Danzig ausführlich zu lesen bekommen, wie der kleine Wasielewski sich mit Wolfsmilch das Gesichtchen verbrannt

hat, wie er beim Baden einmal fast ertrunken wäre, wie ein andermal ihm ein loser Fensterflügel auf den Kopf fiel und dergleichen, so blättern wir ungeduldig weiter. Dergleichen erzählt man gelegentlich seinen Angehörigen, aber drucken läßt man’s nicht. Aehnlich verfährt der Verfasser mit den Schilderungen seiner Erholungsreisen nach Rom, Neapel, Brüssel, London, Paris. Wer heute von den Merkwürdig keiten dieser Städte nichts Neues, Eigenes zu berichten hat, mag uns beruhigt der Führung Bädeker’s überlassen. Nur dem Fachmann in Musik, Architektur, Malerei, Volkswirth schaft, oder dem Poeten hören wir heute noch zu, wenn er von Italien oder Frankreich erzählt.

Lebhaftes Interesse gewährt uns hingegen der breite mittlere Theil des Buches, worin Wasielewski seine musi kalischen Lehr- und Wanderjahre schildert, und den Ver kehr mit so vielen bedeutenden Tonkünstlern. Zuerst die Leipziger Zeit. „Es gibt in Deutschland, vielleicht in der Welt keinen besseren Ort für einen jungen Musiker als Leipzig,“ schrieb Robert Schumann im Jahre 1846. Mendelssohn, Schumann und dessen Gattin, Moriz Haupt mann, Ferdinand David, Hiller, Gade und Moscheles wirkten dort; neben ihnen belebten in den Gewandhaus- Concerten immer neue fremde Künstler und Künstlerinnen das öffentliche Musiktreiben. Der 21jährige Wasielewski, der schon als Knabe im väterlichen Haus sich als talentvoller Geiger bewährt hatte, trat nun als Schüler ins Leipziger Conservatorium. Unvergeßlich sind ihm Mendelssohn’s Lectionen in der Composition und im Ensemblespiel. Von Mendelssohn glaubt Wasielewski das Beste gelernt zu haben, was im Conservatorium überhaupt zu lernen war. Mendels sohn besaß eine seltenste Gabe, sich ohne Umschweife über alle beim Unterricht in Frage kommenden Punkte kurz, klar und bestimmt auszusprechen. Der geläuterteste Geschmack verband sich bei ihm mit stets zutreffendem Urtheil. Auf die Frage eines rathlosen Schülers, wie es anzufangen sei, einen Quartettsatz zu componiren, antwortete Mendels sohn: „Nehmen Sie ein Quartett von Haydn vor und bilden Sie die Form nach. So hat es auch mein Lehrer Zelter mit mir gehalten.“ Im Gewandhausconcert wirkte Mendelssohn nicht blos durch seine eminente Directionsgabe, sondern auch durch das geistige Uebergewicht seiner liebens

würdigen Persönlichkeit. Alle Mitwirkenden fühlten den hin gebenden Ernst und die Pflichttreue dieses Mannes, Alle unterordneten sich ihm gern und unbedingt. Man that nicht blos seine Schuldigkeit, sondern war mit Lust und Liebe bei der Sache. Im Gegensatze zu Mendelssohn lebte R. Schumann in merklicher Zurückhaltung von der Oeffentlichkeit. Bekanntlich verhielt er sich in Gesellschaft Anderer sehr schweigsam und in sich versunken. Aber ein hübsches Scherzwort weiß Wasielewski doch von ihm zu er zählen. Der als Concertmeister hochgeschätzte Ferdinand David, der gern auch als Componist sich bemerkbar ge macht hätte, spielte eines Tages zum erstenmale Mendels sohn’s schönes Violin-Concert. „Siehst du, lieber David,“ sagte Schumann, ihm freundlich auf die Schulter klopfend, „das ist so ein Concert, wie du immer com poniren wolltest.“ Mit schrankenloser, gefühlter Ver ehrung spricht Wasielewski an den verschiedensten Stellen seines Buches von Frau Clara Schumann. „Wie eine Priesterin,“ schreibt er, „waltet sie ihres Be rufes. Sie gehört zu der Aristokratie ihrer Auserwählten, welche, ohne es zu wollen, Herrschaft über die Gemüther ausüben.“ In liebevoll charakterisirenden Schilderungen ziehen auch alle übrigen hervorragenden Musiker des damaligen Leipzig an uns vorüber: Der geistvolle, schweigsame Theoretiker Moriz Hauptmann, der rührige Concertmeister David, der würdige Altmeister Ignaz Moscheles, der rasch beliebte, blondgelockte Däne Niels Gade, der sarkastische Capell meister Julius Rietz, der rücksichtslose Kritiker Hirsch bach und Andere. Auch von den berühmtesten Virtuosen und Sängerinnen, welche als Gäste im Gewandhaus glänzten, gibt uns der Verfasser anziehende Porträts oder doch scharf gezeichnete Silhouetten. Am eingehendsten und liebevollsten beschäftigt er sich mit Joseph Joachim, der, erst zwölf jährig, mit einer vollendet durchgebildeten Geigentechnik nach Leipzig kam und in einem von der Viardot-Garcia veran stalteten Abendconcert gleich die größte Aufmerksamkeit er regte. Es folgen die Geiger Ernst, Bazzini, H. Léo nard, Lipinski, die Schwestern Milanollo, die Claviervirtuosen Liszt, Dreyschock, Charles Mayer, Mortier, Reinecke; die Cellisten Servais und Romberg, der Harfenspieler Parish-Alvars und

Andere. Diese Künstlerporträts, deren Reihe mit der Schröder-Devrient und Jenny Lind abschließt, machen Wasielewski’s „Erinnerungen“ zu einer anziehenden Lectüre und nicht unwichtigen Illustration der deutschen Musikgeschichte in dem Decennium 1840 bis 1850.

Eine bedeutungsvolle Wendung in der Laufbahn Wasie lewski’s tritt mit dem Jahre 1850 ein. Im Herbst dieses Jahres hatte Schumann die Stelle eines städtischen Musikdirectors in Düsseldorf angenommen und dort das Engagement Wasielewski’s als Primspieler im Orchester durchgesetzt. „Die Direction der Concerte,“ schreibt er an diesen, „wird Alles thun, daß wir Sie hieher bekom men, und wie es uns, mich und meine Frau, freuen würde, brauchen wir Ihnen nicht zu sagen.“ Die Düsseldorfer Ge selligkeit, insbesondere in den Malerkreisen, bot viel An regendes. Aber „die innerlich befriedigendsten und werthvollsten Erlebnisse“ knüpften sich für Wasielewski an den regen Verkehr mit dem Schumann’schen Künstlerpaar. Schumann sah es gern, wenn Wasielewski täglich gegen 12 Uhr bei ihm vor sprach, um ihn zu einem Spaziergang abzuholen. Wenn Wasielewski Vormittags verhindert war, so holte er das Ver säumnis zwischen 5 und 6 Uhr nach, bis zu welcher Zeit Schumann zu arbeiten pflegte, und blieb dann ein Stündchen bei ihm. Bei einer Cigarre theilte Schumann dem jüngeren Genossen Mancherlei aus seinem Leben mit. Der tägliche intime Verkehr im Schumann’schen Hause brachte Wasielewski auch Frau Clara persönlich näher. Er preist sie als eine „außerordentliche Erscheinung, nicht nur als Künstlerin, sondern auch als sorgende Gattin, Mutter und musterhafte Repräsentantin ihrer Häuslichkeit“. Der Enthu siasmus, den ihre Leistungen jederzeit hervorriefen, erfreute sie wol, gewährte ihr aber an sich allein keine wirkliche Be friedigung. Es gab für sie noch eine höhere Instanz, und diese Instanz war ihr Gatte. Erst wenn derselbe nach be endigtem Vortrage ihr freundlich zunickte oder zu ihr kam, empfand sie volle Genugthuung. Verhielt sich Schumann aber einmal passiv, so bemächtigte sich ihrer große Nieder geschlagenheit und sie konnte dann Thränen vergießen. Im Jahre 1852 folgte Wasielewski einem Rufe nach Bonn, wo er einen größeren Wirkungskreis, namentlich als Dirigent, vorfand.

Schumann verlor ihn sehr ungern. Auch von Frau Clara erhielt Wasielewski einen sehr freundlichen Brief, worin sie ihr und ihres Gatten Bedauern über seine Abreise aussprach. Sie fügte hinzu, daß sie um Schumann’s willen gerne auch Düsseldorf verlassen möchte, denn schon war dem Meister der Aufenthalt dort verleidet. Er sah sich bereits um eine andere Stellung um und erkundigte sich brieflich bei dem Capell meister Hermann in Sondershausen nach den dortigen Ver hältnissen. Gleichzeitig schrieb er an Bruyck: „Nach Wien möchte ich gern, wenn sich dort irgendwie ein Dirigenten- Wirkungskreis vorfände.“ Schumann blieb indessen in Düsseldorf, da sich ihm keine Aussicht auf eine andere Stel lung eröffnete. War es doch nur zu bald bekannt geworden, daß Schumann’s stilles, träumerisches Wesen nicht zum Dirigenten taugt. Obendrein steigerte sein Nervenleiden sich in so beängstigendem Grade, daß Schumann in die Heil anstalt zu Endenich gebracht werden mußte. Von dort kam uns die erschütternde Trauerkunde von seinem Dahinscheiden am 26. Juli 1856.

Wasielewski war schon früher mit dem Gedanken um gegangen, eine Biographie Schumann’s zu schreiben. Zwei von Schumann eigenhändig geschriebene Hefte mit biogra phischen Aufzeichnungen hat er von diesem selbst empfangen. Von Schumann’s Verwandten, Jugend- und Studienfreunden erhielt er nun auch eine große Anzahl von Briefen Schu mann’s und sonstiges Material. So konnte er denn bald diesen reichlich angesammelten Stoff zu seiner Schumann- Biographie verarbeiten, welche rasch drei Auflagen erlebte. Sie ist die erste gewesen und bis heute unentbehrlich geblieben zur Kenntniß Schumann’s.

Bald nach dem Erscheinen von Wasielewiki’s Buch schrieb ich darüber zwei Feuilletons und erhielt von Frau Schu mann, die inzwischen in Wien eingetroffen war, nachstehen des vom 15. Januar 1859 datirtes Billet: „Geehrter Herr Doctor! Wollen Sie freundlich entschuldigen, wenn ich Sie hiedurch bitte, mir einige Ihrer schönen Artikel über meinen Mann, von denen man mir so viel erzählt, zukommen zu lassen. Es würde mir eine Freude sein, sie zu lesen, und weiß ich auf andere Weise nicht, sie zu bekommen, als durch Sie selbst. Herr v. Holtei in Graz versicherte mich, daß

Sie meine Bitte nicht unbescheiden finden würden. Ich wohne in der „Kaiserin Elisabeth“, Weihburggasse und bleibe noch bis 18. oder 20. hier. Mit freundlichem Gruß ver bleibe ich Ihre ergebene Clara Schumann.“

Ich beeilte mich, ihr die beiden Feuilletons zu über reichen, nicht ahnend, daß sie in mein Verhältniß zu der ver ehrten großen Künstlerin einen Mißton bringen würden, welcher lange nachzitterte. Niemals hatte ich an die Möglich keit gedacht, sie zu verletzen. Ist mir doch häufig zu viel Enthusiasmus für Schumann vorgeworfen worden, niemals zu wenig. Auch jene Artikel waren mit unverhohlener Liebe geschrieben. In den thatsächlichen Angaben freilich mußte ich mich gewissenhaft an Wasielewski halten, der ja so genau mit Schumann’s letzter Periode und mit den Düsseldorfer Verhältnissen vertraut war. So citirte ich denn wörtlich den Satz, daß mit Rücksicht auf Schumann’s jede Dirigenten- Thätigkeit lähmendes Nervenleiden seine Enthebung von der Concert-Direction im Herbste 1853 beschlossen worden war. Frau Schumann schrieb mir darüber (aus Brünn 19. Januar 1859) folgenden Brief:

„Geehrter Herr Doctor! Sie wundern sich ge wiß, von hier aus diese Zeilen von mir zu erhalten; da ich jedoch in Wien auch nicht so bald Gelegenheit finden dürfte, Sie zu sprechen, so will ich so schnell wie möglich mein Herz erleichtern.

Ich habe Ihren Aufsatz über meinen Mann gelesen, dem man die freundliche Gesinnung für den Verewigten wohl anfühlen kann, umsomehr aber erfüllte es mich mit Schmerz, eine Unwahrheit darin zu finden, die Sie aller dings nicht wissen konnten, jedoch als Freund des Theuern nicht hätten wiedergeben sollen, bevor Sie nicht genauere Erkundigungen darüber eingezogen. Ich meine die Stelle, wo Sie von der Wirksamkeit desselben als Dirigent sprechen und damit schließen, daß man ihn seiner Stelle enthoben. Es ist dies durchaus unwahr. Mein Mann ging damit um, die Stelle freiwillig niederzulegen, als ihn die traurige Krankheit ereilte, aber selbst nach dem stand man in Düssel dorf lange an, einen andern Dirigenten anzustellen, weil man immer hoffte, er werde wieder genesen und dann fähig sein, wieder seine Functionen zu versehen. Mir zahlte man

sogar den Gehalt fort, gewissermaßen um mir zu zeigen, daß man sich seiner durchaus nicht zu entäußern denkt. War es auch wahr, daß sein ganzes Wesen ein zu tief innerliches war, um ein ausgezeichneter Dirigent sein zu können, so würden Sie doch genauere Nachforschungen über seine Wirksamkeit als solcher überzeugen müssen, daß man noch jetzt mit Enthusiasmus vieler Genüsse gedenkt, die seine Begeisterung dem Publicum in den ersten Jahren, wo er noch kräftig und nicht durch gemeinste Intri guen tief gekränkt, geschaffen. Solche Intriguen aber wurden schon früher gegen Mendelssohn verübt, können also für die Fähigkeiten des Dirigenten keineswegs maßgebend sein. Ich weiß nicht, ob Ihnen diese Irrungen durch Wasielewski gekommen, denn ich las das Buch nie, weil ich der Ueberzeugung bin, daß ein Charakter wie Wasielewski, dem mein geliebter Mann in seiner unaussprechlichen Milde und Güte nur gar zu viel traute, nie auch nur eine Ahnung haben könne von solch herrlichem Gemüthe, noch von seiner schöpferischen Kraft, die zu begreifen er viel zu geringe musikalische Begabung und zu wenig Kenntnisse hat, nicht zu gedenken des mangelnden Gefühles. Ich glaube, so wie ich Sie kenne, keine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie bitte, die Sache in einer Notiz zu berichtigen; ist Ihnen mein Wort nicht genügend, so bin ich bereit, Ihnen schriftliche Beweise von Düsseldorf zu liefern; freilich leidet dann mein Herz länger den schmerzlichen Druck, den theueren Mann mit einer Unehre behaftet zu wissen, die ihm, dem Himmel sei Dank, nie widerfahren. Sie begreifen, daß jede Säum niß, dies zu lichten, mir schwer auf der Seele lastet und entschuldigen daher mein Drängen.

Ueber manches Andere in Ihrem Aufsatze gelegentlich mit Ihnen zu sprechen, wäre mir erwünscht, ich meine, es müßte mir gelingen Sie einiger anderer kleiner Ungerechtig keiten zu überweisen. Glauben Sie mir, ich war nie blind für meinen Mann als Künstler, was ich wohl am deutlichsten dadurch beweise, daß ich, dem Umfange nach, bedeutende Werke aus dem Nachlasse, trotz allen Drängens der Ver leger, zurückhalte, dennoch bin ich der Ueberzeugung, daß ihm oft Unrecht geschieht, wenn man seine dritte Schaffens periode eine herabsinkende nennt — mir scheint sie

nur eine hie und da abweichende — doch ich verliere mich zu weit; lieber lassen Sie uns einmal in Ruhe darüber sprechen — richten freilich kann nur die Zeit! Bitte geben Sie mir nur ein paar Worte Antwort betreffs meines Ansuchens und seien Sie freundlich gegrüßt von Ihrer ergebenen Clara Schumann.“

Unverzüglich veröffentlichte ich die von Frau Schumann gewünschte Berichtigung, und zwar mit dem Beifügen, daß ich ihre Autorität in allen Schumann betreffenden That sachen als entscheidend ansehe. Ich konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, wie gut es wäre, wenn sie das nur vom Hörensagen ihr bekannte Buch Wasielewski’s zur Hand nehmen und, was unrichtig darin, mir anzeichnen wollte. Gewiß werde man dann in strittigen Fällen ihrem Aus spruch glauben. Alle Verehrer Schumann’s müßten ihr Dank dafür wissen, daß sie dem Andenken ihres Gatten zuliebe ihre Wehleidigkeit überwinde und endlich das Buch selbst durchlese. Diese Zumuthung und der vielleicht unglück lich gewählte Ausdruck „Wehleidigkeit“ — ich wüßte auch heute keinen anderen — hat leider Frau Schumann in heftige Aufregung versetzt. Das wurde mir von ihren Freunden sehr nachdrücklich mitgetheilt. Der so schmerzlich geprüften edlen Frau eine Ungerechtigkeit aus Liebe verübeln zu wollen — von dieser noch schlimmeren Ungerechtigkeit wußte ich mich frei. Trotzdem durfte ich fürchten, mein Besuch werde ihr jetzt nicht willkommen sein. Nur meine Berichte über ihre gleichzeitig in Wien gegebenen Concerte sollten sie überzeugen, daß ich in der Verehrung für Schu mann und für sie selbst Niemandem nachstehe. Das mochte sie milder gestimmt und zu nachstehendem Briefe an mich (vom 7. Februar 1859) veranlaßt haben:

„Geehrter Herr Doctor! Von Herrn v. Schmuttermeyer erfahre ich heute, daß Mißverständnisse verschiedener Art sich zwischen uns gestellt. Solche auf sich beruhen zu lassen, ist nicht meine Art; ich spreche mich lieber offen aus, wie ich’s meine. Sie haben sich über mein Schreiben von Brünn aus gekränkt — ich glaubte Ihnen durch dasselbe einen Beweis meines Vertrauens zu geben. Ich schrieb Ihnen über Wasielewski, ich zeigte Ihnen mein Herz voll des Schmerzes über die dem Theuren widerfahrene Ungerechtigkeit, und

Sie antworten mir — und nannten meine Empfindungen „Wehleidigkeit“. Bei ruhiger Ueberlegung müssen Sie doch zugeben, daß dies verletzend für mich sein mußte und mir höchst unerwartet käme, weil ich mich der Hochschätzung Ihrerseits versichert hielt, wenngleich Sie sich immer ferne hielten, was mir aufrichtig leid that, und umsomehr, als auch mein theurer Mann Sie so hochschätzte. Haben Sie von meiner Seite mehr Aufforderung, mich zu besuchen, er wartet, so war es sicher nur Zurückhaltung, die man einer Frau wol verzeihen kann. Habe ich mich nicht dankend gegen Sie ausgesprochen, daß Sie sich immer so wohlwollend über mich geäußert, so war auch dies Zurückhaltung, ich hätte Ihnen meine Freude darüber geradezu am dritten Orte aussprechen müssen. Daß ich aber Ihre Gesinnung für mich kannte und werth hielt, bewies ich durch meinen vorigen Brief, und dieser mag Ihnen ein Beweis sein, wie sehr ich überzeugt bin, daß Sie mir nicht haben weh thun wollen. Hätte ich Sie zuweilen bei mir gesehen, was mir eine wahre Freude gewesen wäre, ich glaube, es wäre das Alles nicht so gekommen. Offenbar haben auch Leute sich bemüht, Ihnen eine solche Idee von mir beizubringen, wie es solche ja genug hier gibt. Vielleicht spreche ich Sie einmal in Ruhe, und ich denke, was noch zwischen uns Irr thümliches waltet, wird dann bald geschlichtet sein. Sie freund lichst grüßend verbleibe ich Ihre ergebene Clara Schumann.“

Dankbar ergriff ich die versöhnend mir gereichte Hand, und habe seither Frau Clara, der zu begegnen mir noch oft vergönnt war, stets gleich freundschaftlich gefunden bis an ihr Ende. Ihre Briefe habe ich hier mitgetheilt, weil sie mir zur Geschichte von Wasielewski’s Buch zu gehören scheinen. Sie können heute, nach fast vierzig Jahren, Nie manden mehr verletzen. Ebensowenig vermögen sie die an erkannten Vorzüge der Schumann-Biographie von Wasie lewski zu tilgen oder zu vermindern. Seine nachgelassenen Lebenserinnerungen“ enthalten, wie wir gesehen, so viel neue schöne Beweise seiner Pietät und Verehrung für Schu mann, daß sie wol auch Frau Clara zu Gunsten des Ver fassers umstimmen könnten, wenn sie das Buch noch er lebt hätte.