Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 12317. Wien, Dienstag, den 6. December 1898 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 12317. Wien, Dienstag, den 6. December 1898 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 06.12.1898
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Musik. (Philharmonisches Concert. Brahms und Dvořak.)

Ed. H. Die Philharmoniker eröffneten ihr jüngstes Concert mit BrahmsD-dur-Symphonie. Zur Zeit von Mendelssohn’s Direction der Gewandhaus-Concerte gab es in Leipzig viel Zeitungsstreit, ob eine Symphonie am An fang oder am Ende des Programms zu stehen habe. „Zu Anfang,“ behaupteten die Einen, weil nur da noch unver brauchte Empfänglichkeit für ein großes, mehrsätziges Werk vorhanden sei. „Zu Ende,“ meinten die Anderen; müssen wir doch nach dem Gesetz der Steigerung vom Kleineren zum Größeren aufsteigen und den Haupteffect für den Schluß sparen. So brachte man denn für jede Ansicht ver nünftige Gründe. Bülow wußte sogar in einem excentri schen Beispiel beide zu vereinigen, indem er Beethoven’s Neunte Symphonie im selben Concert als erste und als letzte Nummer aufführte. Immerhin blieb es in Leipzig wie anderwärts Sitte, mit der Symphonie zu schließen. Das ist meistens richtig, nicht immer; es gilt dafür kein abso lutes Gesetz. Der Charakter der einzelnen Stücke und ihr Verhältniß zu einander muß hier von Fall zu Fall entscheiden. Herrn Director Mahler leitete ein richtiges Gefühl, als er mit der Brahms’schen Symphonie anfing und hierauf erst Dvořak’s Novität „Heldenliedund die Ouvertüre zum „Sommernachtstraum“ folgen ließ. Es geschah im eigensten Interesse dieser Symphonie, deren edler Gedankengehalt und kunstvoller Aufbau sich immer und überall durchsetzt, die aber an sinnlichem Reiz und glänzen der Farbenwirkung zurücksteht hinter den beiden Tondich tungen von Dvořak und Mendelssohn. Vor diesen gespielt, entgeht Brahms’ Orchester-Colorit jeder Vergleichung; nach ihnen würde es wol etwas dumpf erscheinen. So stand denn in diesem ungewöhnlich angeordneten Programm Alles an rechter Stelle und mit der größtmöglichen Wirkung.

Ein glückliches Zusammentreffen oder Zusammenfügen hat die beiden Orchesterwerke von Brahms und Dvořak dicht aneinandergereiht. Hand in Hand gingen hier die beiden Meister, die im Leben einander so aufrichtig geschätzt und neidlos gerühmt haben. Ohne Widerspruch beherrschen sie heute alle ernsten Concertprogramme. Unsere einheimischen Quartettgesellschaften bringen Brahms und Dvořak; außer

dem genießt Ersterer die Vorliebe Joachim’s, Letz terer jene des Böhmischen Streichquartetts. Brahms’ symphonische Werke finden ihre glänzendste Ver tretung in den Philharmonischen, seine Chorstücke in den Gesellschaftsconcerten. Seine D-dur-Symphonie, die ihre erste Aufführung vor 20 Jahren unter Hans Richter feierte, hat seitdem nicht nachgedunkelt, im Gegentheil. Mahler dirigirte sie mit sichtlicher Liebe und Sorgfalt, man fühlte, daß nicht blos das Werk, sondern auch der Meister ihm ans Herz gewachsen sei. Brahms hat den Dirigenten Mahler überaus hochgeschätzt und seine Berufung nach Wien mit überzeugtem Eifer, wenngleich ohne Erfolg, schon vor Jahren betrieben. An diese vortreffliche Aufführung der D-dur- Symphonie wird sich am nächsten Sonntag eine von der Gesellschaft der Musikfreunde veranstaltete große Brahms- Aufführung reihen, die uns das „Schicksalslied,“ das Triumphlied“ und das zweite Clavierconcert in Aussicht stellt. Das Erträgniß dieser Aufführung kommt dem Brahms-Denkmal zu statten. Die pietätvolle Huldigung der Wiener, welche sich in den Sammlungen für das Brahms-Denkmal ausdrückt, ist etwas so Natürliches, Reines und Schönes, daß zu verwundern wäre, wenn nicht irgend welche neidische Stimme sich krächzend dagegen erhöhe. Sie kommt seltsamerweise aus England und gehört einem Londoner Clavierlehrer und Componisten Namens Algernon Ashton. In Wien weiß man von ihm nichts weiter, als daß er ein Heft Tänze Brahms ver ehrungsvoll gewidmet hat. Dieser Herr fragt nun sehr auf geregt, mit welchem Recht man an ein Brahms-Monu ment denken könne, bevor noch Richard Wagner und Schumann, die früher gestorben, in Marmor verewigt sind? Ja, antworten wir ihm, wenn man mit den Stand bildern streng chronologisch vorgehen und zuerst sämmtliche früher verstorbene große Künstler monumental erledigen wollte, da bekäme die Stadt das Aussehen einer versteinerten Geschichte der Musik. Zunächst hat jedes Land, jeder Ort an seine eigenen großen Künstler zu denken. Wenn in Stettin die Statue Karl Loewe’s, in Zürich die Nägeli’s, wenn demnächst in Zittau das Standbild Marschner’s, in ZwickauSchumann’s sich erheben, so rügt doch kein Vernünftiger, daß man dort nicht zuvor Monumente für Mozart und Beethoven errichte. In erster Linie entscheidet doch die innige locale Zusammengehörigkeit. Wien hat seine Ehrenschuld an die großen Meister

entrichtet, welche hier gewirkt haben bis an ihr Lebensende — Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert — nun wüßte ich wirklich nicht, an wen jetzt die Reihe käme, wenn nicht an Brahms! Weder Schumann noch Wagner verknüpft ein engerer persönlicher Zusammenhang mit Wien. Seltsam klingt es freilich, daß Wagner, 16 Jahre nach seinem Tode, noch immer kein Monument hat, weder in seiner Geburtsstadt Leipzig, noch in den großen Vororten seiner Wirksamkeit: Dresden, München, Bayreuth. Jede dieser Städte rühmt sich ihres Vorrechtes und möchte die anderen zurückdrängen; aber es wird mehr geredet als gehandelt. Wie heißt es doch bei Heine? „Und da Keiner wollte, daß der Andere für ihn zahle — zahlte Keiner von den Beiden.“ Also Herr A. Ashton, der beflissene Verehrer des lebenden Brahms, agitirt jetzt als Widersacher des verewigten. Wie der geschätzte Wiener Corre spondent der „Musical Opinion“ und des „Monthly musical record“, Herr J. B. Krall, mir mittheilt, glänzt Mr. Ashton, der seine musikalische Erziehung in Deutschland genossen, auch durch gehässige Ausfälle auf den „Musikcultus in Deutschland“ — zu Gunsten der Musik in England! Wem wir in Wien ein Denkmal errichten, das geht England und vollends Herrn Ashton gar nichts an. Wir werden uns gewiß auch nicht einmischen, wenn die dankbaren Engländer in Ermanglung eines Größeren den „Mikado“-Componisten Sullivan durch eine Reiterstatue im Hydepark verewigen.

Unversehens sind wir vom Wege des philharmonischen Programms abgewichen, das uns zunächst zu Dvořak’s Heldenlied“ führt. Mahler’s Vermittlung danken wir es, daß Dvořak die erste Aufführung seiner noch ungedruckten neuesten Orchester-Composition Wien zugewendet hat. Die Aufschrift „Heldenlied“ bezeichnet Charakter und Stimmung des Werkes; der Form nach ist es eine „symphonische Dichtung“ im Sinne Liszt’s und spielt sich in Einem fortlaufenden Satze ab, welcher mehrere in Tonart, Tempo und Ausdruck con trastirende Theile ohne scharfe Abgrenzung in sich faßt. Eigent liche Programm-Musik ist das „Heldenlied“ ebensowenig wie Beethoven’s „Eroica“, an die es durch seinen Namen erinnert. Dvořak zwingt dem Hörer keine detaillirte Gebrauchsanwei sung auf, wie bei seinen symphonischen Dichtungen „Wasser mann“, „Mittagshexe“, „Spinnrad“, welche diesen Nothbehelf leider nicht entbehren können. Das „Heldenlied“ ist in der Hauptsache rein musikalisch verständlich und wirksam, wenn auch einige Mittelglieder uns unklar geblieben sind. Aus

legerkünste werden sich wol auch an dem „Heldenlied“ zu schaffen machen — wie viele Erklärungen hat nicht schon die „Eroica“ erlebt und erlitten! An einen bestimmten Helden (wie Beethoven an Napoleon) will Dvořak, den wir darum befragten, durchaus nicht gedacht haben, nicht einmal an einen des böhmischen Landtages. Nach einer „authentischen Mittheilung“ des Concertprogramms haben wir bei dem Heldenlied“ (czechisch: „Piseň bohatyrská“) weniger an einen Kriegshelden, als an einen slavischen Rhapsoden oder Barden zu denken. Die Tondichtung gemahnt also an die Schicksale oder die Entwicklung eines Geistes helden, ohne daß die wechselnden Stimmungen be stimmte Vorgänge widerspiegeln müßten. Ein trotzi ges, rasch abreißendes Hauptmotiv in B-moll, das wir das Heldenthema nennen können, durchzieht in mancherlei Wandlungen das ganze Stück, das sich charaktervoll und farbenfrisch vor uns ausbreitet. Wie schön bettet sich das klagende Adagio zwischen zwei kampfmuthige Allegrosätze; wie wohlthuend löst sich das bis zum Zerreißen gespannte Pathos in dem volksthümlich anklingenden reizenden Allegretto in E-dur! Und dann, alle Orchestermächte auf jagend, die siegesfrohe Schlußstretta! Eine ausführlichere Schilderung und Beurtheilung des Werkes vermöchte ich heute nicht zu geben, ist mir doch nach einmaligem Hören in dem packenden Gesammteindruck manche Einzelheit und ihre Beziehung auf das Ganze entgangen. Die sanften lyri schen Partien haften mir als die schönsten im Gedächtnisse. In dem „Heldenlied“ glänzt die Kunst contrapunktischen Verwebens mehrerer Motive, die rhythmische Abwechslung, die originelle Modulation, endlich die im Zarten wie im Starken gleich klangvolle Instrumentirung, der ich nur — um doch etwas auszustellen — eine weniger betäubende Mitwirkung des Blechs und der Lärminstrumente ge wünscht hätte.

Ohne Zweifel wird das „Heldenlied“ als eine von echtestem Talent inspirirte und mit auserlesener Technik gestaltete Schöpfung überall siegreich auftreten. Daß Dvořak auch in Paris bereits anerkannt und beliebt ist, bezeugt ein eben erschienenes Buch des bekannten Musikschrift stellers Albert Soubies: „Histoire de la musique Bohème.“ Der Wiener Erfolg präludirt diesen Erwartungen. Das sehr schwierige Stück, unter Mahler’s Leitung hinreißend gespielt, machte große Wirkung. Der Componist, welcher persönlich anwesend war (Zde!), mußte, stürmisch gerufen, immer von neuem vortreten und für den Beifall danken.