Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 12322. Wien, Sonntag, den 11. December 1898 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 12322. Wien, Sonntag, den 11. December 1898 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 11.12.1898
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Donna Diana.“ Komische Oper in drei Acten von E. N. v. Reznicek. (Erste Aufführung im Hofoperntheater am 9. December 1898.)

Ed. H. Sie liebten sich Beide, doch Keiner Wollt’ es dem Andern gesteh’n, Sie sahen sich an so feindlich, Und wollten vor Liebe vergeh’n.

So beginnt ein zartes Lied von Karl Löwe — und ungefähr ebenso die Handlung von „Donna Diana“. Wir brauchen den Stoff nicht eigens nachzuerzählen, ist doch Moreto’s Lustspiel „El Desden con el Desden“ hin reichend bekannt. (Verachtung mit Verachtung, nämlich ge heilt.) In der Schreyvogel-West’schen Bearbeitung als „Donna Diana“ hat es vierzig Jahre lang im Burgtheater geglänzt, um erst unter Laube vom Repertoire zu verschwinden. Louise Neumann als Diana, Fichtner als Cäsar, Löwe als Perin — ältere Theaterfreunde schwärmen heute noch von diesen Genüssen. Trotz mancher die Musik hemmenden Schwierig keiten hat der Stoff bereits Operncomponisten gelockt; vor zwölf Jahren gelangte Heinrich Hoffmann’sDonna Diana“ (mit Lola Beeth in der Titelrolle) in Berlin zur Aufführung und wurde einigemale gern gehört. Mit ungleich größerem Glück ist Herr v. Reznicek nachgefolgt. Seine Donna Diana“ hat seit ihrer Erstaufführung in Prag

(1890) sich rasch die meisten deutschen Bühnen erobert. Director Mahler erkannte es als eine Ehrenschuld, das außerhalb unseres Vaterlandes so beliebte Werk eines Oester reichers endlich auch den Wienern vorzuführen.

Das Libretto hat Reznicek in getreuer Nachbildung des West’schen Lustspieles selbst geschrieben und zahlreiche Stellen des Originals wörtlich beibehalten. So mancher Reiz konnte den Componisten verlocken: der romantische Vorgang, das spanische Costüm, die prunkvollen Aufzüge, endlich drei charakteristische Hauptfiguren: Diana, Cäsar, Perin. Was hingegen dem vollen Einströmen der Musik sich entgegen stellt, ist die klare, scharfe Kälte, das Ueberwiegen des Geistes in Moreto’s Lustspiel, was der Handlung fast den Charakter eines psychologischen Experimentes aufprägt. Die Wortgefechte zwischen Cäsar und Diana, die im gesprochenen Dialog sich rasch vollziehen, werden schleppend im Gesang und ebenso gefährlich wie die neckenden Wechselreden in Beatrice und Benedikt“ („Viel Lärm um Nichts“) oder in der „Bezähmten Widerspenstigen“. Auch diese zwei Shakespeare’schen Lustspiele sind im Grunde geistreiche Zank duette, und doch hat jedes einen Componisten unwiderstehlich angelockt: Berlioz und Hermann Götz. „Donna Dianaermangelt in ihrer dürftigen Handlung obendrein der starken Contraste und Ueberraschungen. Reznicek hat diesem Mangel des Textbuches glücklich durch Chöre, Aufzüge und vor Allem durch reizende Balleteinlagen abzuhelfen versucht.

Treten wir näher an die Musik heran, so fühlen wir uns gleich von der Ouvertüre angenehm überrascht und unterhalten. Sie rollt mit außerordentlicher Lebendigkeit und buntem Farbenwechsel in Einem Zug dahin. Ihr prickelndes Hauptmotiv in Drei-Sechzehntel-Tact beherrscht später das Ensemble am Schlusse des ersten Actes. Noch ein zweites Thema zärtlichen Charakters erfreut uns bei seiner häufigen Wiederkehr: das zuerst von Perin in der Einleitungs scene gesungene „Ist’s Laura, ist’s Fenice?“ Für eine einzelne duftige Blume, die sich aus kargem Erdreich erhebt, sind

wir doppelt dankbar. Wir sind freilich bald fertig mit der Aufzählung solcher Blumen; unser Componist ist durchaus kein Melodienkrösus. Aber mit seinem bescheidenen Aus kommen weiß er gut Haus zu halten, auch dasselbe aus dem spanischen Nationalschatz glücklich zu ergänzen. Reznicek glänzt nicht durch reiche, originelle Erfindung, wol aber durch sein Talent für das Aeußerliche, Bühnenmäßige. Darum wirkt er auch als Instrumental-Componist weit stärker als in seiner Vocalmusik. Die Gesangspartien, ins besondere die lyrisch-sentimentalen der Diana und Don Cäsar’s, entbehren der plastischen Form, der Natürlichkeit und Frische; sie bewegen sich zumeist in dem durch Wagner aufgekommenen Zwittersang von Declamation und Cantilene. Da sehnen wir uns oft ebensosehr nach einem rasch er klärenden Recitativ, wie nach einem selbständigen Arioso. Schon in dem einleitenden Monolog Don Cäsar’s verräth sich die Neigung des Componisten zu übermäßig pathetischer Behandlung, zur Rede in Superlativen, zu starkem, den Gesang deckendem oder durchkreuzendem Accompagnement. Das widerstrebt dem Styl des Lustspieles, der komischen Oper. Auf einen herrschenden Grundton muß jedes Bühnen stück, trotz seiner mannigfaltigen Bestandtheile, gestimmt sein. Die heiteren Scenen in einem ernsten Drama dürfen nicht in die Lustigkeit des Possenstyls verfallen, ebensowenig die sentimentalen Nummern einer komischen Oper in das Pathos der Tragödie. Don Cäsar klagt sein Liebesweh, Diana äußert ihre Eifersucht in so durchbohrenden Accenten, so gewaltsamen Modulationen, und das Orchester zollt ihnen so stürmisches Beileid, daß wir gründlich aus jeder Lust spielstimmung herausgeworfen sind. Ja, das Orchester! Das ist die glänzendste Seite und zugleich gefährlichste dieser Partitur. Reznicek, ein Virtuose der Instrumentirung, entzückt und peinigt uns mit dieser Virtuosität. Seinem Werke schadet nicht blos der Lärm, sondern noch öfter die Unruhe der Orchestrierung. Der Componist hat jedem Instrument seine Geheimnisse abgelauscht, leider möchte er

sie am liebsten alle zugleich ausplaudern. Heine’s boshaftes Wort, daß bei Jean Paul die Witze wie erhitzte Flöhe herumspringen, paßt vollständig auf Reznicek’s Orchester- Effecte. Flötentriller, Harfenglissandos, zuckende, juckende Geigenpizzicatos, concertante Clarinettpassagen, grelle Trompetenstöße, Alles wie auf einer Treibjagd hinter einander her! Man kommt zu keiner einheitlichen Stimmung und möchte doch einmal acht Tacte lang aufathmen. Gewiß hat es seinen Reiz, dieses Durcheinander von Orchester- Bonmots zu verfolgen, aber der Schaden ist größer als der Reiz. Durch solche Begleitung wird die Singstimme gedeckt, das Wort unverständlich und bestenfalls die Aufmerksamkeit abgelenkt von der Hauptsache: dem Gesang. Wo diese schädliche Concurrenz vollständig ausgeschlossen ist, da wirkt der Componist und genießt der Hörer am reinsten. Seltsam genug in einer Oper, daß wir uns auf die Scenen freuen, wo der Gesang gänzlich schweigt! Da ist das Orchester alleiniger Herr und sofort ein liebenwürdiger Herr, während er gegen den Gesang den Haustyrannen spielt. Die reinen Instrumental-Nummern — Tänze, Aufzüge, Zwischenspiele — bieten uns in „Donna Diana“, was die Gesangstücke an Originalität und Formschönheit uns schuldig geblieben. Da steckt vor Allem die Balletmusik voll Reiz und Leben. Daß sie fast durchgehends auf original- spanische Volksmelodien gebaut ist, ficht uns nicht an; im Gegentheil, wir danken es ihnen, daß sie Temperament und Localfarbe in die Oper bringen, welche sonst an schleichender Declamation und fieberheißen Interjectionen ersticken würde. Volksweisen gelten so ziemlich überall als herrenloses Gut, und wer sie wirksam und geistreich zu verwerthen weiß, wie Reznicek in „Donna Diana“ oder Bizet in „Carmen“, der hat sein volles Occupationsrecht erwiesen. Wir rühmen außer der eigentlichen Balletmusik die feurigen Introductionen zum zweiten und dritten Act, vor Allem das bei offener Scene erklingende zarte Orchester-Zwischenspiel, das frühere Motive in einen wahren Klangzauber einfüllt. Nach dem

Intermezzo in der „Cavalleria“ wol das einzige Beispiel, daß in Wien eine solche Zwischenmusik stürmisch zur Wieder holung verlangt wurde. Wie unvergleichlich wird es aber auch vorgetragen!

In den Gesangstücken der Oper herrscht überwiegend der aufgeregte Wagner’sche Declamationsstyl; sie prunken mit der „unendlichen Melodie“ im Orchester, weil ihnen selber die endliche abgeht. Von diesem Styl lenkt der Com ponist in der zweiten Hälfte der Oper wiederholt in popu lärere Bahnen. Er entledigt sich der schweren Wagner’schen Rüstung und verkehrt fast freundschaftlich mit Nicolai, Kreutzer, Lortzing. „Von allen Farben, denk’ ich, haben wir? Ich hab’ von allen!“ sagt Donna Diana. So bewegt sich Floretta’s Strophenlied „Mütterchen“ in einfachem Volkstone, Perin’s ermüdend lange Buffo-Arie in der grünen Lortzing weis’. Don Louis singt, blos von der Harfe begleitet, ein gefälliges Ständchen hinter der Scene; Don Gaston ein derberes mit Trompeten und Pauken. Es folgt ein Bolero für drei Frauen- und drei Männerstimmen in Drei-Achtel-Tact. Da sie meistens unisono singen (auch die Verzierungen in Zweiunddreißigstel-Noten), so macht das lästig ausgedehnte Stück einen schwerfälligen Eindruck, etwa wie ein plumper Vogel, der fliegen möchte und nicht kann. Man sieht, daß der dritte Act durch lauter Lückenbüßer bei schon stockender Handlung künstlich ausgedehnt wird. Endlich explodirt ein leidenschaftlicher Monolog Diana’s. Die schöne Spanierin ist complete Wagnerianerin geworden. Bei allem Aufgebote von exaltirten Aufschreien und wüthender Orchester-Figura tion bringt es das Stück doch zu keiner echten Empfindung. Dieser Mangel haftet erkältend an allen Scenen (insbe sondere Diana’s), welche tiefe, warme Herzenstöne verlan gen. Mit der sehr billigen „edlen Verachtung“ selbstständig schöner Melodie ist das freilich schwer zu erreichen. Darunter leiden ebenso schwer die Sänger wie die Hörer.

Dankbare Aufgaben haben in „Donna Diana“ nur das Orchester und die Ballettänzerinnen. Ihnen wurde auch

der lebhafteste Beifall zu Theil. Die schwierigsten, zugleich undankbarsten Partien sind die der beiden Hauptpersonen Diana und Cäsar. Sie singen — ohne Ruh’ bei Tag und Nacht — nichts, was uns Vergnügen macht. Ihnen selbst auch nicht. Diana, durch die erste Hälfte der Oper steif und passiv, kann in der zweiten nur durch starke Ausbrüche der Leidenschaft wirken. Don Cäsar, der immer an sich halten muß, hat nicht einmal diese. Thatsächlich wirken beide sympathischer und stärker, wenn sie, wie in dem Lustspiele des Burgtheaters, blos gesprochen werden. Fräulein Renard, die in ihren verschiedenen kostbaren Costümen reizend aussieht, wendet ihr volles Spiel- und Gesangs talent an die Rolle der Diana, in der sie keine Neben buhlerin zu fürchten hat. Mit gleicher Sorgfalt, vornehm und maßvoll, gibt Herr Naval den Don Cäsar. Mehr unmittelbare Wirkung als diese beiden fürstlichen Haupt personen des Stückes erzielten das Kammermädchen und der Hofnarr. Fräulein Michalek hob die Rolle der Floretta durch liebenwürdige, schalkhafte Anmuth und über raschte in den großen Ensembles durch Kraft und Wohllaut ihrer hohen Töne. Von allen Mitwirkenden hat sie den größten, anhaltendsten Beifall entfesselt nach dem ganz schlicht und natürlich vorgetragenen „Schlummerlied“. Die Rolle des Perin verlangt einen ebenso gewandten Schauspieler wie tüchtigen Sänger; Herr Demuth wir ihr nach beiden Seiten vollkommen gerecht. Die Sängerinnen Fellwock, Kusmitsch und Elizza, die Herren v. Reichenberg, Pacal und Grengg tragen durch ihre vortreffliche Mitwirkung wesentlich bei zu dem günstigen Erfolge der Novität. Daß nebst den Solo sängern auch der Componist Herr v. Reznicek wieder holt gerufen wurde, haben wir bereits gemeldet. Es erübrigt nur noch, der wahrhaft glänzenden Ausstattung der Oper zu erwähnen und der großen Verdienste, welche Director Mahler um den musikalischen und scenischen Theil der Vorstellung sich erworben hat.