Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 12372. Wien, Dienstag, den 31. Januar 1899 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 12372. Wien, Dienstag, den 31. Januar 1899 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 31.01.1899
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Musik. Sechstes Philharmonisches Concert. — „Ihre Excellenz“, Operette von R. Heuberger.)

Ed. H. Festklänge haben das letzte Philharmonie-Concert eingeläutet. Es waren nur die von Liszt. Unter seinen symphonischen Dichtungen gehören die „Festklänge“ zu den am seltensten gespielten. In Wien, wo der Liszt-Cultus doch so eifrig genährt wurde, blieben die „Festklänge“ bis zur Stunde ausgeschlossen von den Philharmonischen wie von den Gesellschaftsconcerten. Nur in einem von dem Clavier virtuosen Tausig auf eigene starke Faust veranstalteten Liszt-Concert sind vor etwa 40 Jahren auch die Festklänge aufmarschirt. Seitdem nicht wieder. Wem die übrigen dieser symphonischen neun Musen bekannt sind, dem wird man über die Festklänge kaum viel Neues sagen. Sie theilen mit ihren Schwestern manchen Vorzug: Liszt’s feinen Sinn für Klangeffecte, die pikante Würze rhythmischer und harmo nischer Combinationen, den ungestümen Drang einer nach Neuem ringenden Subjectivität. Leider fehlt die eigentliche schöpferische Kraft und das edle Gleichmaß der Ausführung. Wie ruhelos wechseln in diesem Mischmasch von sentimen talen und heroischen Anfällen Tact, Tonart, Tempo, Cha rakter! Eine vereinzelte Melodie steckt hin und wieder furcht sam ihr Köpfchen heraus, um sofort in wüstem Gedränge unterzugehen; jeder zarten Regung tritt eine dreiste Fanfare, jeder reinen Harmonie ein schneidender Mißklang auf den Nacken. Es war Liszt’s gutes Recht, gegen seine classischen Vorgänger es mit größerer Abwechslung und schärferen Gegensätzen zu versuchen. Aber dieser Carneval von Mannig faltigkeiten kennt keine Einheit, dieser Faustkampf von Con trasten keine Versöhnung. Anstatt erfreut und erhoben, fühlt sich der Hörer betäubt und verstimmt. Einen Vorzug haben übrigens die „Festklänge“ vor Liszt’s anderen symphonischen Dichtungen: den, daß sie keine Geschichte erzählen. Man muß nicht immerfort mit ansehen und nachlesen, wie das „Pro gramm“ den geängstigten Tondichter von Tact zu Tact verfolgt. In jenem verschollenen Tausig-Concert mußte ein von einem Wiener Schriftsteller eigens verfaßtes Programm das Publi cum einweihen in die poetischen Geheimnisse der Festklänge. „Ein großes allgemeines Fest,“ hieß es da, „ruft eine be

wegte Menge, die Freude auf der Stirn, den Himmel in der Brust, in seine Zauberkreise.“ Wie diese Freude, dieser Himmel sich doch in Liszt’schen Accorden ausnimmt! Und die dort versprochenen „olympischen Spiele der Griechen“, er innern sie nicht an die blutigen Ergötzlichkeiten einer unga rischen Landtagswahl? Natürlich ergehen sich die Festklänge, wie fast alle Liszt’schen Orchesterstücke, sehr üppig in „tür kischer Musik“. Die große Menge hört das immer gern, und so läßt sie sich vielleicht auch einreden, dieselbe große Trommel sei bei Verdi roher Effect, bei Liszt Ausdruck sublimster Begeisterung. Brendel, der Leipziger Zu kunftsagent, schrieb damals den monumentalen Satz: Liszt’s Werke sind das Ideal unserer Zeit.“ Diese Zeit scheint sehr rasch zu fliegen. Trotz der Betrieb samkeit eigener stabiler Liszt-Vereine werden die Aufführungen von Liszt’s Orchester- und Chorwerken zusehends seltener. Liszt’s geniale, hinreißende Persönlichkeit, die auch den Wider strebenden gefangen nahm, sie gehörte zu seiner Musik, ebnete ihre Erfolge, vergoldete ihre Wirkung. Nur wenige der einst von Liszt’s Umgang Bezauberten sind noch am Leben. Und wenn auch die einmal fort sind?... Die „Fest klänge“ wurden unter Mahler’s Leitung glänzend ausgeführt und beifällig aufgenommen. Einen gewissen sinnlich berau schenden Eindruck machen sie ohne Frage und um so sicherer, als sie gegen Prometheus, Mazeppa, Dante, Hamlet, Hunnenschlacht, Heldenklage und wie die anderen sympho nischen Unglücksfälle alle heißen, in eine freundlichere Region einlenken und gleich mit dem Hauptthema einen volksthüm lichen Ton anschlagen.

Nach den Festklängen sprangen wir rasch anderthalb hundert Jahre zurück, von Liszt zu Rameau. Der einst viel geschmähte und viel gefeierte Mann erscheint nunmehr äußerst selten in den Concertsälen und längst nicht mehr in der Oper. Aus seiner fünfactigen großen Oper „Dardanus(1739) haben uns die Philharmoniker ein Balletstückchen gespielt, den Rigaudon. So hieß eine ältere provencalische Tanzform im munteren Allabreve-Tact, deren Namen Rousseau von ihrem Erfinder Rigaud abzuleiten versucht. Eine charakte ristische, altmodisch graziöse Musik. Sie gefiel dem Publicum und erweckte die interessantesten Erinnerungen an einen ver schollenen Operngeschmack. In den Opern Rameau’s, noch mehr in jenen seines Vorgängers Lully, spielte das Ballet eine uns

heute unbegreiflich wichtige große Rolle. Die tragischesten Opern aus der antiken Heldenzeit enthalten fast ebensoviel Gavotten, Menuets, Passepieds u. s. w. wie Gesangsstücke. In Rameau’s berühmtester Tragédie en musique: „Castor und Pollux“ bringt jeder der fünf Acte ein großes Ballet; noch im letzten, nach dem Tode der Helden, tanzen die seligen Geister im Elysium, daß es ein Vergnügen ist. Ein Nachklang dieser Sitte herrscht heute noch in Paris. Jede große Oper muß vorschriftsmäßig ein Ballet enthalten oder deren zwei, meistens im zweiten und im vierten Act. Man denke an das Widerstreben Richard Wagner’s der in seinen „Tannhäuser“ ein Ballet einlegen mußte, wollte er nicht auf die Aufführung in Paris verzichten. Und wie hat Gounod gewettert gegen dieselbe Zumuthung, als sein „Faust“ vom Théâtre Lyrique an die große Oper kam. So sehr ihn dieses Avancement freute, so arg verdroß ihn die Nöthigung, den fünften Art nachträglich mit einem sinnlosen großen Ballet aufzuputzen. An den Traditionen ihres Theaters halten die Franzosen mit unglaublicher Hartnäckigkeit fest. In der Opéra Comique darf kein Ballet vorkommen und paßte es noch so gut; in der Großen Oper muß es vor kommen und paßte es noch so schlecht. Jean Philipp Rameau war der musikalische Genius Frankreichs im Zeitalter Voltaire’s. Uns ist er längst ein todter Name, genau so todt wie sein berühmterer Vorläufer Lully. Für den Musikhistoriker bleibt Rameau eine der interessantesten Erscheinungen zunächst als Be gründer einer neuen Harmonielehre. Seine berühmte Abhandlung „De l’harmonie réduite à son principes naturels“ veröffentlichte Rameau1728, in demselben Jahre, in welchem J. Seb. Bach den ersten Theil seines Wohltemperirten Claviers schrieb. Sodann durch seinen unbestreitbar starken Einfluß auf Gluck in der Behandlung des Recitativs und der Chöre. Uns Kindern des 19. Jahr hunderts beginnt aber die Oper erst mit Gluck, und selbst diesem gönnen wir nur äußerst selten mehr das Wort. Man hat für ihn großen Respect, aber weder Liebe noch Ver langen. Für Rameau nicht einmal Neugierde. Danken wir dem Director Mahler, daß er uns den merkwürdigen Mann, gleichsam auf Umwegen, versteckt, wieder in Erinnerung brachte — mit einem Tanzstück, dessen graziöser Schritt gar keiner historischen Vorbildung bedarf, um aufrichtig zu gefallen. Es ist von einer fast kindlichen Einfachheit. Und doch cursirte

damals in Paris gegen die Schwerfälligkeit und Verkünstelung von Rameau’s Musik das Pamphlet: „Si le difficile est le Beau — C’est un grand homme que Rameau!“

Wir genossen im Philharmonischen Concert drei Novi täten: eine längstvergangene (Rameau) und zwei halb vergangene (Liszt und Götz). Nur für Wien war die F-dur- Symphonie von Hermann Götz eine Neuigkeit. Der vor 23 Jahren im besten Mannesalter verstorbene Ton dichter ist in Wien erst durch seine „Bezähmte Widerspenstigebekannt und beliebt worden. Das vortreffliche Opernbuch Victor Widmann’s hat er da mit einer feinen geistreichen, häufig an Wagner erinnernden Musik illustrirt, welche nur einen leichteren Lustspielton vermissen ließ. Man könnte ihre Wiederaufnahme empfehlen, wenn wir nur für die Haupt rolle eine zweite Pauline Lucca hätten. („Das gibt’s nit“, sagt der Wiener.) Der durchgreifende Erfolg einer Oper pflegt allmälig die früheren kleineren Werke ihres Com ponisten ans Licht zu ziehen; so geschah es auch nach der Aufführung der „Widerspenstigen“. Eine „Frühlings-Ouver türe“ von Götz, deren mäßige Wärme an einen Mai in Königsberg, den Geburtsort des Componisten, erinnert, also Niemandem warm macht, erwarb sich nur das zweifelhafte Lob einer tüchtigen Capellmeister-Arbeit. Bedeutender wirkten von Götz zwei größere Compositionen für Chor und Orchester: Schiller’s „Nänie“ und der 137. Psalm. In beide, an Mendelssohn anklingende Chorwerke brachte die gediegene Bildung und feinfühlige Natur des Tondichters eine gewisse Vornehmheit, ohne das Werk selbstständiger, triebkräftiger Ideen. Frischer und einheitlicher wirkt die F-dur-Symphonie von Götz, welche seit zwanzig Jahren ein beliebtes Repertoirestück der meisten deutschen Concertvereine, erst jetzt durch Director Mahler uns bekannt geworden ist. Wie allenthalben, so galt auch hier der Beifall hauptsächlich dem volksthümlich anklingenden, lebhaften Scherzo in C-dur. Die übrigen drei Sätze sind mehr oder minder temperament los und langwierig, schienen auch geringeren Eindruck zu machen. Für mein Theil vermag ich darin auch nur die geschickte Arbeit eines feingebildeten, tüchtigen Capellmeisters zu erblicken, der über wenig Originalität und Ideenfülle verfügt. Die Philharmonischen Programme haben sich unter Mahler bisher durch große, allen Zeiten und Schulen gerechte Mannigfaltigkeit ausgezeichnet. Trotzdem würde es sich viel

leicht empfehlen, die Alleinherrschaft des Orchesters in ein zelnen Fällen auch durch Gesangstücke, Clavier- und Violin concerte zu durchbrechen; rechnen doch die größten Virtuosen und Gesangskünstler sich zur Ehre, in diesen Concerten mit zuwirken. Mit dieser Genugthuung bedeutender Künstler ginge Hand in Hand das Vergnügen der Zuhörer.

Uebergehen wir ausnahmsweise von der ernsten zur heiteren Kunst, so haben wir heute auf dem Gebiete der Wiener Operette einen neuesten kräftigen Erfolg zu ver zeichnen, den von Heuberger’sIhre Excellenz“. Vortrefflich aufgeführt und glänzend ausgestattet, hat das Stück im Theater an der Wien außerordentlich gefallen. Es dürfte bald alle Bühnen erobern, selbst wenn die Darm städter Geistlichkeit vergessen sollte, ihm durch eine Beschwerde über Unsittlichkeit dieselbe wirksame Reclame zu schaffen, wie jüngst dem „Opernball“. Eigens für Mädchen-Pensionate sind beide Operetten nicht ausdrücklich bestimmt. Auch dies mal hat Heuberger seinen Stoff einem französischen Lustspiel entnommen, der bekannten „Niniche“ von Hennequin und Millaud. Ein charakteristisches Beispiel für die unvergleich liche Virtuosität der Franzosen, aus dem winzigsten Motiv eine Kette von Mißverständnissen und Ueberraschungen zu schmieden, welche bis zum letzten Augenblick nicht ab reißt und den Zuschauer in fortwährender Spannung und bester Laune erhält. Zu bedauern, für den Musiker zu bedauern, ist nur, daß in dieses athemversetzende Intriguenspiel nicht der schwächste Sonnenstrahl von Gemüth und Empfindung fällt, wie es doch hie und da im „Opernballgeschieht. Richard Heuberger hat zu dem amüsanten Text eine sehr ansprechende Musik geschrieben, weder classisch noch secessionistisch, nicht immer gleich originell, aber stets frisch und melodiös, dabei sorgfältiger gearbeitet und feiner in strumentirt, als man es heute in diesem Genre gewohnt ist. Einige Kürzungen im ersten und zweiten Act würden die Wirkung des Ganzen noch erhöhen — darf man doch nicht vergessen, daß die musikalische Form zu ihrer bescheidensten Entfaltung Zeit braucht, dreimal so viel Zeit als dieselbe Scene im gesprochenen Dialog. Heuberger und alle Mitwirkenden (unter welchen Herr Capellmeister Müller ein besonderes Lob verdient) dürfen sich des aufrichtigen schmeichelhaften Beifalls freuen, welcher „Ihrer Excellenzzu Theil ward.