Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 12386. Wien, Dienstag, den 14. Februar 1899 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
Georg-Coch-Platz 2 1010 Wien Österreich Wien
Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

Sie dürfen: Teilen — das Material in jedwedem Format oder Medium vervielfältigen und weiterverbreiten

Bearbeiten — das Material remixen, verändern und darauf aufbauen und zwar für beliebige Zwecke, sogar kommerziell.

Der Lizenzgeber kann diese Freiheiten nicht widerrufen solange Sie sich an die Lizenzbedingungen halten. Unter folgenden Bedingungen:

Namensnennung — Sie müssen angemessene Urheber- und Rechteangaben machen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung besonders.

Keine weiteren Einschränkungen — Sie dürfen keine zusätzlichen Klauseln oder technische Verfahren einsetzen, die anderen rechtlich irgendetwas untersagen, was die Lizenz erlaubt.

Hinweise:

Sie müssen sich nicht an diese Lizenz halten hinsichtlich solcher Teile des Materials, die gemeinfrei sind, oder soweit Ihre Nutzungshandlungen durch Ausnahmen und Schranken des Urheberrechts gedeckt sind.

Es werden keine Garantien gegeben und auch keine Gewähr geleistet. Die Lizenz verschafft Ihnen möglicherweise nicht alle Erlaubnisse, die Sie für die jeweilige Nutzung brauchen. Es können beispielsweise andere Rechte wie Persönlichkeits- undDatenschutzrechte zu beachten sein, die Ihre Nutzung des Materials entsprechend beschränken.

Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 12386. Wien, Dienstag, den 14. Februar 1899 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 14.02.1899
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Musik. (Hofoperntheater. Zweites Orchesterconcert der Herren Rabaud und d’Ollone.)

Ed. H. Im Opernhause sind jetzt zwei interessante musi kalische Raritäten ausgestellt: „Der Apotheker“ von Joseph Haydn und „Die Opernprobe“ von Lortzing. Ueber beiden schwebt unsichtbar die Gestalt Mozart’s. An ihn mußte man unwill kürlich denken bei Haydn und bei Lortzing: Ersterer deutet auf Mozart voraus, Lortzing auf Mozart zurück. Sensation zu machen, uns aufzuregen oder hinzureißen, dafür sind die beiden anspruchslosen Einacter nicht geschaffen, aber als eine freundliche Erholung nach den Gewaltthaten des Nibelungen liedes und der Iliade erscheinen sie eben jetzt zu rechter Stunde. ... Papa Haydn machte den Anfang. Bekanntlich hat die Fürstin Metternich (die Gott erhalte) vor vier Jahren eine einzige Aufführung des „Apothekers“ als Wohl thätigkeits-Vorstellung im Carl-Theater veranlaßt mit den ersten Kräften der Dresdener Hofoper. Weder früher noch später hatte Wien dieses allerliebste Rococo-Singspiel zu hören bekommen. Jugendfrisch fortlebend in seinen Oratorien, Symphonien, Quartetten, gehört Haydn doch als Opern componist zu den Verschollenen. Zu den unrettbar Verschollenen durfte man sagen, bevor sein „Apotheker“ als überraschende Ausnahme uns eines Besseren belehrte. Dieser feiert nun eine zweite Auferstehung in der praktischen und geschmackvollen Bearbeitung Dr. Hirschfeld’s. Director Mahler läßt vor dem „Apotheker“, in Ermanglung einer Ouvertüre, eine Haydn’sche Symphonie spielen, welche den Hörer gleich in die entsprechende musikalische Atmosphäre versetzt. Etwas umständlich vor einem einactigen Singspiel, wurde die Symphonie doch mit außerordentlichem Beifall aufgenommen. In so vollendet feiner Ausführung bekommt man ja Haydn’sche Symphonien nie und nirgends zu hören, wenn überhaupt. Unter fröhlichem Applaus geht der Vor hang auf. Da stoßen wir gleich auf eine zweite glückliche Neuerung. Zum erstenmale erblicken wir im Orchester ein Pianino, auf welchem Director Mahler die einfachen Reci tative begleitet. So war es ehemals Sitte, und eine ver nünftige Sitte. Der Capellmeister kann am Clavier sich dem freien, halb gesprochenen Recitativ leichter anschmiegen; der Eintritt des Orchesters wirkt darauf um so kräftiger. Die Handlung des Stückes ist schnell erzählt. Der Apotheker Sempronio ist ein bornirter Alter, der nach Gewohnheit

aller Lustspielmänner sich um seine schöne Nichte Griletta bewirbt. In diesem Unternehmen wird er von zwei jungen Leuten gehindert, die beide in Griletta verliebt sind. Der Eine, ein reicher Stutzer Namens Volpino, der Andere, Mengone, ein schüchterner Jüngling, der Griletta zuliebe als Lehrling bei dem Apotheker eingetreten ist. Diese beiden Nebenbuhler, sowol der begünstigte Mengone als der ver schmähte Volpino, benützen die Leichtgläubigkeit des passio nirten Zeitungslesers Sempronio zu allerhand eigennützigen Possen. Zuerst erscheinen sie als Notare, um Sempronio’s Heiratscontract aufzusetzen, dann spielt Volpino einen tür kischen Pascha, welcher dem Alten eine Berufung als Hof- Apotheker nach Konstantinopel überbringt. Schließlich führt der glückliche Mengone die Braut heim. Diese Handlung, die sich im Apothekerladen abspielt, entwaffnet uns durch die Anspruchslosigkeit ihrer possenhaften Komik. Die Musik ergötzt durch naive Anmuth und Drolligkeit; man genießt sie überdies als einen historischen Leckerbissen. Glücklich er funden und von solider Meisterhand ausgeführt, sind insbesondere die Ensemble-Nummern: das Quartett mit den beiden falschen Notaren und die durch einen kleinen Männerchor verstärkte Türkenscene. Von den Arien wirken am frischesten die erste des Mengone und jene Sempronio’s. Um die hier gestrichene langwierige G-moll- Arie des mit dem Degen herumfuchtelnden Volpino haben wir nicht zu trauern; eher wären noch ein und die andere Kürzung, namentlich der sentimentalen Gesänge, zu befür worten. An der Aufführung würde Haydn seine Freude ge habt haben, so dringend er in seiner Bescheidenheit sich dagegen auch gewehrt hat, daß seine für das fürstliche Haustheater in Esterhaz berechneten Singspiele auf große Bühnen ver pflanzt würden. Den alten Apotheker gibt Herr Hesch voll drastischer Komik, gleich trefflich in Spiel und Gesang. Der böhmisch-deutsche Anklang seiner Aussprache, der in ernsten Rollen mitunter auffällt, stört nicht in der Posse. Einen glänzenden Schmuck besitzt die Vorstellung in Fräulein Michalek (Griletta) und Herrn Schrödter (Mengone). Den Gecken Volpino gibt Fräulein Pohlner ganz gut. Gern würdigen wir das Verdienst Director Mahler’s um diese anscheinend so leichte kleine Oper, deren Styl dem heutigen Künstlerpersonal ja ganz fremd geworden ist.

Lortzing’s einactige komische Oper „Die Opern probe“ lehnt sich an ein längst vergessenes Lustspiel von JüngerDie Comödie aus dem Stegreif“. Schon das Libretto weist auf den Zusammenhang mit einer vergangenen

Zeit: sein Haupteffect beruht, wie im „Apotheker“, auf dem Spaß mit Verkleidungen. Ein flotter junger Baron Adolph Reinthal hat sich heimlich aus dem Hause seines Onkels entfernt, um einer von diesem geplanten Convenienz-Heirat zu entgehen. Von seinem Diener Johann begleitet, kommt er in die Nähe eines gräflichen Schlosses, dessen Besitzer ein Musik- und Theaternarr ist. Das ganze Haus bis zum Küchenjungen herab musicirt. Baron Adolph und sein Diener Johann haben als reisende Sänger sich Einlaß ins Schloß erwirkt und sollen in der bevorstehenden Opern probe mitwirken. Kaum hat diese begonnen, als plötzlich der alte Baron-Onkel ankommt. Adolph stürzt ihm zu Füßen, um Ver gebung bittend, und erfährt, daß die ihm zugedachte Braut keine andere ist, als die junge hübsche Comtesse, die bereits sein Herz erobert hat. So endet die unterbrochene Opernprobe mit einem Verlobungsschmaus und allgemeiner Zufriedenheit. Auch des Publicums, können wir beifügen. Die einfache Handlung ist geschickt geführt und mit manchem guten Scherz ausgestattet. Einige Kürzungen in dem allzu geschwätzigen Dialog dürften vielleicht nicht schaden. Die Musik ist echter, unverfälschter Lortzing, wenn sie gleich hinter dem „Waffenschmied“ und Wildschütz“ zurücksteht, vom „Czar und Zimmermanngar nicht zu reden. An die „Opernprobe“ einen rücksichtslos hohen Maßstab zu legen, vermeiden wir um so lieber, als die komische Oper in Deutschland kläglich verwaist ist, daher jedem ihrer wenigen wackeren Pfleger ein schonendes Privi legium gebührt, ähnlich dem Beneficium competentiae des Schuldners im römischen Recht. Die Schwächen der Lortzingschen Oper möchte ich nicht beschönigen, noch weniger unter schätze ich ihre Vorzüge. Wir wollen und können heute Lortzing nicht entbehren; kein großer Meister, ist er doch der letzte naive Operncomponist der Deutschen. Wie er quickend frisch klingt nicht gleich das erste Duett Adolph’s mit dem Bedienten, wie zart die Tenor-Romanze „Ob ich dich liebe?“ Ich erwähne noch das Buffo-Duett zwischen Johann und dem Kammermädchen, endlich das Sextett und das Finale — zwei wirksam ausgeführte En sembles, deren Hauptthemen uns schon in der Ouver türe verrathen sind. So weiß uns Lortzing im Ganzen zwar nicht viel Neues zu sagen, aber das Alte sagt er mit gewinnender Heiterkeit, in fließender Rede. Die Opernprobe“ ist Lortzing’s letztes Werk; er schrieb es für das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater in Berlin, an welchem er zuletzt, von Sorgen schwer bedrückt, als Capellmeister gewirkt hat. Einige Monate nach seinem Tode (1851) ge

langte die „Opernprobe“ zur Aufführung, um bald vom Repertoire wieder zu verschwinden. Erst in neuester Zeit ist das liebenswürdige kleine Werk gedruckt und an mehreren Bühnen mit Erfolg gegeben worden. Es ziemte und ver lohnte sich, das Andenken Lortzing’s auch bei uns wieder zu erwecken. In so guter Darstellung dürfte seine „Opern probe“ sich kaum irgendwo noch präsentirt haben. Voran standen die Herren Naval (Adolph), Demuth (Johann) und Hesch (Graf). Die einzige halbwegs hervortretende Frauenrolle (Hannchen) sang Frau Forster mit der an ihr bekannten zierlichen Correctheit. Die Sängerinnen Michalek und Baier, die Herren Frey und Felix wußten ihren bescheidenen Rollen die beste Seite abzugewinnen. Daß Mahler am Dirigentenpult saß, brauchen wir eigent lich nicht zu erwähnen; dirigirt er doch unermüdlich jeden Abend. ...

„Welch ganz anderen Einfluß,“ schrieb Saint-Saëns vor fünfzehn Jahren, „könnte unsere französische Schule ge winnen, wenn unsere jungen Musiker sich entschlössen, weite Reisen zu unternehmen und während einiger Jahre Pionniere der französischen Kunst zu werden!“ Diesen Wunsch ihres Meisters erfüllen jetzt die Herren Rabaud und d’Ollone. Ob ihre Missionsreise bei uns bleibende Erfolge zurücklassen werde, steht dahin — jedenfalls ist ihre Bemühung, ihr persönliches Eintreten von dem Publicum auf das wärmste anerkannt worden. Ihr zweites Concert begann mit den bereits zu französischen Halbclassikern gediehenen Componisten César Franck und Saint-Saëns. Es schloß mit Lalo und Bruneau, Führern der neuesten Schule, wenn man das noch eine Schule nennen darf. Franck’sD-moll-Symphonie ist wol das beste unter den von Rabaud und d’Ollone dirigirten umfangreichen Werken. Die Aufführung von Franck’s „Seligkeiten“ gab mir vor Kurzem Anlaß, ausführlich von diesem in Mühsal und Bescheidenheit verloschenen Tondichter zu sprechen. Heute genießt er in Frankreich eine posthume Verehrung, die vielleicht über das richtige Maß schon hinausstrebt. Seine Symphonie imponirt als ein Werk von starker ehrlicher Ueberzeugung und bedeutendem Können. Nirgends ein eitles Berechnen äußeren Erfolges, überall der Ausdruck geprägter Individualität. Daß diese gar zu frei und willkürlich waltet im Rahmen der Symphonie, ist nicht zu verhehlen. Wo den Componisten ein Motiv, eine Figur gerade fesselt, da läßt er träumend, schweifend, phantasirend sich ergehen, ohne Rücksicht auf die Proportionen des Ganzen. Franck’s Sym

phonie ist dreisätzig. Im ersten Satze wechseln unablässig das Largo der Einleitung mit dem Allegro; der Hörer kommt zu keiner einheitlichen Stimmung, das Stück nicht zum geraden Emporwachsen. Der zweite Satz vereinigt in ähnlichem Wechsel Andante und Scherzo; aus ersterem klingt viel Zartes und Inniges. Mit einem kräftigen Allegro-Thema setzt das Finale ein, um aber fortwährend zu Reminiscenzen aus den beiden früheren Sätzen zurückzu greifen. Zu viele Motive lösen einander ab; über ihnen herrscht allerdings ein die ganze Symphonie durchziehendes Hauptthema leider nicht plastisch, nicht charakteristisch genug, um in all seinen Verkleidungen und Verbindungen erkannt zu werden. Diese Unruhe erzeugt im längeren Verlaufe Monotonie und diese Monotonie wieder Unruhe im Zu hörer. Die Instrumentirung deutet vielfach auf Beethoven; sie hält sich abseits von der Klangspielerei wie von dem Ge töse der jungen französischen Symphoniker. Nur im ersten Satz fällt die starke Verwendung des Bleches auf; die Baß posaune unterstreicht da jedes einzelne Wort, das der Autor spricht.

Von Saint-Saëns bekamen wir abermals ein größeres Werk zu hören: sein Clavierconcert in C-moll. Es ist dem um die Einführung dieses Componisten hochver dienten Professor Anton Door gewidmet und in Wien bereits bekannt. Der jüngst gehörten C-moll-Symphonie, in welcher Saint-Saëns sich gewaltsam höher streckt, als er gewachsen ist, ziehe ich das Clavierconcert ohneweiters vor. Die Rück sicht auf den Pianisten, der doch glänzen will, hält hier den Componisten von gelehrtem Dunkel und schweren Com plicationen zurück. Der Clavier-Virtuose Saint-Saëns bietet hier dem Tondichter die rettende Hand. Seinem feinen, erfinderischen Talent für Clavier-Effecte verdankt das C-moll- Concert mehr Leben und Farbe, als die C-moll-Symphonie uns zu bieten hat. Allerdings sind auch hier die reizenden, geistreichen Nebendinge wirksamer als die Hauptsache; die Ge schicklichkeit größer als die Originalität und Fülle der Erfindung. Fräulein Clotilde Kleeberg spielte das sehr schwierige Concert mit vollendeter Sicherheit und Eleganz. Wie schön aus gebildet und der feinsten Schattirungen mächtig ist ihr An schlag! Auch mit vier graziösen kleineren Solostücken von Dubois, Fauré, Saint-Saëns und Cécile Cha minade entfesselte die liebenswürdige Künstlerin lang anhaltende Stürme von Applaus.

Weiter bescheerte uns das Concert ein paar neue Orchesterstück von Lalo und Bruneau, zwei Führern

der Wagner-Propaganda in Paris. Von Edouard Lalo kennen wir in Wien nur ein Violoncell-Concert von stark gepfefferter Impotenz, das vor etwa 20 Jahren der Pariser Virtuose Fischer hier vortrug. So gut er das Stück auch gespielt hat, man gratulirte sich inbrünstig, wie es aus war. Lalo hatte 30 Jahre lang es zu keinem Erfolg gebracht. Erst am Abend seines Lebens lächelte ihm das Glück: seine Oper „Le roi d’Ys“, die er seit zehn Jahren fertig hatte, wurde angenommen und mit großem Beifalle aufgeführt. Er hat diesen Späterfolg nicht lange überlebt. Die Oper selbst kenne ich nicht, welche C. Bellaigue „eines der fünf bis sechs Meisterwerke nennt, welche Frankreich in den letzten 25 Jahren hervor gebracht“. Die Ouvertüre hat mich wenig befriedigt. Und doch hat ihre Aufführung der ganzen Oper den Weg gebahnt! Die Einleitung, ein gefühlvolles Andante idyllischen Charakters, kann man, ohne dramatische Gebrauchsanweisung, musikalisch genießen; aber es dauert nicht lange, und ein beispielloser Spectakel von Blechinstrumenten und großer Trommel haut Alles zusammen. Ein ähnliches, noch derberes und unverständlicheres Orchesterstück ist das Vorspiel zum vierten Act der Oper „Messidor“ von Alfred Bruneau. Er gilt für den Feuerbrand unter den Pariser Modernen; schwört nur auf Wagner und componirt nur Zola. Drei Opernstoffe hat dieser Dichter Herrn Bruneau geliefert: „Le rêve“, „L’Attaque de moulin“ und „Messidor“ — durchaus Stücke, die in der Gegenwart, im modernen Costüm und höchst realistischer Prosa spielen. Das „Prélude“ aus „Messidor“ will uns mit derselben Schlinge fangen, wie die Ouvertüre von Lalo: es beginnt ganz menschlich, ja zart und idyllisch. Aber traue dem Niemand! Das Schäferspiel überspringt unversehens in ein Schlachtgetümmel und tobt mit Trompeten und Posaunen, mit Becken, großer und kleiner Trommel, daß uns Hören und Sehen vergeht. Einen musikalisch genießbaren Kern wird schwerlich Jemand herausfinden. Das heutige musikalische Frankreich ist ins Extrem gerathen. Der Geist der fran zösischen Prosa, Poesie und Musik war ehedem Klarheit und Logik — mitunter bis zur erkältenden Nüchternheit. Jetzt herrscht dort das Gegentheil, und unser wagnerisches junges Deutschland ist von den Franzosen weit überholt. Wir möchten diese an einen ihrer eigenen Classiker, an Diderot, erin nern. Von ihm ist der Ausspruch: „Le goût de l’extra ordinaire est le caractère de la médiocrité. Quand on désespère de faire une chose belle, naturelle et simple, on en tente une bizarre.“