Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 12497. Wien, Freitag, den 9. Juni 1899 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 20233

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 12497. Wien, Freitag, den 9. Juni 1899 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 09.06.1899
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Johann Strauß.

Ed. H. Als wir vor fünfzig Jahren den älteren Johann Strauß begruben, schloß ich einen Nachruf mit der Klage, Wien habe seinen talentvollsten Componisten verloren. Das Wort verdroß allerlei Musiker und Laien, die nicht begreifen wollten, daß ein schulgerechtes, physiognomieloses Kirchen- oder Concertstück weniger Talent, das heißt geringere Natur kraft offenbare, als ein melodienreicher origineller Walzer. In diesem Sinne müssen wir auch heute, am Grabe des jüngeren Johann Strauß, die Klage wiederholen, es sei mit ihm das ursprünglichste Musiktalent in Wienhinüberge gangen. Seine melodische Erfindung quoll so köstlich wie unerschöpflich; seine Rhythmik pulsirte in lebendigem Wechsel; Harmonie und Form standen rein und aufrecht. „Liebes lieder“ nannte er eine seiner schönsten Walzerpartien. Sie alle hätten so heißen dürfen: kleine Herzensgeschichten von schüchternem Werben, schwärmerischer Neigung, jubelndem Glücksgefühl, dazwischen auch ein Hauch leichtgetrösteter Wehmuth. Wer könnte auch nur die reizendsten von Straußzahlreichen Tanzstücken aufzählen! Schade nur, daß jede Ballsaison schonungslos wie Kronos ihre eigenen Kinder aufzehrt, um nachfolgenden Platz zu machen. So kennen wir thatsächlich die frühesten besten Walzer von Strauß heute so wenig, als stammten sie aus der Zeit Maria Theresia’s. Sie sind nicht veraltet, nur verdrängt und ver nachlässigt. Eine Walzerpartie aus Hunderten will aber gerade heute ausdrücklich genannt und gerühmt sein, weil sie etwas wie monumentale Bedeutung erlangt hat: „An der schönen blauen Donau.“ Es braucht nur — so schrieb ich davon vor Jahren — irgendwo das Anfangsmotiv auf den drei Staffeln des D-dur-Dreiklanges emporzusteigen, so färbt Begeisterung alle Wangen. Nicht blos eine beispiel lose Popularität, der Donauwalzerhat auch eine ganz ein zige Bedeutung erlangt; die Bedeutung eines Citates, eines Schlagwortes für Alles, was es Schönes, Liebes und Lustiges

in Wien gibt. Ein patriotisches Volkslied ohne Worte. Neben Haydn’s Volkshymne, welche den Kaiser und das Herrscherhaus feiert, besitzen wir in Strauß’ „Blauer Donau“ eine andere Volkshymne, welche unser Land und Volk besingt. Wo immer in weiter Ferne Oesterreicher sich zusammenfinden, da ist diese wortlose Friedens-Marseillaise ihr Bundeslied und Erkennungszeichen. Wo immer bei einem Festmale ein Toast auf Wien, auf Oesterreich ausgebracht wird, fällt das Orchester sofort mit der „Schönen blauen Donau“ ein. Und das ist die denkwürdige Bedeutung, welche diese Composition, jedem Volkslied zum Trotze, all mälig erlangt hat: ihre Melodie wirkt wie ein Citat.

Unser Johann Strauß hat den von seinem Vaterge schaffenen Wiener Walzer erweitert, bereichert, modernisirt. Straußhat Schule gemacht, und sie ist fast zum unwider stehlichen Zwang geworden. Was heute in Walzerform er klingt, ist meist nur durchtönender Strauß. Unsere Operetten- Componisten mögen sich noch so sehr zusammennehmen, nach ein paar Tacten im Walzertempo haben sie unwillkürlich Strauß copirt. Das heutige Wienist der Tanzmusik ab günstig. Bis vor wenigen Tagen stand sie noch auf zwei Augen; seitdem diese sich geschlossen, haben wir nicht nur unseren besten, wir haben unseren einzigen Walzercomponisten verloren.

Nachdem Straußdurch volle 25 Jahre seine Melodien fülle verschwenderisch als Tanzcomponist ausgeströmt, fühlt er sich doch etwas ermüdet und unbefriedigt von so enger Form. Er versuchte es mit dem Theater und schrieb 1871 seine erste Operette „Indigo“. Der Uebergang zur dramatischen Composition fiel ihm nicht leicht. Der regel mäßige Walzer- und Polka-Rhythmus steckte ihm noch zu fest im Blute. „Indigo“ strotzte von Melodien, aber man merkte ihnen an, daß sie nicht aus dem Text heraus geboren waren. Strauß selber hat mir gestanden, daß meine Vermuthung richtig gewesen und daß sein Textdichter zu meist fertigen Musikstücken nachträglich die Worte gut oder übel unter legen mußte. Von dieser dilettantischen Methode hat Strauß in seinen späteren Operetten sich befreit — nicht ohne einige Anstrengung. Er blieb doch jederzeit mehr der rein musika lisch erfindende, als der dramatisch schaffende Opern componist. Ein Unglück für „Indigo“ war das unglaublich

alberne, ordinäre Textbuch, ein Unglück, das in StraußBühnenlaufbahn leider nicht allein geblieben ist. Strauß verfuhr in der Auswahl seiner Librettos zu nachsichtig und zu unselbstständig, hörte willig auf verschiedene Rathgeber, deren letzter dann meistens Recht behielt. Von seinen fünfzehn Operetten sind manche ihrem schlechten Textbuche zum Opfer gefallen und trotz zahlreicher musikalischer Schönheiten rasch von den Bühnen verschwunden. Wie wenig beachteten diese Text dichter die specifische Natur von Strauß’ Talent, das durchaus heitere, lebensvolle Stoffe brauchte und am freiesten athmete in heimatlicher Luft. Statt dessen drängten sie ihn in exotische Abenteuer, auf italienischen, spanischen, französi schen Boden. Strauß’ Meisterwerk „Die Fledermausverdankt ihren anhaltenden, außerordentlichen Erfolg gewiß zumeist der reizvollen Musik, aber diese war nicht denkbar ohne die durchaus lustige, auf Wiener Boden übertragene Handlung. Die Fluth der Strauß’schen Melodie strömt da in einem engen Bette, aber sie füllt es bis an den Rand. Wo, wie in der „Fledermaus“, Scherz und Frohsinn den ganzen Stoff durchdringen und Tanzrhythmen emporwachsen läßt, da spendet Strauß sein Bestes und Echtestes. In sentimentalen oder gar tragischen Scenen stockt sein Puls, und er wird leicht gezwungen, uninteressant, banal. Das beweist manches Stück im „Zigeunerbaron“, nächst der „Fleder maus“ wol seine beliebteste Operette. Das Textbuch bringt einige neue charakteristische Figuren und interessante Situationen; die Musik ist vortrefflich, so lange sie nicht in Sentimen talität oder gar in tragischer Leidenschaft sich ergeht, wie im zweiten Finale. Von den früheren Operetten scheinen mir Das Spitzentuch“ und „Der lustige Krieg“ doch gar zu schnell aus dem Repertoire beseitigt; von den späteren der Waldmeister“. Der Text des letzteren ist, bei aller Dürftig keit der Handlung, durchwegs heiter und harmlos, also gerade recht für Strauß, der eine sehr anmuthige, wenngleich nicht überall auf früherer Höhe stehende Musik dazu gespendet hat. Was selbst in seinen weniger erfindungsreichen Operetten den musikalischen Hörer fesselt und erfreut, ist die echt musi kalische Empfindung, der natürliche Fluß des Gesanges, end lich der herrliche Orchesterklang. In der Première des Waldmeister“ äußerte Brahms zu mir, das Strauß’sche Orchester erinnere an Mozart.

Gegen Ende seiner Laufbahn fühlte sich Strauß von dem sehr begreiflichen, trotzdem aber unheilvollen Ehrgeize gestachelt, ein größeres Werk für die Wiener Hofoper zu schaffen. Er nahm einen gewaltsamen Anschwung und com ponirte den dreiactigen „Ritter Pazman“. Des Wiener Publicums war er sicher und auf die lustigsten seiner Operetten durfte er stolz sein. Aber jede Macht ist an eine Ohnmacht gebunden. Seine Macht lag in den kleinen For men, den Tanzrhythmen, dem Frohsinn; seine Ohnmacht in den breiten Ensembles, der dramatischen Charakteristik, dem leidenschaftlichen Gefühlsausdruck. Merklich reagirte seine Natur gegen die matte, conventionelle Handlung, die lauter ernsthafte Personen in sentimentalen, oft ans Tragische streifenden Situationen gegen einander führt. Unser Johann Strauß mußte sich verleugnen, sich umzwingen — und das führt selten zu gutem Ende. Mit einer wirklich komischen Oper älterer Form, wie etwa „Czar und Zimmermann“, würde Strauß auch im Hofoperntheater durchgedrungen sein. Aber die langgestreckten, durch keine Recitative oder Prosa stellen unterbrochenen, durchaus gesungenen Verse zwangen den Componisten zu einem fortlaufenden Arioso, aus dem abgerundete Musikstücke sich nur selten scharf herausheben. Man bewunderte die Geschicklichkeit, womit Strauß in diesen ihm bisher ganz fremden Styl und fremden Ton sich hineingearbeitet hatte. Aber das ist nicht unser Strauß! hörte man während der zwei ersten Acte im Publicum murmeln. Da kam gegen Ende des dritten Actes etwas Unerwartetes: eine prächtige Balletmusik, die weithin glän zende Perle des Ganzen! Mit den ersten Tacten des Ballets scheinen Straußplötzlich die Flügel zu wachsen; mit jugend licher Kraft und Freudigkeit schwingt er sich in die Lüfte; Textbuch und Dichter verschwinden vor seinen Augen — „jetzt bin ich allein Herr!“ Diese köstliche Balletmusik er neuerte in mir einen alten, wiederholt öffentlich ausge sprochenen Wunsch: Strauß möchte ein vollständiges Ballet für die Hofoper schreiben, er, der einzige deutsche Componist, der dies mit starker Wirkung und mit spielender Leichtigkeit vermochte! Lange wollte er nichts davon hören. Da, wenige Monate vor seinem Tode, schien er sich plötzlich mit dem Gedanken zu befreunden. Fast als wolle er sich selbst jede Umkehr abschneiden, schrieb er einen bedeutenden Preis aus für das beste Libretto zu einem heiteren Ballet.

Ich hege ein durch Erfahrungen vollauf begründetes Miß trauen gegen Preisausschreibungen. Sie kosten viel Geld, machen unsägliche Mühe und bringen selten den gehofften Schatz zu Tage. Eine Sündfluth von sieben-, bis achthundert Balletentwürfen ergoß sich verheerend in die Igelgasse. Aus den relativ besten wählte Straußein ins Moderne über tragenes „Aschenbrödel“, das wenigstens im letzten Act (einem Ballfest) seiner glänzenden Specialität entgegenkam. Hier, glaubte ich, hätte Strauß den Anlaß und das Recht, eine Anzahl seiner halbvergessenen schönsten Tänze zu neuem, erhöhtem Leben zu erwecken. Verdankt doch das überaus siegreiche Ballet „Wiener Walzer“ seinen Erfolg zumeist den eingeflochtenen alten Walzern von Lanner und den beiden Strauß. Warum sollte er, der Erfinder, nicht selber thun, was ein fremder Bearbeiter thun durfte? Ich denke, daß Strauß, mit dem ich in Ischl und zuletzt in Wien eingehend über das neue Ballet sprach, schließlich seine Scrupel wegen solcher Auffrischungen überwunden hätte. Fröhlich machte er sich an den Anfang seines letzten, lustigsten Werkes — da klopfte ihm, wie man auf alten Bildern sieht, der Tod mit dem Fiedelbogen auf die Schulter. Das Leben ein Tanz — das Leben ein Traum.

Mit Johann Strauß ist nicht blos ein glänzendes Talent, ein Herold des Wiener musikalischen Ruhmes von uns geschieden, sondern auch ein überaus liebenswerther, wahrhafter und wohlwollender Mensch. Es ist nicht möglich, bescheidener von sich selbst zu sprechen und zu denken, als Strauß es that. Seine von den Jahren ungebeugte, elastische Gestalt mit dem vollen Haarbusch und den blitzenden Augen, sie wird in Wien schmerzlich vermißt werden. Ein letztes Wahrzeichen aus fröhlichen, gemüthlichen Tagen, das herüber leuchtete in unsere unfrohe, zerklüftete Gegenwart.

Wir lesen eben von dem Project eines Doppeldenk males für Lanner und Alt-Strauß. Unser Johann Strauß darf darauf nicht fehlen; er erst wird den hellen Dreiklang vollständig machen. Lange Zeit war in Wienein Gesammt denkmal für Haydn, Mozart und Beethoven geplant: es scheiterte, wenn ich nicht irre, an der technischen Schwierig keit, zu den Dreien später auch noch Schubert zu gesellen. Wäre ähnliche Besorgniß denkbar für ein Monument Lanner’s mit den beiden Strauß? Keine Angst; es wird kein Vierter kommen.