Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 12693. Wien, Freitag, den 22. December 1899 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 12693. Wien, Freitag, den 22. December 1899 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 22.12.1899
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Musik. (Concerte, Musikalien und Bücher.)

Ed. H. Das vierte Philharmonische Concert begann mit Spohr’s Jessonda-Ouvertüre. Zahlreiche Zuhörer freuten sich des Gedankens, daß damit einer Wiederaufführung der seit fünfzehn Jahren nicht gehörten Oper vielleicht präludirt werde. Den zu sicherer Vor- und Ueberherrschaft gelangten Wagner-Cyklen kann die indische Witwe keinen Abbruch thun, und von den allerjüngsten Opern-Novitäten dürfte schwerlich eine unaufschiebbar sein. Wie die Spohr’sche Ouvertüre ist auch Beethoven’s Pastoral-Symphonie vorzüglich gespielt worden. In jedem der vier ersten Concerte hat Director Mahler, der angeblich radicale Secessionist, Beethoven den Ehrenplatz eingeräumt. Dazwischen spielte Frau Marie Soldat-Roeger das Brahms’sche Violinconcert. Längst in ganz Deutschland anerkannt als eine der ersten Künstle rinnen auf ihrem Instrument, hat sie jetzt in dem so schwer zugänglichen Philharmonie-Concert gleichsam officiell das Meisterdiplom erhalten. Es war eine musikalische Promotions- Feier glänzendster Art. Frau Soldat wurde mit anhaltendem rauschenden Beifall begrüßt, der sich am Schlusse zu einer förmlichen Ovation steigerte. Hätte sie vor Allem durch ihre Virtuosität blenden wollen, dann sicherten andere Concert stücke ihr einen leichteren Sieg. BrahmsViolinconcert spricht nicht die unmittelbar verständliche, einschmeichelnde Sprache, mit welcher sonst Concert-Compositionen, auch die unserer classischen Meister, dem Spieler wie dem Hörer freundlich zu Hilfe kommen. „Mein Concert ist sehr schwer,“ pflegte Brahms zu betonen; „ich mußte unseren Virtuosen härtere Nüsse zu knacken geben, als seinerzeit Beethoven und Mendelssohn.“ Diese Schwierigkeiten sind obendrein tückische, sozusagen unterirdische, die nicht, laut Beifall commandirend, an die Oberfläche dringen. Leicht und makellos wollen sie trotzdem besiegt sein, ohne dem Zuhörer etwas von ihrer gefährlichen Natur zu verrathen. Das paßte so ganz zu Brahms’ sich nie

verleugnendem weltabgewandten Wesen. Marie Soldat hat das Concert nicht blos mit vollendeter Reinheit gespielt, sondern zu gleich mit bezaubernder Empfindung und Anmuth in den zarten Stellen, mit Energie und Plastik in den kräftigen. Mitten in dem lauten Beifall schien Ein Gedanke unausgesprochen von Freund zu Freund zu wandern: wäre doch Er zugegen! Keine Frage: Marie Soldat und das Brahms’sche Violin concert, sie haben Beide ihren Weg gemacht. Letzteres viel leicht noch mühsamer. Anfangs wollte das Werk nicht recht Wurzel fassen, weder im Publicum noch bei den Virtuosen. Erst sehr allmälig im Laufe von zwanzig Jahren errang es sich in der Oeffentlichkeit den Platz neben den Violin concerten von Beethoven und Mendelssohn, denen es an Größe und Kunstvollendung, wenn auch nicht an melodi schem Reiz, gleichkommt. Diesen Platz hat ihm seither kein Rivale ernstlich bestritten.

Zwei Tage nach ihrem Auftreten im Philharmonischen Concert gab Frau Soldat-Roeger ihre erste Quartett soirée im Vereine mit den Damen Elsa v. Plank, Natalie Lechner-Bauer und Lucy Herbert-Campbell. Ein kindlich anspruchsloses Quartett von Haydn (B-dur) und Schubert’s so selten gehörtes Octett, op. 166, bereiteten dem sehr zahlreichen Auditorium ein auserlesenes Vergnügen. Frau Soldat erwies sich als Anführerin des Quartetts ebenso hervorragend und gediegen musikalisch, wie Tags zuvor als virtuose Solistin. Auch ihre Partnerinnen, die ganze be währte Soldateska, marschirten und exercirten wie Ein Mann.

Zwischen Haydn und Schubert genossen wir einen seltenen musikalischen Leckerbissen: drei Lieder für eine Singstimme mit Begleitung von Clarinette und Clavier von Spohr. Seltsames Zusammentreffen — am Sonntag eine Ouvertüre, am Dienstag drei Lieder von Spohr — dem seit vielen Jahren hier fast Verschollenen! Seine „Sechs Lieder mit Clavier begleitung“ hat er im Jahre 1837 für die Fürstin Mathilde zu Schwarzburg-Sondershausen und den an ihrem Hof wirkenden berühmten Clarinettisten Hermstädt geschrieben. Fräulein Mathilde v. Hochmeister sang die drei gemüth vollen Lieder („Zwiegesang“, „Wiegenlied“ und „Wach auf“) mit weicher klangvoller Stimme und trefflicher Aussprache,

etwas zurückhaltend im Ausdruck. Mühlfeld, der unver gleichliche Meister aus Meiningen, entzückte durch seinen Vortrag der Clarinettpartie. Die Clavierbegleitung ist kärglich bedacht, doch freute man sich, Fräulein Baumayer (die zweite „Maria“) unter den Mitwirkenden zu sehen. Sie gehört zur Familie.

Im Schatten der Philharmonischen Concerte und unter gleichzeitigem Hochdruck von vier Nibelungen-Abenden mußten manche an sich recht lebenskräftige Musikproduc tionen ein wenig verblassen. So das Concert des Prager Violin-Virtuosen Jan Kubelik, eines Bravourspielers von erstem Rang, dessen junges Talent, vorläufig noch vom Glanz des Virtuosenthums geblendet, immer sicherer der künstlerischen Klärung entgegenwächst. Ihn unterstützte eine junge anmuthige Pianistin, Fräulein Irma Löwe, die soeben in Budapest mit ganz außerordentlichem Erfolg con certirt hat. Mit poetischer Empfindung spielte sie das Lar ghetto aus Chopin’s F-moll-Concert, mit erstaunlicher Kraft und Sicherheit die „Toccata und Fuge“ von Bach. Diese zwei Stücke, deren jedes in seiner Art zu den schwierigsten Aufgaben zählt, sicherten der jungen Künstlerin hier den erwünschten Erfolg. Ein glücklicher Antrittsbesuch, keine Ab schiedsvisite.

Herr Concertmeister Rosé hat seinem werthvollen letzten Programm auch eine Violinsonate von Anton Rück auf eingeflochten. Das sehr beifällig aufgenommene Werk ist seit längerer Zeit bekannt und gewürdigt. Hingegen sind von Rückauf’s neuesten Liedern nur erst wenige öffentlich gesungen; ihr Erfolg dürfte bald den übrigen den Weg bahnen. Die schöne Lula Gmeiner, die immer höher an ihren Meister Gustav Walter hinaufragt, sang in ihrem Concert zwei Lieder Rückauf’s: „So geht’s“ (op. 21) und Das Stelldichein“ (op. 23). Sie mußte beide wiederholen. Das erstgenannte ist den Gedichten der Johanna Ambro sius entnommen, von denen, bei aller poetischen Wahrheit und Tiefe, nur wenige sich ungezwungen dem Gesange öffnen. Während ihr schlichter Volkston einen ermüdenden, einförmigen Rhythmus hervorruft, verleiten andererseits ihre meist schmerzvoll einsinkenden Schlußverse zu einer den

musikalischen Bau zerstörenden Recitativ-Behandlung. In dem von Fräulein Gmeiner ausgewählten Lied dieser Samm lung: „So geht’s“, hat das Talent des Componisten diese Gefahren noch am besten überwunden. Das „Stelldichein(Text von R. Baumbach) erobert mit seinem raschen Fluß und seiner reizvollen Heiterkeit siegreich Ohr und Herz des Hörers. Der Refrain des erst zweifelnden, dann beglückten Liebhabers: „Ich hab’ mir’s ja gleich gedacht“, athmet bei Rückauf eine überzeugende Kraft, die mit jeder Strophe lebendiger wirkt. Im selben Hefte stehen noch zwei andere glücklich erfundene Lieder: das freudig bewegte „Klopf’ nur an’s Fenster“ (Klaus Groth) und das schlicht gemühtvolle Du überall“ — eines von den zahlreichen Beispielen, wie sehr Rückauf den innigen Ton des Volksliedes in seiner Macht hat. Das gilt auch von dem innigen „All meine Herzgedanken“ von Paul Heyse (aus dem neuen Hefte, op. 25). Scheidemantel hat es kürzlich als Zugabe zu vier älteren Liedern von Rückauf mit großem Erfolg gesungen. Auch Marcella Pregi hat in Wien einige neue Lieder Rückauf’s aus dem „Spanischen Liederbuch“ eingeführt, die jetzt (mit der effectvollsten Schlußnummer „Mögen alle bösen Zungen“) als op. 24 erschienen sind. So gut es Rückauf trifft, auch „einmal Spanisch zu kommen“, wir sehen ihn doch noch lieber Hand in Hand mit Klaus Groth, der für sein „Trauliches Heim“ und das ergreifende Gedicht „Ver loren“ (op. 25) sich keinen berufeneren Componisten wünschen konnte. Es ist erfreulich, daß Rückauf’s Lieder sich immer mehr die Gunst der besten Sänger und Sängerinnen er werben.

Meister Joachim hat uns drei genußreiche Quartett- Abende geschenkt. „Von Joachim spricht man nicht mehr,“ bemerkt der Berliner Correspondent der „Allgemeinen Zeitung“, nachdem er von anderen Künstlern recht ausführlich ge sprochen. In der That, über Joachim und für Joachim braucht sich kein Kritiker mehr anzustrengen. Aber wem die Musik am Herzen liegt, den freut es jedesmal, wenn er in einem guten Buch unversehens auf ein Capitel „Joseph Joachim“ stößt. Diese angenehme Ueberraschung verdanke ich soeben zwei neuen Büchern: „Musikalisches und Persön

liches“ von Bernhard Scholz und „Opern und Concerte im Hoftheater zu Hannover“ von Dr. Georg Fischer.

Dr. Bernhard Scholz, der als junger Mann nach Hannover kam und dort als Dirigent, Componist und Musikschriftsteller eine rühmliche Thätigkeit entwickelt hat, erzählt uns seine Erinnerungen aus den Jahren 1859 bis 1866. Sie beginnen mit Amalie Weiß (der späteren Frau Joachim), die nach ihren Wiener An fängen ihre eigentliche Künstlerlaufbahn in Hannover eröffnet und als Opernsängerin leider auch beschlossen hat. Sie lernte dort den jungen Concertmeister Joachim kennen, heiratete ihn und entsagte der Bühne. Sehr hübsch schildert Scholz die Musikabende beim König, deren Seele Joachim war. König Georg konnte als geborener Engländer unglaubliche Quantitäten Musik vertragen, aber er hatte kein sicheres Urtheil; ihm gefiel Alles, namentlich das freundlich Anmuthige und unter Voraussetzung dieser Eigenschaft auch das Gute; so wußte er eine Beziehung zu Joachim’s Kunst zu finden. Gewisse gefällige Stücke, z. B. eine Barcarole und eine Gavotte von Spohr, verlangte er immer wieder. Ein Programm wurde vorher nicht gemacht; der König wählte unter den von Joachim mitgebrachten Stücken. Nach der Musik setzten sich die Herrschaften mit den Künstlern zum Thee bei zwangloser Unterhaltung, die der König sehr gut zu leiten verstand. Doch boten diese Musikabende durch die Blind heit des Königs auch allerhand Verlegenheiten. Eines Abends rückte er in seinem Entzücken den Quartettspielern mit dem Stuhl immer näher, noch ein Ruck, und er warf die Pulte um! Da hielt ihn die Königin fest und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Neben Joachim ziehen in Scholz’ „Erinnerungenviele bekannte Künstlergestalten an uns vorüber: Niemann, Stockhausen, Brahms, Jaëll, Dr. Gunz und Andere. Der Verfasser bietet in demselben Band noch eine Reihe gehaltvoller Aufsätze über Clara Schumann, Hans v. Bülow, Berlioz, Edgar Tinel und besonders Richard Wagner. Auf diese ebenso einsichtsvoll wie muthig urtheilenden Wagner- Aufsätze und ihren Epilog: „Wohin treiben wir?“ möchte ich bei einer anderen Gelegenheit zurückkommen. Heute gilt es noch, dem Dr. Georg Fischer gerecht zu werden, dessen

mächtiger Band hannover’scher Musikgeschichte wie ein Riese neben dem schlanken Büchlein von Scholz aufragt. Eine streng historische actenmäßige Darstellung, die von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts bis zur Annectirung des Königreiches 1866 reicht. Nur ein ungewöhnlicher Fleiß, Kunst- und Vaterlands-Enthusiasmus konnten diese müh same Arbeit schaffen, die nicht von einem musikalischen Fachmanne, sondern von einem praktischen Arzt und Spitalsdirector herrührt. Es ist in Hannover keine Oper gegeben, kein Sänger oder Capellmeister engagirt, kein Theatergesetz erlassen worden, worüber wir nicht verläßlich Auskunft erhielten. Diese streng sachliche Tendenz hat jedoch den Verfasser nicht gehindert, über manche Vorgänge von allgemeinem Culturinteresse sich behaglicher zu verbreiten. Es dürfte den meisten Lesern neu sein, daß König Georg V. schon als Kronprinz an 200 Musikstücke componirt und Abhandlungen über Musik geschrieben hat. Aus seinem 20. Jahr stammt eine kleine Schrift: „Ideen und Betrachtungen über die Eigenschaften der Musik“, welche 1839 anonym erschienen, dann 1858 zum Besten des Ernst-August-Denkmals unver ändert wieder abgedruckt worden ist. In dieser von reli giösem Geist durchdrungenen Schrift erzählt der erblindete Prinz, wie die Musik, der er von früher Jugend sich mit ganzer Seele hingegeben, ihm eine unschätzbare Trösterin geworden sei. Noch eine zweite Schrift des Königs „Ueber Musik und Gesang“ wurde nach seinem Tode als Manuscript gedruckt. König Georg, der im 32. Lebensjahre den Thron bestiegen hatte, war, nach Dr. Fischer’s Schil derung, eine poetisch hoch angelegte Natur. Er lebte in Musik und besaß, unterstützt von einem Riesengedächtniß, auch genaueste Kenntniß der dramatischen Literatur. Seine Stellung zur Kunst war eine ideale; er lebte in der Ueberzeugung, „daß die Künstler vor Gottes Thron einen besonderen Gerichtsstand erhalten“. Der König war sein eigener General-Intendant, und ein sehr freigebiger. So geschah es, daß unter seiner Herrschaft die kleine Stadt Hannover als ein Haupt- und Vorort der Musik in Deutsch land glänzte. Dazu hatte nebst NiemannJoachim am meisten beigetragen, der zweiundzwanzigjährige Concertmeister.

„Mit Joachim begann eine bis dahin unbekannte Blüthezeit der Concerte.“ Er stand in voller Thätigkeit, als für das Königreich Hannover die letzte Stunde schlug. Dr. Fischer erzählt noch von dem Hofconcerte am 14. Juni 1866, in welchem Jenny Lind und Joachim mitwirkten. Während des Musicirens traf eine Depesche aus Frankfurt mit der Abstimmung auf dem Bundestage ein: die Mobilisirung gegen Preußen war beschlossen. Zwei Tage später bei Morgen grauen verließ König Georg die Stadt. Dr. Georg Fischer, der Historiograph des musikalischen Han nover, ist bekanntlich auch Herausgeber der BriefeBillroth’s, die soeben — ein Erfolg ohnegleichen — in fünfter, vermehrter Auf lage (1900, bei Hahn in Leipzig) erschienen sind.

Von Joachim zu Joachim! Ein anderes allerneuestes Buch, in welchem der Name Joachim unzähligemale vor kommt — freilich nur der Name — sind die Briefe Franz Liszt’s an die Fürstin Caroline Wittgenstein. (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1899.) Es ist der vierte Band Liszt-Briefe, den wir dem Sammelfleiß der La Mara verdanken. Wer in beispiellos bewegtem, ja gehetztem Leben eine so riesige Correspondenz wie Liszt geführt hat, von dem können der inhaltreichen, bleibend werthvollen Briefe nur wenige sein. Schon an den Briefen Hans v. Bülow’s mußte ich die maßlose Ver schwendung in der Herausgabe von intimen Mittheilungen beklagen, von denen heute schon die Hälfte Niemanden interessirt — und erst in zwanzig, in vierzig Jahren? Von Liszt’s Briefen — es sind bereits vier Bände erschienen — scheinen mir gerade diese an die Fürstin ge richteten am wenigsten geeignet, einen ernsten Leser anhaltend zu fesseln, mag dieser noch so sehr eingenommen sein von Liszt’s Künstlerruhm und geistvoller Persönlichkeit. Viel bedeutender ist sein Briefwechsel mit Wagner, mit Bülow, mit der ungenannten „Freundin“ und Anderen. Und doch urtheilte seinerzeit Hermann Grimm: „In den unendlichen Mittheilungen, die zwischen Liszt und seinem Lieblingsschüler (Bülow) hin und her fliegen, habe ich nichts gefunden, was mehr als die Dauer weniger Augenblicke beanspruchte.“ Die vorliegende Sammlung von 361 Briefen umfaßt die Zeit von 1847 bis Ende 1859,

dürfte also, da Liszt und die Fürstin noch ein Viertel jahrhundert länger gelebt und geschrieben haben, ausgiebige Fortsetzung erhalten. Außer dem deutschen Titelblatt und dem Vorwort von La Mara ist das ganze Buch in franzö sischer Sprache. Der Inhalt von Liszt’s Briefen — die Antworten der Fürstin fehlen leider — ist durchaus tage buchartig, aphoristisch. In fliegender Eile berichtet er, was er den Tag über gethan oder erlebt, wen er besucht oder empfangen habe, wie sein letztes Concert ausgefallen, wann und wo das nächste stattfindet, welche Journale ihm günstig, welche ungünstig sind u. s. w., ohne ein Athemholen zu ruhigem Urtheil oder behaglicher Schilderung. Ueber diese Eilfertigkeit und Nachlässigkeit seines Schreibens entschuldigt er sich selbst bei der Fürstin: „Impossible de relire mes lettres!“ Das Fragmentarische, Ueberstürzte von Liszt’s Mittheilungen ist also sehr begreiflich. Unbe greiflich aber, wie eine feingebildete Schriftstellerin von dem Rang der La Mara diese Briefe in ihrem Vorworte „ein schriftstellerisches Kunstwerk“ nennen kann! Für die Fürstin Wittgenstein waren sie gewiß un schätzbar. Die Zärtlichkeit und Schwärmerei, mit welcher der Heißgeliebte zu ihr spricht, hat etwas Rührendes.

„Je me mets à genoux près de vous, et y resterai.“ „Laissez- moi m’abimer en vous et m’y reposer, c’est ma seule destinée et elle sera glorieuse avec la bénédiction de Dieu.“ „Soyez et ma grâce et mon salut!“ „Vous êtes pour moi l’ange de la miséricorde céleste et désormais je mourrai en paix, en bénissant votre nom!“ „Bonjour mon bon ange! On vous aime et vous adore du matin au soir et du soir au matin.“ „Tout ce que j’ai de coeur et d’âme, de foi et d’espoir n’est qu’en vous, par vous et à vous. Puisse l’ange de Seigneur vous conduire, ô vous qui êtes ma radieuse étoile du matin!“ „Je baise vos chers petits pieds!“ „Mon âme se fond en la vôtre, brisée et dêlatée dans l’infini de l’amour, de l’adoration, de l’extase!“

Und so geht es fort, fast in allen Anfangs- und Schluß zeilen an seine „très infiniment chère Unique“. — Ein Rosenbeet, auf welchem Tropfen von Weihwasser glänzen.

Robert Schumann schließt einmal eine seiner Davids bündler-Reden mit den Worten: „Ich habe heut’ wenig gesprochen, aber gut.“ Diese hübsche Schlußwendung möchte ich mit einer kleinen Variante mir ausleihen: „Ich habe heut’ nicht gut geschrieben, aber viel.“