Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13033. Wien, Dienstag, den 4. December 1900 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Stoxreiter, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13033. Wien, Dienstag, den 4. December 1900 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 04.12.1900
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Concerte.

Ed. H. Kein geringes Pensum für unsern Director Mahler, acht Philharmonische Concerte mit fesselnden und werthvollen Novitäten auszustatten. Die symphonische Pro duction wirft nur mehr schwache Wellen und zieht enge Kreise. Deutschland, das früher fast allein die Orchester programme versorgt hat, steht seit etwa vierzig Jahren darin zurück. Wir sind stark angewiesen auf russische, czechische, skandinavische Hilfe. Die romanischen Länder, mit ihrem Schwerpunkt in der Oper ruhend, zählen im Orchester concert fast gar nicht mit; für Italien ist sogar das „fast“ zu viel. Was das heutige junge Frankreich an symphonischen Werken liefert, hat die Propaganda von Rabaud und d’Olonne uns als ziemlich ungenießbar vorgestellt. Die fran zösische Orchester-Novität des letzten Philharmonischen Con certes von César Frank ist zwanzig Jahre alt, ebenso Smetana’s Vorspiel zu der czechischen National-Oper Libussa“.

Das imposante Vorspiel zur „Libussa“ läßt sich, abgetrennt von der hier unbekannten Oper, kaum gebührend würdigen. Es ist auf den drei Grundmotiven der Oper aufgebaut: dem „Gerichtsruf“ und den Leitmotiven der Libussa und des Premysl. Die ausgiebige Verwendung von Leitmotiven das ganze „Musikdrama“ hindurch, sowie dessen ungewöhn

liche Länge bezeugen den entscheidenden Einfluß Wagner’s und damit die auffallende Abkehr Smetana’s von seinem früheren Opernstyl. Der Componist selbst schätzte „Libussaals sein bestes Werk. Trotzdem hat dasselbe gar keine Verbreitung gefunden, während die „Verkaufte Brautmit ihrer bezwingenden Natürlichkeit und nationalen Eigen art sich auf den meisten deutschen Bühnen eingebürgert hat. Ob der Grund dafür in der viel schwereren, complicirteren Musik liege oder in der die czechische Herrschaft glorificiren den Dichtung? Wol in Beidem. Im Gegensatz zur „Ver kauften Braut“ klebt in „Libussa“ die Musik sklavisch am Worte; die musikalische Hauptmacht concentrirt sich im Orchester. Nach dem Ausspruch eines Prager Kritikers ist Libussa“ für die czechische Oper, was „Lohengrin“ für die deutsche. Ohne Zweifel ging auch dahin Smetana’s Bestreben. „Libussaist eine Frucht von Smetana’s allmälig überquellender Neigung zur neudeutschen Musik, seiner Reisen nach Bayreuth, seines Verkehrs mit dem ihn hilfreich schützenden Liszt. Auch Smetana’s nachdrückliche Mahnung, „Libussa“ sei „keine Repertoire-Oper, sondern ein Weihespiel für besondere na tionale Festtage“, klingt wie ein Echo aus dem „Ring“ und Parsifal“. So hat sich denn Director Mahler weislich mit der Ouvertüre begnügt, welche Liszt „ein glänzend heroisches Vorspiel“ nennt. Schade nur, daß dieser heroische Glanz sich zu einem betäubenden Lärm steigert, dem Stand zu halten nur unverfälscht czechischem Patriotismus beschieden ist.

Auf das Libussa-Vorspiel folgte eine symphonische Dich tung Smetana’s, welche der Anschlagszettel „Vltava“ be titelt. Bereits vor zehn Jahren erlaubte ich mir bescheiden darauf aufmerksam zu machen, daß man in Wien noch Deutsch spricht und hier Niemand zu wissen braucht, daß Vltava“ den Moldaufluß bedeutet. Zum Verständniß der Tondichtung trägt die czechische Aufschrift und deutsche Rathlosigkeit gewiß nicht bei. Thatsächlich vermutheten einige Norddeutsche in Vltava eine czechische Amazone. „Welches Feuer strömt in dieser Vltava!“ rief Einer von ihnen. Im Gegentheil, lauter Wasser, belehrte man ihn. Was würde man dazu sagen, wenn deutsche Theater-Directoren ein aus dem Ungarischen übersetztes Stück „Die Belagerung von

Bécs“ nennen wollten, anstatt „von Wien“? Nach diesem kurzen Abstecher in das Gebiet der Sprachenverordnungen wenden wir uns mit Vergnügen vom Titel zur Composition selbst. Smetana’s „Moldau“ ist das Werk eines echten und glänzen den Talents. In erster Linie Naturschilderung, gehört sie zu jenen Programm-Musiken, welche kaum einer gedruckten Gebrauchs anweisung bedürfen und nirgends über die Grenzen des musikalisch Verständlichen oder Zulässigen hinausgehen. Von Liszt’s Symphonischen Dichtungen angeregt und beeinflußt, ist Smetana’s „Moldau“ doch viel einheitlicher gedacht und natürlicher entwickelt. Ein Hauptgedanke, eine Grundstimmung, beinahe eine Begleitungsfigur beherrscht die ganze Dichtung, die ein originelles Talent und in der Instrumentirung einen eminenten Jünger Liszt’s und Berlioz’ verräth. Auf einen tiefen Ideengehalt, auf contrapunktische Kunst macht es keinen Anspruch; es wirkt durch liedmäßige (nicht „unendliche“) Melodien, durch klare Form und reizvollen Klang. Ohne Bedenken ziehe ich die „Moldau“ dem „Libussa“-Vorspiel vor, so wenig der Componist dem beistimmen wollte. In der großen Oper „Libussa“ (die ich vollständig in Prag ge hört) vermißte ich die frühere Natürlichkeit Smetana’s und fand ihn, seiner besten Eigenart beraubt, als Adepten des spätwagnerischen Styls. Wie alle Wagner-Nachbildungen machte sie mir den Eindruck des Ungesunden, Ergrübelten und Ermüdenden. Ein seltsames Verhängniß, daß Smetana nicht seine echt nationale „Verkaufte Braut“, sondern gerade die „Libussa“ als die einzige wahrhafte czechische National oper schätzte. Und doch ist „Libussa“, abgesehen von dem nationalen Stoff, musikalisch so wagnerdeutsch als möglich.

Hoffentlich wird in unserem Philharmonischen Cyklus Smetana’s modernerer Landsmann Dvořak nicht unver treten bleiben. Er gehört heute zu den sehr wenigen hervor ragenden Orchester-Componisten, die man nicht vermissen mag und nicht ignoriren darf. Manch reizendes Werk von ihm blieb hier gänzlich unbekannt, wie die Ouvertüre „Mein Heim“ und andere. Von Dvořak’s vier Symphonien ist meines Erinnerns jede nur einmal aufgeführt worden. (Die erste vor 17 Jahren!) Das genügt nicht zum Genuß und Verständniß bedeutender symphonischer Werke. „Du mußt es

zweimal sagen.“ Eine überaus anmuthige Zwischennummer und dankbare Aufgabe für die trefflichen Bläser des Philharmo nischen Orchesters wäre Dvořak’s „Serenade für Blas instrumente“. Was die neuesten Werke Dvořak’s be trifft, so hat uns Director Mahler mit rühmens werther Schnelligkeit ihre Bekanntschaft vermittelt: „Der Wassermann“, „Die Mittagshexe“, „Die Waldtaube“. Mit lebhaftestem Interesse haben wir sie gehört und an ihren poetischen Details, ihrer Farbenpracht uns ergötzt. Dennoch möchten wir ihnen kein so langes Leben prophezeien wie den anderen Orchesterwerken Dvořak’s. Eine geistreiche und blühende Musik ist da gewaltsam, stückweise auf die ein zelnen Scenen theils unverständlicher, theils grausiger Local sagen aufgeklebt. Ist einmal der prickelnde Reiz abgenützt, den das stete Vergleichen jedes musikalischen Absatzes mit dem erzählenden Capitel bietet, so gewinnt das Unbehagen an der sprunghaften, zersplitternden Form die Oberhand, und wir haben von dem Programmzwang nicht mehr die geistige Anregung, sondern nur den Aerger. Leider wider fährt dies Dvořak’s Symphonischen Dichtungen ebenso wie jenen von Richard Strauß, so hoch auch Dvořak den Zarathustramann an schöpferischer Kraft und melodischem Zauber überragt.

Begeisterten Beifall entfesselte Beethoven’s zweite Leo noren-Ouvertüre, die, gleich einem riesigen Kaleidoskop, die Hauptscenen der Oper mehr theatralisch als symphonisch an einanderfügt. Director Mahler hat im Orchester die scenischen Vorgänge möglichst getreu interpretirt und scharf nuancirt. Mit ihren unhörbaren Pianissimos und langen Kunstpausen erschien uns diese Aufführung fast allzu künstlich. Es folgten zwei Clavierwerke mit Orchesterbegleitung: das bekannte D-moll-Concert von Sebastian Bach und „Sym phonische Variationen“ von César Frank. Dieser belgisch- französische Meister ist bei uns erst nach seinem Tode bekannt geworden durch sein Oratorium „Die Seligkeiten“. Es hätte ihn wenig angefochten, daß man seine acht Seligkeiten bei uns auf vier reducirt und auch diese vier nicht selig gepriesen hat. Frank war in seiner Gleichgiltigkeit gegen äußere Erfolge ein Gegenstück zu Berlioz, der auf dem Todtenbette aus

rief: „Jetzt endlich wird man meine Compositionen auf führen!“ Es ist ein Irrthum, daß Berlioz „an seiner ver späteten Anerkennung“ gestorben sei; da mußte schon ein Magenkrebs oder Aehnliches dazukommen. César Frank fühlte sich aber nicht einmal gekränkt, wenn seine Werke ignorirt oder schlecht aufgenommen wurden. In seiner Be dürfnißlosigkeit und weltabgewendeten Religiosität erinnerte er an alte fromme Mönche. Einer seiner Schüler erzählte mir eines Tages, wie Frank, der bereits seine besten Werke geschrieben hatte, bei der Vertheilung der Ehrenlegionskreuze wieder übergangen ward. Seine Freunde äußerten im Saale laut ihre Entrüstung; Frank aber meinte, bescheiden lächelnd: „Vielleicht doch später einmal!“ Die „Symphonischen Varia tionen“ sind kein groß angelegtes, hochstrebendes Werk, wie die Béatitudes“, berühren uns dafür viel sympathischer. Von anspruchslos ruhiger Haltung, fein und vornehm in der Ausführung, athmen sie etwas von dem Geiste der Beethoven’schen Claviermusik, erinnern in manchem harmonischen Zug auch an Schumann. Die Clavierpartie stellt nicht die hochgesteigerten Anforderungen moderner Virtuosität. Gefällig und brillant, mehr im Geschmacke einer früheren Epoche, vergnügt sie sich mit Passagentechnik, Scalen, Trillerketten und leichten Umspielungen des vom Orchester geführten Themas. Herr Karl Friedberg, Professor am Frankfurter Conservatorium, uns als fein gebildeter classischer Pianist bereits vortheilhaft bekannt, hatte einen glänzenden und echten Erfolg. War sein maßvoller, stylgerechter Vortrag des Bach’schen Concerts etwas beein trächtigt durch die viel zu starke Besetzung der Streich instrumente, so wirkte er um so reiner in den Frank’schen Variationen. Solchen Wechsel von zartestem Geflüster und orgelmäßiger Kraft ermöglicht nur ein ganz vollkommenes Instru ment. Es war einer der neuen Concertflügel von Ehrbar, welche auf der diesjährigen Pariser Weltausstellung so großes Aufsehen gemacht haben. Damit erledigen wir verschiedene Anfragen bezüglich dieses Claviers. Das „Programmbuch“ der Philharmonischen Concerte, welches nie vergißt und nie ermüdet, den Namen Bösendorfer zu nennen, hat nämlich seltsamerweise den Namen Ehrbar — verschwiegen.