Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13081. Wien, Mittwoch, den 23. Januar 1901 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13081. Wien, Mittwoch, den 23. Januar 1901 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 23.01.1901
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Hofoperntheater. (Richard Wagner’s „ Rienzi “, neu einstudirt.)

Ed. H. „Rienzi’s“ Schicksale in Wien sehen sich recht wunderlich an. Volle dreißig Jahre lang nach seiner Erstauf führung in Dresden mußte der „Rienzi“ warten, bevor er Ein laß erhielt ins Wiener Hofoperntheater. Seit dreizehn Jahren kannte Wien bereits den „Lohengrin“, seit zwölf Jahren den „Tannhäuser“, seit zehn den „Fliegenden Holländer“, bevor es „Rienzi“ zu hören bekam. Diese Entdeckung oder Eroberung verdankte man nur der rückwirkenden Kraft von Wagner’s Ruhm. Hat ein Künstler mit mehreren Werken nachhaltige Wirkung erzielt, so regt sich hinterdrein die Neu gierde nach Allem, was er früher geschaffen. Als Erstlingswerk eines unbekannten jungen Componisten — denn zwei verschollene Jugendopern, „Die Feen“ und das „Liebesverbot“, zählen nicht mit — war „Rienzi“ durch die Bemühungen der Schröder-Devrient im Jahre 1841 in Dresden zur ersten Aufführung gelangt. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Aber die abschreckenden Berichte über ganz enorme Kosten, Mühen und Schwierigkeiten der Aufführung stimmten alle übrigen Bühnen bedenklich. Ueberdies präsentirte sich die Partitur in einem so abenteuerlichen Umfang, daß man in Dresden zu dem verzweifelten Auskunftsmittel griff, die Oper auf zwei Abende zu vertheilen. (Ein hübsches, einziges Gegenstück zu Cimarosa’s „Heimlicher Ehe“, welche be kanntlich Kaiser Leopold am selben Abend zweimal sich vor singen ließ.) Die Dresdener bekamen, bei aller ange borenen Höflichkeit, es doch bald satt, heute zwei Acte und morgen erst die drei letzten zu hören. Da kam denn der Prophet zum Berge und kürzte die Oper auf die Dauer Eines Theaterabends. In dieser redu

cirten, noch überlebensgroßen Gestalt gewann „Rienzinach und nach auch andere deutsche Bühnen. Man hatte keine Eile; ein sonderlich guter Ruf ging dem Werke nicht voran. Erst nachdem „Tannhäuser“, „Lohengrin“, Holländer“ ihren Siegeszug angetreten und immer weiter ausgedehnt hatten, verlangte die allgemeine Neugierde auch nach dem „Rienzi“. Das Glück seiner vom Publicum bevorzugten Vorläufer wollte ihm jedoch niemals und nirgends blühen. In Wien erreichte „Rienzi“ in den beiden ersten Jahren (1871 und 1872) wol zehn Aufführungen; im nächsten Jahre nur mehr fünf. Dann ging es rapid abwärts auf drei und zwei Wiederholungen; endlich begnügte man sich mit einer einzigen und in gar manchem Jahre mit gar keiner. Im Laufe von vierundzwanzig Jahren hat „Rienzi“ in Wien nur sechzig Aufführungen erlebt. Was hat das zu bedeuten gegen die zweihundert Wiederholungen des „Tannhäuser“, die zweihundertfünfzig des „Lohengrin“ in gleichem Zeit raume! Das Publicum war eben besseren Geschmacks ge worden, indem es den „Rienzi“ an Wagner’s späteren Opern messen gelernt hatte. Heute will die Aristokratie der Wagnerianer eigentlich nichts mehr davon wissen, und der Meister selbst theilte ihre Meinung. „Den Rienzi geben wir Ihnen preis,“ schrieb Bülow schon im Jahre 1851 (!) in einer von Wagner-Fanatismus glühenden Polemik gegen die „Grenzboten“.

Was Herrn Director Mahler dazu bewog, an die Auferweckung dieser halbvergessenen Oper so aufreibende Mühe und Sorgfalt zu wenden? Zunächst wol die zärtliche Rücksicht auf das zur eminenten Wagnerstadt gediehene Wien, welches, ungesättigt von der stolzen Vor- und Ueber herrschaft Wagner’s — mit neun Repertoire-Opern! — auch noch als zehnte den „Rienzi“ herbeisehnen mochte. Interessant ist es immerhin, den Anfängen eines Componisten zu lauschen, welcher durch seine späteren Schöpfungen so bedeutend gewirkt hat; über

raschend obendrein, ihn weitab von seinem späteren hohen Isolierschemel in großer Gesellschaft auf der breitesten Fahrstraße anzutreffen. Schon vor dreißig Jahren nannte ich dieses biographische Interesse „so ziemlich das einzige, welches Rienzi uns einflößt“. Wie viel mehr erst heute! Schwerlich möchte ein Theater-Director 1901 diese Oper zur Aufführung annehmen, wäre sie von einem ganz unbe kannten Componisten eingeschickt. Der Name Wagner bildet den Schwimmgürtel, auf dem sich „Rienzi“ derzeit noch über dem Wasser erhält. Der Name Wagner, wohlverstanden — denn von dem Manne selbst, dem leibhaftigen Richard Wagner, ist darin blutwenig zu entdecken. Kaum erkennen wir den Componisten des Lohengrin, geschweige den der Meistersinger, und wo ihn dennoch irgend eine Eigen thümlichkeit verräth, ist es keine von seinen guten. Rienzi bedeutet im Großen und Ganzen das gerade Gegentheil von Wagner’s späterer Musik. In Rienzi herrscht die Gesangsmelodie, am liebsten die bedenklich popu läre, das Orchester liefert nur eine „Begleitung“, eine recht lärmende, im herkömmlichen Sinn; der Bau gliedert sich übersichtlich symmetrisch, die Modulation, noch unberührt von harmonischen Mysterien, erlaubt sich kein Wagstück, die her kömmlichen Formen (Ouvertüre, Arie, Duett, Terzett) sind im Wesentlichen beibehalten. „Ist das wirklich Wagner?“ flüstern die mit „Rienzi“ noch ungekannten jüngeren Zuhörer. Nein, es ist ein Gemisch von Spontini, Donizetti und Meyer beer mit einigem Zusatz aus Weber und Marschner. Vieles in den Formen jener Operncomponisten ist veraltet, und Wagner selbst hat am meisten dazu beigetragen, daß wir sie heute als veraltet empfinden. An den alten Formen liegt es aber nicht, daß uns „Rienzi“ widerstrebt. Im „Tell“, den „Hugenotten“, der „Stummen“ (vom „Freischütz“ ganz zu schweigen) quillt als ein Frisches, Eigenes, Ursprüngliches, was in „Rienzi“ als schwache mühselige Nachahmung sickert. Auf letzterem drückt eine Mittelmäßigkeit, die nur durch eine erstaunlich kühne Anhäufung materielle Effect zu blenden

vermag. Wer sich darüber der kürzesten Täuschung hingab, war der Componist selbst. Ein so feiner kritischer Geist wie Richard Wagner mußte trotz des „Rienzi“-Erfolges in Dresden bald einsehen, daß ihm auf diesem Felde keine weiteren Lorbeern sprießen. Im Schaugepränge und Orchesterlärm noch weiter zu gehen, war unmöglich; in den alten Formen durch Reichthum und Schönheit musikalischer Ideen zu entzücken, erlaubten seine Mittel nicht — was blieb übrig, als einen neuen Weg zu suchen? Wie er diesen gefunden und mit Erfolg behauptet hat, ist bekannt. Seinen Rienzi“ hat er später selbst als einen Irrthum bezeichnet; wir dürfen also ein Gleiches thun. Nur hat Wagner diese Oper verworfen, weil sie einer angeblich überwundenen Kunstgattung angehöre; wir, weil sie ein überwundenes Indi viduum dieser Gattung, weil sie schlechte Musik ist. Das nach Bulwer’s Roman von Wagner selbst verfaßte Textbuch ver dient das Lob geschickter Mache, insoferne es den Stoff zweckmäßig gliedert und eine Reihe effectvoller Situationen herbeiführt. Die vorwiegende Absicht auf diese Masseneffecte vereitelte aber jede feinere Motivirung; nicht nur die psycho logische der handelnden Personen, sondern auch die logisch- pragmatische der Handlung. Wer Bulwer’s Roman nicht in sicherem Gedächtniß bewahrt hat, bleibt über manche Haupt wendung der Oper vollständig im Unklaren.

Die Musik hat uns auch in der heutigen Aufführung keinen besseren Eindruck gemacht, als damals in ihrer ge kürzten Form vor dreißig Jahren. Mit Ausnahme der Panto mime der Frauen vor dem Waffentanz wird jetzt kein Musikstück gestrichen. Die überlange Oper entläßt uns ermüdet und betäubt. Wo Rienzi Effect macht (und dies gelingt ihm häufig in den ersten drei Acten), da ist er die von Wagner witzig definirte „Wirkung ohne Ursache“. Alltäglichen, zum Theile ganz trivialen Ideen wird hier durch derbste sinnliche Mittel der Schein des Groß artigen angetäuscht. Solch unausgesetztes Brüllen von Posaunen und Tuba, so unermüdliches Trommeln und Beckenschlagen. So erbarmungslose Anstrengung der Chor-

und Solosänger verlangt keine zweite Oper. Der Hörer wird förmlich niedergeworfen und der Triumph des Com ponisten zur totalen Niederlage des Zuhörers. Gleich in der Ouvertüre, diesem Monstre-Potpourri mit der Prätension eines einheitlichen Charakterbildes, sehen wir unter der sinnlichen Gewalt der Töne den Geist erliegen. Bessere Hoffnungen erregt die Introduction (Entführung der Irene mit dem Dazwischentreten Adriano’s und dem Streite zwischen Orsini und Colonna); sie ist mehr im Tone der Spiel oper gehalten und meines Erachtens die werthvollste Nummer des Ganzen. Was nun folgt, kann man abgesehen von einigen flüchtig vorüberleuchtenden Stellen, füglich unter zwei Kategorien zusammenfassen: lärmende Trivialität und senti mentale Trivialität. Zur ersten Classe gehören alle „Glanz nummern“ der Oper: das erste Finale, der große Einzugs marsch, die Balletmusik, endlich der Schlußchor im zweiten Act. Man glaubt nicht, daß der Lärm des Finales noch steigerungsfähig sei; er wird aber noch weit übertroffen von dem Marsch und Schlachtgesang im dritten Act. Da arbeitet neben dem tobenden Orchester und Chor noch eine grausame Militärmusik auf der Bühne, große und kleine Glocken läuten hinter der Scene, und die wackeren Römer schlagen dazu tactweis mit den Schwertern auf ihre Schilde. Als Seitenstück zu diesem Profanlärm bringt der vierte Act ein geistliches Spectakel: den Bannfluch mit obligatem Miserere der Mönche. Noch schlimmer als die Musikstücke von der Lärm- und Glanztrivialität sind die von der sentimentalen. Sie sehen einander erschreckend ähnlich mit ihrer flachen süßlichen Melodie und steifen, dürftigen Harmonisirung. Das B-dur-Terzett im ersten Act mit dem sich anschließenden Liebesduett, die empfindsamen mordent gezierten Cantilenen des Helden Rienzi — wie kleinlich, kraftlos und abgetragen klingt das Alles! Was uns heute noch theilweise mit dieser Musik versöhnt, ist ihr jugend liches Feuer und ihre zukunftverheißende dramatische Energie. Rienzi“ ging bei gedrängt vollem Hause, unter tod müdem Enthusiasmus des Publicums in Scene. Die Vor

stellung währte bis gegen ½12 Uhr Nachts. In noch höherem Grade sehens- als hörenswerth wirkte sie vornehm lich durch die Pracht der neuen Decorationen von Brioschi, durch die blinkenden Costüme und das effectvolle Ballet. Herr Schmedes , der als Volkstribun, umgeben von lauter bärtigen Männern, viel zu jugendlich aussah mit seinem glattrasirten, rosigen Gesicht, war ein tüchtiger Rienzi. An Niemann durfte man freilich nicht denken, trotz dem dachte man nur zu viel an ihn. Herr Winkelmann , welcher den Rienzi singen sollte, war vor der Aufführung heiser geworden, Herr Schmedes wurde es erst während derselben. Wagner, der männermordende Achill unter den Operncomponisten, verlangt stets vorsichtige Doppelbesetzungen. Irene fand in Fräulein v. Mildenburg eine herrliche Repräsentantin; neben ihrer imposanten Gestalt schrumpfte ihr Geliebter Adriano recht kümmerlich zusammen. Für diesen Heldenjüngling ist Fräulein Walker unzureichend, nicht blos durch ihre Erscheinung. Musterhaft geschulte, correcte Sängerin, vermag sie doch keine Empfindung stark und über zeugend auf den Zuhörer überzuleiten; ihr Gesang erweckt weder Liebe noch Zorn, verkündet weder Segen noch Fluch. Gedenken wir mit gebührender Anerkennung der Herren Neidl , Reichenberg und Hesch , sowie des „Friedens boten“ Fräulein Pohlner , so bleibt uns nur noch Director Mahler zu preisen, die Seele der ganzen Auf führung. Die enorme Anstrengung schien seine Kräfte ver zehnfacht zu haben; wol auch der Ehrgeiz, dem halbver gessenen „Rienzi“ eine glanzvolle Auferstehung zu bereiten. Würde Wagner diese erlebt haben, wie hätte er sich gefreut — nein, geärgert und erzürnt! Hat er nicht dreißig Jahre lang mit aller Kraft gearbeitet, den „ Rienzi “ vergessen zu machen und die ganze Gattung der fünfactigen Spectakel oper als einen Irrthum und Unfug hinwegzufegen! Hoffent lich bekommen wir eines Tages nicht auch „ Die Feen “ zu sehen. Eine noch prächtiger drapirte, noch musikärmere Puppe. Aber — von Wagner.