Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13095. Wien, Donnerstag, den 7. Februar 1901 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13095. Wien, Donnerstag, den 7. Februar 1901 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 07.02.1901
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Cimarosa-Feier in Wien.

Ed. H. Es fehlte nicht viel, und kein Mensch hätte hier an Cimarosa gedacht. Das wäre der Musikstadt Wien doch schlecht zu Gesicht gestanden, für die Cimarosa sein bestes Werk geschaffen und die seinen Opern so fröhliche Abende verdankt. Vor hundert Jahren ist er gestorben, und ganz Italien huldigt seinem Andenken mit Musik und guten Werken. Da nahmen in Wien Herr v. Eisner-Eisen hof , der musikalische General-Consul Italiens, und Director v. Perger sich der Sache an und rüttelten an unserem eingenickten Gedächtniß mit dem Weckruf: Cimarosa! Herr v. Eisner stellte in zahlreichen Porträts und Partituren uns den Meister vor Augen; Director Perger brachte ihn zu Gehör mit der „Heimlichen Ehe“.

Die so lehrreiche und sehenswerthe Cimarosa-Ausstellung im Künstlerhause ward leider bald geschlossen. Als bleibende Erinnerung hinterließ sie uns einen werthvollen illustrirten Katalog mit vortrefflichen Einleitungen von Dr. Hirsch feld und Archivar Weltner . Was jedoch ein Berg von Autographen und Bildnissen uns nicht ersetzen kann, die lebendige Musik selbst, das wollte nicht so rasch Gestalt ge winnen. Das Ansuchen des Cimarosa-Festcomités um eine Aufführung der „Heimlichen Ehe“ im Hofoperntheater fand kein Gehör. So faßte denn Director Perger rasch den Ent schluß, die Oper selbst aufzuführen, auf der kleinen Bühne des Musikvereines. Ich hege eine alte Vorliebe für diese be

scheidenen Opernvorstellungen der Conservatoriums-Zöglinge. Niemand erscheint da mit rigorosen Anforderungen an die Gesangs-Virtuosität und Schauspielkunst der jungen Sing vögel. Um so erfreulicher wirkt ihre frische Unmittelbarkeit, ihre noch unverstörte Naivetät und jener zuversichtliche Eifer, der oft das halbe Gelingen ist. Mit der „Heimlichen Ehewagten sie ihren ersten Ausflug — zu Aufgaben, welche zu den Glanzvollen der berühmtesten italienischen Künstler gehört haben. Warum hat man auf dem Theaterzettel die italienischen Personennamen, die noch im Hofoperntheater 1884 unan getastet geblieben, in philisterhaft deutsche umgewandelt, aus dem Geronimo einen „Herrn Roms“, aus Paolino einen „Herrn Sander“, aus Fidalma eine „Beatrix“, gemacht? Solche Geschmacklosigkeit war vor hundert Jahren sehr be liebt an kleinen deutschen Bühnen, z. B. in Dessau, wo Mozart’s Don Juan „Herr von Schwänkereich“, Don Ottavio „Herr von Frischblut“, Leporello kurzweg „Fick fack“ heißen mußte. Namen sind nichts Gleichgiltiges. Zu dem italienischen Boden (das Stück spielt in Venedig) und Cimarosa’s italienischer Musik passen auch nur die italieni schen Namen des Originals. Die plumpen deutschen klingen wie ein falscher Ton in das Ganze hinein. ... Director v. Perger hat die Oper mit großer Pietät studirt und vortrefflich dirigirt — viel Mühe für eine einzige Aufführung! Aber keine vergebliche. ... Sie kommt später unseren Orchesterjünglingen, besonders aber den künftigen Primadonnen und Opernsängern gar sehr zu statten. Wir wollen gleich ihre Namen nennen. Zuerst das Liebespaar Fräulein Josephine Reif und Herr Otto Beer , welche durch anmuthige Erscheinung, schöne Stimme und geschmackvollen Vortrag besonders gefallen haben. Sie standen durch ihre sympathischen Rollen im Vortheil gegen die übrigen Mitwirkenden, welche darum nicht weniger tüchtig und erfolgreich sich behaupteten: die Fräulein Sed mak und Cankl , die Herren Hell und Hagenauer . Jedes von ihnen verrieth neben entschiedenem Beruf für sein specielles Rollenfach musikalisches und dramatisches Talent. Für die Ausbildung des letzteren hat der Hofopern-Regisseur

Herr August Stoll eifrig und erfolgreich gesorgt. Kein Zweifel, daß alle diese jungen Kräfte bald eine besondere An ziehungskraft auf Operndirectoren ausüben werden. Alles in Allem — der gestrige Cimarosa-Abend war ein Triumph unseres Conservatoriums. Das Publicum, das unbillige Ansprüche einsichtsvoll daheimgelassen hatte, verblieb den Abend hindurch in einer angenehmen Atmosphäre ruhiger Heiterkeit, die manchmal zu fröhlichem Lachen aufblitzte, manchmal zu leichter Rührung sich dämpfte.

Gewaltige Aufregung wird Niemand erwartet haben von der „Heimlichen Ehe“. Ein gut bürgerliches Familienstück, durch dessen komische Verwicklungen und Mißverständnisse sich ein zarter Liebesfaden spinnt. Die Flucht der heimlich Vermälten und der Zorn des Vaters lassen am Ende fast eine tragische Wendung befürchten, aber die Versöhnung folgt rasch, und das Stück glänzt nach flüchtiger Umwortung wieder in vollem Sonnenschein. Cimarosa’s Musik besitzt jene echte, leichte Goldfarbe, welche so einzig für das Lust spiel paßt und auch in den sentimentalen Scenen nicht in Schwarz oder Dunkelroth übergehen darf. Es quillt und perlt in dieser Musik Alles so leicht und frohgemuth hin, daß der Hörer sich nur hinzusetzen und zu genießen braucht. Jeder Tact verräth eine fabelhaft leichte, dabei meisterlich geschulte und von gutem Geschmacke ge leitete Hand. Die Charaktere und Situationen sind flüchtig, aber treffend gezeichnet, die Singstimmen überall herrschend über das fein begleitende Orchester, grelle Dissonanzen und kühne Modulationen durchwegs vermieden. Mozart über trifft, ganz abgesehen von seinen reicheren und tieferen Ideen, den Italiener speciell in den letztgenannten Punkten: in seiner genialen Verwerthung der Dissonanz, der Modu lation, der Instrumentirung. Cimarosa ist der süße Schaum auf dem Champagner; Mozart der köstliche Wein selbst. Was in Cimarosa’s Musik uns heute manchmal ungeduldig macht, sind die allzu große, fast mathematische Regelmäßigkeit seines Periodenbaues und die nie ausbleibenden Wieder holungen jeder Phrase, jeder Figur. Wenn man die erste Hälfte eines Themas gehört, so weiß man bei Cimarosa die

zweite mit unfehlbarer Sicherheit voraus. Lange Musikstücke hindurch werden wir in derselben Tonart auf zwei, höchstens drei Accorden festgehalten und endlich mit denselben Schluß cadenzen umständlich hinauscomplimentirt. Diesen Mangel an allem Unvorhergesehenen, Ueberraschenden und Scharf gewürzten müssen wir Kinder einer modernen, nervösen Zeit als eine zu weit getriebene Tugend empfinden. Als die besten Scenen wirken noch heute die komischen. Zuerst die lebhaft bewegten Trios, Quartette und Quinette, deren Einführung (schon 1777) ein reformatorisches Verdienst Cimarosa’s gewesen. Sodann die berühmte Buffo-Arie des alten Geronimo: „O höret Alle!“ und sein Duett mit dem Grafen im zweiten Act: „Sie müssen sich bequemen.“ Ohne letzteres wäre das berühmte Männerduett in Rossini’s Cenerentola kaum entstanden; ja es klingt noch im „Czar und Zimmermann“ als getreues Echo nach. Neben diesen Cabinetsstücken komischen Styls wirken manche ernste Nummern wieder durch echt italienische Süßigkeit der Melodie: die zärtliche Arie Paolino’s in Es-dur und das Duett des zur Flucht bereiten Liebespaares. P. Scudo , ehedem das Haupt der Pariser Musikkritik, erklärt in einem seiner Bücher feierlich, daß er auf der ganzen Welt nichts Schöneres kenne, als jene Tenor-Arie, und daß er gern seinen Antheil am Paradies dafür hingäbe, das Liebes duett componirt zu haben! In ähnliches Entzücken geräth auch jedesmal der Franzose Stendhal , wenn er auf Cimarosa zu sprechen kommt. Einmal nimmt aber seine Begeisterung eine unerwartet kritische, feine Wendung. Die Erzählung des berühmten Sängers Pacchiarotti, er habe in Mailand allabendlich eine gewisse Arie von Cimarosa vier- auch fünfmal wiederholen müssen, veranlaßt Stendhal zu dem Ausruf, „es sei ganz unmöglich, daß das menschliche Herz eine Musik, die es mit solcher Raserei liebt, immer lieben könne!“ Von allen Künsten erregt Musik die lebhaftesten Empfindungen, die überschwänglichsten Genüsse, aber die am wenigsten dauerhaften. Als Cimarosa und sein gefeierter Rivale Paisiello Anfangs des 19. Jahr hunderts zu schreiben aufhörten, hatten sie seit dreißig

Jahren ganz Italien verschwenderisch mit Opern versehen. Man begann nun gegen dieselben gleichgiltiger zu werden, denn sie boten nichts mehr Ueberraschendes, Unvorhergesehenes. Man sehnte sich nach einem neuen musikalischen Genie, und um so ungeduldiger, als es nicht so bald erschien. Erst Rossini war dieser neue große Erfinder, neben dessen zündenden Melodien die oft gehörten, längst auswendig ge wußten des Cimarosa veraltet erschienen. Der Glanz und die Lebendigkeit der Rossini’schen Musik bewirkten, daß man bald in ganz Europa die „Heimliche Ehe“ nicht mehr hinreißend fand. Und der unwiderstehliche Sieger Rossini? Er ist erst 32 Jahre todt, und von seinen unzähligen Opern führen nur noch zwei (der „Barbier“ und „Tell“) ein wirkliches Leben in der Gegenwart. Das ist das Schicksal der Opern könige.

Cimarosa’s Oper hat in der Conservatoriums-Vor stellung außerordentlich gefallen. In den Applaus des Publi cums und die wiederholten Hervorrufe des Directors v. Perger mischte sich hier und dort die leise Frage: Hören wir sie jemals wieder, diese liebenswürdige Musik? Schwer lich. Den ablehnenden Bescheid des Directors Mahler be greifen wir vollkommen. Ganz abgesehen davon, daß das Hofoperntheater beinahe zum Wagner-Theater geworden, (fünf Wagner-Opern in diesem Wochenrepertoire, drei im vorigen!) — so einfach melodiöse, schüchtern instrumentirte Musik wie die Cimarosa’s hat wenig Aussicht, dort durch zudringen. Ja, wenn wir ein eigenes kleineres Theater für die komische Oper besäßen! Da hörten wir gar viele ältere und neue Werke dieser Gattung, deren ehrbare Annäherung unsere Hofoper nur mit einem majestätischen „Zurück“ er ledigt. Unser Traum von einer eigenen „Opéra comique“ in Wien hat sich schon einmal, vor 27 Jahren, erfüllt. Jetzt dürfte er aller Wahrscheinlichkeit nach sich ein zweitesmal verwirklichen. Es circulirt hier ein Auf ruf zur Gründung einer „Volksoper“. Zwei ge wichtige Namen stehen darin, Fellner und Helmer , die bewährten Dioskuren des modernen Theaterbaues. Bereits kennt man auch eine große Anzahl veranleuchtender

Subscribenten, welche, rasch anwachsend, die finanzielle Frage bald gelöst haben dürfte. Von dieser finanziellen Frage ver stehe ich gar nichts; ich vermag nur vom rein künstlerischen Standpunkt die Gründung eines zweiten kleinen Opern hauses für wünschenswerth zu erklären. Wie viel genußreiche Abende hatten wir der ehemaligen „Komischen Oper“ am Schottenring zu verdanken, vor ihrem durch unkluge, wag halsige Führung verschuldeten Zusammensturz! Die ersten Vorstellungen mit Minnie Hauck , Anton Erl , Hölzl , Nollet , dann das glänzende Gastspiel der Lucca , die Novitäten von Massenet („Don César de Bazan“) und Délibes („Der König hat’s gesagt“) — welch lebhaft nachklingende Eindrücke! Was die Errichtung einer eigenen „Komischen Oper“ in Wien damals veranlaßt hat, war keine phantastische Projectmacherei, es waren aus dem Wesen der Sache fließende Erwägungen, künstlerisch unanfechtbare Motive. Diese Erwägungen, diese Motive bestehen heute genau so wie damals — das Mißgeschick, welches die „Komische Oper“ in den Wirbel einer allgemeinen Finanz calamität mit hineinriß, ändert nichts daran. Das Hof operntheater, auf die glänzende Repräsentation der Großen Oper angewiesen, ist nicht in der Lage, die Spieloper mit gleichem Erfolg zu pflegen. Nur in einem eigenen stabilen Theater können sich Specialitäten für die Spieloper aus bilden, Sänger und Componisten. Gerade so wie jetzt jeder angehende Sänger sich nothgedrungen der Großen Oper widmet, so schreibt heute jeder deutsche Componist, dem etwas einfällt, oder auch nichts einfällt, eine heroische oder tragische Oper. Wo sollte er auch ein leichtes musikalisches Lustspiel zur Aufführung bringen? In Paris hält die Opéra Comique und außerdem das Théâtre Lyrique die Production in Fluß. Und so dürfen wir wol hoffen, daß die projectirte neue „Volksoper“ die erschreckende Sterilität des musikalischen Lustspieles allmälig brechen, Componisten und Sänger für die komische Oper heranbilden werde. So viel für heute.