Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13121. Wien, Dienstag, den 5. März 1901 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13121. Wien, Dienstag, den 5. März 1901 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 05.03.1901
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Musik. (Philharmonisches Concert. — Requiem von Dvořak.)

Ed. H. So bekamen wir sie doch noch zu hören, die Chinesische Ouvertüre“, bevor sie ihre nachgeborene Actualität eingebüßt und Graf Waldersee den Rückzug aus Peking an getreten hat. Das muntere Stück, welchem classische Präten sionen ferne liegen, erregte als ein geistreiches Curiosum bei den Hörern lebhaftes Gefallen. C. M. Weber hatte die schon 1806 componirte „Overtura chinesa“ in späterer Umarbeitung als Ouvertüre zu Schiller’s Schauspiel Turandot“ verwendet und sechs die Handlung illustrirende Musiknummern hinzugefügt. Für das Exotische, für fremdländische Eigenart und Romantik war der Com ponist des „Oberon“ jederzeit leidenschaftlich eingenommen. J. J. Rousseau’s „Dictionnaire de Musique“ hatte ihm eine wunderliche chinesische Original-Melodie von vierzehn Tacten zugeführt; sie reizte seine wanderlustige Phantasie und lieferte ihm notengetreu das Hauptthema zu seiner Ouvertüre. Die Absicht, dieser Composition den Charakter des fremdartig Starren aufzuprägen, hat Weber mit geistreichem Humor ausgeführt. Allerdings erregte der seltene Vogel bei seinem Erscheinen mehr Ver

wunderung als Gefallen. Darüber gab sich Weber keiner Täuschung hin. „Trommeln und Pfeifen,“ schreibt er selbst, „tragen die seltsam bizarre Melodie vor, die dann, vom Orchester ergriffen, in verschiedenen Formen, Figuren und Modulationen festgehalten und ausgeführt ist. Gefälligen Eindruck kann es, ohne sich ganz an die Tendenz der Sache zu halten, nicht hervorbringen; aber ein ehrenwerth gedachtes Charakterstück mag es sein.“ ... Die Ouvertüre ist überhaupt selten gegeben worden; in Wien niemals, nicht einmal nach dem großen Erfolg des Freischütz“. So haben wir denn alle Ursache, Herrn Director Mahler für diese unverhoffte, gerade jetzt so witzige Aus grabung zu danken.

Bruckner’sB-dur-Symphonie (Nr. 5), eine Novität bei den Philharmonikern, war uns bereits aus einer früheren Wiener Aufführung bekannt. Es will bei bestem Willen uns nicht glücken, viel Neues über diese „Fünfte“ vorzubringen; die Bruckner’schen Symphonien sehen einander so ähnlich, daß auch die Kritiken sich ziemlich gleichen müssen. Wie in den anderen Symphonien von Bruckner, so wechseln auch in dieser Fünften kühne, originelle Einzelheiten mit leeren, trockenen, auch brutalen Stellen, oft ohne erkennbaren Zu sammenhang. Wie helle Blitze leuchten hier vier, dort acht Tacte in eigenartiger Schönheit auf; dazwischen ver wirrendes Dunkel, müde Abspannung, fieberhafte Ueberreizung. Auch in der B-dur-Symphonie ver missen wir das logische Denken, den geläuterten Schönheitssinn, den sichtenden und überschauenden Kunst verstand. Sie hat, meines Erachtens, weniger sinnlichen Reiz und Originalität als die Siebente Symphonie in E-dur; weniger Gesang und tiefe Empfindung als (nament lich im Adagio) die Dritte in D-moll. Nur in Einem Punkte dürfte sie ihre Schwestern noch übertreffen: in ihrer er müdenden Länge. Director Mahler, ein warmer An hänger Bruckner’s, doch kein so blinder wie unsere Wiener Fanatiker, hat an der Partitur sehr einschneidende Kür zungen vorgenommen: im ersten Satz machte er, ganz

abgesehen von kleineren Weglassungen, einen großen Strich über ganze 82 Tacte, im Adagio sogar über 85 Tacte! Trotzdem empfanden wir auch diese neueste Bruckner-Feier als eine starke Geduldprobe. Die Symphonie, eine Pracht leistung unseres Orchesters, wurde mit jenem unersättlich lärmenden Enthusiasmus aufgenommen, welcher von jeder Bruckner-Aufführung — in Wien — unzertrennlich ist.

In bescheidenen, reingehaltenen Grenzen, ohne die Prätension des „Uebermenschen“, aber desto menschlicher, erquickender, liebenswürdiger erklingt Dvořak’sSerenade für Blasinstrumente. Vor dreiundzwanzig Jahren componirt, hat sie jetzt ihre erste Aufführung im Philharmonischen Concert erlebt und stürmischen Beifall errungen. Die Serenaden (auch „Cassationen“, „Nocturnos“, „Diverti menti“) gehören zur musikalischen Charakteristik des acht zehnten Jahrhunderts. Da hatte jeder Fürst und jeder reiche Edelmann seine kleine Musikkapelle, die an Sommer abenden im Park Musik machte. Auch in den Städten war’s noch gemüthlicher; zu Haydn’s und Mozart’s Zeiten er klangen Nachts die Straßen und Plätze in Wien von sanften Huldigungsmusiken, welche das Namensfest der Angebeteten oder, wenn der Liebhaber Raison ver stand, ihrer gestrengen Mama feierten. Bekanntlich hat Mozart viele solcher Serenaden geschrieben, theils für Harmoniemusik, theils für ganzes Orchester. Das waren wirkliche Gelegenheitsmusiken, und die besondere Veranlassung wirkte bestimmend auf die Form des Stückes und Zu sammensetzung des Orchesters. Die „Serenaden“ zählten sechs bis acht Sätze, worunter zwei bis drei Menuetts. Spohr’s Notturnos für Harmoniemusik gehören in diesem Sinne zu den letzten Ausklängen einer Kunstgattung, welche so menschlich schön den Herzensangelegenheiten unserer Großeltern zur Seite stand. In neuester Zeit hat (neben Ignaz Brüll und Robert Fuchs) vor Allem Brahms die Serenade wieder auferweckt. Seine beiden Orchester-Sere naden gefallen sich, älterem Herkommen getreu, in größerer Red seligkeit; sechs Sätze zählt die in D, fünf Sätze die kleinere in A-Dur.

Dvořak begnügt sich weislich mit vier Sätzen; eine länger ausgedehnte Alleinherrschaft von Blasinstrumenten würde bald monoton wirken. Den Charakter der einzelnen Instru mente und deren Gruppirung behandelt der Componist mit feinem Verständniß und herrlicher Wirkung. In marsch artigem Rhythmus eröffnet der erste Satz sanft und feierlich die Serenade; ohne Alterthümelei hält er doch eine gewisse altväterische Haltung fest. Ebenso das sich anschließende reizende Menuett. Auf die heitere Anmuth dieses Stückes folgt das sentimentale Mondschein-Andante in A-dur; ein zarter Wechselgesang zwischen Oboe und Clarinette, auf einer vollharmonischen synkopirten Begleitung der Hörner und Bässe. Man darf dieses Stück von idealer Schönheit wol die Krone des Ganzen nennen. Im nothwendigen Gegensatz dazu überläßt sich das Finale unbedingtem Frohsinn, dem auch ein bischen Derbheit gar nicht übel steht. Dvořak’s Serenade stellt den Bläsern keine leichte Aufgabe. Das Stück muß so unübertrefflich rein und fein gespielt werden, wie von unseren Philharmonikern; dann ist aber sein Erfolg sicher. Möchte dieser Musterverein sich gelegentlich auch des Sextetts für Streichinstrumente von Dvořak, seiner Suite für Orchester, seiner Ouvertüre „Mein Heim“ und noch manches anderen Stückes von Dvořak erinnern, das unserem alljährlich dürftiger zusammenschrumpfenden Novi täten-Programme gar wohlthätig zu statten käme.

Wenige Tage nach der „Serenade“ überraschte uns ein zweites größeres Werk des sonst in Wien recht stiefmütterlich behandelten Dvořak: sein Requiem op. 89. Dasselbe ist vor zehn Jahren geschrieben, und zwar (wie sein „Stabat mater“) für ein Musikfest in England. Sei es gleich an fangs gestanden, daß wir Dvořak’s weltliche Musiken seinen kirchlichen vorziehen — die letzteren sollen deßhalb nicht unterschätzt sein. Dvořak’s Musik ist ein Weltkind, rothwangig, lebensfroh und anmuthig; es hat Momente der Schwermuth, aber nicht Tage der Buße und Kasteiung. Dvořak’s Kirchenmusiken verrathen seine Kunst, die weltlichen Stücke seine Natur. Wie alle modernen Tondichter von Bedeu

tung, denkt auch Dvořak als Requiem-Componist mehr an den Concertsaal als an die Kirche. Das bedeutet keinen Vor wurf, nur eine Richtung der Zeit. In der Kirche sind wir fromme Christen und lassen uns die Musik dazu gefallen; im Concert sind wir Musiker und vertragen uns mit der Frömmigkeit. Immer kleiner wird die Zahl der für die Kirche schaffenden Meister. Die gottesdienstlichen Com positionen selbst eines Mozart und Haydn sind fast alle ver schollen. Sie leben nur in der Kirche fort, also für das nicht eigentlich musikalische Publicum. Dem Tanzlustigen ist bekannt lich leicht aufgespielt; dem frommen Kirchengänger auch. Unsere heutigen Componisten begnügen sich nicht mit solcher Nebenrolle; wenn sie einmal sich zusammennehmen und Kirchenmusik schreiben, so hegen sie einen größeren, sagen wir einen andern Ehrgeiz. Wie die Todtenmessen von Cherubini, Berlioz, Schumann, Brahms, Verdi, so ist auch Dvořak’s Requiem mehr für den Concertvortrag als für den Gottesdienst ge dacht, schon ob seines großen Umfanges und der bedeuten den technischen Anforderungen. Was wir an dieser gewissen haften, gediegenen Arbeit vermissen, ist das uns liebgewordene persönliche Gepräge des Autors. Auch für Verdi wie für Berlioz war das Requiem ein fremdes Feld; dennoch erkennt man die Beiden sofort. Nicht so Dvořak. Der Zwang der feststehenden Form und der kirchlichen Tradition hält Wache vor seinem Schaffen; sie lassen nichts Fremdes herein, aber auch nicht sein Eigenstes.

An der Spitze des Requiems steht gleichsam als Motto eine aus kleinen halben Tönen zusammengesetzte Figur, welche als Leitmotiv durch das ganze Werk sich hindurchzieht. Wir vermissen an dieser glücklichen Idee nur einen prägnanteren Charakter dieses Leitmotivs selbst. Auf den edlen, klangschönen Chorsatz „Requiem aeternam“ folgt das „Dies irse“, welches Dvořak, ähnlich wie Mozart, in sechs abgeschlossene Sätze gliedert. Wir staunen, wie maßvoll Dvořak in der Auffassung und Aus malung dieses Stückes sich beschränkt hat, das ja meistens zu stark theatralischen Effecten verleitet. Postirt doch

Verdi an den vier Enden des Saales Trompeten, die zur Auferstehung rufen; Berlioz an derselben Stelle sogar vier verschiedene Orchester von Blechinstrumenten und acht Paar Pauken! Vielleicht haben gerade diese Beispiele abmahnend auf Dvořak gewirkt, der auch mit den bescheidenen Mitteln seines „Dies irae“, eine er greifende Wirkung erzielt. Auf die Schrecken des letzten Gerichts legt sich mit sänftigender Hand das Tenorsolo „Recordare“, mit dem sich innig anschließenden Gesangs quartett. Ueberhaupt scheint uns der Componist in jenen Theilen am glücklichsten, welche als eigentliche Gebete den Charakter tiefer Empfindung tragen. So das „Lacry mosa“, das als Zwiegesang zwischen Baß und Tenor einsetzt. Desgleichen das „Sanctus“ und „Benedictus“ welche Dvořak, der liturgischen Ordnung entsprechend, in Einen Satz vereinigt. Welch sonnig helle und warme Melodie! Der folgende Abschnitt „Pie Jesu“, wol einen der schönsten dieses Requiems, blieb bei der Wiener Auf führung weg; ohne Zweifel, weil in diesem schwierigen a capella-Gesang eine makellos reine Intonation kaum zu erreichen und festzuhalten ist. Auf die Worte „Quam olim Abrahae“ bringt Dvořak, altem Herkommen fol gend, eine Fuge; die einzige in dem ganzen Requiem. Die Virtuosität der alten Meister im strengen Fugenbau stirbt immer mehr ab, und damit naturgemäß die Lust dazu. Um so glücklicher wirkt es, daß Dvořak’s Requiem gegen das Ende sich nicht abschwächt, sondern im Gegen theil an Kraft und Reiz der Erfindung sich steigert. Das „Agnus Dei“ krönt in würdigstem Abschluß das Werk.

Dvořak’s Requiem ist für Sänger und Orchester keine leichte Aufgabe. Herr Director Loewe, welcher ein sehr sorgfältiges Studium daran gewendet, sowie die be währten Gesangskräfte Frau Katzmayer und Fräu lein Bratanitsch, die Herren Schmedes und R. Mayr haben den lauten herzlichen Dank des Publi cums vollauf verdient.