Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13136. Wien, Mittwoch, den 20. März 1901 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13136. Wien, Mittwoch, den 20. März 1901 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 20.03.1901
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Lobetanz. Ein Bühnenspiel in drei Aufzügen von O. J. Bierbaum . Musik v. L. Thuille . (Erste Aufführung im Hofoperntheater am 18. März)

Ed H. Die neue Oper wurde zufällig an meinem Namenstag gegeben. Ich hätte mir leicht etwas Angenehmeres wünschen können. Schon die Dichtung will mir schlechter dings nicht behagen. Bierbaum zählt heute zu den sehr be liebten jüngeren Poeten. Aber etwas so Kindisches, gekünstelt Naives wie sein „Lobetanz“ ist selten über die Bühne ge schlichen. Die Handlung zeigt eine so krankhafte Magerkeit, daß der Erzähler sich förmlich fürchtet, sie anzufassen. Lang sam dreht sie sich um zwei Personen, Lobetanz und die Prinzessin; der Vater, ein unverfälschter Kartenkönig, agirt mehr als Statist. Unser „Bühnenspiel“ — das Wort „Oper“ ist verrufen — beginnt mit einer Art Manifest. Die schwer müthige Prinzessin langweilt sich bei den Huldigungsliedern etlicher Hofsänger, bricht aber bei den Klängen einer aus dem Gebüsch ertönenden Geige in ein „lautes, beglückt er stauntes Ach!“ aus. Lobetanz, ein fahrender Spielmann, der wegen seiner geflickten Kleider sich anfangs nicht hervor gewagt, singt nun auf Bitten der Prinzessin ein Lied von so beseligender Wirkung, daß die Prinzessin in immer steigernden Glücksschmerzen wie todt zu Boden sinkt. Lobe tanz entflieht. ... Zu Anfang des zweiten Actes sehen wir ihn „rittlings auf dem Geländer einer Linde sitzend“, geigend und dazwischen lange Monologe theils sprechend, theils singend: „Mutterl’s Augen blauen durch die Zweige“, „Dummer Junge, sagt’s Mutterl“, „Gott, was ich ein Dummer bin!“ u. s. w. Niemand wird sich hoffentlich wundern, daß jetzt die Prinzessin ganz allein im Walde spazieren geht und das geigende Mutterlsöhnchen, mit dem sie nie zuvor ein Wort gesprochen, sie sogleich als beglückter Liebhaber ansingt: „Bist du gekommen, du Meine?“ Die Beiden steigen nun auf die Linde und küssen sich. Er singt ihr

dann ein „lockeliges Lied“, wird aber bei neuerlicher, noch gründ licherer Umarmung von dem König und dessen Hofstaat überrascht. Die Prinzessin fällt — wie im ersten Act — in Ohnmacht; ihr Sänger wird gefesselt in den Kerker abgeführt. ... Nach diesen von süßer Einfalt und Zärtlichkeit bis zum Zerspringen angefüllten zwei Acten müssen die Autoren wol das Bedürfniß nach einem starken Contrast empfunden haben. Sie brauten ihn aber gleich so fuselstark, daß wir unwillkürlich zurückweichen. Zur Hälfte spielt dieser dritte Act in einem finsteren Kerker, zur Hälfte auf dem Richt platz vor dem Galgen. Im Kerker sehen wir Lobetanz, umkreist von gefangenem Gesindel, das ihn verhöhnt. Da ergreift ihn ein „gräulicher Humor“; er singt die Ballade vom Tod und dem Zecher, welche ein glatzköpfiger Alter, der den Tod vorstellt, und zwei tanzende zerlumpte Weiber mimisch begleiten. „Warum trinkt du denn nicht, o du kalkicht Gesicht? Herrgott, bist du fad!“ Es ist wirklich die höchste Zeit, daß der Henker erscheint und den Lobetanz aus dieser Unterhaltung zur Hinrichtung abholt. Verwand lung. Jetzt, nach dem Galgenhumor, der Galgen ohne Humor. Wir stehen an dem Galgenhügel, zu dem im Morgengrauen das Volk strömt. Wieder hören wir ein mehr strophiges Galgenlied, von einem jungen Burschen gesungen. „Mir war’s, ich hört’ einen bangen Schrei, verdammt: da kam ich am Galgen vorbei, d’ran schwangen im Winde Zwei oder auch Drei, heut’ Früh.“ Unter den Klängen eines sehr um ständlichen Hinrichtungsmarsches wird Lobetanz zum Galgen geführt. Da geschieht etwas, so unerwartet und unglaublich, daß wir uns kaum getrauen, es nachzuerzählen. Die todt kranke Prinzessin, vom König und dem ganzen Hofstaat be gleitet, wird auf einer Sänfte herbeigetragen, um der Hin richtung ihres Geliebten beizuwohnen! Es wird uns zwar zur Erklärung dieses Gräuels namens der „Wissenschaft“ verkündet, „sein Tod werde die Prinzessin zum Leben rufen“. Aber wenn sie, erwachend, den Geliebten am Galgen baumeln sieht — versprechen der König und „die Wissen schaft“ sich davon wirklich einen heilsamen Eindruck auf die kranke Prinzessin? Also Lobetanz steht unter dem Galgen. Sollte er in diesem letzten Augenblick nicht noch ein wenig Geige spielen? Richtig. Er setzt

die Fiedel an und „geigt die Prinzessin ins Leben“. Sie umarmen sich („flottes Walzertempo“!), der König begrüßt den armen Sünder frohgemuth als seinen lieben Schwiegersohn, und die ganze Gesellschaft tanzt singend und fiedelnd vor dem Galgen herum. „Rosenrothe Apfelblüth’, Juhuhuhu.“ Dieser „gute Ausgang“ des Stückes stürzt allzu schnell auf das Gräßliche, um nicht jede feinere Empfin dung zu verletzen.

Ich vermag Bierbaum’s Bühnendichtung nur zu ver stehen, wenn ich sie als eine Art Rückschlag gegen die ein actigen Mord- und Selbstmord-Opern auffasse, welche, von Mascagni’s „Cavalleria“ ausgebrütet, schaarenweise den deut schen Horizont verdunkelt haben. In dieser entschuldigenden Ver muthung bestärkt uns der Inhalt der zweiten, gleichfalls von Thuille componirten Oper Bierbaum’s: „Gugeline“. Diesen nicht allzu melodischen Namen trägt die Heldin der Oper, eine Bauernschönheit, die der Prinz im ersten Act erblickt, anbetet und im letzten auf den Thron erhebt. Wie man sieht, eine Inversion der Lobetanzgeschichte. Dort Bänkelsänger und Prinzessin, hier Prinz und Bauerndirne. Der Dichter hat eine merkwürdige Passion für Mesalliancen und Violinspiel. Denn auch in „Gugeline“ spielt die Geige eine wichtige, das ganze Stück illustrirende Rolle. Da fiedelt sie (für einen Prinzen schickt sich das nicht) sein buckliger Hof narr — an jedem Ort, zu jeder Zeit, die ihm passend dünkt, den schwankenden Prinzen zur „wahren Liebe“ zu bekehren. „Liebe und Trompetenblasen,“ heißt es im Trompeter von Säkkingen, „sind gar gut zu vielen Dingen.“ Bei Bierbaum thut’s die Geige. Für den Styl und die Tendenz der beiden Bierbaum’schen Bühnenspiele ist charak teristisch auch ihr Personen-Verzeichniß. Außer Gugeline und Lobetanz hat keine der handelnden Personen einen Namen. Es spielen „der König“, „der Prinz“ u. s. w. In „Gugelineerscheinen außerdem: der Obersthofmeister, der Monsieur, der Signor, der Professor, die reiche Prinzessin, die gelehrte Prinzessin, die schöne Prinzessin, der reiche Bauer, der schlaue Bauer, der starke Bauer und was sonst noch. Seltsam, daß die Personen sich nicht auch, wie in Tieck’s Schauspielen, selbst präsentiren. „Ich bin der wackere Boni facius“ u. s. w. In der That, die Kleinkinderstube, wie sie

putziger nicht gedacht werden kann. In beiden Opern kein einziger individueller Charakter, lauter Puppen und Holz schnittfiguren. Immerhin hat „Gugeline“ eine wenn auch nicht viel gescheitere, doch belebtere Handlung und zum Schluß eine lustige Krönung, statt eines Galgens.

Wir haben uns lange beim Textbuch aufgehalten; will man das für ein Compliment nehmen, sei’s darum. Jeden falls liefert die Musik uns weniger Stoff. Was daran zu loben, was anzuzweifeln ist, bedarf nicht vieler Worte. Man kennt Herrn Professor Thuille als gediegenen und feinfühlenden Musiker, der mit vollkommener Beherrschung des gesammten Tonmaterials echt künstlerisches Streben verbindet. Seine Lobetanz-Musik wird überall unbedingte Achtung erringen; mehr Achtung als Begeisterung. Es fehlt dieser Musik die prägnante Physiognomie, die zündende Kraft, welche wir an dramatischer Musik schwer vermissen. Ob das mehr an einer ursprünglichen Schwäche seiner Begabung liegt, oder an dem Zwange, den das Wagner’sche Stylprincip ihm auferlegt? Wahrscheinlich an Beidem. Eine von Haus aus starke melodiöse Erfindungskraft begibt sich kaum freiwillig in die Bot mäßigkeit eines Systems, welches die Instrumente üppig schwelgen läßt, während der Gesang hungert. Die beiden ersten Acte bringen zahlreiche Orchesterstellen, die als solche interessiren und erfreuen — feinste Begleitungen zu einem Gesange, der nicht da ist. Lobetanz und die Prinzessin begnügen sich mit jenem schwanken Singdeclamiren, das bei den Nachfolgern Wagner’s Regel geworden. Der Gesang verliert sich in lauter declamatorische Phrasen, ohne sich zu einer selbstständigen Melodie zu krystallisiren. Wir begreifen, daß junge Wagner-Schwärmer sich nur schwer dieser herr schenden Mode entziehen. Wenn’s aber vielleicht nicht mehr die herrschende ist? Ein ganz neues Buch: „Moderner Geist in der deutschen Tonkunst“ von Dr. A. Seidl , belehrt uns, daß Wagner’s Kunst, als die einer vergangenen Epoche, schon seit 1896 hinter uns liegt und seine Zukunfts musik nicht mehr die heutige ist. Wagner, so wird uns gesagt, „resumirt die Modernität (!), aber er ist nicht mehr modern“. Wir sind bereits in die Periode des „Wagner- Schismas“ eingetreten. Der vom Wahnfried beherrschte rechte Flügel strebt, „das Werk Wagner’s zu monumentali

siren, den Styl zur Tradition zu stylisiren“, und diese Richtung führt nach Seidl „ins ödeste Wagner-Philisterium“. Der linke Flügel der „Neu-Wagnerianer“ vertritt die musi kalische Secession. Ihr führender Geist ist Nietzsche , „der Modernste der Modernen“; ihr musikalischer Held, selbstverständlich, Richard Strauß . Armer braver Thuille! Er und alle seine Operncollegen, die ja kaum erst zu schaffen begonnen haben, sind also von Herrn Seidl bereits be seitigt. Denn ihr Muster ist „nicht mehr modern“. Um Letzteren ist uns nicht bang; Wagner wird uns Alle, auch die Herren von der Seidl-Secession, sehr, sehr lange überleben. Denn seinen Styl hat er sich geschaffen für die eigene überragende Individualität. Aber Jene, die ihn mühsam, unfrei nachahmen — und dazu gehören seit 25 Jahren wenigstens vier Fünftel aller deutschen Opern componisten — für sie dürfte sehr bald jene Götterdämme rung anbrechen, welche bereits dem Herrn und Meister an gedroht wird.

Entschiedener Wagnerianer, emancipirt sich Thuille doch von seinem Stylmuster in zwei Punkten. Erstens unterbricht er den Gesang reichlich mit gesprochenem Dialog. Nicht etwa nach Art der älteren deutschen Oper („Zauberflöte“, Fidelio“, „Freischütz“), wo je zwei abgeschlossene Gesangs nummern durch Gespräch getrennt sind; vielmehr unterbricht oft schon nach drei bis vier Tacten die Rede den Gesang. Zart und stimmungsvoll begleitet, wie namentlich im zweiten Act, sind diese halb melodramatischen Scenen von unleugbar poetischem Reiz. Einer zweiten Abweichung von Wagner’s Princip begegnen wir in dem Einflechten von eigentlichen Liedern. Hier dürfte und müßte der Componist seine souve räne melodische Erfindung zeigen — wenn er welche besitzt. Thuille fühlt sich aber auch da auffallend beengt. Es fehlt ihm das Talent oder der Muth zu einem frischen, natürlichen Lied. Man höre die Lieder des Lobetanz im zweiten und dritten, das Lied des jungen Burschen im dritten Act. Lauter Fröhlichkeit mit Alpdrücken. Was den Mangel an selbstständiger reizvoller Melodie noch fühlbarer macht, ist die maßlose Ausdehnung der einzelnen Gesänge. Wie lange dauert die schwülstige Anrede der Prinzessin beim Maifest, wie lang und langweilig Lobetanz’ Violinsolo hinter dem Springbrunnen und sein

die Prinzessin bis zur Ohnmacht bezaubernder Gesang am Schlusse des ersten Actes! Der letzte Act schafft zu der Idylle der beiden früheren den denkbar grellsten Contrast. Der Componist, dessen Talent, meines Erachtens, mehr nach der Seite des Sanften, Lyrischen, Anmuthigen liegt, hat sich hier gewaltsam zu einem diabolischen Humor hinauf geschraubt. Die meisten Zuhörer dürften gleich mir von diesen burlesk grausigen Kerkerspässen nur einen ver stimmend widerwärtigen Eindruck empfangen haben. Mit der Schlußscene des dritten Actes gewinnt die Musik wieder an Frische und Natürlichkeit.

Das Publicum folgte dem „Lobetanz“ mit mehr Ver wunderung als Vergnügen. Sehr zurückhaltend nach den beiden ersten Acten, applaudirte es lebhafter am Schlusse und rief mit den Darstellern der Hauptrollen die beiden Autoren heraus. Hauptrollen, ja „Rollen“ überhaupt gibt es in der neuen Oper nur zwei: Lobetanz und die Prin zessin. Letztere ist größtentheils zu stummer Assistenz ver urtheilt; ihre gesangliche Aufgabe beginnt und endigt mit dem zweiten Act. Frau Schoder , deren Talent sich bis lang an scharf charakteristischen leidenschaftlichen Rollen be währt hat, gibt die bis zur Regungslosigkeit passive Gestalt der kranken Prinzessin mit überraschendem Gelingen. In ihrer bewunderungswürdigen Zurückhaltung und Selbst beherrschung erwies sie sich als Meisterin. Im Gegensatze zur Prinzessin ist Lobetanz den ganzen Abend in fort währender Bewegung, singend, sprechend, geigend, zuletzt auch noch tanzend. Herr Naval , durch seine liebenswürdige Persönlichkeit für den Lobetanz wie geschaffen, glänzt in dieser anstrengenden Rolle als geschmackvoller Sänger, musterhafter Sprecher und vortrefflicher Schauspieler. Die übrigen Partien sind durchwegs klein, aber weder leicht noch gleichgiltig für den Erfolg der Oper. Die Sorgfalt, welche man in Wien an „Lobetanz“ gewendet, äußert sich schon darin, daß zwei kleine Episodenrollen in der Kerkerscene den Herren Ritter und Grengg zugetheilt sind. Neben diesen verdienen die Fräulein Pohlner und v. Thann , die Herren Frauscher , Schittenhelm , Stoll und Preuß besonders genannt zu werden. Zuletzt (oder zuerst?) Herr Capellmeister Schalk , welcher die Oper sorgfältig einstudirt hat und sie mit wohltuender Ruhe dirigirt.