Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13390. Wien, Dienstag, den 3. December 1901 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13390. Wien, Dienstag, den 3. December 1901 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 03.12.1901
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Musik. (Philharmonisches Concert. — Sauer’s Memoiren.)

Ed. H. Abwechslungsreiche Programme mit glück licher Mischung von Altem und Neuem hat uns Director Hellmesberger bis jetzt geboten. Diesmal Mozart’s Es-dur-Symphonie, Brahms Akademische Ouvertüre und dazwischen ein neues Clavierconcert, componirt und gespielt von Emil Sauer . Bereits in verschiedenen Städten, zuletzt in Paris, hat das Stück sehr gefallen und muß gefallen, wenn Sauer selbst es vorträgt. Daß ausgezeichnete Virtuosen sich ihre Glanznummern, insbesondere Concerte, selbst ver fertigen, bildete in früheren Perioden die Regel; jetzt ge schieht es viel seltener und scheint doch täglich dringender. Unsere Pianisten stehen zwar mit ihrem Concertvorrath noch immer im Vortheil gegen die Violin-Virtuosen — aber reicher Auswahl können auch sie sich keineswegs rühmen. Zu dieser Noth tritt für jeden bedeutenden Virtuosen die Lockung, seine individuellen Vorzüge in einer eigenen Composition gehörig aufleuchten zu machen. So braucht er denn Concert stücke nicht blos für sich, sondern von sich. Aus Sauer , der bisher als Componist nur selten und lediglich in kleinen Formen hervorgetreten, hat jetzt mit einem eigenen Concert in E-moll sein Repertoire glänzend geschmückt. Wie vorauszusehen, strahlt dieser „Glanz“ mehr vom Virtuosen aus als vom Tondichter, welcher

Jenen willig den Ehrenplatz gönnt. Sauer’s Clavierconcert (dem Andenken Nikolaus Rubinstein’s gewidmet) ist vier sätzig und von großer Ausdehnung. Auf ein Allegro patetico in E-moll folgt in gleicher Tonart ein sehr rasches Scherzo in Drei-Achtel-Tact, ein Larghetto amoroso in C-dur, an dessen verhallenden Schluß sich ein munteres Rondo in E-dur heftet. Eine eigentliche „Cadenz“ alten Brauches fehlt in Sauer’s Concert, das man vielleicht Eine große Bravour-Cadenz nennen könnte. Das äußerst brillante Stück wird überall interessiren und gefallen, wo sich Jemand findet, der es spielen kann. Sauer’s unüber treffliche Virtuosität hat im Philharmonischen Concert einen neuen großen Triumph gefeiert. Es war des Beifalles kein Ende.

Es fügt sich hübsch, daß gerade jetzt, gleichzeitig mit seinem neuen Concerte, Sauer’s Selbstbiographie auftaucht, der berühmte Virtuose den noch unbekannten Schriftsteller dem Publicum vorstellt. „ Meine Welt “ betitelt sich das an 500 Seiten starke Buch, dessen anziehende, mit unter etwas zu ausführliche Erzählungen dankbare Leser finden werden. Erstaunen dürfte mancher von ihnen, daß der erst 40 Jahre alte Verfasser schon heute als Auto biograph größten Formates auftritt. In 20 bis 25 Jahren gibt uns Sauer hoffentlich einen zweiten Band!

Aufs Gerathewohl schlagen wir das Buch auf, am Schlusse der Einleitung — da hat der Verfasser schon unser Herz gewonnen. Durch die Worte über seine Mutter! „Mein ganzes Leben,“ schreibt er, „stand unter dem ver edelnden Einflusse meiner Mutter. Ihre Liebe und mütterliche Fürsorge haben als leuchtender Stern mich auf all meinen Wegen begleitet! Man wird mich daher nicht der Ueberschwänglichkeit zeihen, wenn mein dankerfüllter Blick oft und lange an diesem theuren Bilde haften bleibt. Denn es lebt ja nicht nur in meiner Seele; der Gnade Gottes danke ich noch heute diesen reichen Besitz, an dem ich mit jeder Faser meines Herzens hänge. Komm’, meine Mutter, laß uns wie im Leben, so auch durch dieses Buch Arm in Arm weiterwandern!“ Die Mutter, eine noch rüstige, feingebildete, sanfte Frau, ehedem eine der besten Pianistinnen, widmete sich bald dem Unter richte ihres Söhnchens, dem das Ueben eine Qual, das

Clavierzimmer „eine Folterkammer“ war. Wie so manchem später berühmt gewordenen Virtuosen und Componisten! Mußte doch der junge Beethoven „wie ein übellaunig Eselein“ zum Clavier gezerrt werden! Was die brave Frau anfangs zum Vergnügen (wie wir gesehen, nur zu ihrem Vergnügen) gethan, Clavierunterricht geben, das mußte sie bald in bitterem Ernst, aus Noth. Emil’s Vater, ein wohlhabender, geachteter Kaufmann in Hamburg, wurde durch unglückliche Speculationen bankerott. Der Hausstand mußte auf das Noth wendigste beschränkt, das schöne eigene Haus mit einer kleinen Miethwohnung vertauscht werden. Da greift die Mutter sofort zu dem tapferen Entschluß, Clavierstunden zu geben, und wird bald eine der gesuchtesten Lehrerinnen. Emil besucht das Gymnasium und versieht nebenbei in der Capelle eines Hamburger Vorortes den Organistendienst — gegen den Sold von jährlich 52 Thalern! Immerhin noch besser, als der junge Brahms, der ganze Nächte in Hamburger Kneipen zum Tanz aufspielen mußte! Aus seiner musikalischen Gleichgiltigkeit wird Emil eines Tages wie durch ein Wunder aufgerüttelt. In einer größeren Abendgesellschaft, und bald nachher in einem öffentlichen Wohlthätigkeits-Concert muß er sich zum erstenmale produ ciren. Der rauschende Beifall, der beglückende Widerhall seines Spieles in den Herzen der Zuhörer macht ihn be herzt und glücklich. Von nun an kennt sein Eifer, sein Fleiß keine Grenzen.

Eine ernüchternde Abkühlung bleibt nicht lange aus. Sein Gymnasialzeugniß mit der Specialnote: „Das öffentliche Auftreten Emil’s ist nach Paragraph so und so der Ober-Schulbehörde nicht gestattet.“ Die nächsten Sommerferien benützten Mutter und Sohn trotzdem zu einer improvisirten Tournée durch verschiedene Badeorte. Aber sowol in den Ostseebädern, wie in den beliebtesten Sommer frischen des Harzes spielten sie vor leeren Bänken; die spärliche Ernte deckte kaum die Reisekosten. Dieses Miß geschick, das ihn noch jahrelang unter allen Himmels strichen verfolgt hat, entlockt dem jungen Künstler kein Wort der Verwunderung oder Empörung. Er findet es begreiflich, daß unbekannten Größen überall mit Miß trauen begegnet wird. „Aus Mitleid besucht Niemand

Concerte, am allerwenigsten ein Badepublicum, und der Verdacht, daß Jemand seine Kunst übt, weil er es nöthig hat, ist schon genügend, dasselbe zu verscheuchen.“ In Niendorf concertirt Sauer vor wohlgezählten 14 Zu hörern. „Wenigstens,“ schließt er mit gutem Humor, „hatte dieses Trauerspiel das Gute, mich heute noch dieser Pro duction vor 14 Köpfen rühmen zu können. Tiefer bin ich nicht mehr gesunken!“ Und dennoch möchte er die Er innerung an jene Zeit trüber Erfahrungen und bitterer Enttäuschungen um keinen Preis missen!

Das Jahr 1877 bedeutet einen entscheidenden Wende punkt in Sauer’s Leben: Anton Rubinstein concertirt in Hamburg. „Die Wirkung seines Spieles auf mich,“ erzählt Sauer, „spottet jeder Beschreibung. Athemlos, vor innerer Erregung bebend, lauschte ich der neuen Offen barung; kein Ton, keine Schattirung entging meinen Ohren.“ Das schriftliche Ansuchen der Mutter, Rubinstein möge ihren Sohn anhören, fand freundlichste Gewährung. Auf ihre drängende Bitte um ein strenges, rücksichtsloses Urtheil entgegnet Rubinstein: „Seien Sie unbesorgt, Ma dame; nichts liegt mir ferner, als Ihnen trügerische Hoff nungen zu erwecken. Die Zeit der Wunderkinder ist vorbei; ebenso hat sich das schale Virtuosenthum selbst überlebt. Wer sich heute unter der Legion von Pianisten einen Ehrenplatz erringen kann, der muß als echter und rechter Musiker ge boren sein. Ich fürchte fast, daß Sie enttäuschter von mir gehen werden, als Sie gekommen sind.“ Nun producirt sich der Knabe mit Stücken von Bach, Beethoven, Chopin und Liszt. Er solle sich unbedingt ganz der Musik widmen, räth Rubinstein, freudig überrascht von dem Talent des jungen Sauer. Auf die schüchterne Frage der Mutter, ob vielleicht Rubinstein selbst dereinst die Ausbildung des Knaben übernehmen würde, erwidert der Meister, weh müthig den Kopf schüttelnd: „Ich bin kein Pädagoge. Dazu gebricht es mir an den drei wesentlichsten Dingen: an Lust, Muße und Geduld. Aber ein Größerer als ich, der Größten einer, soll sich dieses Knaben annehmen: mein Bruder Nikolaus. Lassen Sie Ihren Jungen vor Allem ruhig weiter das Gymnasium besuchen; es ist vorder hand das Wichtigste. Ein Ungebildeter kann auch durch die Sprache der Tonkunst nicht bilden. Wenn dann die Zeit gekommen ist, soll es ihm an einer warmen Empfehlung

an meinen Bruder in Moskau nicht fehlen. Dort wird er Alles lernen, was überhaupt gelernt werden kann. Genial muß er dann später durch sich selbst werden.“

Also auf nach Moskau! Zu Ostern 1879 durfte Sauer dem Gymnasium Adieu sagen, um sich ganz der Musik zu widmen. Des Latein und Griechisch war er ohnehin längst übersatt. Rubinstein hatte Wort gehalten und seinem Bruder Nikolaus den jungen Schützling warm empfohlen. Aber nun drohten neue Schwierigkeiten! Woher die Mittel für die Reise nach Moskau, die Kosten des Studiums und des Lebensunterhaltes erlangen? Eine in Rußland be güterte Freundin von Frau Sauer erwirkte für Emil eine Freistelle am Moskauer Conservatorium. Auch für seine Ausrüstung und nothwendigsten ersten Bedürfnisse sorgte ein Consortium von Wohlthätern in Hamburg, „dieser Hochburg der werkthätigen Menschenliebe“!

Die Mittheilungen über Nikolaus Rubinstein , dessen Persönlichkeit, Charakter und Lehrmethode, gehören zu den anziehendsten, speciell für Musiker interessantesten Capiteln des Buches. War dieser Mann, in dessen Zügen man vergeblich nach einer entfernten Aehnlichkeit mit Anton Rubinstein forschte, wirklich dessen leibhaftiger Bruder? Nikolaus trug alle Kennzeichen des hellfarbigen orienta lischen Typus; ein Blondkopf mit großen wächsernen Augen, leicht gebogener Nase und schmalen, von einem un gepflegten Schnurrbart bedeckten Lippen; an den Schläfen starke Zornesadern, Zeichen heißblütigen Tempera ments. Der erste Besuch wirkte nicht sehr ermuthigend. Emil mußte sofort ans Piano, obschon er, erschöpft von der mühseligen Reise, flehentlich um Aufschub bat. „Machen Sie keine Ausflüchte!“ herrschte ihn Nikolaus mit durch bohrendem Blick an; „Wollen und Können sind das wirksamste Schutzmittel gegen Müdigkeit.“ Aber Sauer war doch im Recht gewesen; es mißglückte ihm Alles. Er hatte „verthan und verspielt“. Rubinstein mißt ihn mit unverhohlenem Erstaunen: „Also Sie sind das große Talent, von dem man mir berichtete? Bei uns zu Lande pflegt man weniger verschwenderisch mit dem Prädicat „Talent“ umzugehen! Nun, hoffentlich gelingt es Ihnen, mich bei nochmaligem Hören eines Besseren zu überzeugen; denn so wäre Ihnen der Zutritt in meine Classe ohne weiters versperrt.“ Dann trat aber dem so tief gedemüthigten

armen Jungen gegenüber das weiche empfindende Herz des Meisters leuchtend zu Tage. Er erkundigt sich genau nach dem Vorleben und den Verhältnissen Emil’s und nach dem Bestand seiner Börse, welcher auf knappe 40 Rubel, kaum ausreichend für die Bedürfnisse des ersten Monats, zu sammengeschmolzen war. Auch Sauer schmolz zusammen, vor Rührung nämlich, als ihm Rubinstein das eigene Portemonnaie zur Verfügung stellte.

Jeden Wochentag von 2 bis 4 Uhr ließ der Meister seine Schüler antreten. Nach einem zweiten, besser ge glückten Examen wurde Sauer in Rubinstein’s Classe auf genommen, unter der ausdrücklichen Clausel, beim ersten selbstverschuldeten Anlaß wieder an die Luft gesetzt zu werden. Nur wenige Schüler fanden Aufnahme. Von etwa 400 Conservatoristen durften blos 15 sich rühmen, Rubin steinianer zu heißen. Diese mußten täglich von 2 bis 4 Uhr sich einfinden, jeder darauf gefaßt, an die Reihe zu kommen. Sie Alle konnten durch Zuhören profitiren und dabei die ganze Clavier-Literatur kennen lernen. Jedes Clavierstück pflegte der Meister einmal selbst vorzutragen. Seine Beherrschung des in diesen Lehr stunden verarbeiteten Materials war geradezu fabel haft: der große Anton hätte die Programme von zwanzig historischen Concerten damit fristen können. Sauer ist überzeugt, daß Nikolaus Rubinstein als Pädagoge seines gleichen nicht gehabt — auch schwerlich so bald finden werde. Nicht etwa eine bestimmte, von ihm erdachte Methode war es, sondern die magnetisirende Macht seiner Persönlichkeit, die Gabe, sein tiefgehendes Wissen auf Andere erfolgreich zu übertragen. Jedes Talent erfuhr bei ihm eine völlig individuelle Behandlung. Gleichwie die Fingersätze, je nach Beschaffenheit der Hand, total verschiedenartig von ihm notirt waren, so richtete sich auch seine Unterweisung immer nach dem technischen oder geistigen Vermögen des Be treffenden. N. Rubinstein verstand es, seine Schüler von Anbeginn auf die wichtige Fährte zielbewußten Stu diums zu bringen, in der Ueberzeugung, daß man in vier denkend verbrachten Stunden mehr lernen könne, als Andere in ebenso viel Tagen. „Qualität, nicht Quan tität des Uebens entscheidet,“ pflegte er zu ermahnen vier Stunden täglich, gleichmäßig auf Vor- und Nach

mittag vertheilt, genügen vollauf. Mit maschinenmäßiger Fingerarbeit wird nichts erreicht, höchstens riskiren Sie dabei, das bischen Geist und Verstand, das allenfalls noch in Ihnen steckt, gänzlich zu tödten.“ Nikolaus Rubinstein ward von seinen Schülern aufrichtig verehrt, so hart, ja barbarisch er sie mitunter behandelte. Auch der junge Sauer hatte unter ihm „Folterqualen“ zu erdulden. Trotz dem trachtet er nach Möglichkeit, den Despotismus seines Meisters zu entschuldigen und pathologisch zu erklären. Wein, Weib und Kartenspiel hatten dessen Riesennatur allmälig untergraben. Wenn er die Nächte am Karten tisch verbracht, Tausende und Abertausende von Rubeln der Spielwuth geopfert hatte, dann entlud anderen Tags sein Grimm sich nur zu oft gegen seine Schüler. Dann war ihm nichts mehr heilig, selbst nicht der herrliche, meterlange Haarzopf der jungen Pianistin Untilowa, den er einmal bei einem fehlerhaften Vortrage so lange als Glockenzug benützte, bis die Arme in Thränen ausbrach. Nach Neujahr 1881 veränderte sich plötzlich Rubinstein’s Aussehen. In gebückter Haltung, aschfahl und verschleierten Blickes trat er in seine Classe. Man erzählte, er sei nach einem galanten Abenteuer das Opfer eines rächenden Ueber falles geworden. Dennoch hofften seine Freunde, völlige Abgeschiedenheit an einem sonnigen Ort der Riviera werde dem Schwerkranken Heilung bringen. Auf langsamer, wieder holt unterbrochener Reise gelangte Rubinstein nur bis nach Paris, wo er im März 1881 seinen Qualen erlag.

Bei Sauer’s Moskauer Studienzeit glaubte ich etwas länger verweilen zu dürfen, weil sie, musikalisch besonders inhaltsreich, für Clavierspieler einen reichen Schatz von Beobachtungen birgt. Viele Leser dürften die zweite größere Hälfte des Sauer’schen Buches lebendiger und farbenreicher finden: seine Kunstreisen in Spanien, Frank reich, England, die bunten Schilderungen von Land und Leuten in der Türkei, in Persien, Griechenland und Ame rika; sein Verkehr mit Brahms, Bülow, Liszt, der Fürstin Wittgenstein und vielen anderen Berühmtheiten der Kunst und hohen Aristokratie. Rühmenswerth erscheint mir, daß Sauer von seiner Person in dem Maße weniger spricht, als seine Erfolge sich steigern, sein Ansehen wächst. Was er beobachtet und erlebt, wird ihm fortan wichtiger, als was er selbst leistet.