Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Nr. 13404. Wien, Dienstag, den 17. December 1901 Hanslick, Eduard Wilfing, Alexander FWF Der Wissenschaftsfond.
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Hanslick Edition: Hanslick in Neue Freie Presse Herausgegeben von Wilfing, Alexander Projektmitarbeiterinnen Bamer, Katharina Pfiel, Anna-Maria Elsner, Daniel Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage Wien 2023

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Maschinenlesbares Transkript der Kritiken von Eduard Hanslick.

Nr. 13404. Wien, Dienstag, den 17. December 1901 Hanslick, Eduard Neue Freie Presse Morgenblatt Herausgegeben von Etienne, Michael Friedländer, Max Wien 17.12.1901
font-style:italic; font-weight:bold; Deutsch Transkribus OCR und Lektorat. Transformierung der Daten des Transkribus TEI-Export mit "editions.xsl". Formatierung und Referenzen eingefügt. Letztkorrektur für Zwischenrelease.
Musik. (Viertes Philharmonie-Concert. Conservatoriums-Concert. B. Hubermann. Die neue Universal-Edition.)

Ed. H. „C’est Vénus toute entière à sa proie attachée!“ Wie ein Leitstern (erzählte mir Massenet ) habe dieser Vers aus Racine’s Tragödie ihm vorange leuchtet, als er seine Ouvertüre zu „Phädra“ componirte. Das Trauerspiel, in welchem Racine’s Leidenschaftsmalerei ihre Höhe erreicht, mußte vor Allem einen Franzosen zu musikalischer Verherrlichung reizen. In Deutschland hat das Publicum sich niemals für Racine ehrlich begeistert, ebenso wenig wie für die Trauerspiele von Corneille und Voltaire. Die Bemühungen Goethe’s, der in dem Tragödienstyl der französischen Classiker ein Heilmittel gegen die einbrechende Romantik erblickte und „Mahomet“ sowie „Tancred“ für sein Weimarer Theater bearbeitet hat — sie trugen nur sehr kurze Zeit die gewünschte Frucht. Als er Schiller zur Be arbeitung der „Phädra“ drängte, sträubte sich dieser an fangs dagegen. Allein Goethe trieb ihn fleißig an. „Die gehetzte Leidenschaft gibt dem Stücke Leben,“ schreibt er 1803 an Schiller, als dieser ihm die drei ersten Acte seiner „Phädra“-Uebersetzung zuschickt. Trotz der vornehmen Pathenschaft Goethe’s und Schiller’s sind die französischen Tragödien des siebzehnten Jahr hunderts längst von unseren Bühnen verschwunden. Ich habe es als Student noch erlebt, wie die berühmte Rachel

sich in Wien als Phädra vor einem herzlich kühlen Publicum vergeblich in die Hitze declamirte. Goethe ist übrigens auch nicht immer der dramatische Franzosenfreund gewesen, der in späteren Jahren seine Weimarer mit Cor neille und Racine classisch zu erziehen suchte. Wie ganz anders lautete seine Rede bei der Frankfurter Shakespeare- Feier (1771)! „Darum,“ so schloß er, „sind auch alle französischen Trauerspiele Parodien von sich selbst; wie das so regelmäßig zugeht und sie einander ähnlich sind wie Schuhe.“

Massenet’s Phädra-Ouvertüre, um auf diese zurückzukommen, ist uns als interessante Novität von Director Hellmesberger vorgeführt worden; zu Massenet’s neuesten Compositionen zählt sie übrigens nicht. Schon im Jahre 1873 dirigirte sie Pasdeloup im Cirque d’hiver; später (1888) Lamoureux. Ein schmerzlich aufschreiender verminderter Septim-Accord leitet in ein melancholisches G-moll-Andante, das sich bald (Allegro appassionato) in die Dur-Tonart stürzt. Sei es dem Hörer überlassen, wo er die heißblütige Werbung Phädra’s, wo das ablehnende Zurückweichen ihres tugendhaften Stiefsohnes Hippolyt heraushören mag. Besonders Phantasievolle dürften wol auch den Wunderstier agnosciren, vor dem, auf Neptun’s Geheiß, die erschreckten Pferde durchgehen und Hippolyt zu Tode schleifen. Die Ouvertüre macht, ohne erheblich Neues und Bedeutendes zu offenbaren, doch einen günstigen Eindruck. An ver schiedenen Anlehen bei deutschen Componisten (sogar bei Reissiger) fehlt es freilich nicht. Aber das von geistreichen Orchester-Effecten gehobene theatralische Talent Massenet’s verleugnet sich eben nirgends ganz. ... Es folgten an zweiter Stelle R. Heuberger’sVariationen über ein Thema von Franz Schubert.“ Sie sind bereits in dem Philharmonischen Concerte vom 7. März 1880 unter Hans Richter’s Leitung gespielt worden, dann 1892 in einem Concert der „Wiener Musik- und Theater-Ausstellung“. Also keine Novität, welche wiederholter Besprechung be dürfte. Die sehr virtuos gespielten Variationen fanden auch diesmal lebhaften Beifall, für welchen der anwesende Componist persönlich danken mußte. Das Beste zum Schluß: Beethoven’s A-dur-Symphonie. Das erste Conservatoriums-Concert bot freundliche Eindrücke. Den günstigsten mit dem ersten Satz

von Rubinstein’sOcean-Symphonie“; man spielte nur diesen einen, welcher im Grunde die ganze Symphonie ist. Auf diese stolze Ausfahrt mit vollen Segeln folgen bekanntlich nur wenig interessante musikalische Reise- Abenteuer. Aber auch dieser erste Satz wirkt heute mehr durch Wohlklang und schlank emporstrebenden Wuchs, als durch die Wucht der Gedanken: dem Ocean fehlt die Tiefe. Das Schüler-Orchester machte unter der Leitung des Directors Richard v. Perger die Seefahrt tapfer, ohne Schwankungen mit. Der reiche Beifall, der, wie auch sonst, insbesondere nach dieser Vortragsnummern erscholl, schien eines leichten demonstrativen Beigeschmacks nicht zu entbehren. Auch das Chor-Ensemble des Conserva toriums fand in a capella-Sätzen von Goldmark , Brahms und Schumann lebhaften Anklang. Es wurde rein, mit sorgfältig abgestufter Dynamik gesungen, wenngleich unter der ortsüblichen Vorherrschaft des weiblichen Stimmmaterials über das männliche. Wie lauten doch die schönen Worte Martin Luther’s, die man da mit der anschmiegsamen Musik Goldmark’s gehört hat? „Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Werk genommen.“ Es versteht sich, daß an einem Conservatorium lebhafter Andrang herrscht zu solch gott gefälligem Thun. Unmöglich, all den Schülern zu folgen, die in wohlvorbereiteten Solos ihre Stimme, ihre Geige, ihr Violoncell und selbstverständlich ihr Clavier hören ließen. Ein beachtenswerthes Talent scheint Herr Alfred Schaffer , der das Es-dur-Concert von Liszt mit Bravour und Ausdauer bewältigte. Auch Fräulein Blan dine Höller erwies sich in dem Vortrag des Mendels sohn’schen Violinconcerts als ein vielversprechendes Talent. Recht weit hat sie allerdings noch zu der künstlerischen Vollendung, mit welcher jüngst Bronislaw Hubermann dieses Concert gespielt hat.

Hubermann’s Talent hat in diesem Blatte bereits von anderer Seite Würdigung erfahren; trotzdem drängt es mich, dem jungen Künstler auch meinerseits ein Wort dankbarer Anerkennung auf seine Weltreise mitzugeben. So jung er ist, zu den größten der heute gefeierten Violin spieler darf man ihn getrost zählen. Wie bändigt er die sich gewaltig aufbäumenden Schwierigkeiten des Brahmsschen Concertes — eine Leistung, die bekanntlich Brahms

selbst schon bei Hubermann’s erstem Auftreten vor sieben Jahren mit freudigem Staunen begrüßt hat! Wie mühelos und gelassen vollbringt er den athemversetzenden Dauerlauf des Bach’schen Präludiums! Was ich aber noch höher achte und noch seltener antreffe, als diese Proben außerordentlicher Virtuosität, ist der unbeschreiblich süße, innige Gesang, den Hubermann aus dem Chopin’schen Notturno zieht. Ein stärkeres Zeugniß für die echt musikalische Natur des jungen Künstlers, als die verblüffendsten Sprünge auf dem gespannten Seil der Paganini’schen „Hexenvariationen“. Der Beifall des Publicums, das in zwei rasch aufeinander folgenden Concerten Hubermann’s den großen Musik vereinssaal füllte, war, dem Gebotenen entsprechend, ein außerordentlicher — eine Huldigung in bester Form.

Wie kommt es nur, daß wir Musikkritiker, die wir jahraus jahrein von allen Componisten und Dirigenten, allen Sängern und Sängerinnen, allen Geigern und Pia nisten sprechen, fast nie ein Wort haben für den wichtigen musikalischen Factor, ohne welchen all jene Concertgrößen nicht agiren könnten — für den Musikverleger? In dem Schaufenster von Rosé’s Musikhandlung bemerkte ich jüngst etliche in Roth und Grün elegant gebundene und goldverzierte Notenbände: Clavierwerke alter und neuer Meister, Liedersammlungen, Violin-Compositionen u. s. w., sämmtlich gezeichnet von der Wiener Verlagsfirma „Uni versal-Edition“. Da mir, offen gestanden, diese Firma und ihre so schmucken Aufgaben völlig fremd waren, er kundigte ich mich über deren Tendenz und Thätigkeit. Nachstehende mir bereitwilligst gegebene Aufklärungen dürften für unsere musikalischen Leser nicht ohne Interesse sein.

Die von dem Wiener Musikverleger Joseph Wein berger begründete „Universal-Edition“ bezweckt in erster Linie, den heimatlichen Musikmarkt für die wichtigsten Ge biete der musikalischen Literatur vom Auslande unabhängig zu machen. Der gesammte inländische Bedarf an classischer und instructiver Musik wurde bisher von den bekannten deutschen Editionsfirmen gedeckt; jeder Gulden, der in einer österreichischen Musikalien-Handlung für solche Werke bezahlt wurde, wanderte nach Leipzig. Der Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist für Compositionen bedeutender Ton setzer blieb für Oesterreichs Musikhandel ohne jeden Vor theil, da Niemand da war, der von diesen Gemeingut ge wordenen Schätzen Gebrauch machte; man bezog diese

Werke nach wie vor aus Leipzig. Der Gründung der Wiener „Universal-Edition“ haben sich die Hauptinteressenten der einschlägigen Berufszweige angeschlossen: Oesterreichs größte Notendruckerei, sowie die bedeutendsten Musikverlags- Handlungen und Sortimente. Bei den Schwierigkeiten der Concurrenz gegenüber den bestehenden ausländischen Editionen galt es eben, ein Unternehmen zu schaffen, dem von vorn herein ein großer Kreis von Theilnehmern gesichert war. Am 1. October d. J. hat die „Universal-Edition“ mit der Herausgabe ihrer Editionen begonnen, und bis heute sind bereits 400 Bände erschienen. Allmonatlich soll nunmehr eine Reihe weiterer Bände erscheinen, bis die „Universal- Edition“ auf allen Gebieten an Umfang den größten deutschen Editionen entsprechend ausgebaut sein wird. Der Erfolg ist jetzt schon, in den ersten Monaten des neuen Unter nehmens, ein außerordentlicher. Sehr förderlich erwies sich dabei die officielle Empfehlung des k. k. Unterrichts ministeriums. Den Unternehmern wurde überdies die besondere Genugthuung, daß die neue österreichische Aus gabe auch im Auslande großer Sympathie begegnet. In Deutschland und England ist die „Universal-Edition“ bereits mit Erfolg eingeführt; in Frankreich und Amerika ist deren Einführung im Zuge; ebenso in Belgien, Holland und in der Schweiz. In der österreichischen Handelsstatistik erscheint jetzt zum erstenmale eine beträchtliche Ziffer für Export von Musikalien. Sie dürfte in absehbarer Zeit eine sehr respectable Höhe erreichen. Gegen die älteren bekannten Ausgaben, die durchwegs vor 20 bis 30 Jahren erschienen sind, genießt die „Universal-Edition“ auch den Vorzug, daß alle Unterrichtswerke oder beim Unterricht verwendeten classischen Compositionen von hervorragenden Musik-Päda gogen nach den Grundsätzen der modernen Technik revidirt und herausgegeben sind. Es seien nur aus Wien die Namen Epstein , Door , Ignaz Brüll , Rückauf , A. Rosé und J. Hellmesberger genannt, denen sich zahlreiche auswärtige Notabilitäten anschließen. Die überraschend schnellen Erfolge dieses uns vom Ausland unabhängig machenden Musik-Unternehmens haben somit nicht blos eine künstlerische, sondern obendrein eine eminent österreichisch-patriotische Bedeutung. Aus diesem Gesichts punkte erschien es uns Pflicht, unseren Lesern davon zu erzählen.